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Zehntes Kapitel.

Für den Sonntagmittag hatte eine von Pastor Griepenkerls Gänsen ihr Leben lassen müssen. Der Bratengeruch schlug dem Rektor schon in der Tür angenehm in die Nase, und das Schrillen der alten Klingel deuchte ihm diesmal Festgeläute. In der Apotheke hatte es zweimal in der Woche Schellfisch gegeben. Den hatte er eigentlich nur anstandshalber gegessen, während der Apotheker als fanatischer Ichthyophage alles was Gräten hatte, auch die blöden Maifische aus dem Brackstrom, mit verdrehten Augen und zitternden Nasenflügeln genoß.

Die Pastorin stellte ihn der Gesellschaft vor. Ihm gegenüber saß ein etwa gleichaltriger Kollege namens Rosentreter, Sohn eines Missionsdirektors, wie Griepenkerl sogleich bei Nennung des Namens hinzufügte. Sein Gegenüber war jetzt in der Göttinger Gegend Hülfsprediger, erzählte aber noch viel von den zwei Jahren, die er als Erzieher in einem adeligen Haus hätte zubringen dürfen. Neben Siebrand saß des Hülfspredigers Schwester, ein hübsches Mädchen. Ein breiter Scheitel mitten im dunkeln Haar stand ihrem feinen Gesicht außerordentlich gut. Hermann Siebrand kam sich mit der Wetterfarbe seines Gesichts und dem Braunrot seiner Hände beinah etwas plebejisch vor neben diesem blaßgesichtigen und sorgfältig gescheitelten Herrn Rosentreter. Er hätte die Grazie, mit der er seine weißen schlankfingrigen Hände zu bewegen verstand, ihm nicht nachmachen können. Jener gebrauchte die gewähltesten Ausdrücke und sprach mit einer sanften Gemessenheit, als sei er zwanzig Jahre im Pfarramt. So außerordentlich verbindlich er sich auch mit Verbeugungen nach allen Seiten über die kirchlichen Verhältnisse der Gegend erkundigte, Siebrand hatte den Eindruck, als fühlte jener als ordinierter Hülfsprediger bereits einen gewissen Abstand zwischen sich und dem Rektor. Es fiel ihm auf, von ihm nicht wieder als Kollege, sondern mit seinem förmlichen Titel angeredet zu werden. Die glattgescheitelten Geschwister verdünnten ihren Wein durch Wasser. Pastor Griepenkerl tat es anfänglich auch; als er aber sah, daß Siebrand es nicht tat, verfuhr er wie dieser.

Siebrand kam bald in lebhafte Unterhaltung mit seiner Tischdame. Noch mehr Genuß als ihre girrende einschmeichelnde Stimme bereitete ihm ihr glockenhelles Lachen. In seiner ungezwungenen Art ließ er es an scherzhaften und witzigen Bemerkungen nicht fehlen. Plötzlich brach das junge Mädchen ab und bat, sie nicht so viel zum Lachen zu bringen. »Nicht wahr, wir vergessen sonst ganz, daß wir uns in einem Pastorenhaus befinden?« Ein kurzer Blick ihres Bruders hatte ihr Einhalt geboten.

Als der Rektor der Hausfrau vom neulichen Kegelabend erzählte, horchte die ganze Tischrunde auf.

»Ich habe gar nichts gegen derartige Zusammenkünfte,« erklärte die Pastorin. »Im Gegenteil, ich habe meinem lieben Gottwald schon oft zugeredet, sich nicht ganz zurückzuziehn. Aber ist es nicht viel edler und gesünder und vor allem auch viel billiger, Herr Kandidat, ohne den leidigen Alkohol? Muß denn Bier und Grog immer eine Rolle dabei spielen?«

Siebrand mußte das in Theorie zugeben, namentlich in dem Punkt der Billigkeit, warf aber einen halbverstohlenen Blick auf den Rotspon auf dem Tisch. Ob der auch alkoholfrei war?

