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Fichte an Johanna Maria Rahn

Der Zeit von Fichtes fast vierjährigem Brautstand gehören die mitgeteilten schönen Briefe an, in denen der schwer ringende Jüngling sein Innerstes aufschließt. S. J. H. Fichte, J. G. H. Fichtes Leben und literarischer Briefwechsel, Leipzig 1862.

Meine teuerste Freundin!

Kein Wort über die Begier, mit der ich Ihren Brief wie ein Dieb und ungeschickt genug zu mir steckte, mit ihm nach Hause eilte, mich auf mein Zimmer einschloß und ihn nicht, wie ich sonst wol pflege, mit Heißhunger verschlang, sondern mit langsamem Genuße, Zug für Zug hinunterschlürfte!

... noch nie habe ich gegen eine empfunden, was ich gegen Sie empfinde. So ein inniges Zutrauen, ohne Verdacht, daß Sie sich gegen mich verstellen könnten, und ohne Wunsch, mich gegen Sie zu verbergen; so eine Begierde, von Ihnen ganz so gekannt zu sein, wie ich bin; so eine Anhänglichkeit, in die das Geschlecht auch nie den entferntesten merklichen Einfluß hatte – denn weiter ist es keinem Sterblichen vergönnt, sein Herz zu kennen; – so eine wahre Hochachtung für Ihren Geist und Resignation in Ihre Entschließungen habe ich noch nie empfunden. ... Ob ich Sie in der Entfernung von Ihnen vergessen werde? – Vergißt man eine ganz neue Art von Sein und die Veranlassung dazu? Oder werde ich auch einst vergessen, aufrichtig zu sein? Oder wenn ich das vergessen könnte, verdiente ich dann noch, daß Sie sich bekümmerten, wie ich von Ihnen dächte?


Wie viel ungleich Wichtigeres habe ich Ihnen hier mitzuteilen. Sie haben ein Geheimnis, ein unerklärliches Geheimnis, immer stärker und fester an sich zu ketten: meine Anhänglichkeit an Sie entstand nicht urplötzlich, wie sie sonst wol zuweilen entsteht und ebenso plötzlich verschwunden ist. Mein Genius zwar deutete mir, als ich Sie das erste mal sah, ganz leise, daß diese Bekanntschaft für mein Herz, für meinen Charakter, für meine Bestimmung nicht gleichgültig sein werde. Aber sowie ich Sie näher kennen lernte, zog mein Verstand und mein Herz mich immer näher zu Ihnen hin, und jetzt, – zieht sich das Band immer enger zu. – Wie machen Sie das? oder vielmehr, wie mache ich es? – O ich weiß es nur zu wohl! In Ihnen ruht ein Schatz, der sich nur willkürlich eröffnet, der sich nicht ohne Wahl vergeudet; und einer gleichgestimmten Seele eröffnet er sich immermehr und zieht sie an sich.

Den 1. Nov. Abends.

Und so, theuerste Erwählte, gebe ich mich denn Dir feierlich hin und weihe mich hiermit ein, Dein zu sein. Dank Dir, daß Du mich nicht für unwert hieltest, Dein Gefährte die Reise Deines Lebens hindurch zu werden. Ich habe viel übernommen, Dir einst Ersatz – Gott gebe spät – für den edelsten Vater, Dir Belohnung Deiner frühen Weisheit, Deiner kindlichen Liebe, Deiner behaupteten Unschuld, aller Deiner Tugenden zu werden; ich fühle bei dem Gedanken der großen Pflichten, die ich hiermit übernehme, wie klein ich bin. Aber das Gefühl der Größe dieser Pflichten soll mich erheben; Deine Liebe, Deine nur zu vorteilhafte Meinung von mir wird meiner Unvollkommenheit vielleicht das leihen, was mir fehlt. Hienieden ist nicht das Land der Glückseligkeit; ich weiß es jetzt: es ist nur das Land der Mühe, und jede Freude, die uns wird, ist nur Stärkung auf eine folgende heißere Arbeit. Hand in Hand wollen wir dieses Land durchwandern, uns zurufen, uns stärken, uns unsere Kraft mitteilen, bis unsere Geister – o möchten sie es vereint! emporschweben zu den ewigen Hütten des Friedens!


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