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Beethoven

Beethoven, der Meister der Meister, ist die erste Figur in dem Heroenfries des unsichtbaren Tempels. Von frühester Stunde, seitdem die geliebte Mutter ihn die Finger im Zauberwald der Tasten wandern lehrte, war Beethoven Romain Rollands Meister gewesen, Mahner und Tröster zugleich. Und nie ist er ihm, so sehr sich seine Neigung über manche Liebe der Kindheit erhob, fremd geworden: »in den Krisen des Zweifels und der Zernichtung, die ich als Jüngling durchmachte, hat eine Melodie von Beethoven – die ich noch gut weiß – in mir den Funken des ewigen Lebens wieder erweckt«. Allmählich erwacht in dem ehrfürchtigen Schüler die Neigung, den Göttlichen auch in seiner irdischen Existenz zu kennen; Rolland reist nach Wien, sieht dort in dem Schwarzspanierhause (dem seither demolierten) die Stube, wo im Gewitter der Gewaltige hingegangen, er reist nach Mainz zum Beethovenfestspiel (1901) und tritt in Bonn in die niedere Dachkammer, die den Erlöser der Sprache über den Sprachen gebar; erschüttert empfindet er da und dort, aus welcher Enge der äußeren Existenz sich hier das Ewige entrungen. In Briefen und Dokumenten tut sich die grausame Geschichte des Alltags auf, aus dem der große Ertaubte in die Musik der inneren, der unendlichen Sphäre geflüchtet: schauernd begreift er die Größe des »tragischen Dionysos« in unserer nüchternen, harten, eckigen Welt.

Über jenen Beethoventag in Bonn schreibt Rolland einen Aufsatz für die »Revue de Paris«»Les fêtes de Beethoven«. Aber er spürt, wie seine eigene Begeisterung den Anlaß zersprengt, sie will frei fluten als Hymnus, nicht sich eindämmen lassen durch kritische Betrachtung. Nicht den Musikern noch einmal den Musiker erklären, sondern den heroischen Menschen der ganzen Menschheit – das scheint ihm notwendig. Beethoven den Helden zu zeigen, der an das Ende eines unendlichen Leidens den höchsten Hymnus der Menschheit stellt, das gottselige Jauchzen der neunten Symphonie.

»Teurer Beethoven«, so hebt der Begeisterte an. »Genug ... andere haben seine Künstlergröße schon gepriesen, aber er ist viel mehr als der erste aller Musiker. Er ist die heroischeste Kraft der modernen Kunst, der größte und beste Freund all jener, die leiden und kämpfen. Wenn wir traurig sind über das Leiden der Welt, ist er es, der zu uns kommt, gleichsam als setzte er sich an das Klavier einer trauernden Mutter und tröstete die Weinende wortlos im Liede der entsagenden Klage. Und wenn wir müde werden des ewigen nutzlosen Kampfes gegen das Mittelmaß in Laster und Tugend, welche unsagbare Wohltat ist es dann, sich in diesem Ozean des Willens und der Gläubigkeit wieder rein zu baden. Eine Übertragung von Lebensmut, ein Glück des Kampfes geht von ihm aus, die Trunkenheit eines Gewissens, das in sich selbst den Gott fühlt. Welcher Sieg ist diesem gleich, welche Schlacht Bonapartes, welche Sonne von Austerlitz können sich mit dem Ruhm dieser übermenschlichen Anstrengung, diesem leuchtendsten Triumph des Geistes auf Erden messen, den ein Unglücklicher, ein Armer, ein Kranker, ein Einsamer, der Mensch gewordene Schmerz, dem das Leben die Freude verweigert, selbst als Freude erschafft, um sie der Welt zu geben. Er hämmert sie aus seinem Unglück, wie er selbst sagte in seinem stolzen Wort, das sein Leben zusammenschließt und die Devise jeder heroischen Seele ist: Durch Leiden Freude.«

So spricht Rolland zu den Unbekannten. Und am Ende läßt er den Meister selbst aus seinem Leben sprechen: er schlägt das Heiligenstädter Testament auf, wo der Schamvolle einer späteren Welt anvertraut, was er der gegenwärtigen zu verschweigen bemüht war, seinen tiefsten Schmerz. Er offenbart das Glaubensbekenntnis des erhabenen Glaubenslosen, er zeigt in Briefen die Güte, die sich hinter einer künstlichen Rauheit vergebens zu verbergen mühte. Nie war das Menschliche in Beethoven vordem der neuen Generation so nahe geworden, nie so sieghaft der Heroismus dieser einsamen Existenz Zahllosen zur Anfeuerung geworden, wie in dem kleinen Buch, das zum Größten der Menschheit, zum Enthusiasmus, gerade die Verlassensten aufrief.

Und geheimnisvoll: die angerufenen Brüder des Leidens scheinen, da und dort in die Welt verstreut, die Botschaft vernommen zu haben. Es wird kein literarischer Erfolg, dieses Buch, die Zeitungen schweigen es tot, die Literatur geht daran vorbei, aber Menschen, unbekannte fremde Menschen sind davon beglückt, sie geben es weiter von Hand zu Hand, eine mystische Dankbarkeit vereint zum ersten Male Gläubige um den Namen Rollands. Die Unglücklichen haben ein feines Ohr für die Tröstungen, und so sehr ein oberflächlicher Optimismus sie beleidigt, so sehr sind sie empfindsam für die leidenschaftliche Güte des Mitgefühls in diesen Worten. Seit der Veröffentlichung seines »Beethoven« hat Romain Rolland zwar noch keinen Erfolg, aber er hat mehr – er hat ein Publikum, eine Gefolgschaft, die nun treu seinem Werke folgt und die ersten Schritte des Johann Christof in den Ruhm begleitet. Dieser sein erster Erfolg ist gleichzeitig auch der erste Erfolg der »Cahiers de la Quinzaine«; die verborgene Zeitschrift wandert plötzlich von Hand zu Hand, zum ersten Male ist sie genötigt, eine zweite Auflage zu drucken, und Charles Peguy schildert ergreifend, wie das Erscheinen dieses Heftes, das die letzten Stunden Bernard Lazares tröstete (auch eines großen und namenlosen Unglücklichen), »eine sittliche Offenbarung« war. Zum erstenmal hat der Idealismus Romain Rollands Macht über die Menschen gewonnen.

Ein erster Sieg über die Einsamkeit ist errungen: unsichtbare Brüder fühlt Rolland im Dunkel, sie harren auf sein Wort. Nur die Leidenden wollen um das Leiden wissen (und wie viele sind ihrer!); ihnen will er nun andere Gestalten zeigen, gleich groß in anderm Schmerz, gleich groß in anderer Überwindung. Aus der Ferne der Zeiten blicken ihn ernst die Gestalten der Gewaltigen an: ehrfürchtig naht er ihnen und tritt in ihr Leben.


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