»Man sollte bei solchen Dingen niemals die Rücksichtnahme auf unsere Schwachen aus den Augen lassen,« erklärte der Hausherr. »Wohin soll das führen, wenn die Hausfrau daheim sitzt und mit Schmerzen wartet und wenn ein Superintendent seinen Namen dazu hergibt, Leute von Halbbildung – wie unsere Lehrer es nun doch einmal sind! – zu solchen Dingen um sich zu sammeln?« Das war ein deutlicher Wink, den Siebrand sehr wohl verstand. Er schwieg indessen. Der Hülfsprediger Rosentreter fragte zweimal nach dem Namen des Riegaer Superintendenten und legte eine eigentümliche Betonung auf den Titel.

»Superintendent Steenbrügge in Riega,« berichtete der Gefragte, »ist ein alter Herr, dem man als einem Überbleibsel aus der alten Zeit manches nachsehen könnte, zumal da er bald abgängig ist! Er selbst nennt sich rechtgläubig. Auch seine Gemeinde zählt ihn zu den Positiven. Aber denken Sie sich, Herr Bruder Rosentreter, der Mann hat einmal gesagt: die Mission läßt mich kalt. Die Mission! Ich frage Sie: können Sie sich das überhaupt denken?«

Ein mitleidig schmerzliches Seufzen der Damen und ein erhaben lächelndes Kopfschütteln der Herren war die Antwort. Beinahe hätte Siebrand, durch seine Umgebung suggestiv beeinflußt, ein entrüstetes Stöhnen von sich gegeben.

»Der alte Steenbrügge,« fuhr Griepenkerl mit mildem Lächeln fort, »stammt aus dieser wunderschönen Gegend. Nun ja, wir titulieren ihn Superintendent. Aber gelinde gesagt ist er nur primus inter pares. Er ist nicht etwa vom Konsistorium gesetzt, sondern von den damaligen Geistlichen gewählt. Als man in Medembüttel noch ein eigenes Konsistorium hatte. Denken Sie sich. In Medembüttel. Es ist dies noch eins von den alten Rechten, auf das sich die biedern Hadler noch heute reichlicher gut tun als nötig ist.«

Damit kam das allgemeine Gespräch auf die Landesgebräuche. Rosentreter und seine Schwester waren noch nie im Nordwesten gewesen; und der erstere äußerte einmal über das andere sein Erstaunen über die Zustände in dieser Gegend. Siebrand verdroß die Art wie er dies tat. Er dachte anders über Land und Leute. Die waren fast dieselben wie bei ihm zu Haus; und er hatte nichts dagegen, wenn sich's so machte, in der Gegend noch einmal Pastor zu werden. In einer gottverlassenen Ecke, wie Griepenkerl sie nannte, war ja gerade für einen Pastor ein gutes Feld. Die Hausfrau mokierte sich über Plattdeutsch und Schwarzbrot und Torf. Die Leute seien ungeschlacht wie die Schiffer. Das käme wohl von der dicken nebligen Seeluft. Siebrand dachte an den Hofbesitzer mit den gelben Handschuhen. Kein Mensch zwang Griepenkerls, unter allen Umständen das Lob des Landes zu singen, dessen Brot sie aßen; aber kein Mensch zwang sie auch hier im Lande zu bleiben. – Der Pastor sprach von der demokratischen Gesinnung der Bevölkerung und der großen Unkirchlichkeit. Siebrand dachte an den freien Bauernstolz, das Selbstbewußtsein und das Unabhängigkeitsgefühl, von dem ihm der alte Kantor begeistert geredet hatte. Er hielt wie jener die Zuverlässigkeit der bodenechten Leute an der Wasserkante für wertvoller als das von Griepenkerl geforderte Kirchengehen.

Der Pastor erzählte dem jungen Hülfsprediger: »Hierzulande schlagen die Herren Bauern mit den Fäusten auf die Tische und singen:

Wir Bauern wir brauchen zu unserm Gedeihn
Nichts weiter als Regen und Sonnenschein.«

»Das ist haarsträubend, das streift ja an Gotteslästerung!« versicherte Rosentreter.

