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Zwanzigstes Kapitel.

Morgen sollte Erntefest sein, der größte Festtag des Jahres.

Die Hadelworther waren vorsichtige Leute und feierten das Fest nicht eher als bis die Ernte vollständig beschafft war und man ein endgültiges Urteil abgeben konnte. Dann setzten Schultheiß und Landschöffen einen Sonntag fest. In früheren Zeiten sollten sie sogar den Text für die Predigt bestellt haben. Man hätte in Hadelworth vielleicht zweckmäßiger getan Erntedankfest eher zu feiern, zu einer Zeit, wo noch die schrägen Sonnenstrahlen über das Feld fallen und zeigen, daß der lebendige wärmende Herrgott noch sichtbar am Werk ist. Aber es ging auch so. Denn der kalte den Winter ankündigende Herbststurm war derselbe Wind, der vor Wochen über den Deich gekommen war und ihre regennassen Weizenhocken wieder trocken geweht hatte. Dieser Wind über den Stoppeln war ihnen das Wehen des heiligen Geistes. Wie sollten sie sich das anders vorstellen als auf menschlich handgreifliche Weise! Auch wenn sie in der Kirche saßen und Pastor Griepenkerl in seinem Festsermon nur von Himmelsernte und himmlischen Scheuern zu reden wußte, stiegen ihre menschlichen Gedanken über die schwarzen Äcker dort draußen oder kletterten in den hohen roten Kreuzscheunen herum, kamen am Viehstapel und an den Pferdeställen vorbei, schlichen dann ins Wohnhaus und machten sacht die Kommodenschieblade auf, wo das Sparkassenbuch lag – oder die unbezahlten Rechnungen.

Bei Pastor Griepenkerl hatte sich der Himmelssegen dies Jahr in der Form von Äpfeln eingestellt, und zwar so reichlich, daß die Frau Pastorin von einem embarras de richesse sprach. Die Hadelworther verstanden dies Wort aber ganz anders als sie selbst es aufgefaßt wissen wollte. Und das kam so.

Im Pastorengarten baumelten eines schönen Nachmittags sonderbare Gebilde zwischen den Baumästen. Die Gänse standen unten und reckten die Hälse. Und als die eine durch die trockene Luftröhre zu trompeten begann »ich weiß nicht, was soll es bedeuten«, fielen auch die übrigen ein. Kaufmann Habersath stand mit der langen Pfeife am Gartenzaun und paffte und paffte und kuckte so lange, bis er es heraus hatte. Dann strich er den Bart und ging langsam zu Kleefoot.

»Du Kleefoot! kumm ins mal eben mit! ick will di mal wat wiesen.«

Auch der betrachtete kopfschüttelnd die rätselhaften schwarzen Dinger zwischen den Ästen. Bald klärte sich die Sache auf. Griepenkerls hatten keine Säcke genug alle die Äpfel zu bergen. Wie sollte das Haus des armen Lazarus dazu kommen? Aber die gute Magd Stine war eine erfinderische Seele. Sie nahm einfach die ausgedienten Hosen des Herrn und band die Beinröhren unten mit Segelband zu. Und nun hingen die Unaussprechlichen schon so schwer und voll, daß die Nähte platzen wollten. – Griepenkerls verkauften ihre schönen Borsdorfer an eine nichtsahnende Aufkäuferin. So kam es, daß in Hadelworth gekauftes Obst den ganzen Winter bei gewissen peniblen Damen in Mißkredit stand. Wurden ihnen irgendwo Äpfel präsentiert, so zogen sie argwöhnisch die Nase, mochten aber doch nicht mit der Frage heraus, ob sie etwa aus dem Pastoreigarten stammten. Das Pastorenhaus hatte, wie überall, auch für die Torheiten seines Dienstpersonals verantwortlich mit zu leiden.

