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Das Manifest der Freiheit des Geistes

Immer wieder aber appelliert der Unerschütterliche, nach allen Enttäuschungen im Irdischen, an die letzte Instanz, an den Geist der Gemeinsamkeit. Am Tage der Unterzeichnung des Friedens veröffentlicht Romain Rolland ein Manifest in der »Humanité«. Er selbst hat es verfaßt, Gesinnungsfreunde aus allen Ländern setzen ihren Namen dazu: es will der erste Grundstein des unsichtbaren Tempels in einer stürzenden Welt werden, das Refugium aller Enttäuschten. Mit gewaltigem Griff faßt Rolland noch einmal die Vergangenheit zusammen und hebt sie der Zukunft warnend entgegen: laut und klar spricht das Wort:

»Uns, Kameraden in der Arbeit am Geiste, trennten seit fünf Jahren Armeen, Zensur, Vorschriften und der Haß kriegführender Völker. Aber heute, da die Schranken zu fallen und die Grenzen sich langsam wieder zu öffnen beginnen, wenden wir Einsamen der Welt uns mit dem bittenden Ruf an Euch, unsere einstige Genossenschaft wieder herzustellen – aber in neuer Form –, sicherer und widerstandsfähiger als früher.

Der Krieg hatte Verwirrung in unsere Reihen getragen. Fast alle Intellektuellen haben ihre Wissenschaft, ihre Kunst und ihr ganzes Denken in den Dienst der kriegführenden Obrigkeit gestellt. Wir klagen niemand an und wollen keinen Vorwurf erheben, zu gut kennen wir die Widerstandslosigkeit des Einzelnen gegenüber der elementaren Kraft von Massenvorstellungen: sie mußten alles hinwegschwemmen, da nichts vorhanden war, an dem man sich hätte halten können. Für die Zukunft jedoch könnten und sollten wir aus dem Geschehenen lernen.

Dazu aber ist es gut, sich an den Zusammenbruch zu erinnern, den die fast restlose Abdankung der Intelligenz in der ganzen Welt verschuldet hat. Die Denker und Dichter beugten sich knechtisch vor dem Götzen des Tages und fügten dadurch zu den Flammen, die Europa an Leib und Seele verbrannten, unauslöschlichen giftigen Haß. Aus den Rüstkammern ihres Wissens und ihrer Phantasie suchten sie alle die alten und auch viele neue Gründe zum Haß, Gründe der Geschichte und Gründe einer angeblichen Wissenschaft und Kunst. Mit Fleiß zerstörten sie diesen Zusammenhang und die Liebe unter den Menschen und machten dadurch auch die Welt der Ideen, deren lebendige Verkörperung sie sein sollten, häßlich, schmutzig und gemein und schufen damit aus ihr – vielleicht ohne es zu wollen – ein Werkzeug der Leidenschaft. Sie haben für selbstsüchtige, politische oder soziale Parteiinteressen gearbeitet, für einen Staat, für ein Vaterland oder für eine Klasse. Und jetzt, da alle Völker, die in diesem Barbarenkampfe gekämpft – Sieger sowohl als Besiegte – in Armut und tiefster uneingestandener Schande ob ihrer Wahnsinnstat verzweifelt und erniedrigt dastehen – jetzt scheint mit den Denkern auch der in den Kampf gezerrte Gedanke zerschlagen.

Auf! Befreien wir den Geist von diesen unreinen Kompromissen, von diesen niederziehenden Ketten, von dieser heimlichen Knechtschaft! Der Geist darf niemandes Diener sein, wir aber müssen dem Geiste dienen, und keinen andern Herrn erkennen wir an. Seine Fackel zu tragen sind wir geboren, um sie wollen wir uns scharen, um sie die irrende Menschheit zu scharen versuchen. Unsere Aufgabe und unsere Pflicht ist es, das unverrückbare Fanal aufzupflanzen und in der stürmenden Nacht auf den ewig ruhenden Polarstern hinzuweisen. Inmitten dieser Orgie von Hochmut und gegenseitiger Verachtung wollen wir nicht wählen noch richten. Frei dienen wir der freien Wahrheit, die, in sich grenzenlos, auch keine äußeren Grenzen kennt, keine Vorurteile der Völker, keine Sonderrechte einer Klasse. Gewiß, wir haben Freude an der Menschheit und Liebe zu ihr! Für sie arbeiten wir, aber für sie als Ganzes. Wir kennen nicht einzelne Völker, sondern nur das Volk, das eine unmittelbare Volk, das leidet und kämpft, fällt und sich wieder erhebt und dabei doch immer vorwärts schreitet auf seinem schweren Wege in Blut und in Schweiß – dieses Volk aller Menschen, die alle, alle unsere Brüder sind. Nur bewußt werden müssen sich die Menschen dieser Bruderschaft; deshalb sollten wir Wissenden hoch über den blinden Kämpfern die Brücke bauen zum Zeichen eines neuen Bundes, im Namen des einen und doch mannigfaltigen ewigen und freien Geistes.«

Hunderte und Aberhunderte haben diese Worte seitdem zu den ihren gemacht, aus allen Ländern haben sich die Besten zu dieser Botschaft bekannt. Die unsichtbare europäische Republik des Geistes inmitten der Völker und Nationen ist errichtet: das Allvaterland. Ihre Grenzen sind jedem offen, der sie zu bewohnen begehrt, sie hat kein Gesetz als das der Brüderlichkeit, keinen anderen Feind als den Haß und den Hochmut der Nationen. Wer ihr unsichtbares Reich zur Heimat nimmt, ist Weltbürger geworden. Erbe, nicht eines einzelnen Volkes, sondern aller Völker, heimisch in allen Sprachen und Ländern, in aller Vergangenheit und aller Zukunft.


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