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Streit zwischen Arnaldo und dem Herzog von Nemours über den Kauf eines Bildes.
Mit andern Augen betrachteten nun Auristela und Periander einander; bei ihm war dies mindestens der Fall, da ihn bedünkte, Auristela habe nun das Gelübde erfüllt, wegen dessen sie nach Rom gepilgert war, und daß sie jetzt nichts mehr verhindern könne, sich mit ihm zu verbinden. Aber war Auristela als halbe Heidin schon sittsam, so ward sie es jetzt, seit ihrem Unterrichte noch weit mehr. Nicht als hätte sie geglaubt, durch eine Vermählung die Sittsamkeit zu verletzen, sondern sie wollte keine Schwäche zeigen, wenn nicht erst Gewalt oder Bitten sie bestürmt hätten. Auch hörte sie nicht auf, den Himmel anzuflehen, er möge sie erleuchten, und ihr zu erkennen geben, was sie beginnen solle, wenn sie vermählt sei; denn sie hielt es für eine zu große Verwegenheit, in ihr Vaterland zurückzukehren, da Perianders Bruder sie zu seiner Gemahlin erkohren hatte, und vielleicht, wenn er seine Hoffnung vereitelt sah, an ihr und seinem Bruder Periander blutige Rache nehmen würde. Diese Gedanken und Zweifel machten sie oft betrübt und nachdenklich.
Die französischen Damen waren täglich in den verschiedenen Kirchen, und besuchten die Stationen in stattlicher Begleitung; denn Croriano war, wie gesagt, ein Anverwandter des französischen Gesandten, und es fehlte ihm und seinen Begleitern deshalb nicht an Mitteln, sich stets mit anständiger Pracht zu zeigen. Auristela und Constanza begleiteten sie gewöhnlich, und sie konnten fast nie aus dem Hause gehen, ohne daß die halbe Bevölkerung von Rom sich um sie versammelte.
Als sie eines Tages durch eine Straße kamen, die Bancos heißt, sahen sie an einer Mauer ein Gemälde hängen. Es war die lebensgroße Gestalt einer Frau, die eine in der Mitte durchgebrochene Krone auf dem Haupte trug; zu ihren Füßen war die Weltkugel, auf der sie stand. Kaum hatten sie dies Bild erblickt, so erkannten Alle Auristela's Angesicht, und zwar so ähnlich gemalt, daß sie nicht im mindesten daran zweifeln konnten.
Auristela fragte voll Verwunderung, wessen das Bildniß sei, und ob es zu verkaufen wäre? Der Besitzer desselben, der, wie sich später zeigte, ein berühmter Maler war, erwiederte: er habe das Bild zum Verkauf ausgestellt, wisse aber nicht, von wem es gemalt sei; ein anderer Maler, sein Freund, habe es für ihn in Frankreich copiren lassen, und dieser habe ihm gesagt, es sei das Bildniß einer Fremden gewesen, die in Pilgerkleidung nach Rom wallfahre.
»Und was bedeutet,« fragte Auristela weiter, »diese Krone? weshalb ist sie durchgebrochen? und was stelle die Weltkugel unter den Füßen vor?«
»Dies,« sagte der Mann, »sind Phantasieen, oder, wie wir es nennen, Capricen des Künstlers. Vielleicht will er damit sagen, daß diese Frau die Königin der Schönheit ist, und daß sie verdient, die ganze Welt zu ihren Füßen zu sehen. Ich aber sage, schöne Dame, daß Ihr das Original zu diesem Bilde seid, und daß Ihr eine vollständige Krone, und eine nicht gemalte, sondern wirkliche Welt zu besitzen verdient.«
»Was verlangt Ihr für das Bild?« fragte Constanza.