 … Morgen sollte Erntefest sein, der größte Festtag des Jahres …

Siebrand hatte des Nachmittags einen Marsch nach Cuxhaven gemacht und kam nun den Deich entlang. Schwerfällig müden Fluges zogen vereinzelte Krähen den fernen Geestwaldungen zu, mit krächzenden Zurufen sich über die Erlebnisse des Tages unterhaltend. Djaark – djaark! rief eine betagte und schon etwas heisere Rabenmutter. Sie flog allein hinterher und blies grimmig schnarchend durch ihren Hackschnabel, daß das graue Federbüschel am Schnabelansatz sich sträubte. Schon den ganzen Nachmittag hatte sie sich über einen leichtsinnigen Enkelsohn geärgert, weit der einem gänzlich mittellosen Krähenfräulein den Hof machte. Und nun flogen die beiden schon wieder dicht nebeneinander! Ja, es gab viel Kummer unter dem Himmel.

Die Leute auf den Äckern hatten die Pflüge, die Eggen und die Drillmaschinen auf die Schlöpen geladen und trieben die Gäule an schleppender Leine schweigsam nach Haus. Heute nacht durfte kein Gerät draußen bleiben, denn morgen war Erntefest. Den Bahndamm entlang ging ein Mann mit zwei schaukelnden Signallaternen, drehte sie dann am Mast in die Höhe, daß der Draht kreischte. Und grün und rot schimmerten nun die Lichter in den stillen dämmerigen Abend hinein. Von Medembüttel her kam in der Ferne ein Zug. Der weiße Qualm sah aus wie Nebel. Die beiden Lichter vorn an der Lokomotive hatten jetzt, wo das Dunkel noch mit dem ungewissen Tageslicht kämpfte, über den Geleisen eine sonderbar strahlende Helligkeit.

Auf einmal begannen in Hadelworth die Glocken zu läuten. Auch die von Riega und St. Jürgen waren zu hören … Feierabendglocken – – Erntefestglocken … Eigentümliche weiche Gefühle durchzogen die Seele des auf dem Deich Wandernden. Was sollte der morgende Tag ihm bringen? – – Dann wieder überkam ihn ein Trotz. Sollte er fort bleiben und sich nicht sehen lassen, wo er Theda zu sehn hoffte? … Wo vielleicht auch sie nach ihm aussehen würde? – – –

Beim Bahnhof kam ihm der Maler entgegen und erzählte in heller Freude, heute nachmittag habe er das Pferdestück abgeliefert. Siebrand fragte nach dem Namen der nunmehrigen glücklichen Besitzerin. Es war Frau Witwe Amalie Wruck. »Dieselbe ist nämlich eine Tante von mir,« sagte der Maler.

»Tante Mali – Pardon, Frau Wruck Ihre Tante?« rief der Rektor in höchstem Erstaunen.

»Höchst leibliche Tante! Stimmt, Amalie Wruck, geborene von Kampen. Ist Ihnen das etwa unangenehm? Sie sind ja ganz rot geworden!« entgegnete der andere. »Sie müssen nämlich wissen, ich bin hier mit halb Hadelworth verwandt, mit all den Wrucks und Brütts und Kampens und wie sie heißen. Doch viel Staat kann ich mit der Sippschaft nicht machen. Die teuern Onkels und Tanten sind mir zu philiströs. Für meine Kunst hat die Gesellschaft noch weniger Verständnis als ich Schwarzes unter den Nägeln.«

Namentlich in den Augen der Wrucks, so erzählte Reimers weiter, spielte er die Rolle eines verlorenen Sohnes. Neulich hatte die liebe Tante Amalie es wieder einmal für notwendig befunden ihm eine längere Moralrede zu halten, aber in Anbetracht des wohltätigen Zwecks, nämlich der zweihundert Mark, und unter allmählicher Leerung einer Flasche feinen alten Portweins hatte er diese Rede geduldig ausgehalten.

Dem Rektor schoß bei diesen Worten eine Erinnerung durch den Sinn. Kleefoot hatte vor einiger Zeit abfällige Bemerkungen über den Maler gemacht.

