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Beim Morgenkaffee hatte die Apothekerin spitzig gefragt, ob der Rektor nicht eine Alarmkanone anschaffen wolle oder eine von den Dampfsirenen, wie sie bei Nebel in Cuxhaven gebraucht würden. Das ganze Haus sei heute eine Stunde früher als sonst aus dem Bett gejagt. Siebrand war zuerst nicht hinter den Sinn dieser Frage gekommen. Er erfreute sich eines reinen Gewissens und eines sehr festen Schlafes und hatte nach seiner Gewohnheit für einen guten Resonanzboden seiner Weckuhr Sorge getragen. So hatte er das Emaille-Waschbecken umgestülpt auf die Kommode gelegt und den Wecker darauf gestellt. Das hatte dann die bewußte Alarmkanone abgegeben.
Jetzt war es acht Uhr. Bis zum Besuch bei Pastor Griepenkerl war noch einige Zeit. Die wollte er zu einem Deichbummel benutzen. Vorher aber wollte er sich den Ort Hadelworth einmal genau ansehn. Schon damals, als er mitten im Winter hier war, hatte ihm der Marktplatz ganz besonders gefallen. Langgestreckt stand in seiner Mitte die altehrwürdige Kirche aus Granitblöcken und Backsteinen. An das niedrige alte Langhaus hatten die Hadelworther in der Barockzeit einen putzwunderlichen Anbau gesetzt mit hohem Mansardendach und kolossalen Rundfenstern. Zwei schlanke Türme schauten hoch über alle die Hausdächer und Baumwipfel in die blache Marsch hinein und grüßten die jenseits des Deichs auf dem weißen Wasser vorüberziehenden Schiffe, seit alter Zeit ein Wahrzeichen für jeden, der die Elbe befuhr.
Langsam schritt der junge Rektor quer über den großen grünen Platz. Norderseits standen alte Grabsteine an der Kirchenmauer. Ernsthaft sahen die Gestalten der alten Hadeler Schultheißen zu ihm herüber, mit ihren steif über die Brust gekreuzten Armen, mit ihren Halskrausen und Pluderhosen Zeugen einer längst entschwundenen Zeit. Die großen Trauereschen in ihrer Nähe hatten noch die Jahre erlebt, wo dunkle Leichenzüge dreimal feierlich um die Kirche gegangen waren, unter Vorantritt der Schuljugend, die aber wegen Schulausfalls im besonderen und angestammten jugendlichen Leichtsinns im allgemeinen nicht übermäßig traurig gestimmt war. Jetzt war der Rasen, unter dem die alten Hadelworther ihren Totenschlaf hielten, von sauberen Kieswegen durchzogen. Und das Gebüsch auf dem weiten Platz und die alten Linden ringsum warteten mit berstenden Knospen und zitternden Zweigen auf den großen Auferstehungsruf, den der wieder ins Land gekommene Frühling zu verbreiten begann.
Siebrand trat unter das überhängende Kegeldach des alten Glockenturms neben der Kirche und las auf einer Tafel die Inschrift:
Die Benutzung der Rasen durch Betreiben von Federvieh,
das Auslegen von Wäsche sowie Beschädigungen der
Anlagen werden polizeilich bestraft.
Von Polizei wegen.
Das war von Polizei wegen mehr gut gemeint als sprachlich korrekt. In seinen schulmeisterlichen Gefühlen gekränkt wollte er sich von der Blechtafel abwenden. Unerwartet klopfte ihm jemand auf die Schulter. Es war Pastor Elm.
»Nehmen Sie mich mit, wenn Sie mich mithaben wollen.«
Die beiden gingen süderseits der Kirche an der Haupttür vorbei. Siebrand deutete mit dem Spazierstock auf eine Statue in einer weiß ausgekalkten Nische über dem Eingang.
»Wer ist denn der alte weiße Herr mit der schwarzen Nase und dem krampfhaften Arm? Der arme Kerl scheint sich den Arm verknaxt und in Schienen zu haben?«
»Aber ich bitte sehr, nicht so despektierlich reden zu wollen, Verehrtester. Stelle Ihnen hiermit höflichst den heiligen Nikolaus vor, und zwar in seiner Eigenschaft als Schutzpatron der Fischer und Schiffer. Hat hier zu Olims Zeiten in hohem Ansehn gestanden, der alte Herr. Das war dazumalen, als Hadelworth noch Hauptplatz der Heringsfängerei an der Elbmündung war. So hat mich wenigstens der Kantor belehrt. Der muß es wissen.«
Siebrand lachte und bat um Verzeihung. Er hatte nicht ahnen können, daß der Pastor dem alten etwas abgestanden aussehenden Heiligen so zugetan sei.
