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(1898-1902)
Ais Dekalogie, als Folge von zehn zeitlich gebundenen Dramen, etwa im Sinne der shakespeareschen Königsdramen, hatte Romain Rolland diese »Ilias des französischen Volkes« für das zukünftige Theater des Volkes geplant. »Ich wollte«, sagte er in der späteren Vorrede, »in der Gesamtheit dieses Werkes gleichsam das Schauspiel einer Konvulsion der Natur geben, ein soziales Ungewitter vom Augenblicke, wo die ersten Wogen sich aus der Tiefe des Ozeans erheben, bis zu jenem andern, da sie zurückzukehren scheinen und die Ruhe sich langsam wieder über das ewige Meer breitet.« Kein Beiwerk, keine anekdotisch-spielerische Nüance sollte diesen gewaltsamen Rhythmus des Elementaren mildern, »meine Hauptbemühung war, das Geschehnis so weit als möglich von jeder romantischen Intrige zu reinigen, die nur belastet und verkleinert. Ich wollte vor allem jene großen politischen und sozialen Interessen, für die eine Menschheit seit einem Jahrhundert kämpft, beleuchten«. War der Geist Schillers in diesen Gedanken (wie ja überhaupt Schiller dem idealistischen Stil dieses Volkstheaters am nächsten steht), so dachte Rolland hier an einen Don Carlos ohne Eboli-Episoden, einen Wallenstein ohne die Thekla-Sentimentalitäten. Nur die Größe der Geschichte wollte er einem Volke zeigen, nicht die Anekdoten seiner Helden.
Dramatisch als Zyklus war das gigantische Werk gleichzeitig musikalisch gedacht, als Symphonie, als eine Eroica. Ein Präludium sollte es einleiten, ein Schäferspiel, im Stil der Fêtes Galantes. Trianon, die Sorglosigkeit des ancien régime, gepuderte Damen mit Schönheitspflästerchen, lyrische Kavaliere, die tändeln und plaudern. Das Gewitter zieht heran, sie ahnen es nicht. Noch einmal lächelt die galante Zeit, noch einmal glänzt die sterbende Sonne des großen Königs über dem welken goldenen Laub der Gärten von Versailles.
Der »14 Juillet« ist dann der eigentliche Einsatz, die Fanfare. Rasch steigt die Welle auf. »Danton« ist die entscheidende Krise: im Siege beginnt schon die moralische Niederlage, der Bruderkampf. Ein »Robespierre« sollte den Abstieg einleiten, »Le Triomphe de la Raison« zeigt die Zersetzung der Revolution in der Provinz, »Les Loups« in den Armeen. Zwischen den heroischen Dramen war als Entspannung ein Liebesdrama gedacht, das Schicksal Louvets, des Girondisten, der, um seine Geliebte in Paris zu besuchen, sein Versteck in der Gascogne verläßt und als einziger der Katastrophe seiner Freunde entgeht, die hingeschlachtet oder auf der Flucht von den Wölfen zerrissen werden. Den Figuren Marats, St. Justs, Adam Lux', die nur episodisch in den geschriebenen Dramen angedeutet sind, war in den andern größerer Raum zugedacht, und gewiß hätte sich auch die Gestalt Bonapartes über die sterbende Revolution erhoben.
Musikalisch-lyrisch einklingend sollte dies symphonische Werk in einem kleinen Nachspiel verklingen. Im Exil, in der Schweiz, in der Nähe von Solothurn, finden sich die Schiffbrüchigen Frankreichs nach dem großen Sturm zusammen, Royalisten, Königsmörder, Girondisten, und die feindlichen Brüder vereinigen ihre Erinnerungen, eine kleine Liebesepisode ihrer Kinder sänftigt zur Idylle, was als Weltsturm Europa durchschüttert. Von diesem gewaltigen Werke sind nur Fragmente ausgestaltet, die vier Dramen »Le 14 Juillet«, »Danton«, »Les Loups«, »Le Triomphe de la Raison«. Dann gab Romain Rolland den Plan, dem das Volk wie die Literatur und das Theater fremd geblieben war, auf. Mehr als ein Jahrzehnt sind diese Tragödien vergessen gewesen, und vielleicht weckt heute die erwachende Neigung der Zeit, die in dem prophetischen Bilde einer Welt-Konvulsion sich selbst erkennt, in ihm die Neigung, das so groß Begonnene zu vollenden.