»'n richtigen Windhund, was unser Paul ist. Natürlich, auf die Wildbahn sausen, daß ihm die Ohren um den Kopf klatschen, das kann er. Aber sich um seine Verwandten bekümmern, nee, dazu ist er zu windig, der liebe Paul! 'n richtigen großen Windhund!«

Später hatte Kleefoot einen bösen Witz aufgebracht, den er allen Gästen versetzte: »Der einzige Erfolg von unserm lieben Paul wird wohl der bleiben, daß er mit Erfolg geimpft ist. Den Erfolg hat er sogar für sein ganzes Leben schriftlich.«

Jetzt wurde dem Rektor klar, weshalb auch der alte Kantor nicht mehr wie vordem war, seit er mit dem Maler verkehrte. Siebrand hatte das für Eifersucht gehalten. Der Alte hatte ihn neulich gefragt, ob die Geschichte mit den Goldfischen wirklich passiert sei, und ob der Luftikus, der Maler, wieder dabei gewesen sei, und hatte dann sehr bedenklich den Kopf geschüttelt.

Siebrands Überraschung steigerte sich jetzt, als er hörte, die Verwandten, welche Fräulein von Kampen neulich in Hamburg besucht hatte, seien niemand anders als die Eltern des Malers. Frau Reimers war auch eine geborene von Kampen und war die Schwester des Schultheiß.

»Überhaupt ist Kusine Theda von meiner ganzen Hadelworther Sippe hier weitaus die Erträglichste,« äußerte Reimers. »Ich habe mich mit ihr sogar etwas angebiedert. Ich habe sie sogar im Verdacht, etwas Kunstverstand zu besitzen.«

Das alles hörte Siebrand mit Freuden. Hatte er den Maler bislang als guten Gesellschafter geschätzt, hatte er aber vor allem in ihm den Künstler erblickt, der sich schon mit eigener Kraft durch seine bierdurstigen Anwandlungen hindurcharbeiten werde, so begrüßte er ihn jetzt im stillen als wichtigen Verbündeten, der ihm behülflich sein konnte. Er erzählte ihm von seiner Neigung zu Theda. Er hatte das noch keinem Menschen gestanden; und es wurde ihm nicht leicht, darüber zu sprechen. Der Maler lachte und erklärte:

»Jessas, jessas! Dös woll'n ma glei hoabn! Ich bring Ihnen die Geschichte ins Lot, darauf können Sie sich verlassen. Meinetswegen können Sie das Madel morgen abend schon ehelichen. Wär mir net zwider.«

Dies wäre dem braven Rektor nun doch zu schleunig gewesen. Er kannte aber den Optimismus des Herrn Reimers bereits zur Genüge. Halbwegs reute es ihn schon den andern ins Vertrauen gezogen zu haben, denn der schien die ihm selber hochheilige Sache sehr leicht zu nehmen.

Der Erntetag war herbeigekommen.

Der Gottesdienst am Vormittag wurde nur von August Wesseloh und drei alten Frauen besucht, denn alles Volk sparte seine Kraft für den Nachmittag auf. Als um zwei Uhr die Glocken ausgeläutet hatten, war in der Kirche kein Platz mehr. Ganz vornean auf der Prieche thronte der Landschöff Brütt und hatte seinen hohen Hut feierlich auf die Brüstung gestellt. Er machte nur Neujahr und Erntetag dem lieben Gott eine Staatsvisite und kam erst, wenn der Pastor schon auf der Kanzel stand. Hinter ihm und ihm zur Seite saßen die dicken Hofbesitzer mit ihren Frauen und Töchtern und lauschten auf Klaussens Orgelspiel. Klaussen spielte heute ausnahmsweise vortrefflich. Pflegte es doch das einzige Mal im Jahr zu sein, daß er vorher auf der Orgel geübt hatte. Unten saßen das Jungvolk und mit ernsthaften Gesichtern die kleinen Leute. Und wenn unter der Psalmverlesung die Heuerleute an ihre Ziegen dachten und die Granatfischer an ihre Netze und Krabben und die Arbeitsleute an die Gräben, die nun bald wieder geschlötet werden sollten, so beugten sich am Erntefest manche dankend, alle aber bittend vor ihrem Gott, der sich ihnen in der Witterung offenbarte.

Der Rektorstuhl war heute von der Bekanntschaft des Kantors besetzt. So saß Siebrand neben dem Maler, der trotz seines dezidierten Nichtchristentums, wie er es nannte, auch mitgegangen war, auf dem Orgelboden und bemühte sich vergeblich Theda unter der Menge zu erspähen.

