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Moltke an seine Braut

Marie Burt, Moltkes Nichte, hatte gerade ihren 16. Geburtstag gefeiert, als der Vierzigjährige um sie anhielt, sogleich auch bestrebt, ihren Geist zu bilden. S. Briefe, Berlin 1902.

Berlin, den 27. Mai 184l.

Mein teures, liebes Mariechen! Da sitze ich nun schon zwei Tage in Berlin ohne Dich. Die Geschäfte des Tages haben Dein liebes Bild in den Hintergrund meiner Seele gedrängt, »doch, wenn in unserer engen Zelle das Lämpchen freundlich wieder brennt, dann wird's im eignen Innern wieder helle, im Herzen, das sich selber kennt,« dann lebst Du in meinen Gedanken, ich sehe Deine freundliche Erscheinung und glaube zuweilen, daß Deine Seele mir nahe ist.

Während der Reise hierher hab' ich Dich auf allen Schritten begleitet, ich folgte Dir an Bord des Dampfschiffes, während der Eilwagen über die preußische Grenze fuhr; als die Sonne unterging, sah ich die schwarze Rauchsäule in den grünen Wiesen bei Itzehoe emporwirbeln. Mama war an der Landestelle Euch entgegengekommen, zu Hause dampfte schon der Tee, mein Platz war leer, aber Ihr gedachtet meiner freundlich und erzähltet, was Ihr in Hamburg gesehen und erlebt. Als Du noch schliefest, rasselte unser Postwagen die Linden herauf, und ich eilte in meine Wohnung. Da mein Prinz nicht mehr hier war, so hatte er seinen Glückwunsch schriftlich hinterlassen,

Tausend herzliche Grüße an Papa und Mama, sowie an Jeannette. Ich hoffe, sie wird uns viel besuchen, denn Du würdest sie doch sehr entbehren. Überhaupt fürchte ich, daß Du Dich anfangs sehr verlassen fühlen möchtest, wenn Du so ganz aus dem liebevollen Kreise scheiden solltest, in welchem Du aufgewachsen bist und wo Dich Alle so lieb haben. Möchte ich Dich doch für alles entschädigen können, was Du um meinetwillen aufgeben mußt. Ja, liebe Marie, ich bitte Gott aufrichtig, daß, wenn ich Dich nicht glücklich machen kann, er mich lieber vorher abruft. Laß uns von beiden Seiten guten Willen und Vertrauen mitbringen und Gott das übrige anheimstellen.

Süße Marie, wenn Du abends nach neun Uhr gegen Süden blickst, so wirst Du einen prachtvollen Stern am Horizont aufsteigen sehen. Es ist derselbe, den meine selige Mutter so oft bewunderte. Ich sah ihn nie, ohne an sie dabei zu denken, und habe den Glauben, daß es mein guter Stern ist. Denke dann an mich.

Du Ärmste mußt nun wohl bald mit Mama alle die Visiten machen, die ich schuldig geblieben bin. Es wird noch öfter Dein Schicksal sein, da zu versöhnen, wo ich mit meinem verschlossenen, oft unfreundlichen Wesen die Leute verletzte. Du sollst überhaupt mein guter Engel sein, und ich nehme mir fest vor, mich zu bessern, damit ich Deiner würdiger werde.

Nun gute Nacht, teure Marie, schlafe süß und sanft.

Berlin, den 6. Oktober 1841.

Wie hübsch magst Du ausgesehen haben in Deinem weißen Kleid mit Atlasbesatz und pink-roses im Haar. Du schriebst bloß von Jeannette: that she looked so sweet, aber Dich selbst hast Du wohl gar nicht im Spiegel gesehen? Aber Du hast mir noch gar nicht genug von Deinem Ball erzählt.

