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Frau Emilie Bartels hatte sich den Mittwoch gänzlich anders vorgestellt als er schließlich verlief.
Es mußten schon besondere Gründe vorliegen, wenn sie sich bewogen fühlte ihren Eheherrn los zu lassen. Heute hatte sie ihm gesagt, es sei nun Zeit, daß er dem Rektor einen Gegenbesuch machte. Dem werde es bei dem scheußlichen Regenwetter gewiß sehr angenehm sein, wenn der Besuch nicht in einer förmlichen Viertelstunde abgemacht, sondern auf den ganzen Nachmittag ausgedehnt würde. Lehrer Anton Bartels, mit seinem schwarzen Feierrock und seinem besten Schlips angetan, saß bereits eine Stunde steif auf dem Stuhl und war im besten Zug, eine breit angelegte Auseinandersetzung über pädagogische Fragen noch einige Zeit fortzuspinnen. Unvermittelt machte Siebrand den Vorschlag, einen frischen fröhlichen Gang nach Riega zu wagen.
»Nach Riega? – – bei dem Regen?« – – kam es sehr gedehnt.
»Natürlich! Nach Riega. Was wollen wir hier auf der langweiligen Bude hocken? Dieser milde Abendregen wird uns schon nicht wegschwemmen. Und außerdem fällt die allermeiste Flüssigkeit an uns vorbei. Aber sind Ihre lieben Stiefel auch dicht?«
Herr Bartels mochte sich keine Blöße geben und bejahte, obwohl die rechte Stiefelsohle sich bedenklich wund gelaufen hatte.
»Na also! Was hindert uns noch! In Riega muß ich die beiden Pastoren besuchen. Sie werden jedenfalls so liebenswürdig sein und die kurze Zeit irgendwo auf mich warten.«
Bartels warf einen kurzen Blick auf seinen guten schwarzen Rock und einen langen durch das Fenster, an dessen Scheiben das Wasser klatschend herabströmte, dachte auch an seine Emilie und auch an die noch lange nicht gründlich genug erörterte pädagogische Frage, ließ sich aber doch breit schlagen, als der Rektor ihm seinen Winterüberzieher zur Verfügung stellte.
So begaben sich die beiden nach Riega. Ein Kognak in Schwicks Gasthof tat gute Dienste nach der nassen Tour. Während Bartels bei Schwick sitzen blieb, ging Siebrand zum Superintendenten Steenbrügge. Der alte Superintendent lud den Rektor beim Abschied zu einer Kegelpartie ein und schickte den Bälgentreter los, damit dieser schnell einige Leute zusammentrommelte. Siebrand machte seine Teilnahme von der Zustimmung seines Begleiters abhängig. Bei Pastor Fiernkranz wimmelte der Vorplatz von kleinen Kindern. Die hatten heute ihren Spielplatz aus dem Garten ins Haus verlegen müssen. Der Pastor war vielleicht erfreut, auf gute Art aus den Dünstungen der unschuldigen Kindlein herauszukommen und ging sofort mit zu Schwick.
Anfänglich machte Bartels ein bestürztes Gesicht zu dem neuen Vorschlag, ließ sich aber bald beschwichtigen. Denn Superintendent Steenbrügge erschien. Wie die Gegenwart eines solchen Würdenträgers sein eigenes Gewissen schon von vornherein bedeutend entlastete, so würde sie auch den Vorwürfen seiner Emilie die Spitze abbrechen. Als nun gar nach einer Stunde Pastor Elm urplötzlich ins Kegelhaus trat, war sein Leichtsinn bereits soweit gediehen, daß er sein Bleibenmüssen für über jeden Zweifel erhaben hielt. Der Hadelworther Pastor kam in buchstäblichem Sinne in die Gesellschaft hereingeregnet. Er hatte gleichfalls den Rektor besuchen wollen. Sobald er durch Holtmanns Mädchen erfuhr, dieser sei nach Riega, hatte er so etwas wie eine Ahnung gehabt, daß er beim biederen Korl Schwick fröhliche Gesellschaft treffen würde.
