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Siebzehntes Kapitel.

Die zarten Grashalme, die sich während der Ferienwochen auf dem Spielplatz herausgewagt hatten, waren gleich am ersten Schultag unter alle den springenden und scharrenden Füßlein wieder verschwunden. Auch die allgemeine Aufregung über Griepenkerls Kindtaufspredigt hatte sich wieder gelegt. Nur im Klub dritter Rinnstein blieb der Name »Pastor Lazarus« hängen. Der übermütige Rektor hatte ihn aufgebracht. Wie die Lehrer erzählten, hatte der joviale alte Landrat in Medembüttel den Herrn Pastor gelegentlich vor der Kreiskonferenz koramiert. Das war für den modernen Abraham a Sankta Clara Strafe genug.

Mittlerweile trafen als nie ausbleibende Vorboten des nahenden Herbstes die Amerikaner in Hadelworth ein, mit ihren steifrandigen Hüten, schlotterigen Hosen und bunten Wäsche eigentümliche Zwittergestalten zwischen deutschem Bauerntum und amerikanischer Großstadt. Sie kamen genau so regelmäßig wie die Deckhengste aus dem Celler Landgestüt, die lange vor den Schneeglöckchen als erste Frühjahrsboten begrüßt wurden und am Bahnhof von den Nichtkennern, Johann Isigkeit mit buntgestickten Morgenschuhen allen voran, mit noch viel kritischeren Blicken in Empfang genommen wurden als von denen, die etwas von Spat und Gallen und Lungenpfeifen verstanden. Wie die Hengste im Hochsommer wieder verschwanden, so reisten auch die Amerikaner wieder zu ihren stores und bars hinüber, nachdem sie ihre Verwandten besucht und alles mit »Amerrrika« verglichen hatten. Es brauchte indessen niemand zu fürchten, daß sie ihr plattdeutsches Volkstum verloren, auch bei denen nicht, die nicht das Geld über hatten, alle fünf, sechs Jahre in die Heimat zu fahren. Dafür sorgten drüben der Hadelworth Vereen und der Hadler Klub und die zahllosen andern plattdeutschen Vereine, gar nicht zu reden von den vielgelesenen plattdeutschen Zeitungen.

Einer dieser Amerikaner bereitete dem Rektor Siebrand schwere Betrübnis. Es war ein gewisser Amandus Seebohm. Er sollte in Minneapolis eine Bierbrauerei haben und unmäßig reich sein. Als armer Junge war er vor fünfundzwanzig Jahren tags nach der Konfirmation im Zwischendeck nach drüben gefahren und nunmehr in der Kapitänskabine des Schnelldampfers »Fürst Bismarck« wieder in die Heimat gekommen. Siebrand sah den Amerikaner häufig mit der Schultheißenfamilie ausfahren; und jedesmal, wenn er Theda mit auf dem Wagen sah, gab es ihm einen Stich ins Herz. Von Eduard Wruck sah und hörte man nichts mehr. Der hatte das Rennen jedenfalls aufgegeben. Das wollte Hermann Siebrand nimmermehr. Jetzt erst recht nicht! In auffälligster Weise wandte Tante Amalie ihre Gunst sogleich dem reichen Bierbrauer zu. Der war doch noch eine bessere Partie als die Quälerei auf den Höfen oder gar die Heirat mit einer hungrigen Beamtenseele, wo es nur Hin- und Herziehn gab und Wahlpredigten und sonstige Demütigungen! Dieser unbedarfte Kandidat Siebrand wollte doch wohl nicht gar ihre Nichte Theda …?

Siebrand traf oft mit Herrn Seebohm zusammen, auch im Dienstagklub. Der Amerikaner hatte ein unbezwingliches Bedürfnis Sekt zu traktieren, sobald mehr als vier Leute am Tisch saßen. Wenn Siebrand sich dann aus dem Staub machte, waren das keine asketischen Anwandlungen, sondern es war ihm peinlich, sich von jenem freihalten zu lassen. Er war ein harmloser Mensch, jener Amerikaner mit dem vorgeschobenen Unterkinn und der dicken goldenen Uhrkette, einer der mit beiden Beinen und Augen und Ohren im praktischen Leben stand; aber er wußte von nichts andrem zu reden als von business und von Geld. Siebrand mochte es nicht mit anhören, wenn Herr Seebohm über Magendrücken klagte und in krasser Renommisterei erklärte, er müsse sich nun doch wohl bald eine leichtere Uhrkette kaufen. Mit vielen andern war Siebrand der Überzeugung: die Beschwerden kamen von des Mannes übermäßigem Appetit.