»Es sind zwei Pilger hier,« erwiederte der Maler, »von denen der eine mir tausend Goldstücke geboten hat; der andere aber sagte, kein Preis solle ihm zu hoch sein, um es an sich zu bringen. Ich habe den Handel noch nicht abgeschlossen; denn das übertriebene Gebot macht mich fast glauben, das Ganze sei nur ein Scherz.«
»Zweifelt nicht,« entgegnete Constanza; »diese beiden Pilger, wenn es die sind, die ich meine, können wol das Doppelte dafür bieten, und Euch zu Eurer Zufriedenheit auch bezahlen.«
Die französischen Damen, so wie Ruperta, Croriano und Periander waren erstaunt, auf dem Bilde Auristela's Züge ganz unverkennbar zu erblicken. Auch die Umstehenden, die das Bild betrachteten, bemerkten die Ähnlichkeit mit Auristela, und bald erhob sich, erst leise und dann immer lauter ein Gemurmel von vielen Stimmen:
»Dies ausgebotene Gemälde ist das Bildniß der Pilgerin, die in dieser Kutsche sitzt. Was sehen wir die Copie länger an? Kommt, und betrachtet das Original.«
Nun drängte sich Alles um die Kutsche, so daß die Pferde weder vor noch rückwärts gehen konnten, und Periander sprach zu Auristela:
»Schwester, bedecke Dein Gesicht mit einem Schleier, denn das zu helle Licht blendet uns, und wir können den Weg nicht mehr sehen.«
Auristela folgte seinem Rath, und so fuhren sie weiter. Deshalb unterließen aber die Menschen nicht, dem Wagen zu folgen; weil sie hofften, die Dame würde den Schleier wieder abnehmen, und sie könnten sie dann nach Herzenswunsch betrachten.
Kaum war die Kutsche weitergefahren, so kam Arnaldo in Pilgerkleidung zu dem Besitzer des Bildes und sprach zu ihm:
»Ich bin Derjenige, der Euch tausend Goldstücke für dies Gemälde bot. Seid Ihr damit zufrieden, so kommt und bringt das Bild mit, denn ich will Euch das Geld sogleich baar auszahlen.«
Indem rief schon der zweite Pilger, der Herzog von Nemours: »Nenne keinen Preis, mein Freund, sondern komm mit mir, und denke Dir nur aus, wie viel Du haben willst, so sollst Du es augenblicklich von mir in klingender Münze erhalten.«.
»Meine Herren,« sprach der Maler, »vereinigt euch erst darüber, welcher das Gemälde haben soll; denn ich kann den Preis nicht bestimmen, da ich vermuthe, ihr werdet mich mehr mit gutem Willen, als in der Wahrheit bezahlen.«
Viele Menschen hatten sich um die Redenden versammelt, begierig zu sehen, wie dieser Handel endigen würde; denn zwei, wie es schien, arme Pilger, Tausende bieten zu hören, schien ihnen nur ein Scherz. Der Maler sagte endlich:
»Der, welcher es haben will, gebe mir ein Zeichen und gehe voran; ich nehme es nun ab, um es fortzutragen.«
So wie Arnaldo dies hörte, zog er eine goldne Kette aus dem Busen, an der ein kostbarer Diamant hing, und sprach:
»Nimm diese Kette, die mit dem Diamant über zweitausend Goldstücke werth ist, und trage mir das Bild nach.«
»Dies gilt zehntausend!« rief der Herzog, und reichte dem Maler einen Brillantschmuck hin. »Bringe das Gemälde in meine Wohnung.«
»Gerechter Gott!« sprach einer der Anwesenden, »was ist das für ein Bild! was für Menschen sind das! und welche Kostbarkeiten! Das kommt mir Alles vor wie ein Märchen. Darum rathe ich Dir, guter Maler, prüfe erst das Gold, und laß die Steine untersuchen, ob sie auch echt sind, ehe Du das Deinige weggibst. Kette und Diamanten könnten falsch sein; der hohe Werth wenigstens, den diese Menschen ihnen beilegen, ist mir verdächtig.«
Die Fürsten waren sehr erzürnt; um sich aber auf öffentlicher Straße nicht zu verrathen, gaben sie es zu, daß der Besitzer des Gemäldes sich von dem Werth der Steine überzeugen möchte.