Allmählich sammelten sich die übrigen Riegaer Kegelbrüder, mehrere Hofbesitzer und die beiden Lehrer, letztere mit langen Pfeifen und gewaltig qualmend. Bald erschien auch ein lebhaftes Männchen mit klugen hellen Augen und einer kleinen Mähne.
»Dieses hier ist unser Dichter Franz Haevesche,« erklärte der joviale Steenbrügge, »früherer Konfirmand von mir und jetzt in seinen Mußestunden Postagent und Vertreter der Presse, nämlich Lokalreporter fürs Medembüttler Kreisblatt. Wenn ihn aber die Muse kitzelt, tut er sich als Poet von Land Hadeln auf und dichtet lokal. Hat als solcher schon manch einen trefflichen Sang zuwege gebracht. Er dichtet und komponiert nämlich mit gleicher Fixigkeit.«
Mit offenbarem Selbstbewußtsein nahm der Gepriesene diese Worte entgegen.
Das Kegeln begann. Siebrand hatte das Spiel nicht häufig geübt und war zuerst etwas befangen, als sämtliche Augen auf seine Würfe warteten. Bald aber sausten seine Kugeln mit solch wuchtiger Eleganz über die Bohlen hin, daß das auf der Bahn stehende Regenwasser zu beiden Seiten hoch aufflutschte und der Dichterkomponist an der Schreibtafel ein Mal über das andere »alle Neune« zu protokollieren hatte. Korl Schwick, der kugelrunde Wirt mit den lustigen Schweinsäuglein, federte vor Verwunderung auf und nieder, als seien die kurzen Beine unter seinem Bauch aus Gummi, und der gute Steenbrügge mußte zu dessen mörderlich klingenden, aber nicht schlimm gemeinten Fluchwörtern sehr mißbilligend den Kopf schütteln. Allgemeines Gelächter erhob sich, als die Kegeljungen mit jaueliger Stimme einen »jungen Bräutigam« ausriefen. Siebrand hatte zweimal die Acht um den König geworfen und brauchte nicht für den Spott zu sorgen, als er den Schaden hatte eine Runde Kulmbacher ausgeben zu müssen. Pastor Fiernkranz, ein blasser Mann mit hohen eckigen Schultern, kegelte mit beiden Händen. Er fühlte sich eigentlich nur bei seinen Büchern glücklich und ging nur den Leuten, namentlich dem alten Steenbrügge zuliebe ab und an mit ins Wirtshaus.
In dem kleinen Kegelhaus wurde es immer gemütlicher. Schließlich aber wurde das naßkalte Wetter so arg, daß man vorzog nach vorn ins Gastzimmer zu gehen. Die allgemeine Fröhlichkeit erreichte ihren Gipfel, als Franz Haevesche sich ans Klavier setzte und seine neuesten Weisen zum Besten gab. Auch auf dem glänzenden Gesicht des biederen Korl spiegelte sich die harmlose Gemütlichkeit des Abends wider. War er vorhin in die Küche gegangen und hatte seiner Frau berichtet, »die Hadelworther haben wieder einen vernünftigen Rektor gekriegt, der in die Welt paßt«, so ließ er sich's zum Schluß nicht nehmen, eine Runde seiner besten Zigarren zu spendieren. Er war kein Raffzahn und freute sich aufrichtig mit, wenn seine Gäste es sich bei ihm wohl sein ließen.
Es war stockfinstre Nacht geworden, als die drei Hadelworther auf der Chaussee heimwärts strebten. Der Sturm peitschte ihnen den Regen scharf ins Gesicht und zwang den Pastor, den Schirm sogleich wieder zuzuklappen. Man unterhielt sich so gut es eben gehn wollte. Siebrand äußerte, es habe ihn gefreut und gewundert, wie zwanglos und nett in Riega die Geistlichen und die Lehrer miteinander verkehrten. Bartels hatte seine steife Zurückhaltung längst abgelegt und meinte, das würde überall sein, wo einer es machte wie der alte Steenbrügge und nicht den Herrn Lokalschulinspektor herausbeißen wollte. Steenbrügge lasse sich höchstens einmal im Jahre in den Schulen sehn. Ob das richtig war, wollte er nicht entscheiden, soviel sei aber gewiß, daß die Lehrer ihm das hoch anrechneten.