»Dieser heilige Niklas,« fuhr der Pastor fort, »hat übrigens noch immer eine gewisse Bedeutung. Man hat mir erzählt, daß sich hier zu seinen Füßen schon manch ein Liebespärchen gefunden hat, wenn drüben bei Kleefoot Ball war. Näheres lassen Sie sich nur vom alten Kantor Krohn erzählen. Der und seine Frau gehören nämlich auch zu denen, die große Stücke auf diesen Niklas halten. Und was Sie nun betrifft, Verehrtester, so kommt Ihnen vielleicht auch noch mal die Phantasie zu Hülfe, daß Sie in die Lage geraten, denselben Arm, der Ihnen jetzt einbandagiert vorkommt, für segnend ausgestreckt zu halten, – über Sie – und sonst noch jemand. Sehen Sie dort! Dort haben Sie die Bescherung!«
Damit zeigte der Pastor Elm auf den standesamtlichen Gitterkasten neben der Tür.
»Auch einer, der's Hetzen nicht lassen kann,« dachte Siebrand belustigt.
»Ich bin gespannt auf die Bekanntschaft dessen,« sagte er mit komischer Gebärde, »der mich zum Heiraten zwingen wollte!«
Der andere machte ein pfiffiges Gesicht.
»Nun seien Sie bloß stille und reden Sie keinen Mostrich, den Sie nicht verantworten können. Mir will es vorkommen, als überschätzten Sie Ihre Kräfte ein bissel. Wer sich dünken lässet, er stehe, der sehe wohl zu und so weiter. Es sind schon viel starke Eichbäume umgepurzelt, wenn der Wind der Liebe geweht kam. Sie würden weder der erste noch der letzte sein.«
Die beiden schritten über den Kirchplatz. Siebrands Blick ruhte auf der gegenüberliegenden Häuserreihe. Freundlich spielte die Morgensonne mit wechselnden Lichtern auf den Firsten und weißen Giebeln, hier auf rot leuchtenden Ziegeln, dort auf breiten Schilfdächern, die sich traulich über weißen Fenstern, geschnitzten Haustüren und grünen Bänken bis auf Mannshöhe zur Erde senkten. Überall freundliche Sauberkeit und anheimelnde Gemütlichkeit.
Pastor Elm begleitete den Rektor eine Strecke und kehrte dann um, während der letztere zum Deich ging, sich oben auf der Kappe ins Gras warf und seinen Gedanken nachhing. Was Pastor Griepenkerl, der heute besucht werden sollte, wohl für ein Mann war? Elm hatte sich sehr zurückhaltend über ihn geäußert. Die Hadelworther hielten ihn für eigensinnig. »Landschöff Brütt hat ihn neulich einen Steinpott genannt. Aber ich selbst kann nichts dazu sagen. Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.«
Um zehn setzte Siebrand die Türklingel des ersten Predigerlehns in Bewegung. Von Nervosität wußte er nur durch Hörensagen. So war es wohl Übermut, als er seinen Spazierstock nahm und dessen Spitze in das heftig schüttelnde Ding hinein hielt. Mit einem erschrecklichen Mißton erfolgte die beabsichtigte Stille. Die ältliche Magd von gestern kam aus einer Tür gestürzt und blieb auf der Diele vor ihm stehen, die fettglänzenden Hände in der Schürze wischend. Aus den Blicken, die sie bald auf ihn, bald auf die plötzlich stumm gewordene Klingel warf, sollte der eigenmächtige junge Mann entnehmen, daß sie eine ganz andere Frage stellen wollte als die sie schließlich tat. Immerhin klang auch ihr »Was wollen Sie denn wieder?« grob genug. Er wiederholte sein gestriges Anliegen und wurde in die Studierstube geführt.