Alle Bewohner der Straße waren in Aufruhr. Einige betrachteten das Bild, Andere erkundigten sich nach dem Namen der beiden Pilger, und Andere wieder besahen die kostbaren Steine. Alle waren begierig, wer das Bild davontragen würde; denn beide Pilger schienen es um jeden Preis besitzen zu wollen. Der Maler hätte es gern um weit weniger Geld hingegeben, um nur den Handel ruhig abschließen zu können.
Der Gouverneur von Rom kam zufällig durch die Straße. Er hörte den Lärm und fragte nach der Ursach desselben; Gemälde und Edelsteine wurden ihm gezeigt, und da letztere ihm kostbarer schienen, als daß sie gewöhnlichen Pilgern angehören konnten, glaubte er, es müsse irgend ein Geheimniß darunter verborgen sein. Er ließ deshalb sowol Edelsteine als Bild in sein Haus bringen, und die beiden Pilger verhaften.
Der Maler blieb verdrüßlich stehen, da er sich um seine Hoffnung betrogen, und sein Eigenthum in den Händen der Justiz sah, die selten Etwas zurückgibt, was sie in ihre Gewalt bekommt; oder doch, im besten Falle, ist die Erstattung nie ohne Verlust.
Der Maler lief zu Periander, und erzählte ihm den ganzen Vorfall, so wie seine Furcht, ob der Gouverneur das Bild nicht behalten würde, das er in Frankreich gekauft hatte, von einem Maler, der es in Portugal copirte.
Periander konnte den Zusammenhang wol begreifen, denn Auristela war, während ihres Aufenthalts in Lissabon öfter gemalt worden. Er bot dem Eigenthümer des Bildes hundert Goldstücke, und übernahm die Gefahr, es wieder zu erlangen, oder vielleicht einzubüßen. Der Maler war sehr zufrieden, und hielt, trotz des bedeutenden Abfalles von tausend auf hundert, das Bild für gut verkauft und noch besser bezahlt.
Den Abend besuchte Periander die sieben Kirchen zugleich mit andern spanischen Pilgern. Unter diesen erkannte er den Poeten wieder, der bei der Ankunft in Rom das Sonett hergesagt hatte. Sie umarmten sich und fragten einander um ihre Begebenheiten. Der pilgernde Poet sagte: ihm sei den vorigen Tag Etwas geschehen, das ihm, wegen seiner Sonderbarkeit, wol des Erzählens würdig dünke. Er habe nämlich gehört, ein Monsignore besitze das reichste und ausgezeichnetste Museum, das man nur in der Welt sehen könne; denn es bestehe nicht aus Bildnissen berühmter Männer, die gelebt hätten, oder noch lebten, sondern aus zubereiteten Tafeln, worauf alle künftigen berühmten Männer gemalt werden sollten, besonders alle großen Dichter. Von diesen Tafeln hatte er zwei gesehen, über der einen stand geschrieben: Torquato Tasso, und etwas weiter unten: Das befreite Jerusalem. Über der andern stand der Name Zarate, und darunter: Das Kreuz und Constantin.