Um Theda bangte ihn. Es war ihm unmöglich, sie sich an der Seite dieses Ungebildeten zu denken. Je häufiger er sie zusammen sah, desto näher kam ihm die Verzweiflung. Aber was sollte er machen? Wußte Theda überhaupt, daß er sie liebte? Ahnte sie, wie sehr er sie liebte? Er versuchte den Kantor auszufragen, aber der wollte nicht anbeißen. Er saß allein bei Kleefoot und brachte das Gespräch krampfhaft immer wieder auf den Amerikaner, doch Kleefoot trommelte mit den Fingern an die Scheiben und pfiff das Lied des Trompeters von Säckingen. Behüt' dich Gott, es wär so schön gewesen. – – – Herr Kleefoot rechnete im stillen auf eine großartige Hochzeit, die noch in diesem Herbst stattfinden sollte, und zwar in seinem Hotel. – –

In seinen Liebesqualen war Hermann Siebrand fast in Versuchung, den heiligen Nikolaus über der Kirchtür um Beistand und Fürbitte anzugehen – er, der höchst protestantische candidatus reverendi ministerii! –

Eines Abends wollte er zum Baden. Der Tag war sehr heiß gewesen, und es war Meerleuchten in Aussicht. Gestern abend hatte er dies beim Schwimmen zum erstenmal erlebt. Grünlichgelb war ihm das schäumende Wasser durch die Finger geglitten, und je mehr er plätscherte, desto mehr hatte es phosphoresziert.

Gerade als er Hut und Stock nehmen wollte, trat ein Mensch in sein Zimmer. Er mußte den Rektor ganz notwendig einmal sprechen. Siebrand lud den Mann in den Holzschuhen, trotzdem der die Stube mit Fuselgeruch erfüllte, höflich zum Sitzen; doch der andere sagte patzig, er wollte nur stehen bleiben, dann hätte er auch nicht nötig wieder aufzustehn. Als er die untersetzte krummbeinige Gestalt näher betrachtete, fiel ihm ein: es war derselbe Mann, der am ersten Sonntag in der Kirche neben ihm saß und nachmittags auf dem Deich von ihm abgefertigt war.

»Wenn Sie mir noch nich kennen, fragen Sie man den Pastor; der kennt mir ganz genau. Was mein Sohn August ist, den haben Sie ja aus dem Verein rausgeschmissen. Und was unser Pastor Griepenkerl ist, der hat gesagt, Sie sollten kommen und Abbitte tun. Aber bis jetzt ist noch niemand da gewesen. Und ich wohne am Wedemacker.«

»Da bleiben Sie nur ruhig wohnen. Aber Ihr Lauern geben Sie nur auf. Ich komme nämlich nicht,« sagte Siebrand.

Der andere warf ihm einen feindseligen Blick zu.

»Heute komme ich aber nicht von wegen meinen August,« fuhr er fort, »sondern von wegen Ihrer Jungs. Weil ich mir über Ihre Jungs beschweren muß. Die verdammten Rektorjungs sind immer die schlimmsten. Immerzu. Die meinen wohl, sie können mit uns lüttje Leute anfangen, wozu sie Lust haben.«

Dabei stampfte er mit dem Fuß und warf flötzig die Mütze auf den Tisch. Als Siebrand ihm energisch bedeutete, falls er sich noch weiter unmanierlich betrage, würde ihn das Schicksal seines Sohnes August ereilen, sank jenem das Herz in die Holzschuhe. Er schlug einen andern Ton an.

»Die Jungs von der Rektorschule haben mich aber einen Vers nachgesungen. Auf der Straße haben sie den gesungen. Einen ganz unanständigen. So unanständig, daß ich ihm gar nicht sagen mag.« Dabei machte er ein verschämtes Gesicht.