Ein langer hagerer Mann erhob sich schwerfällig aus dem Schreibsessel und trat ihm entgegen. Der überlange Lutherrock schlotterte ihm bis unter die Knie, und über dem geschlossenen Kragen saß unordentlich eine weiße Tuchbinde. Man hatte Mühe, die schlaffen Züge des glattrasierten grauen Gesichts für die eines Mannes zu halten, der in der Mitte der Dreißiger stand. Siebrand konnte ihm anfänglich durch die scharf geschliffenen Brillengläser nicht recht in die Augen sehn, bemerkte aber bald, wie die Blicke seines Gegenüber langsam an seinem hellgrauen Beinkleid emporglitten, um schließlich an seinem langen blonden Schnurrbart haften zu bleiben. Allmählich erhellten sich die Gesichtszüge zu einem milden Lächeln. Diesen milden Gesichtsausdruck hatte sich Pastor Griepenkerl schon in seinem ersten Kandidatenjahr angewöhnt, weil er ihn für seelsorgerlich gewinnend und für ein Zeichen innerlicher Abgeklärtheit hielt.
Siebrand bat um Entschuldigung, daß er seinen Antrittsbesuch so früh am Tage mache, er sei aber gestern auf die Sprechstunde verwiesen worden. Mit einer Handbewegung lud der Pastor zum Sitzen ein.
»Zu meinem großen Bedauern war ich am Tage Ihrer Lehrprobe nicht anwesend. Auch gestern war ich leider verhindert. Es ist mir aber sehr wohltuend, daß Sie Ihren Besuch so bald wiederholen. Über Ihre Personalien habe ich mich aus den Akten einigermaßen orientiert. Wie hieß noch der Ort, von wo aus Sie vor drei Jahren nach Ihrem Pallwarden, oder wie es heißt, versetzt wurden?« »Vor den drei Pallwarder Jahren bin ich ein halbes Jahr im Osnabrückschen gewesen, zur Aushülfe in einer Privatschule für einen erkrankten Freund,« antwortete der Gefragte.
»Ihre Mutter lebt noch?« Siebrand bejahte. Der Pastor hatte einen Stoß Akten genommen und blätterte darin. Lange Zeit war außer dem Ticken einer kleinen Schwarzwälder und dem Rascheln des umgewendeten Papiers nur das leise Stöhnen des Geistlichen zu hören. Siebrand sah sich im Zimmer um. Unter einem Alabasterkreuz auf dem Schreibtisch erkannte er eine Photographie des Hofprediger Stöcker. Siebrand wußte, daß die Menge Kreuze, Spruchtafeln und religiöse Bilder und der segnende Christus über der Tür zur herkömmlichen Ausstattung einer Predigerstube gehörten. Ob aber einer, der mit unbefangenen Menschenkindern zu tun haben wollte, seiner Sache nicht besser diente, wenn pastoraler Eindruck und fromme Stimmung etwas mehr in den Hintergrund kämen … Er beobachtete, wie der Pastor ein Schriftstück zum zweitenmal durchlas, und erkannte seinen bei der Bewerbung eingereichten Lebenslauf. Für einen, der zu lesen verstand, war da zwischen den Zeilen viel mehr zu erfahren als die nüchternen Aufzählungen dieses curriculum. Da stand von seinem Vater, wegen Kränklichkeit mit einem klingenden Titel, aber wenig klingendem Einkommen pensioniert und vor drei Jahren gestorben, und von seiner Mutter, die es sauer genug gehabt hatte ihre sechs Kinder groß zu machen. Bei vier kräftigen Jungens und zwei rotbäckigen Mädels hatte Einnahme und Ausgabe haarscharf berechnet werden müssen, und Hermann, der Älteste, war frühzeitig auf die eigenen Beine gestellt. Dabei hatte ihm der Vater die alte Biedermannsweisheit mit auf den Weg gegeben, daß man mit dem Hut in der Hand am besten durchs Land käme. Das hatte dann ein hartes und wunderliches Hin und Her gegeben zwischen überschäumender Lebenskraft und übergroßer Bescheidenheit. Stipendiatentum und christlicher Verein hatten in letztem Sinn gewirkt; aber seit der Einjährigenzeit, wo er seine Kopfbedeckung aufzubehalten gelernt hatte, waren Selbstbewußtsein und Freiheitsdrang mächtig zum Durchbruch gekommen. Das lag ihm im friesischen Blut. Aber wenn der starkknochige Junge aus seiner gewöhnlichen Gutmütigkeit herausgeriet und die breite Brust schwer zu atmen und die graublauen Augen zu blitzen begannen, dann kamen dem Vater doch manchmal bange Gedanken. War doch des Großvaters friesische Steifnackigkeit schuld gewesen, daß das alte freie Bauerngeschlecht, seit Urgedenken auf dem großen Marschhof an der Wesermündung seßhaft, zur napoleonischen Zeit in Verfall kam. – Von Pallwarden aus hatte Siebrand sein zweites Examen gemacht, doch damit gab's noch keine Aussicht auf eine Pfarrstelle. Spielten Viehzucht und Rassenregister in der Heimat eine bedeutsame Rolle, so pflegte man dort nach dem Witzwort eines alten Amtmanns auch die Menschheit, besonders soweit sie akademische Beamtenschaft war, in Herdbuchleute und »nicht von Familie« einzuteilen. In Hadelworth aber hoffte Hermann Siebrand großzügigere Verhältnisse zu finden als in der Enge der Heimat.