Übrigens ist es hübsch von Dir, daß Du nach dem Taumel eines solchen Abends Dich doch Deines abwesenden alten Freundes erinnert hast. Gewiß, liebe Marie, sehe auch ich mit froher Hoffnung in die Zukunft; denn wenn es ein Glück für mich auf dieser Welt gibt, so ist es mit Dir und für Dich. Erlebe ich, Dich glücklich und zufrieden zu sehen, dann bin ich es gewiß auch. Wenn meine Erwartungen weniger lebhaft sind, so ist es vor allem die Besorgnis, daß die Deinigen getäuscht werden möchten, und weil, je weiter man in diesem Leben vorschreitet, je weniger man von demselben erwarten lernt. Sehe ich Dich aber zufrieden und wirklich glücklich, trotz meiner Verdrießlichkeit, Laune und Empfindlichkeit, so werde ich von selbst eine bessere Meinung annehmen und schon dadurch sehr viel heiterer, klarer und mitteilender werden.

Sonntag, den 10.

Heute ging ich bei dichtem Regen in den Tiergarten, als ich dem Briefträger begegnete, welcher seit dem 9. Mai, vierteljährlich ein paar Sohlen mehr braucht. Zu Hause angekommen, schob ich mir einen Lehnstuhl zurecht, nahm eine Prise, um mich in die allerbeste Laune zu versetzen, und las Deinen ersten deutschen Brief. Herzlichen Dank dafür, gute Marie, und für die vielen interessanten Nachrichten von all den Unsern. Adieu, sweet little Mary. Truly yours for ever.

Berlin. Sonntag abends, den 13. Februar 1842.

Dein lieber Brief vom 10. kam gestern an und erfreute mich sehr, denn Du scheinst heiter und zufrieden und hast wohl vollauf zu tun mit Deiner Einrichtung. Nun sind es nur noch zehn Wochen, dann bist Du mein eigenes, liebes, kleines Frauchen. – Ich wünsche mir recht die Zeit herbei, wenn wir auch so gemütlich beisammen wohnen werden. Gott gebe seinen Segen dazu. Laß uns nur immer aufrichtig miteinander sein und ja niemals schmollen. Lieber wollen wir uns zanken, und noch lieber ganz innig sein. – Du hast wohl gemerkt, daß ich manchmal launisch bin; dann laß mich nur laufen, ich komme Dir doch zurück. Ich will aber sehen, daß ich mich bessere. – Von Dir wünsche ich freundliches und gleichmäßiges, womöglich heiteres temper – – – – – – Nachgiebigkeit in Kleinigkeiten, Ordnung in der Haushaltung, Sauberkeit im Anzuge und vor allen Dingen, daß Du mich lieb behaltest. – Zwar trittst Du sehr jung in einen ganz neuen Kreis von Umgebungen, aber Dein guter Verstand und vorzüglich die Trefflichkeit Deines Gemüts wird Dich sehr bald den richtigen Takt im Verkehr mit anderen Menschen lehren. Laß Dir's gesagt sein, gute Marie, daß Freundlichkeit gegen jedermann die erste Lebensregel ist, die uns manchen Kummer sparen kann, und daß Du selbst gegen die, welche Dir nicht gefallen, verbindlich sein kannst, ohne falsch und unwahr zu werden. Die wahre Höflichkeit und der feinste Weltton ist die angeborne Freundlichkeit eines wohlwollenden Herzens. Bei mir hat eine schlechte Erziehung und eine Jugend voller Entbehrungen dies Gefühl oft erstickt, öfter auch die Äußerung desselben zurückgedrängt, und so stehe ich da mit der angelernten, kalten, hochmütigen Höflichkeit, die selten jemand für sich gewinnt. Du hingegen bist jung und hübsch, wirst, so Gott will, keine Entbehrungen kennen lernen, jeder tritt Dir freundlich entgegen; so versäume denn auch nicht, den Menschen wieder freundlich zu begegnen und sie zu gewinnen. – Dazu gehört allerdings, daß Du sprichst. – Es kommt gar nicht darauf an, etwas Geistreiches zu sagen, sondern womöglich etwas Verbindliches, und geht das nicht, wenigstens fühlen zu machen, daß man etwas Verbindliches sagen möchte. – Das Gezierte und Unwahre liegt Dir fern, es macht augenblicklich langweilig, denn nichts als die Wahrheit kann Teilnahme erwecken. Wirkliche Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit sind der wahre Schutz gegen die Kränkungen und Zurücksetzungen in der großen Welt; ja, ich möchte behaupten, daß bei diesen Eigenschaften eine große Blödigkeit und Befangenheit nicht möglich ist. Wenn wir nicht anders scheinen wollen, als wir sind, keine höhere Stellung usurpieren wollen, als die uns zusteht, so kann weder Rang noch Geburt, noch Menge und Glanz uns wesentlich außer Fassung bringen. Wer aber in sich selbst nicht das Gefühl seiner Würde findet, sondern sie in der Meinung andrer suchen muß, der liest stets in den Augen anderer Menschen, wie jemand, der falsche Haare trägt, in jedem Spiegel sieht, ob sich auch nicht etwas verschoben hat. – Gesteh ich's doch, gute Marie, daß ich diese schönen Lehren von mir selbst abstrahiere. Mein ganzes Auftreten ist nur eine mit Zuversicht und usage du monde übertünchte Blödigkeit. Die langjährige Unterdrückung, in welcher ich aufgewachsen, hat meinem Charakter unheilbare Wunden geschlagen, mein Gemüt niedergedrückt, und den guten edlen Stolz geknickt. Später erst habe ich angefangen, aus mir selber wieder aufzubauen, was umgerissen war; hilf Du mir fortan, mich zu bessern. – Dich selbst aber möchte ich edler und besser, und das ist gleichbedeutend mit glücklicher und zufriedener, sehen, als ich es werden kann. – Sei daher bescheiden und anspruchslos, so wirst Du ruhig und unbefangen sein.