Siebrand hatte den Landschöff Brütt neulich diesen Vers singen hören, hatte sich aber weiter nichts Schlimmes dabei gedacht als nur, daß der brave Landschöff äußerst unmusikalisch zu sein schien. Einige junge Hofbesitzer, Mitglieder des Hadler Reitklubs, hatten dann den Kehrreim gesungen

»Tiderallalala, tiderallalala,
Nichts weiter als Regen und Sonnenschein«

und hatten den Kantor zum Mitsingen veranlaßt, aus Gegensatz gegen Kleefoot, der das Lied nicht leiden mochte und wegen einiger anstößigen Verse für unkultiviert erklärte. Es war ein altes Hadler Bauernlied, von Mund zu Mund überliefert und von den alten Leuten nur noch in Bruchstücken und mit starker Verstümmelung gesungen.

Als Siebrand nun schüchtern einwendete: »Unsere Bauern singen doch nicht, daß sie Regen und Sonnenschein selbst machen, sondern nur, daß sie solche schönen Dinge sehr nötig haben,« entgegnete Rosentreter mit Spott:

»Dann gehen Sie lieber noch einen Schritt weiter, Herr Rektor, und sprechen Sie von einem tief demütigen Abhängigkeitsgefühl, das aus solch einem Gesinge herausklingt.«

Die Pastorin erzählte dem Fräulein Rosentreter, sie besuche schon lange keine Kaffeekränzchen auf den Höfen mehr. »Man muß dort Gefahr laufen, die Sofaplätze besetzt zu sehen von einer ebenso eingebildeten wie ungebildeten Schultheißin oder Landschöffin oder dergleichen.« Und mit großer Entrüstung erzählte der Pastor dem Hülfsprediger von der ärgerlichen Unsitte, daß die Kirchgänger nach dem Gottesdienst in die Wirtshäuser gingen. Daran verspürte er so recht die Macht des widerchristlichen Zeitgeistes über die Herzen der Menschen.

Dem Rektor Siebrand schlug das Gewissen. Heute mittag war er mit dem Kantor und anderen bei Kleefoot gewesen. Sich selbst wollte er nicht rein waschen. Doch im stillen hielt er die ländliche Sitte mindestens für entschuldbar. Die Leute hatten meist weite Wege. Wer mochte es ihnen verdenken, wenn sie zur Winterszeit nach dem Aufenthalt in der ungeheizten Kirche noch eine halbe Stunde bei Kleefoots Dauerbrenner zusammenrückten – oder auch wenn sie im Sommer nach der sauren Woche, bevor jeder wieder auf seinen einsamen grabenumzogenen Hof ging, noch landwirtschaftliche und gemeindliche Dinge besprachen, auch wohl das unentbehrliche Paket solcher Neuigkeiten mitnahmen, die in keiner Zeitung gedruckt zu finden sind?

Nach Tisch erging sich die Gesellschaft in dem großen Garten. So sehr die tote Gans den Rektor erfreut hatte, so wenig entzückten ihn die überall auf den Wegen sichtbaren Spuren der überlebenden. Herr Hülfsprediger Rosentreter hatte schon beim Hinaustreten einen besorgten Blick auf sein zierliches modisches Schuhwerk getan und ließ sich's jetzt sauer werden, vorsichtig hin und her zu tänzeln und gleichzeitig unter verbindlichen Verbeugungen mit dem Ehepaar Griepenkerl ein angenehmes Gespräch zu führen.

Siebrand hatte sich seiner Tischdame zugesellt und folgte langsam den anderen. Zufällig entdeckte er im Flechtwerk der Drahthürden, die auf dem Rasen als Pferche für die Gänse standen, einen Briefumschlag mit einer fremdländischen Marke. Er trat hinzu, trennte die Marke ab, zeigte sie seiner Begleiterin und wollte sie in sein Portemonnaie stecken. Fräulein Rosentreter bat das Postzeichen ihr zu überlassen. Siebrand besaß es noch nicht in der Sammlung, beeilte sich aber ihren Wunsch zu erfüllen.

»Ich besitze die Marke zwar noch nicht, aber es ist mir ein Vergnügen Ihnen zu dienen.«

»O bitte, das macht nichts aus, Herr Rektor,« entgegnete sie. »Es ist ja ganz einerlei, wer von uns beiden dies Stück sammelt.«

Siebrands Erstaunen wuchs. Dachte die junge Dame an Gütergemeinschaft oder dem ähnliches?