»Ich bin nur heilsfroh,« warf Pastor Elm hin, »daß ich mir keine Finger zu verbrennen brauche. Die Lokalschulinspektorei überlasse ich vertrauensvoll dem Kollegen Griepenkerl, der mag so was allein ausbaden. In diesem Falle wäre geteilter Schmerz doppelter Schmerz.«
Dem Rektor fiel ein, den Sprecher zu fragen, ob er sich nicht auch am Jünglingsverein beteiligen wollte.
»Dazu halten wir uns unseren tüchtigen Rektor,« war die herablassend klingende Antwort.
»Dazu halten sich die Hadelworther ihren tüchtigen Rektor durchaus nicht,« entgegnete Siebrand. »Ich bin noch nie vor einer Arbeit ins Mauseloch gekrochen, aber bei zweiunddreißig Stunden Unterricht auch noch die Sonntagabende eingespannt sein ist viel verlangt, zumal wenn einer sich von der ganzen Geschichte so wenig Erfolg verspricht wie ich zum Beispiel. Von Genuß gar nicht zu reden.«
Bartels sprach von Fortbildungsschulen und ähnlichem. Aber der Pastor äußerte, wer die Jugend pflegen wollte und ein Herz für sie habe, der könnte gar nicht anders und müßte solche vereinsmäßige Jugendpflege treiben. »Das ist heutzutage modern und man muß das so mitmachen, auch wenn man persönlich keine große Begeisterung hat.«
Wieder tönte Siebrand dies Wort »mitmachen« entgegen. – – Mitmachen? – – Warum machte denn der Pastor Elm nicht mit? Der war doch der nächste. Die Pflege der Jugend war für Siebrand eine gerade so wichtige und heilige Sache wie nur einem andern. Als Lehrer wollte er ja seine ganze Kraft in diesen Dienst stellen. Aber Jünglingsverein? – – Jungfrauenverein? – –
Die drei verabredeten beim Auseinandergehn, sich folgenden Abends bei Kleefoot zu treffen.
Den Rektor verdroß es, daß der Pastor ihm über den Zaun nachrief: »Also auf Wiedersehn, Sie Oberjüngling! Sie sind noch zu großen Dingen berufen!«
Während ihr lieber Anton wohlgemut bei Korl Schwick saß und sich an Franz Haevesches Vorträgen ergötzte, verlebte Frau Emilie Bartels einen kummervollen Abend. Dreimal lief sie durch den strömenden Regen zur Apotheke und hielt Nachfrage. Aber dort war nichts Näheres bekannt als daß der Rektor in Riega sein sollte. Um elf Uhr ging sie zu Bett, stellte die Lampe auf den Flur und ließ die Haustür halb offen. Eigentlich war das unvorsichtig, einmal wegen etwaiger Diebe und Eindringlinge, und sodann wegen des Geredes der Leute. Denn wer des Weges kam und Frau Emilie kannte, mußte sich sagen: Emilie Bartels erwartet ihren lieben Anton – und ihr leichtsinniger Anton hat auch was zu erwarten. Doch hatte sich Herr Bartels diesmal nicht verrechnet, trotzdem sein bester Anzug stark mitgenommen aussah. Die ehrenvolle Anwesenheit so vieler geistlicher Herren beschwichtigte ihren Zorn. Allerdings war ihr Gatte weder folgenden Abends bei Kleefoot noch in den nächsten Wochen sonst irgendwo zu sehen. Es war höchste Zeit geworden, daß die Drahtgitter um den Hühnerhof gründlich ausgebessert wurden. Den Rektor Siebrand aber betrachtete Frau Emilie seit diesem Visitennachmittag mit mißtrauischen Augen.