Nach dem Gottesdienst gingen die von außerhalb Gekommenen bei den Bürgersfamilien auf Kaffee und Kuchen zu Besuch. Das war alter Brauch. In den meisten Fällen waren diese »Stippvisitjen« ein Gegenbesuch für den Weizenhahn. So nannte man das vor einigen Tagen gefeierte häusliche Fest, wo man auf den Höfen zum Schmaus zusammenkam, selbsteingebrautes Weizenbier als Hadeler Hofbräu trank und wohl zum Schluß nach der Ziehharmonika einen anspruchslosen Tanz wagte. Heute aber empfanden auch die Sattler und Krämer und die Schneider und Tischler, ohne daß sie darüber sprachen, die Wahrheit des Wortes: Hat der Bauer Geld, hats die ganze Welt. »Armselig in 'n Stall – armselig öwerall«, pflegte Peter Brütt zu sagen.

Nach den Visitjen ging alles was Beine hatte in den verschiedenen Krügen zu Ball. Die Honoratioren gingen zu Kleefoot, der seinen Saal mit Spargelkrautgewinden bedeutsam verschönt hatte. An solch hohem Festtag glaubten auch die Herren Oberknechte ein Übriges tun zu müssen, um ihren Nerven einige Aufregung zu bieten. Sie setzten sich in Anton Tünnermanns Schenkwirtschaft zum Dreikart hin und nahmen einander den letzten Monatslohn ab. Je »duhner«, je festlicher war es.

Pastor Griepenkerl saß in der Dämmerstunde mit seiner Frau im Studierzimmer und zählte den reichen Ertrag der Kirchenbüchsen auseinander. Er warf die Frage hin, ob man sich nicht auch einmal bei Kleefoot zeigen sollte. Landschöff Brütt hatte ihm voriges Jahr zum zweitenmal bedeutet, seit Menschengedenken hätte es sich noch kein Pastor in Hadelworth nehmen lassen, auch bei diesem Teil des Erntefestes unter seinen Leuten zu sein.

»Solche Sachen,« entgegnete die Pastorin, »wollen wir lieber unserem hoffnungsvollen Kollegen überlassen. Ich möchte es nicht mit erleben, wie der liebe Elm wieder hinter seinen Bauern herumschwänzelt und mit seinem teuren Wein dicke tut! Oder hast du ein Bedürfnis, lieber Gottwald? – Und nun denk dir erst den Rektor Siebrand! Der wird sich heute nett wichtig machen als Lebensretter. Oder möchtest du es mit anhören, wenn der sich mit seinen Orgien aufspielt und erzählt: Ich muß mich von Goldfischen ernähren, weil mir alle übrige Nahrung zu spießbürgerlich ist?«

Der Pastor seufzte und sprach von mangelndem Lebensernst und geringem Verständnis für die Aufgaben eines zukünftigen Seelsorgers. So redeten die beiden sich in eine verärgerte Stimmung hinein und kamen nicht zu Kleefoot. Folgenden Sonntags ließ Pastor Lazarus nach einer entsprechenden Predigt den sechsten Vers von Nr. 353 aus dem Hannoverschen Gesangbuch singen, wie ihn ein Hof- und Assistenzrat Gotter in Gotha vor zweihundert Jahren zurecht gedichtet hatte:

Mit der Welt sich lustig machen
Hat bei Christen keine Statt,
Fleischlich reden, tun und lachen
Schwächt den Geist und macht ihn matt.
Ach! Bei Christi Kreuzesfahn
Geht es wahrlich niemals an,
Daß man noch mit frechem Herzen
Sicher wolle tun und scherzen.

Der Pfeil, den der Pastor treffsicher abzusenden gedachte, bog sich jedoch und kam auf seinen Schützen zurück. Griepenkerl bedachte in seiner starken Absichtlichkeit nicht, daß er unter Marschleuten wohnte. Die böse Welt machte sich nun erst recht lustig, und zwar über ihn selber.