»Es freut mich sehr,« sagte er lächelnd, »daß wir die gleichen Neigungen haben. Verwandte Seelen finden sich zu Wasser und zu Lande. Betreiben Sie die Sammelei auch so eifrig wie ich?«

»Wir haben mehrere Verwandte in Mittelamerika,« erklärte sie. »Besonders durch die weitverzweigten Beziehungen des lieben Papa bekommen wir eine Unmenge der seltensten Sachen in die Hände.«

Das Wasser lief ihm im Mund zusammen. Er betrachtete das junge Mädchen mit einem fast zärtlichen Blick. Die mußte er sich auf jeden Fall zur Freundin machen!

»Falls Ihre Dubletten Ihnen lästig werden sollten, empfehle ich mich zur geneigten Berücksichtigung. Ich bin jederzeit gern bereit Sie vom Überfluß zu befreien. Wenn Sie eine eifrige Sammlerin sind, wie ich allen Grund habe anzunehmen, so möchte ich Sie vor der Gefahr bewahren, daß das Sammeln ins Krankhafte umschlägt. Wenn Griepenkerls anscheinend auch keinen Wert auf ihren Besitz legen, eigentlich gehört die hellblaue Cypern ihnen. Sowohl nach menschlichem als göttlichem Recht.«

Jetzt war die Reihe des Erstauntwerdens an Fräulein Rosentreter … dieser Hadelworther Rektor gestattete sich doch recht weitgehende Scherze!

»Ihre Hülfsbereitschaft ehrt Sie,« gab sie pikiert zur Antwort, »aber meine Briefmarken gebrauche ich alle selber.«

Den Rektor durchzuckten fragende Gedanken. – War das eine Selbstsucht, die alles nur für sich behalten wollte? – Oder war dies junge Mädchen noch in den ersten Anfangsstadien der Philatelie? – In großer Hoffnung wollte er sie über den Nutzen des gegenseitigen Austausches belehren. Da unterbrach sie ihn mit der Frage, an welche Missionsgesellschaft er denn seine Briefmarken einsende. Nun löste sich das Mißverständnis zur beiderseitigen Erheiterung. Sie erklärte, noch nie sei ihr der Gedanke gekommen, daß ein Theologe für sich selber sammeln könne und nicht für die Mission. Siebrand verbeugte sich schweigend, um eine Hoffnung ärmer.

Auf das Gelächter der beiden kam Griepenkerl schmunzelnd herzu. Schalkhaft erhob er den Finger.

»Na? Na? Ihr beiden? Herz und Herz vereint zusammen, sagt unser Zinzendorf. Gefällt es Ihnen hier bei uns, Fräulein Beata?«

Siebrand war durchaus nicht schreckhaft. Jetzt bekam er aber doch einen kleinen Prall. Wollte schon wieder einer mit der ehestiftenden Plumpkeule dazwischenschlagen? Dachte der Herr Pastor sich das »Nachhelfen« so einfach und leicht? … Schon sah er ihn im Geist mit segnend erhobenen Armen auf das briefmarkensammelnde Paar losschreiten …

Man begab sich wieder ins Haus zum Kaffee. Diesmal nahm Siebrand seinen Platz neben dem Hülfsprediger. Das Gespräch drehte sich um Gehaltsverhältnisse und ähnliches. Schließlich kam es auf den heutigen Jünglingsabend.

»Wie ich bereits heute morgen in der Kirche abgekündigt habe,« wandte sich Griepenkerl an das Geschwisterpaar, »bekennt unser lieber Rektor sich mit Freudigkeit zu dem gesegneten Werk meines Jünglingsvereins und wird in Bälde auch die Arbeit an einem Jungfrauenverein mit übernehmen.«

Der Gepriesene hörte diese Worte mit gemischten Empfindungen. Aber er wollte jetzt in Gesellschaft keine Erörterungen herbeiführen. Der Hülfsprediger begann jetzt ihm gegenüber aus seiner höflichen Gemessenheit herauszutreten und schlug einen herzlicheren Ton an. Siebrand erwiderte denselben. Auch die Schwester fing an ihn mit wärmeren Augen zu betrachten.

Beim Aufbruch gab Rosentreter ihm mehrmals die Hand.