Dem Rektor war es nicht so leicht gemacht wie dem Herrn Bartels, in seine Behausung zu kommen. Er hatte auf eine rechtzeitige Rückkehr gerechnet und hatte versäumt, sich den Hausschlüssel geben zu lassen. So stand er nun, den triefenden Winterüberzieher über den Arm, im Regen vor der verschlossenen Tür und zog die Klingel. Nach langem Warten hörte er, wie jemand die Treppe herabschlürfte. Hatte Holtmann selber den Nachtdienst? Das konnte noch gut werden! Die geheimnisvolle Gestalt, die ihm öffnete, im langen Schlafrock, ein graues Käppi auf dem Kopf, weite Filzgaloschen an den Füßen, entpuppte sich jedoch als der Provisor.
»Nun lassen Sie doch Ihr albernes Lachen unterwegs!« meinte dieser knurrig, »und sagen Sie lieber, wo Sie gesteckt haben. Der Alte hat sich heute abend heftig über Sie aufgeregt.«
Siebrand schüttelte das Wasser aus den Kleidern.
»Es tut mir wirklich leid,« sagte er, »Sie aus den Federn bemüht zu haben. Aber geben Sie mir mal schnell für einen Groschen doppelkohlensaures Natron. Ich möchte Sie nicht ganz umsonst bemüht haben.«
»Seien Sie bloß ruhig, Sie Unglücksmann!« brummte der andere, »und machen Sie, daß Sie in die Klappe kommen.«
Am nächsten Morgen taten Holtmanns, als wäre nichts vorgefallen. Ebenso mittags. Die Andacht war sehr kurz. Es wurde hastig gegessen, denn der Apotheker war reisefertig und wollte mit dem Mittagszug nach Hamburg. Kaum war das Schlußgebet gesprochen, als er sich erhob, Abschied nahm und mit dem Provisor zum Bahnhof ging. Als Siebrand ebenfalls aufstehn wollte, legte die Hausfrau die Hand auf seinen Arm. Siebrand zuckte förmlich zusammen.
»Ich habe eine Bitte, die Sie mir nicht abschlagen dürfen. Unser Herr Ezards will heute abend zu Kleefoot. Ich möchte das Haus nicht ganz ohne männlichen Schutz wissen. Also tun Sie mir den Gefallen und bleiben Sie heute abend nach Tisch unten und leisten Sie mir Gesellschaft – in meiner Strohwitwenschaft. Ich bitte Sie recht sehr.«
Sie streckte ihm lächelnd die Hand entgegen. Siebrand wußte nicht, wie ihm geschah. Er erklärte sich bereit. Zweifellos sollte die gestrige Kegelpartie ihre Erörterung finden.
Bevor er sich auf sein Zimmer begab, ging er zur Küche und gab einem der Mädchen den Auftrag, zu Pastor Elm zu gehen und zu bestellen, er könnte heute abend nicht bei Kleefoot erscheinen, da er Frau Holtmann Gesellschaft leisten wollte.
Des Abends saß er behaglich in Holtmanns bestem Zimmer. Er hatte vom gestrigen Abend zu beichten versucht, doch die Hausfrau war nicht darauf eingegangen, sondern hatte gemeint, das seien Kleinigkeiten, die mal vorkämen und bei denen man sich nichts denken müsse. Jetzt saß sie am Piano und spielte eine Reihe klassischer Sachen, suchte dann aber andere Noten hervor und spielte ungarische Tänze und Chopinsche Walzer. Der Rektor hatte sich's in einem Schaukelstuhl bequem gemacht und gab sich mit geschlossenen Augen den Traumbildern hin, die die Musik in ihm auslöste. Als das Klavierspiel beendet war, wünschte er gute Nacht und begab sich nach oben.