Als Siebrand mit dem Maler zusammen ins Hotel ging, hatte der Ball schon begonnen. Es ging indessen überall noch sehr förmlich her. Vom langen Zimmer aus warf er einen Blick in den Saal und sah, daß Theda mit ihrer ganzen Familie an einem der vordersten Tische saß. Die Frau Schultheiß lehnte sich sehr selbstbewußt in ihren Sessel zurück. Tante Amalie war in Lilaseide erschienen und wehte mit einem ungeheuren Fächer, obwohl ihr durchaus noch nicht warm sein konnte. Die jungen Mädchen an den Wänden waren zumeist in großem Staat. Theda in weißer duftiger Kleidung. Es gefiel Siebrand sehr, daß sie nicht dekolletiert war wie einige andere Töchter von großen Hofbesitzern.

Gern hätte er dem Maler noch einen Wink gegeben, doch ja recht vorsichtig vorzugehn. Aber es widerstand ihm, die zarte Angelegenheit noch einmal zu berühren, zumal in dieser Umgebung. Paul Reimers holte sich einen Stuhl und setzte sich ohne viel Umstände zur Schultheißenfamilie neben seine Kusine. Siebrand stellte sich im Gedränge der bei der Saaltür stehenden jungen Leute so, daß er die beiden unauffällig im Auge behielt. Er sah, wie Theda bei der leisen Unterhaltung mit ihrem Vetter zuerst häufig kicherte, dann aber plötzlich über und über rot wurde und sich unwillig vom andern abwendete. Der Tiermaler hatte seiner Kusine jedenfalls etwas recht Ungeschicktes zugeflüstert; und es war dem Rektor eine Erleichterung, als Reimers sich schließlich verabschiedete und ins Vorderzimmer ging. Dort fand er seine beiden Postleute am runden Tisch und setzte seine großen Reden von neulich fort, während Edu Wruck, wenn er nicht tanzen mußte, dabei saß, sich vom Maler gelegentlich aufziehn ließ und mehrere Flaschen Burgunder sowie die Zigarren bezahlen durfte.

Siebrand hatte sich am Tanz noch nicht beteiligt und überlegte, ob er zuerst Theda auffordern sollte oder eine andere. Ohne daß er ihn hatte kommen sehen, stand der Schultheiß von Kampen neben ihm und klopfte ihm auf den Arm.

»Darf ich Sie einladen, Herr Rektor, sich mit zu uns zu setzen? Bei meiner Schwester haben Sie noch einen kleinen Schinken im Salz, von wegen Nichttanzens und so weiter.«

Gespannt sah an den nächsten Tischen alles auf, als der junge Mann die Damen begrüßte. Man fing an sich gedämpfter zu unterhalten, um nichts von dem zu verlieren, was am Kampenschen Tisch gesprochen wurde. Zwei dürre ältliche Mädchen saßen einen Tisch weiterhin, mit krummen Rücken, so daß ihre gänzlich gegenstandslosen Korsetts mit scharfen Kanten aus den Blusen hervortraten, reckten ihre Hälse wie die gerupften Hühner und zischelten wie die Kreuzottern. Siebrand war geneigt, das meiste Unheil in der Welt auf solche langhalsigen zischelnden Weibsbilder zurückzuführen. Er glaubte das Wort Verlobungsfeier herauszuhören und kam sich vor, als säße er an belebter Straße mitten hinter einem großen hellen Schaufenster und die Leute gingen vorüber, stießen sich mit den Ellbogen an und machten ihre Glossen.

Das Gespräch kam auf Hingstens Wirtschaft und den Verkehr dort und kam dann auch auf den Tiermaler und dessen Kunst. Der Schultheiß fragte, ob Siebrand das Pferdestück des Herrn Reimers gesehn hatte. Siebrand bejahte und fragte Frau Wruck, wie ihr das Bild gefiel.