Endlich legte Griepenkerl die Papiere beiseite und widmete sich wieder seinem Besuch.
»Lassen wir's gut sein. Wie ich höre, wohnen Sie bei unseren lieben Holtmanns. Seien Sie dem Herrn dankbar dafür. Von allen Familien in diesem Hadelworth die einzige, die man noch eine christliche nennen darf. Leider, leider Gottes!«
Mit vornübergebengtem Kopf saß er da, stöhnte und sah mit einem kläglichen Gesicht über die Brillengläser hinweg. Siebrand gab sich einen Ruck, um das Gesicht nicht zu verziehen. Auch das mit der so dringlich anempfohlenen Dankbarkeit wollte ihm nicht so ohne weiteres in den Sinn.
»Und nun habe ich noch eine Bitte an Sie, mein teurer junger Freund.« Griepenkerl hatte sich erhoben und trat vor den Rektor hin. Der stand gleichfalls erstaunt auf. »Nicht wahr, Sie treten in das gesegnete Werk ein, das Ihr Vorgänger Voßhoop und ich hier getrieben haben und das leider seit etlichen Wochen hat ruhn müssen? Ich meine den von uns begründeten Jünglingsverein. In etlichen Wochen werden wir dann auch an die Gründung eines Jungfrauenvereins gehn müssen.«
Siebrands wetterbraunes Gesicht verfärbte sich, als ihm diese Botschaft wurde. – – Jünglingsverein? – Bislang hatte er allemal ein Zusammenzucken verspürt, wenn er das Wort hörte oder las. Und nun sollte er selber in dergleichen hineingestellt werden? Er mußte erst Atem holen, als er begann:
»Wenn ich mir die Frage erlauben darf, Herr Pastor – was sind denn das für – – für –« das Wort Jünglinge wollte ihm nicht über die Zunge – »ich meine, was sind das für junge Leute in diesem Verein? Ich habe gar nicht gewußt, daß hier ein solcher Verein ist.«
»Mein lieber junger Freund! Ihre Frage setzt mich in Erstaunen. Es handelt sich um ein kleines aber ernst gesinntes Häuflein junger Christen, das wir innerlich und äußerlich der Welt entnehmen wollen. Jeden Sonntagabend von halb acht bis zehn kommen Sie in meinem Konfirmandensaal mit den jungen Freunden zusammen. – Wenn ich Zeit habe und nicht zu abgespannt bin, stelle auch ich mich ein.«
Bei diesen Worten hatte der junge Kandidat unwillkürlich den Kopf geschüttelt. Es brannte ihm unter den Fingernägeln. Er war als Lehrer der Rektorklasse nach Hadelworth gekommen und nicht als Jünglingsvereinler. Er behielt sich jedoch in der Gewalt, und nur das Zucken seiner Augenwimpern verriet seine Erregung, als er dem Pastor erklärte, keinenfalls könne er unbedingt ja sagen. Er müsse sich die Sache noch überlegen. »Ich wüßte wirklich nicht, was da noch zu überlegen wäre, mein Teurer,« erwiderte Griepenkerl mit seinem mildesten Lächeln. »Nicht wahr, am nächsten Sonntag darf ich in der Kirche ankündigen, daß unser lieber junger Freund gleich seinem treuen Vorgänger sich mit Freudigkeit zum gesegneten Werk unserer Jünglingssache bekennt? Ich werde die Jünglinge sodann gleich auf Sonntagabend einladen.«
Siebrand wiederholte die Bitte, ihm noch einige Tage Bedenkzeit zu geben. »Die Geschichte ist mir zu neu und zu überraschend.« Aber der andere hatte den rechten Arm wie zum Schwören erhoben und trat einen Schritt zurück, die linke Hand auf die Brust gelegt:
»Junger Mann! Junger Mann! Bedenken Sie das ernste Wort unseres Heilands: wer nicht für mich ist, der ist wider mich; wer nicht mit mir sammlet, der zerstreut; wer mich verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater.«
Das war grobes Geschütz, das der Herr Pastor vor dem Sechsundzwanzigjährigen auffuhr. Kleinlaut und unschlüssig nestelte dieser an seiner Uhrkette und sah zu Boden.
