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Wie seine Revolutionsdramen, eröffnet Rolland auch den neuen Schaffenskreis mit einem Manifest, einem neuen Aufruf zur Größe. Sein »Beethoven« trägt das Vorwort wie eine Fahne voraus. »Die Luft ist drückend um uns. Das alte Europa erstickt in einer schwülen und unreinen Atmosphäre. Ein Materialismus ohne Größe drückt auf die Gedanken ... die Welt siecht hin in ihrem klugen und feilen Egoismus. Die Welt erstickt, öffnen wir die Fenster! Lassen wir die freie Luft ein. Atmen wir die Seele der Helden.«
Wen nennt Rolland nun einen Helden? Nicht mehr jene, die Massen führen und aufrühren, Kriege siegreich beenden, Revolutionen entzünden, nicht mehr die Männer der Tat und des todzeugenden Gedankens. Er hat die Nichtigkeit aller Gemeinsamkeit erkannt, hat unbewußt in seinen Dramen die Tragödie der Idee dargestellt, die nicht verteilt werden kann unter die Menschen wie Brot, sondern die sich in Hirn und Blut jedes Einzelnen sofort zu anderer Form, oft zu ihrem Widerspiel verwandelt. Wahre Größe ist für ihn nur Einsamkeit, der Kampf des Einzelnen mit dem Unsichtbaren. »Nicht jene nenne ich Helden, die durch Ideen oder durch Macht triumphiert haben. Helden nenne ich nur jene, die groß waren durch ihr Herz. Wie einer von den Größten (Tolstoi) gesagt hat: ich erkenne kein anderes Zeichen der Überlegenheit als die Güte. Wo der Charakter nicht groß ist, gibt es keinen großen Menschen, weder einen großen Künstler, noch einen großen Mann der Tat, es gibt nur Götzen für die Menge, hinstürzend mit der Zeit ... Es handelt sich nicht darum, groß zu scheinen, sondern es zu sein.«
Held also ist, der nicht um das Einzelne des Lebens kämpft, um einen Erfolg, sondern um das Ganze, um das Leben selbst. Wer dem Kampf ausweicht aus Furcht vor der Einsamkeit, ist ein Unterliegender; wer dem Leiden ausweicht und sich mit künstlicher Verschönerung über die Tragik alles Irdischen hinwegtäuschen will, ein Lügner. Nur der Wahrhaftige kennt das wahre Heldentum. »Ich hasse«, ruft er ingrimmig aus, »den feigen Idealismus, der die Augen abwendet von den Traurigkeiten des Lebens und den Schwächen der Seele. Gerade einem Volke, das für die trügerischen Illusionen klingender Worte allzu empfänglich ist, muß man es laut sagen: die heroische Lüge ist eine Feigheit. Es gibt nur einen Heroismus auf Erden und der besteht darin, das Leben zu erkennen – und es dennoch zu lieben.«
Das Leiden ist nicht das Ziel des großen Menschen. Aber es ist seine Probe, der notwendige Filter aller Reinheit, »das schnellste Tier, das zur Vollkommenheit trägt,« wie Meister Eckehart sagt. So wie die Kunst des Leidens Prüfstein ist – »erst im Leiden erkennt man die Kunst wie alles andere recht, erst da wird man jener gewahr, die Jahrhunderte überdauern und stärker als der Tod sind« – so wird dem Großen das Erleiden des Lebens zur Erkenntnis, die Erkenntnis wieder gestaltet sich zu liebesfähiger Kraft. Aber nicht das Leiden selbst schafft schon die Größe: erst die große, die bejahende Überwindung des Leidens. Wer unter der Not des Irdischen zusammenbricht, und noch mehr jener, der ihr ausweicht, bleibt der unfehlbar Besiegte, und in seinem edelsten Kunstwerk wird der Sprung bei diesem Sturze sichtbar werden: nur wer aus der Tiefe aufsteigt, bringt Botschaft in die Höhen des Geistes, nur durch die Purgatorien des Lebens geht der Weg in die Paradiese. Diesen Weg muß jeder allein finden, aber wer ihn aufrecht schreitet, ist ein Führer und hebt die andern in seine Welt. »Die großen Seelen sind wie die hohen Gipfel. Der Sturm peitscht sie, Wolken hüllen sie ein; aber man atmet dort stärker als sonstwo. Die Luft hat dort eine Reinheit, die das Herz von seinen Flecken reinigt; und wenn die Wolken weichen, beherrscht man das Menschengeschlecht.«
Diesen hohen Blick nach oben will Rolland die Leidenden lehren, die noch im Dunkel ihrer Qual sind. Er will ihnen die Höhe zeigen, wo das Leiden elementar und das Ringen heroisch wird. »Sursum corda«, »Empor die Herzen«, hebt der Hymnus an und endet vor den erhabenen Bildern des gestaltenden Schmerzes als des Lebens Lobgesang.