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Freiligrath lernte Ida in Unckel am Rhein kennen. Beider Herzen empfanden bald, daß sie für einander bestimmt waren. S. Buchner, F. Freiligrath, Ein Dichterleben in Briefen, Lahr 1882.
19. Mai 1840.
Ich segne die Stunde, in der ich Sie zuerst sah, in der wir uns zuerst ein gegenseitiges Vertrauen schenkten! Oh, welch ein Frühling für mich! Das erste Grün zitterte um die Berge, die ersten Schwalben huschten über den Rhein, als ich Ihnen die »Rose« und die Lieder der Landon schickte. Nachher kamen die Nachtigallen und die Goldkäfer, ich saß in der Laube und sah Sie lächeln durch die Blätter, William und Thekla und Alice zogen an uns vorüber, Lisbeth und Oswald träumten ihr Waldidyll, die Blumen dufteten und der Rhein blitzte – ach, es waren Tage, Stunden, Momente, die mir nie, nie aus der Seele kommen werden. Meine Verhältnisse mögen sich gestalten wie sie wollen – ich bleibe Ihnen gut, Ida, ich will, ich kann Sie nimmer vergessen! Und bei Gott, Ihr Vertrauen zu mir soll Sie nie gereuen; »unser schönes Verständnis soll uns nie Weh statt Wohl bereiten!« – Ich weiß es, wir wandeln auf einer schmalen Grenze; ich weiß aber auch eben so wohl, was Ihnen wie mir durch Pflichten gegen die, welche in der Ferne an uns denken, geboten wird; und wie das Herz auch ringt und blutet, ich bin Mann genug, meinem Gefühle nicht blindlings nachzugeben und in knabenhafter Aufwallung neues Weh auf die zu häufen, die mir die liebsten sind auf der Welt! – Für jetzt sind Sie mir ein heller, lichter Stern, zu dem ich mit liebender Andacht emporblicke, der mir Kraft und Erhebung in die Seele strahlt, wenn ich strauchle, vor dem ich kniee still und fromm und gut! –
2. September 1840.
Im Nachen bis Plittersdorf, von da nach Godesberg.
... auf der Ruine, die ich noch nie bestiegen hatte. Ich habe eine Stunde voll stillen, reinen Glücks, eine Stunde der Einkehr in mich selbst, und des Denkens an Dich gefeiert, wie selten zuvor. Du warst noch nie oben, und so kennst Du auch den kleinen, grünen, buschigen, blumigen Kirchhof nicht, der sich dicht an einer einsamen grauen Wallfahrtskapelle, von der etwas höher gelegenen Turmruine ernst und finster überschaut, in eine der untern, von drei Fensterbreschen malerisch durchbrochenen, Burgmauern hineindrängt. Oh, oh, welch ein schönes, herrliches, trauliches Plätzchen! Nur wenige Gräber, zum Teil von Fremden, die fern von der Heimat am schönen Rhein gestorben sind: aber alle mit Blumen bepflanzt, von Trauerweiden umrauscht, und von herrlichen Linden, die den Burgweg sich hinaufziehen, beschattet. Diese Linden und eine niedrige Mauer, über die ich mich hinüberschwang, fassen den Kirchhof auf einer Seite ein; auf zwei andern schaut er tief hinab in das üppig wogende Laub fruchtbarer Weingärten, und auf der vierten, der Nordseite, enthüllt ein Blick durch eins der Mauerfenster das ganze köstliche, sonnige Rheinland bis Bonn und Köln. In eine dieser Breschen setzt' ich mich hinein, die Sonne neigte sich dem Untergange zu, es war eine Beleuchtung, wie ich sie selten gesehen habe. Dazu rauschten und dufteten die Blumen des Kirchhofs, alles war still, aus der Tiefe scholl kein Laut empor, ich war allein mit Dir und mir. Ich zog Deinen Brief aus der Tasche, ich las und küßte ihn, Gott weiß wie oft, ich betete, ich dankte Gott für