»Na, sagen Sie mir den Vers nur ruhig. Wir beide sind ja keine jungen Mädchen,« sagte Siebrand, halb neugierig, halb belustigt, »und wenn er wirklich so schlimm ist –«

»Aber wir sind Christenleute,« fiel ihm der andere ins Wort. »Nicht wahr? Das sind wir doch, Rektor Siebrand?« Siebrand nickte zustimmend.

»Und was Sie sind, so wollen Sie sogar 'n heiliger Pastor werden. Nicht wahr, das wollen Sie doch?« Siebrand nickte abermals. »Es ist allerdings meine Absicht, Pastor zu werden,« antwortete er.

»Und was die Bibel ist, da steht doch in: Lasset kein faul Geschwätz aus eurem Munde gehn. Nicht wahr, das steht doch in die heilige Bibel? Wissen Sie denn auch die Stelle, wo das steht?«

Siebrand lehnte sich mit verschränkten Armen in den Stuhl zurück und schüttelte den Kopf. Er konnte weder mit Genauigkeit die Bibelstelle angeben noch wollte er gegen die Logik und Schriftverwertung des Mannes kämpfen. Dann erhob er sich und versprach, dem Näheren nachforschen zu wollen. Sollten seine Schüler sich schuldig gemacht haben, so würden sie ihre Strafe finden. Damit war der Beschwerdeführer entlassen.

Von seinen Wirtsleuten erfuhr er Näheres über diesen Wesseloh. Man sprach von ihm als dem Schlumpschneider und erzählte sich, wenn er ein Stück Zeug in die Hände bekäme, stellte sich meistens erst im Laufe der Arbeit heraus, ob eine Hose oder ein Rock draus wurde. Für seinen Schneidertisch hatte er nie große Begeisterung gehabt und suchte lieber Kiebitzeier oder lungerte nach den Sturmfluten am Deich herum, ob dort nicht was zu stranden war. Ganz besonders schlecht war Kantor Krohn auf den Schlumpschneider zu sprechen, weil dieser ihm seit einigen Herbsten manch einen vielverheißenden Schwarzdornschößling ruinierte. Wesseloh ging nämlich an den Hecken herum, brach die starken harten Dornenspitzen aus und machte daraus für Johann Isigkeit Wurstpröckel. So wenig mit dem Patron los war, so war er doch bei Pastor Griepenkerl lieb Kind, weil er jedesmal bei dessen Predigt ganz vorn vor der Kanzel saß und fromme Redensarten im Mund führte, wenn er im Pastoreigarten zu arbeiten hatte.

Am nächsten Morgen nahm Siebrand seine Heiducken vor. Heini Habersath und Ernst Suding waren natürlich die Hauptattentäter. Nach einigem Zögern und hartem Bedrohen gestanden sie unter großer Erheiterung der andern, was sie gesungen hatten. Es war ein Riemelreim, wie Siebrand hier und da schon ähnliche gehört und als Junge selber gesungen hatte. Der Schlumpschneider mußte in Hadelworth keine besonders ernsthafte Figur spielen, wenn die Schulkinder ihm nachsangen:

Wesseloh den stickt de Floh
Där dat Bett bet op dat Stroh,
Där dat Stroh bet op de Sleeten –
Dat deit Wesseloh'n verdreeten.

Der Rektor atmete auf. Er hatte Schlimmeres befürchtet. So drohte er den Kindern eine strenge Bestrafung an, falls noch einmal die geringste Beschwerde käme. Damit hielt er den Fall für erledigt.

Nach zwei Tagen erschien der Schiefbeinige wieder. Er war zufällig vorbeigekommen und wollte mal nachfragen, was für eine Strafe die Jungens gekriegt hatten. Über diese neue Dreistigkeit mehr belustigt als empört gab Siebrand ihm zu verstehn:

»Erstens geht Sie das gar nichts an, verehrter Herr, und zweitens sind es keine Unanständigkeiten gewesen, sondern Kindereien!«

Der Schneider tat einen kaum merklichen Pfiff durch die Zähne und wiegte den Kopf. »Soll ich Sie mal sagen, was Wahrheit is? Soll ich Sie mal sagen, wie ich das nenne, Herr Siebrand? Sünde nenne ich das. Sünde! Was unsern Pastor is, der hat gestern – hö, Sie waren gestern nicht nach Kirche? – ›was zum Munde ausgehet, das verunreiniget den Menschen‹, das hat er gestern gesagt.«

Damit wackelte er ab.