»Na ja! Ist so was,« warf sie hin und klappte ihren Fächer zusammen. »Das Dings ist ja bis soweit ganz nett. Das heißt, die Wand von Peter Brütt seiner Scheune ist ja zum Beispiel ganz nett getroffen. Aber das alte Pferd? Ui jeh! das ist doch man bischen klöterig geworden. Und überhaupt, ich meine man, ist das ganze Bild nicht viel zu klein? Ganz entschieden ist es das. Ich hatte gemeint, es sollte mehr Leben hinauf, noch 'n paar lüttje Füllen oder so was.«

»Sei froh, liebe Mali, daß du überhaupt ein Bild hast,« spottete der Bruder gutmütig. »Eigentlich hast du ihm ja gar nicht zugetraut, daß er's fertig kriegte. Na, nun tu man nicht so, beste Mali! Hast du nicht damals gesagt, die zweihundert Mark hättest du bloß hergegeben um ihn los zu werden?«

»Und hab ich's nicht immer gesagt: Schuster bleib bei deinem Leisten?« ließ sich nun die Frau Schultheiß vernehmen. »Aber der liebe Neffe war klug und wollte nicht hören. Und die Alten waren natürlich zu schwach. Was für eine wunderschöne Karriere hätte der Junge gemacht, wenn er Techniker geblieben wäre!«

»Ach was! Er hätte das väterliche Geschäft übernehmen müssen,« ergänzte Frau Wruck. »Ui jeh! So'n wunderschönes Geschäft. Säße er da nicht mollig? Säße er da nicht warm?«

»Auf den väterlichen Kaffeesäcken am Grimm,« bemerkte der Rektor. Während die andern lachten, erhielt er von Tante Amalie einen entrüsteten Blick. Sie war gewohnt sich ihre Fragen selbst zu beantworten.

»Ich will ja gar nichts auf diese sogenannte Kunstmalerei gesagt haben,« begann sie nach einer kleinen Pause. »Aber brotlose Künste bleiben es doch. Farbenklexereien! Sie brauchen es Paul ja nicht weiter zu sagen, Herr Rektor. Da läuft unser Paul nun auf der Weide herum und malt eine Kuh nach der andern, auch wohl mal 'n Kalb, und wenn er von dem einen Tier die Vorderbeine halb fertig hat, stapft er zu einem andern und malt da die Hinterbeine. Und dann sagt er immer: Skizzen, liebe Tante, Skizzen! Er hat sogar von Akten gesprochen. Er bildet sich am Ende ein, die Regierung kauft ihm das Zeugs ab und legt es in einen Aktenschrank. Muß man nicht danken für solche Malerei, wo man nichts Ordentliches zu sehen kriegt? Na, ich meine man, ich muß mich bestens bedanken.«

Der Fächer Tante Amaliens rauschte wieder auseinander und geriet in heftige Bewegungen. Theda hatte bis dahin schweigend gesessen und begann nun:

»Nimm es mir nicht übel, beste Tante, daß ich dir widerspreche. Aber wir dürfen Vetter Paul doch nicht unrecht tun. Wenn er etwas Ordentliches werden will in seinem Fach – und das will er doch! – dann muß er sich erst durchkämpfen. Es fällt kein Meister fertig vom Himmel. Und wenn einer nur die rechte Begeisterung für seine Kunst hat – und Vetter Paul hat sie trotz allem, die liebe Mutter und die liebe Tante mögen nun sagen, was sie wollen! – ich meine, so müssen wir Geduld haben und ihn gewähren lassen.«

Der Schultheiß nickte lebhaft bei den Worten seiner Tochter. Siebrand hätte beinahe Bravo gerufen.

Das Gespräch wurde unterbrochen, als Eduard Wruck hinzutrat und seinen Stuhl zwischen Theda und den Rektor schob. Edu, die Perle von Hadelworth, war anscheinend schon etwas angeheitert. Er sprach sehr laut, noch lauter als Tante Amalie, und machte Bemerkungen, die geistreich sein sollten. Die letzten Worte des Gesprächs hatte er noch mit angehört.

»Was is denn mit so'n Malerpinsel los? 'n Hungerleider is er, anders nichts! Haben kaum die Butter auf'm Brot und laufen mit großen bunten Krawatten herum. Und was tu ich mit Kunst? Fauler Zauber! Blauer Dunst!« rief er und erntete Tante Amaliens Beifall. Als Siebrand sah, wie Theda sich auf die Lippe biß und ihr eine rote Welle über die Stirn lief, wurde ihm das, was er vordem vermutet, zur festen Gewißheit. Er ärgerte sich über sich selber. Wie konnte er in diesem lächerlichen Menschen jemals einen Nebenbuhler erblickt haben!