Dich, ich war so glücklich. Ich dachte, wie wir uns gefunden hatten; wie Du tief aus Rußland kommen mußtest und ich aus Holland und Westfalen, damit wir uns am Fuß des Drachenfelsen kennen lernten; ich dachte an alle trüben Stunden, die ich Dir schon gemacht, und an alle Tränen, die Du mir schon ins Auge gejagt – ach, und wie nun alles, alles gut wäre, und wie eine glückliche Zukunft voll Liebe und Freude vor uns läge. Dann dachte ich auch der Toten neben mir, und dachte meiner Toten, die ferne von mir ruhen, ohne daß ich ihre Gräber bekränzen kann, und dankte um alles, alles was mir schon wohl und weh getan im Leben – ich weiß nicht – wie mir war – ich war so froh in mir selbst und doch so traurig – ich warf mich der Länge nach ins Gras und weinte bitterlich, die langen Halme schlugen über meinem Kopf zusammen. Ach, wärst Du bei mir gewesen, meine gute, liebe Ida! Da hätt' ich an Deiner Brust geweint, und Du hättest mich nicht gescholten meiner Weichheit willen! Als ich den Kopf emporhob aus dem Grase, da schien mir alles um mich her wie verzaubert, die tiefer gegangene Sonne warf einen märchenhaften, dunkelgelben Schein rings auf die Gegend, und Gras und Blumen schienen voll Taues, denn ich sah sie durch Tränen. Und aus all dem Glanz und all der Pracht leuchtete mir doch nur wieder Dein liebes Bild. Ich stieg den Berg langsam herunter, und kehrte in ernstem Sinnen, aber wunderbar klar und froh, und innerlich gestärkt und getröstet heim. Am Rolandseck schritt ich in der Dämmerung vorüber, und sah nur hinauf nach den beiden Balkonen, wo ich oft so glücklich an Deiner Seite gesessen. Es war 9 vorbei, als ich mich übersetzen ließ. Die Laube und Deine Fenster sahen mich an wie grüßend. Ich habe viel von Dir geträumt diese Nacht.
11. September. Abends .
Soeben komme ich vom Drachenfelsen zurück, den ich in Schückings Gesellschaft bestiegen hatte. Wir machten die Partie zu Fuß über Rhöndorf, und kletterten von letzterem Orte denselben steilen Pfad hinauf, der Dir einst mit Steinäckers so sauer geworden war. Ich dachte nur an Dich, den Weg hinauf und auch oben! Wie unendlich lieb und teuer und wichtig sind mir jetzt alle diese Stellen, die Dein Fuß betreten hat, die ich zum größten Teil mit Dir betreten habe! Drachenfels und Königswinter, Nonnenwerth und Rolandseck, und der ganze liebliche Uferstrich von Mehlem bis an den Unkelstein – alles, alles ist mir durch Dich verklärt! Du hast jedem Plätzchen, jedem Pfade, jedem Felsstück die Weihe gegeben; Du bist mir die Fee der ganzen Gegend; wo ich geh' und stehe, seh' ich nur Dich. Wie oft sitze ich still und einsam auf Groyens oder Küppers Balkon, wie oft schleich ich mich in des Erstern Hause auf das Zimmer mit den bunten Scheiben, wo Du mir am 18. Juni auch die Hand drücktest, und denke an dich, fest und unverwandt! Es geht eine Sage im Volke, daß man durch ein stetes Denken, durch eine heftige unverwandte Sehnsucht die Seele des Entfernten über Berg und Tal, über Meer und Strom zu sich herbeschwören könne! So fest, so glühend, so innig heft' ich all' mein Denken auf Dich, und wenn an jener Sage etwas Wahres wäre, so hättest Du mir längst erscheinen müssen! – Wirst Du nicht gleich vor mich treten auf mein dunkles, von der Lampe nur matt erhelltes Zimmer? – Schlafe wohl, mein süßes, süßes Kind! Meine Seele hält Wacht an Deinem Lager! Schlaf wohl! ...