»Nun, junger Freund? Ich fasse Ihr Schweigen als Zusage auf. Wahrhaftig, ich wurde bereits irre, ob ich in Ihnen den zukünftigen treuen Seelsorger und lieben Amtsbruder zu erblicken hätte. Ich spreche also in nächster Zeit bei Ihnen vor. Dann wollen wir alles Nähere vereinbaren.«
Siebrand blickte auf und bemerkte, daß der Pastor sich wieder gesetzt hatte. Anscheinend hielt derselbe den Sieg schon für erfochten.
»Es sind ja nur Äußerlichkeiten,« begann er, »aber ich meine, ein Theologe sollte sich doch nicht das Haar so kurz scheren wie die Referendare und sollte nicht einen Schnurrbart tragen wie die Leutnants. Und helle Beinkleider, Herr Kandidat? Helle Beinkleider? Es freut mich indessen, daß Sie wenigstens schwarze Handschuhe angezogen haben. Die Leute hier halten es kaum für der Mühe wert Umstände zu machen, wenn sie zu ihrem Seelsorger gehn. Neulich habe ich das im Kirchenvorstand einmal angedeutet. So ganz beiläufig. Das hat dann einer von unsern Hofbesitzern eiligst ins Lächerliche ziehn wollen. Was tut nämlich der impertinente Mensch, als er neulich mit seiner Frau bei mir Besuch macht? Stellt sich breitbeinig hin und streckt mir seine unangenehme Faust ins Gesicht und spreizt die Finger auseinander, daß er mir beinahe die Augen ausgestochen hätte, und sagt grinsend: »Erlaube mir zu bemerken, Herr Griepenkerl, habe mir heute Handschuhe angeklemmt, zwei Stück, schöne gelbe – alle beide Ihnen zu Ehren, Herr Griepenkerl.« Meine Frau und ich waren starr. Trostlose Leute, die ihrem Seelenhirten so etwas zu bieten wagen!« schloß der entrüstete Pastor.
»So'n Scheusal!« sagte Siebrand und lachte. Vielleicht war der Mann, der da lebhaft gestikulierend vor ihm saß, im Grunde gar nicht so voll gesalbter und gemessener Würde, wie es aussah. Hatte er anscheinend doch auch für fröhliche kleine Menschlichkeiten ein Auge und nicht bloß für geistliche Dinge. Sofort aber wurden seine hoffenden Gedanken verscheucht, als Pastor Griepenkerl ihm die Hand reichte und ihn mit einer segnenden Bewegung entließ. »Der Herr sei mit Ihnen, mein junger Freund.«
Draußen war zu beiden Seiten der Tür reichliche Gelegenheit zur Mildtätigkeit. Eine gewaltige Messingbüchse trug die Aufschrift »für unsere Mission« und ein schwarzlackierter Negerknabe wartete mit gefaltet erhobenen Händen darauf, dankbar mit dem Kopf wackeln zu können, falls man eine Münze in den Kasten steckte.
Beklommen verließ Siebrand das Pfarrhaus. Er ärgerte sich über sich selbst. War er eigentlich überrumpelt und für etwas angeworben, das ihm zuwider lief, oder war er es nicht? Jedenfalls war ihm der Gedanke an den in Aussicht gestellten Jünglingsverein recht unbehaglich. Noch unbehaglicher der im Hintergrund anrückende Jungfrauenverein.
Als er unter dem weißen Nikolaus mit der schwarzen Nase vorüberschritt, mußte er an die munteren Worte des Pastor Elm denken. Wie ein segnend erhobener Arm aussah, das hatte er soeben noch erlebt. Aber den steifen Arm des braven alten Heiligen für segnend ausgestreckt zu halten – dazu gehörte allerdings die blühende Phantasie eines unheilbar Verliebten …
Und doch konnte Hermann Siebrand seit dem Tag, da ihm der steifarmige Nikolaus als Schutzpatron der Seeleute und der Verliebten vorgestellt war, nicht ohne einen kurzen ehrfurchtsvollen Aufblick an der Ostmauer der Kirche entlang gehen. –