In Kleefoots Gastzimmer ging es am selben Abend nicht so leidenschaftslos her. Da Wichtiges und Unwichtiges mit gleich erstaunlicher Schnelligkeit bekannt zu werden pflegte, hatten die betreffenden Dienstmägde das Ihrige getan. Die welterschütternde Neuigkeit war schon herum: der neue Rektor sitzt ganz allein mit Frau Holtmann zusammen und leistet ihr Gesellschaft. Herrjemine! das war hochinteressant! Es gab doch noch schöne Sachen auf dieser Welt …
Pastor Elm trat ins Lokal. Wie von selbst rückten alle Stühle dichter an den großen Tisch. Kaufmann Suding hatte sich schon mehrmals unter dem Tisch die Hände gerieben und legte jetzt die eine Hand an die Ohrmuschel, obwohl er durchaus nicht schwerhörig war. Doch der Pastor wußte nichts Neueres zu erzählen als was bereits alle wußten, daß nämlich Holtmanns Karoline so und so bei seinem eigenen Mädchen bestellt hatte. Allerlei Vermutungen und Andeutungen flogen nun über den Tisch hin und her.
»Ich muß doch sagen,« erklärte Suding mit seiner Fistelstimme, »angesehn habe ich ihm das gleich, daß er nämlich so einer von der bekannten Sorte ist. Na, Sie wissen ja, wie ich das meine.«
Hotelier Kleefoot saß neben dem Ofen und knackte Haselnüsse. Das tat er wohl, wenn ihm das Gespräch zu langweilig war, namentlich wenn der Organist es für nötig hielt seine altbekannten Döntjen wieder aufzuwärmen. Jetzt aber setzte er sich mit heran und warf hin:
»Sie sind alle miteinander über denselben Kamm geschoren, die Kurzhaarigen genau so wie die Langhaarigen. Mucker sind se! Mucker! Alle miteinander.«
Kleefoot hatte nämlich gegen die Geistlichkeit im allgemeinen und speziell gegen Pastor Griepenkerl einen besonderen Ingrimm. Und das war so gekommen. Der Pastor hatte dem selbstbewußten Kirchenvorstandsmitglied schon lange eine kleine Demütigung zugedacht. Eine Gelegenheit fand sich, als sich neulich ein Hund während des Gottesdienstes in die Kirche verirrt hatte und erst nach vieler Mühe hinausgebracht war. Herr Kleefoot bekleidete im Kirchspielsgericht das Amt eines Leviten; doch war sein Levitentum, seit man nicht mehr mit dem Klingelbeutel ging, eine bloße Titularwürde. Kein Mensch dachte beim Namen Levit an alttestamentliche Tempeldiener oder ähnliches, und am allerwenigsten Herr Kleefoot selbst. Bei der nächsten Sitzung machte der Pastor nun den Vorschlag, den Levit zu veranlassen, daß solche Störungen durch Hunde nicht wieder vorkämen; dann seien die Leviten doch nicht gänzlich ohne Beschäftigung. – Herr Kleefoot schnob Rache und brauchte auch nicht lange zu warten. Niemand wußte, wie es gekommen war, aber seit diesem Frühjahr war es bei fast allen Pastoren der Gegend üblich Gänse zu halten. Auch Griepenkerl hatte seinen stillen Garten durch ein Dutzend dieser blauäugigen Vögel belebt. Aber bald zeigten die nützlichen Tiere die Untugend, auszubrechen und die Fußwege auf dem Kirchplatz mit den grünlichen Beweisen ihrer Verdauung zu verzieren. In denselben Tagen war wieder Kirchenvorstandsitzung gewesen. Kleefoot hatte gesagt, der Pastor sollte lieber auf seine Gänse passen, anstatt daß er andere Leute als Hundefänger anstellen wollte, und hatte dabei die mehrdeutige Äußerung getan:
»So lang' as wi noch Göös hebbt, hebbt wi ook noch Pastoren!«
Die beiden hatten einander nie schwärmerisch geliebt, aber seit diesem Wort war Pastor Griepenkerl nahe daran, den Gastwirt Kleefoot mitsamt seinen Berufsgenossen für einen Belial zu halten, in welchem der antichristliche Zeitgeist seine leibhaftige Verkörperung gefunden habe.
Tante Amalie Wruck behauptete hinterher, die von Polizei wegen am Glockenturm angebrachte Tafel hänge mit den Pastorengänsen in Zusammenhang. –
Bei Kleefoots Äußerung über die kurzhaarigen und langhaarigen Mucker entstand eine peinliche Pause. Der Kantor und Landschöff Brütt sahen den Pastor Elm an, ob der etwas erwidern würde. Doch dieser zog vor lächelnd zu schweigen. Er versuchte dann allerdings ein anderes Thema aufzubringen, fand aber wenig Gegenliebe, da die andern kaum auf seine Worte hörten und ihren Gedanken nachhingen.
