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Die Tragödien des Glaubens.

(St. Louis, Aërt 1895-1898)

Als zwanzig Jahre nach ihrem ersten Erscheinen Romain Rolland seine verschollenen Jugenddramen unter dem Titel »Les Tragédies de la Foi« 1913 wieder herausgibt, erinnert er in seiner Vorrede an die tragische Düsterkeit der Zeit, in der sie entstanden sind. »Wir waren damals,« sagt er, »viel weiter vom Ziele und viel vereinsamter.« Es war diesen, »weniger robusten aber nicht minder gläubigen Brüdern Johann Christofs und Oliviers« schwerer, ihren Glauben zu verteidigen, ihren Idealismus hochzuhalten, als der neuen Jugend, die in einem erstarkten Frankreich, einem freieren Europa lebt. Noch liegt der Schatten der Niederlage damals über dem Land und sie müssen selbst, alle diese Helden französischen Geistes, kämpfen gegen den Dämon der Rasse, den Zweifel, gegen das Schicksal ihrer Nation, die Müdigkeit des Besiegten. Es ist der Schrei einer kleinen Zeit nach verschollener Größe, ohne Echo von den Bühnen, ohne Resonanz aus dem Volke, ein verlorener Schrei nur in den Himmel hinein, Gläubigkeit zum Glauben des ewigen Lebens.

Diese Glut des Glaubens ist das Geschwisterliche dieses zeitlich und gedanklich so weit verschiedenen Dramenkreises. Romain Rolland will jene geheimnisvollen Ströme des Glaubens die »courants de foi« zeigen, wo eine Begeisterung wie ein Waldbrand das ganze Volk, die ganze Nation ergreift, wo ein Gedanke plötzlich von Seele zu Seele springt, Tausende mitreißt in den Sturm eines Wahns; wo die Windstille der Seelen plötzlich umspringt zu heroischem Tumult, wo das Wort, der Glaube, die Idee – immer aber ein Unsichtbares, Unerreichbares – die ganze schwere Welt beschwingt und emporreißt zu den Sternen. Welcher Idee entgegen diese Seelen brennen, ist gleichgültig, ob wie Ludwig der Fromme für das heilige Grab und Christi Reich, ob wie Aërt für das Vaterland, die Girondisten für die Freiheit, unterscheidet sie im tiefsten nicht: Rollands Idealismus ist ein Idealismus ohne bestimmte Ideale, das Ziel ist ihm immer nur Vorwand, das Wesentliche die Gläubigkeit, die wundertätige, die ein Volk versammelt zum Kreuzzug ins Morgenland, die Tausende aufruft zum Tode für die Nation, opferwillig die Führer sich unter die Guillotine werfen läßt. »Toute la vie est dans l'essor« – »im Aufschwung ist das wahre Leben«, wie Verhaeren sagt: nur was aus Begeisterung um Glauben geschaffen wird, ist schön. Daß alle diese ersten, diese zu früh gekommenen Helden, ihr Ziel nicht erreichen, daß Ludwig der Fromme stirbt, ohne Jerusalem zu schauen, Aërt vor der Knechtschaft in die ewige Freiheit des Todes flüchtet, die Girondisten zermalmt werden von den Fäusten des Pöbels, bedeutet nicht Entmutigung: denn sie alle siegen mit der Seele über eine kleine Zeit. Sie haben den wahren Glauben, den Glauben ohne Hoffnung auf Verwirklichung in dieser Welt; sie sind Fahnenträger gleichen Ideals durch andere Jahrhunderte gegen immer andern Sturm der Zeit, ob sie das Kreuz tragen oder das Schwert, die phrygische Mütze oder das verschlossene Visier. Sie haben eine gleiche Begeisterung: die für das Unsichtbare, und haben einen gleichen Feind: die Feigheit, die Kleinmütigkeit, die Ärmlichkeit, die Müdigkeit der schlaffen Zeit. In einem antiheroischen Augenblick zeigen sie das ewige und allzeitige Heldentum des reinen Willens, den Triumph des Geistes, der Zeit und Stunde besiegt, wenn er nur gläubig ist.

Diesen hingesunkenen Brüdern im Glauben neue zu erwecken in seiner Zeit, den Idealismus, der unaufhaltsam aus der unausbleiblichen Saat einer jeden Jugend quillt, auf zum Geist zu erheben und nicht zur brutalen Gewalt, war Sinn, war das große Ziel jener ersten Dramen Rollands: schon ist in ihnen das ganze moralische Geheimnis seines zukünftigen Werkes – durch Begeisterung die Welt zu ändern. »Tout est bien, qui exalte la vie.« Alles ist gut, was das Leben erhebt. Dieses Bekenntnis Oliviers ist auch das Seine. Nur durch Glut wird das Lebendige erschaffen, nur durch Glaube der Geist Gestalter der Welt: es gibt keine Niederlage, die der Wille nicht überwindet, keine Trauer, die eine freie Seele nicht überfliegt. Wer das Unerreichbare will, ist stärker als das Schicksal, und selbst sein Untergang im Irdischen noch Triumph über sein Los: denn an der Tragödie seines Heldentums entfacht sich neue Begeisterung, die die hinstürzende Fahne aufhebt und weiter trägt durch die Zeiten.


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