Siebrand wußte jetzt, von wem er das Traktätchen über das Tanzen bekommen hatte. Das hatte jemand geschickt von der häufigen Sorte Frommer, die ihre angebliche Gottesfürchtigkeit mit einer gehörigen Dosis Frechheit gewürzt ihren Mitmenschen zu schmecken geben.

Der frommfreche Schlumpschneider ging hinter den Gärten herum zum Pastoren und erstattete Bericht.

Es dauerte nicht lange, und der Rektor erhielt von Griepenkerl die briefliche Aufforderung gelegentlich vorzusprechen. Eine halbe Stunde später stand er in Griepenkerls Studierstube. Der Pastor wiederholte seinen Wunsch, Siebrand möchte zu Wesseloh gehn und die Angelegenheit des Sohnes gütlich in Ordnung bringen. Der Rektor setzte diesem Ansinnen ein festes Niemals entgegen. Der Pastor erhob sich, ging mit schweren Schritten auf und ab und putzte stöhnend die Brille.

»Sie scheinen es wirklich darauf abzusehen, Herr Kandidat, meinen Jünglingsverein an den Rand des Verderbens zu bringen!« klagte er. »Wie konnten Sie in die Ferien reisen und mir kein Wörtlein davon sagen, daß Sie auch den Verein in die Ferien geschickt haben? Das hätten Sie mir nicht antun dürfen. Jetzt höre ich zu meiner Betrübnis, daß wieder zwei von meinen lieben jungen Freunden fortgeblieben sind. Da August Wesseloh leider Gottes vorläufig auch noch zu streiken gewillt scheint, sind es nur noch sechse, welche die Treue halten.«

Sein Ton wurde so klagend, daß Siebrand sich auf die Lippen biß. »Ich habe es so für das Einfachste gehalten, Herr Pastor. Auch habe ich keine besondere Gefahr darin gesehn, die Versammlungen für fünf Wochen auszusetzen.«

Auf diese Entgegnung ging der Pastor gar nicht ein. »Ich will nicht davon sprechen, daß Sie an etlichen Abenden mit den jungen Leuten Scheibenschießen getrieben haben, obwohl daraus, wie die Heilige Schrift sagt, ein unordentlich Wesen folget, und mein Verein doch kein Schützenverein ist. Auch über Ihre Turnübungen will ich nichts sagen, obwohl ein christlicher Jünglingsverein die Gefahr vermeiden sollte, ein Turnverein zu werden. Aber daß Sie mir nichts dir nichts einen obskuren Menschen mitbringen und diesen plattdeutsche Vorträge halten lassen, das ist stark!«

»Durchaus kein obskurer Mensch, Herr Pastor! Sondern das ist Franz Haevesche aus Riega gewesen, ein Mann, den auch Sie wegen seiner glühenden Heimatliebe achten würden, wenn Sie ihn kennten. Und wenn er den Jünglingen gelegentlich auch etwas Lustiges zum Besten gegeben hat, so vermag ich nichts Schlimmes darin zu sehen.«

»Ansichten! Ansichten! Kandidat Siebrand! Ich bin der Meinung, ein Jünglingsverein hat wahrlich ernstere Ziele als dergleichen.«

Jetzt schien es dem Rektor die beste Gelegenheit zu sein, den Hals aus der Schlinge zu ziehn, die man über ihn geworfen hatte. Jetzt oder nie. So erklärte er, er werde sehr froh sein, wenn der Herr Pastor ihn seiner Verpflichtungen entbinden würde.

»Vorhin haben Sie ›niemals‹ gesagt; jetzt sage ich es: Niemals!« rief der andere. »Was soll denn aus meinen teuren jungen Freunden werden? Aus den jungen gefährdeten Menschenseelen?«

»Verzeihen Sie mir. Aber würde der Herr Pastor nicht selber die Sache in die Hand nehmen wollen?« wagte Siebrand zu fragen.