Plötzlich schlug Peter Brütt, der verschiedenes in den Bart gebrummt hatte, was niemand verstanden hatte, mit der Faust auf den Tisch, daß die Gläser tanzten.
»Donnerwetter noch mal! Sollte mir leid tun um den fixen Kerl. Ich glaube aber nicht an den Tühnkram. Allens dumm Tüg! Allens olen Wiewersnack!«
Der einzige, der anscheinend teilnahmslos dasaß, war Kantor Krohn. Er schmatzte an seinem Grog, als wäre ihm der zu heiß, und rührte geräuschvoll mit dem Löffel im Glas. Die beiden Zuckerstücke waren schon längst geschmolzen. Schließlich räusperte er sich und klopfte mit dem Löffel auf den Glasrand.
»Wenn ihm jemand etwas vorzuwerfen hat, dann soll er nicht hinter dem Deich stehn und Steine schmeißen, von denen keiner weiß, woher die geflogen kommen. Wenn wirklich etwas an der Schnackerei ist, dann hätte er nicht die Bestellung durch das Apothekermädchen gemacht. Haltet ihr denn den Rektor für so dumm? Was sagen Sie, Herr Pastor?«
Der Gefragte rückte auf seinem Stuhl. Er wollte nichts Bestimmtes sagen. Man müßte geduldig abwarten. Man dürfte nicht gleich das Schlimmste annehmen.
»Geduldig abwarten? Das sagt ein Mann wie Sie, Herr Pastor?« fistelte Suding im Ton der Entrüstung. »Ich muß doch sagen, die ganze Geschichte geht uns ja nichts an. Rein gar nichts. Reine Privatsache von dem Herrn Siebrand. Aber warum soll unsereiner nicht seine Abscheu vor so etwas kund tun? Ich muß doch sagen, wir anständigen Leute, – – na, ich will sagen, schaden kann es doch nichts.«
Jetzt wurde Kantor Krohn grob.
»Nichts schaden, sagen Sie? Schlimme Dinge in die Welt hinaus blasen, das soll nichts schaden? Sich als Wächter der Moral aufspielen und keinen Funken von Beweis haben, das soll nichts schaden? Nein, stellen Sie sich bloß nicht an, Suding! Beweise haben Sie nicht. Alles leere Vermutungen und weiter nichts!«
Ganz gegen seine Gewohnheit beteiligte sich der alte Detlev Krohn nicht mehr am Gespräch, sondern sah nachdenklich und noch immer mit dem Löffel rührend in sein leeres Glas.
»Zu! Kantor! Trinken Sie man noch 'n Littjen! Sie stoßen mir noch den Boden aus dem Glas,« mahnte Kleefoot. Aber der Kantor erhob sich, stapfte zum Kleiderhaken und nahm Hut und Schirm.
Nach seinem Fortgang stand auch Kleefoot auf und setzte sich wieder an seinen Ofenplatz.
»'n bißchen wunderlich is er man, unser Detlev,« meinte er, »aber sonst 'n braven Kerl.«
Kaufmann Suding fühlte wieder den Zwang etwas sagen zu müssen, doch der Landschöff fuhr ihn bärbeißig an:
»Nun lassen Sie mich mal sagen, was ich sagen muß. Der alte Kantor hat recht. Und den Rektor lassen Sie man zufrieden. Abwarten und Tee trinken – sagt Schiller.«
Peter Brütt setzte sein letztes Wort unbewußt in die sinnbildliche Tat um und bestellte ein frisches Glas Grog. Damit war die Angelegenheit für den Abend erledigt.
Der Apothekenprovisor saß währenddessen an einem der Skattische und drehte der großen Tischrunde den Rücken zu. Gar zu gern hätten Suding und Klaussen ihn ausgefragt, aber der Ostfriese ließ sich im Spiel nicht stören.