»Lassen Sie mich Ihnen herzlich die Hand drücken, Herr Bruder. Es war mir wohltuend, mich schließlich doch noch an Ihnen orientieren zu dürfen. Für ungesuchte Stunden des Segens muß man heutzutage doppelt dankbar sein. Sollte ich Ihnen später einmal irgendwie behülflich sein können, wenden Sie sich getrost an mich. Mein Herr Papa hat großen Einfluß und würde denselben auf meine Fürsprache herzlich gern für Sie geltend machen.«

Siebrand dankte mit einem ironischen Lächeln für dies freundliche Anerbieten.

In der Abendstunde mußte er noch einmal einen Gang zum ersten Predigerlehn tun. Der war ihm weniger behaglich als heute mittag. Als Griepenkerl nach einer Ansprache sogleich wieder fortging, begleitete er ihn vor die Tür und fragte: »Sind die neun Männeken da drinnen die ganze Herrlichkeit des Gemeinde-Jünglingsvereins?« Der Pastor mochte den Rückweg aus der feierlichen Gesalbtheit in die gewöhnliche Sprechweise nicht leicht finden können. Denn mit pathetisch erhobenem Arm stellte er sich vor den andern hin.

»Werfen Sie doch Ihr Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat! Und nun seien Sie dem Herrn befohlen, junger Freund. Aller Anfang ist schwer. Je treulicher Sie sich aber in die Arbeit hineinstellen, desto reicher wird der Herr auch auf scheinbar Geringes seinen Segen legen.« – –

– – – – Da saß Siebrand nun im weißgetünchten Konfirmandenzimmer mit den Neunen zusammen, halbwüchsigen Burschen, die ihn mit neugierigen Gesichtern anstarrten. Er fragte, was sie sonst wohl an solchen Abenden getrieben hätten. Rektor Voßhoop hatte ihnen etwas von dem Bremer Funcke oder aus dem Hamburger »Nachbar« vorgelesen, und dann hatten sie aus dem Gesangbuch gesungen und der Rektor hatte dabei auf dem Harmonium gespielt. Sie hatten auch schon »Deutschland, Deutschland über alles« und »Am Brunnen vor dem Tore« gesungen. Das Harmonium in der Ecke vermochte nun weder Siebrand noch einer der Jünglinge zu handhaben. So stimmte er ein Volkslied mit ihnen an. Dann erzählte er von Pallwarden und von Land und Leuten in seiner Heimat. Ab und an flocht er eine schnurrige Erzählung dazwischen oder ein kurzes plattdeutsches Scherzwort. Die Jungen rissen Mund und Augen auf. Derartiges hatten sie an solchen Abenden noch niemals vernommen. Sie rückten dicht aneinander, stießen sich mit den Knieen oder pufften sich mit der Faust in den Rücken und meinten, der Rektor sähe das nicht. Es dauerte nicht lange, bis einige glaubten, auch ihrerseits zur allgemeinen Unterhaltung beitragen zu müssen, so daß Siebrand, als der Lärm zu arg wurde, schließlich energisch um Ruhe bat. Der freiere Ton bekam den Jünglingen anscheinend nicht besonders. Man sang mehrere vaterländische und volkstümliche Lieder. Dann erkundigte er sich nach den Namen der Jünglinge, nach ihrem Beruf und nach ihren Eltern.

Auf welche Weise sie durch Pastor Griepenkerl für den Verein geworben waren, erfuhr er erst im Lauf der späteren Wochen. Da war der eine Jüngling ein Sohn des Bälgentreters, der andere der des Arbeitsmanns, der den Pastoreigarten besorgte. Der Vater vom dritten war ein kleiner Zimmermann und hatte die Ausbesserungen an den kirchlichen Gebäuden. Zwei der Väter hatten vom Wedemacker, dem Pastorei-Land, in Pacht, und die übrigen Vereinsmitglieder waren Söhne von Witwen, die aus kirchlichen Mitteln Armengelder erhielten – samt und sonders Kinder von kirchlich abhängigen Leuten. Die Waschfrau bei Griepenkerls hatte ihren Sohn anfangs nicht schicken wollen. Aber dann hatte der Pastor mit Kündigung gedroht.

Siebrand war froh, als es halb zehn schlug. Er sang mit ihnen einen Choral und entließ die Jünglinge.


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