Gerne werde ich es sehen, wenn man Dir recht den Hof macht; ich habe auch nichts gegen ein bißchen Kokettieren. Je mehr Du gegen alle verbindlich bist, je weniger wird man Dir nachsagen können, daß Du einzelne auszeichnest. – Dafür mußt Du Dich in acht nehmen, denn die Männer suchen zu gefallen, erst um zu gefallen, dann um sich dessen rühmen zu können, und Du wirst in der Gesellschaft mehr Witz als Güte finden. Es kann gar nicht ausbleiben, daß ich im Vergleich mit anderen Männern, die Du hier sehen wirst, sehr oft zurückstehen werde. Auf jedem Ball findest Du welche, die besser tanzen, die elegantere Toilette machen, in jeder Gesellschaft, die lebhafter sprechen, die besserer Laune sind als ich. Aber daß Du das findest, hindert gar nicht, daß Du mich nicht doch lieber haben könntest als sie alle, sofern Du nur glaubst, daß ich es besser mit Dir meine, als alle diese. Nur dann erst, wenn Du etwas hast, was Du mir nicht erzählen könntest, dann sei dadurch vor Dir selbst und durch Dich selbst gewarnt. Und nun gib mir einen Kuß, so will ich das Schulmeistern sein lassen.

Noch eins, liebe Marie, wenn Du schreibst, so lies doch immer den Brief, den Du beantwortest, noch einmal durch.

Es sind nicht bloß die Fragen, die beantwortet sein wollen, sondern es ist gut, alle die Gegenstände zu berühren, welche darin enthalten sind. Sonst wird der Briefwechsel immer magerer, die gegenseitigen Beziehungen schwinden und man kommt bald dahin, sich nur Wichtiges mitteilen zu wollen. Nun besteht aber das Leben überhaupt nur aus wenig und selten Wichtigem. Die kleinen Beziehungen des Tages hingegen reihen sich zu Stunden, Wochen und Monaten und machen am Ende das Leben mit seinem Glück und Unglück aus. Darum ist die mündliche Unterhaltung so viel besser als die schriftliche, weil man sich das Unbedeutendste sagt und weniger findet, was zu schreiben der Mühe wert wäre.

Gute Nacht, liebe, süße Seele.


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