»Also das ist Ihre wahre Meinung? Hm, hm! Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit, Herr Kandidat! – – Also Sie setzen mir den Stuhl vor die Tür? Sie – ein Lehrer, der die Jugend zum Guten anhalten soll – ein angehender Seelsorger – ein zukünftiger Amtsbruder. Oh, das ist ja herrlich! – – – Nun gut, es sei also! Aber ich darf Sie wohl darauf aufmerksam machen. Für die Folgen haben Sie selbst einzustehn!«

Er lachte bitter, als Siebrand gleichmütig erklärte: »Die Folgen nehme ich sehr getrost auf mich,« und erhob feierlich die Hand.

»Und dann noch eins. Ich warne Sie, Herr Rektor Siebrand! Ich warne Sie, als Freund und als Christ! Sie wissen wohl gar nicht: Ihr Lebenswandel bereitet vielen ein schweres Ärgernis? Ein schweres Ärgernis! Lassen Sie sich das gesagt sein: Ich warne Sie.«

Dies Gespräch war die Todesstunde des Hadelworther Gemeinde-Jünglingsvereins. Die Sechse wurden, wie Griepenkerl am nächsten Sonntag sich ausdrückte, in Hoffnung besserer Zeiten bis auf weiteres beurlaubt. Die jungen Leute aber waren das Vereinswesen einmal gewöhnt, taten sich mit andern Lehrlingen und Gesellen zusammen und gründeten auf eigene Faust eine Art Verein, dem sie den Namen Fidelitas gaben. August Wesseloh wurde Präsident. Aber der Gendarm kam dazwischen und schnitt den Lebensfaden des Vereins Fidelitas kurzerhand ab. Der von Pastor Lazarus geplante Jungfrauenverein hat das Licht der Welt niemals erblickt.

Hermann Siebrand war der nunmehr gewonnenen Freiheit über die Maßen froh. Sehr leid tat es ihm, daß sie auf Kosten von Pastor Griepenkerls Wohlwollen erlangt war. Aber das war allens man eerst, dachte er, das würde sich mit der Zeit wieder einrenken. Kaufmann Suding, der seit der neulichen Auseinandersetzung wieder eine beängstigende Freundlichkeit zeigte, beglückwünschte ihn eines Tags zu dem Entschluß, im Lehramt bleiben zu wollen. Er hatte mit großer Freude gehört, daß er auf den Pfarrdienst verzichtet hätte. Die Pädagogik würde sonst eine tüchtige Kraft eingebüßt haben. Siebrand war überrascht. Er hatte niemals derartiges geäußert. Wenn ihm auch ab und an der Gedanke kam im Schulamt zu bleiben, so hatte er doch keinem Menschen davon gesprochen. Eigentümlich, auch Lehrer Bartels kam bald darauf mit derselben Sache. Es würde vielerwärts davon gesprochen. Woher mochten solche Ausstreuungen kommen? Lag eine bestimmte Absicht dahinter?

Hotelier Kleefoot und der Bierbrauer kamen eines Sonnabendnachmittags vorgefahren, ihn zu einer Fahrt nach Cuxhaven abzuholen. Jetzt, da er kein Pfaffe werden wolle, flüsterte der Amerikaner, sei er ein freier Mann und würde wohl kein Spielverderber sein, wenn der Wind sie des Abends noch zu Tante Punschke wehen sollte. Siebrand verzichtete auf die Mitfahrt und zeigte auf einen hohen Stapel Aufsatzhefte, die ihm mit ihren Korrekturen hindernd im Weg lagen. Für die sogenannten höheren Töchter hatte er sich in den Sekundanerjahren wohl interessiert. Doch den niederen Töchtern Geschmack abzugewinnen brachte er jetzt nicht mehr über sich. Berlin lag endgültig hinter ihm, und ebenso die Küsserei mit einem kleinen rothaarigen Obotritenmädchen. Er wußte nicht einmal ihren Namen mehr.

»Ich habe es dir ja gleich gesagt, Kleefoot! Was sollte der langweilige Schulmeister mit nach Cuxhaven? Der hätte uns den ganzen Spaß bloß verdorben. Den laß man ruhig bei seinen Aufsätzen, daß er die von den Fehlern klient. Oder in seiner Schulstube, daß er da seine Kinder tietscht. I say, da ist er gut bei aufgehoben.«

Diese Worte brummte Bierbrauer Seebohm auf der St. Jürgener Chaussee vor sich hin und gab den Pferden die Peitsche, daß sie in einen kurzen Galopp fielen.


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