»Ich fragte Den, der mich herumführte,« erzählte der Pilger weiter, »was diese Namen bedeuten sollten? und er antwortete mir: man erwarte, daß bald das Licht eines Dichters, der Torquato Tasso heiße, die Welt erleuchten würde; dieser werde ein befreites Jerusalem singen, in so heroischen und zugleich so lieblichen Tönen, wie sie noch aus keinem Dichtermunde erklungen. Friedrich Notter (der Persiles-Übersetzer der Ausgabe bei der Metzler'schen Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 1839, Bd. II, S. 226) merkt hierzu an: »Tasso war um die Zeit, wo Dieses geschrieben wurde, längst wieder gestorben (1595). Die Zeit aber, in welcher der vorliegende Abschnitt des Romans spielt, ist etwa das erste Jahr nach dem Tode Karls V, mithin ungefähr 1559 oder 1560, und fällt somit wirklich ein oder zwei Jahre vor das Erscheinen von Tasso's erstem Gedicht, Rinaldo (1561), nach dessen Herausgabe er unverweilt die Ausarbeitung des befreiten Jerusalems begann.« ( Anm.d.Hrsg.) Ihm würde bald darauf ein Spanier folgen, Namens Francesco Lopez de Zarate Siehe dazu die betreffende Stelle in Tiecks Vorwort. ( Anm.d.Hrsg.), dessen Ruhm würde sich in alle vier Theile der Welt verbreiten, und alle Herzen erfreuen. Dieser sollte die Wiederfindung des Kreuzes Christi besingen, und die Kriege des Kaisers Constantin, ein wahrhaft heroisches und religiöses Werk, das wol den Namen eines Gedichtes verdiene.«
Periander sagte: »Es scheint mir unglaublich, daß man sich schon lange vorher die Mühe gibt, Tafeln zu bereiten, um Das darauf zu malen, was noch nicht da ist. Aber in der That, diese Stadt, die Hauptstadt der Welt, enthält noch wunderbarere Dinge als dies. Und sind noch mehr Tafeln für künftige Dichter bereitet?«
»Ja wohl,« antwortete der Pilger; »aber ich wollte mich nicht länger aufhalten, die Überschriften zu lesen, und begnügte mich mit den beiden ersten. Jedoch im Vorbeigehen erblickte ich noch so viele, daß ich wol begreife, wie in der Zeit, wo alle Die auftreten, die, wie mein Führer sagte, erscheinen werden, es nicht an unendlich vielfältigen Poeten fehlen wird.«
»Das möge Gott lenken, wie es seiner Weisheit am besten dünkt,« sprach Periander. »Aber das Jahr, in dem die Poesie gedeiht, wird ein Hungerjahr sein, denn es heißt: Zeige mir einen Poeten, so will ich Dir einen Bettler zeigen. Wenn also die Natur nicht ein Wunder thut, so kommt die natürliche Schlußfolge heraus: Wenn es viele Poeten gibt, so gibt es viele Arme, und wo viel Arme sind, ist auch Hungersnoth.« Friedrich Notter (aaO., S. 227) merkt hierzu an: »Der liebenswürdige Cervantes lächelt hier über sein eigenes Schiksal: alle Scherze, alle Tiefblikke des unsterblichen Dichters traten unter drükkender Noth der Armuth, die ihn sein ganzes Leben lang nicht verließ, ans Licht.« ( Anm.d.Hrsg.)
Indem der Pilger und Periander sich noch miteinander unterhielten, kam Zabulon, der Jude, dazu und bot Periander an, ihn den Abend zu Hippolita, der Ferrareserin, zum Besuch zu führen, einer der schönsten Frauen in Rom und in ganz Italien. Periander nahm das Erbieten willig an, was er nicht gethan haben würde, hätte der Jude ihm nicht allein von der Schönheit dieser Dame gesprochen, sondern ihm auch ihren Stand entdeckt; denn Perianders Hoheit und Tugend ließ sich nie zu dem Gemeinen herab, wenn es sich auch unter der schönsten Hülle zeigte. In diesem Punkte war er Auristela völlig ähnlich, und die Natur schien ihre Gemüther nach einem Muster gebildet zu haben. Er trennte sich den Abend von ihr, um die schöne Hippolita zu besuchen, zu welcher der Jude ihn mehr aus hinterlistigen Absichten, als aus gutem Willen führte. Ist doch zuweilen die Neugierde Ursache, daß auch eine geprüfte Tugend fällt.