Die Musik setzte gerade zu einem neuen Tanz ein. Jetzt wäre es unhöflich gewesen, wenn er Theda nicht aufgefordert hätte. Im Tanzgedränge war keine Möglichkeit einer längeren Unterhaltung. Er sagte nur das eine zu ihr:

»Sie haben mir eine große Freude gemacht, Fräulein von Kampen – eine sehr große Freude.«

Als sie ihn fragend ansah, fuhr er fort:

»Daß Sie nämlich Ihrem Vetter, meinem Freund, beigestanden haben – – und überhaupt, daß Sie der Kunst beigestanden haben.« – –

Dann führte er sie zu ihrem Platz zurück und ging ins Mittelzimmer. Kleefoot stand hier hinter der Tönebank und korkte Weinflaschen auf. Er stellte ein Glas Rüdesheimer vor den Rektor hin.

»Es lebe der berühmte General Knusemong!« sagte er und stieß an.

» Que nous aimons? – Au, au!« sagte Siebrand und lachte, leerte dann sein Glas auf einen Zug und ging weiter.

Er wurde von allen möglichen ihm mehr oder weniger bekannten Herren eingeladen, mit ihnen anzustoßen, und hatte Mühe sich loszueisen, um nicht zuviel des Guten zu bekommen.

Als die Wahltänze der Damen begannen, stand er klopfenden Herzens. – – – Ob sie ihn heute holen würde?

Zuerst forderte sie ihren Vetter Paul auf. Siebrand bemerkte die wütenden Blicke, die Tante Amalie ihr zuzuwerfen versuchte, und freute sich über den Mut ihrer kleinen Demonstration. Dann tanzte sie mit Pastor Elm.

Darauf kam sie auf ihn zu. Er wagte kaum ihr entgegen zu blicken, aber er fühlte, wie sie auf ihn zuging.

Lächelnd stand sie vor ihm und verneigte sich leicht.

Er sah ihr voll in die Augen, und es war ihm, als leuchtete ihm die helle Sonne entgegen.

Nach diesem Walzer tanzte Hermann Siebrand keinen andern Tanz mehr. Er sah dem Treiben noch eine Weile zu und ging dann mit dem Maler heim. Als sie den Kirchplatz entlang gingen, sahen sie unter dem heiligen Nikolaus ein helles Kleid durch das Dunkel schimmern. Wie von ungefähr gingen die beiden näher heran. Eine dunkle lange Männergestalt löste sich aus inniger Umarmung und trabte von dannen. Das helle Kleid rauschte hinterher. Es war Edu Wruck, der sich bereits über seinen Mißerfolg bei Fräulein von Kampen getröstet hatte.

Während der Rektor auf dem Nachhauseweg ziemlich einsilbig blieb, war sein Begleiter um so redseliger.

»Aus meiner Kusine,« begann er, »soll mal einer klug werden. Ich bin's nicht geworden. Bin nicht einmal dahinter gekommen, wie die eigentlich über Sie denkt. Weiß der Henker! Aber ich vermute, Tante Mali ist Ihre Freundin nicht. Passen Sie auf, das Scheusal legt Ihnen noch Steine in den Weg! Tante Mali ist ein Juwel, aber bevor Sie diesem verdammten Frauenzimmer nicht den Hals umgedreht haben, werden Sie wohl nicht viel weiter kommen.«

Siebrand entgegnete: »Ich hoffe auch ohne solche Gewaltmaßregeln zum Ziel zu kommen.«

»Wer spricht von Gewaltmaßregeln? Können Sie denn nicht den Hals der teuern Tante so sanft in eine andere Richtung drehn, daß sie's selbst überhaupt nicht gewahr wird? Ich denke, das müßten Sie doch fertig bringen.«

Die Witzeleien des neben ihm Gehenden verdrossen den Rektor. Sie paßten nicht zu seiner Stimmung. Zu seiner ungewiß bangenden und mit sich selbst und mit aller Welt unzufriedenen Stimmung.

Lange Zeit konnte er den Schlaf nicht finden. Die Melodie des Walzers, den er mit Theda getanzt hatte, verfolgte ihn bis in seine Träume.


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