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In diesem zeitlich ersten der vier vollendeten Revolutionsdramen ist die Revolution noch ganz Naturelement. Nicht ein bewußter Gedanke hat sie geformt, nicht Führer haben sie geleitet: in einem blind treffenden Blitz aus schwüler Atmosphäre löst sich plötzlich die ungeheure Spannung eines Volkes. Er schlägt in die Bastille, und der Feuerschein erhellt die Seele der ganzen Nation. Dieses Stück hat keine Helden: der Held ist die Masse selbst. »Die Individuen verschwinden im Ozean des Volkes«, sagt Rolland in der Vorrede. »Um einen Sturm darzustellen, tut es nicht not, jede einzelne Welle nachzuzeichnen, man muß das entfesselte Meer malen. Die peinliche Genauigkeit im Detail ist weniger wesentlich als die leidenschaftliche Wahrheit des Ganzen ... Der Verfasser hat hier mehr die moralische als die anekdotische Wahrheit gesucht.« Tatsächlich ist in dem Werke alles Aufschwall und Bewegung, die einzelnen Figuren gleiten wie im Kinematographen blitzartig vorüber, das Ungeheure der Erstürmung der Bastille geschieht nicht aus einem bewußten Akt, aus der Vernunft, sondern aus einem Rausch, einem Taumel, einer Ekstase.
Darum ist der »Vierzehnte Juli« kein Drama und will es auch eigentlich gar nicht sein. Was Rolland bewußt oder unbewußt vorschwebte, war eines jener fêtes populaires, wie sie der Convent gefordert hatte, ein Volksfest mit Musik und Tanz, ein Epinikion, ein Siegesspiel; und sein Werk ist auch nicht für künstliche Kulissen gedacht, eher als Freiluftdrama. Symphonisch aufgestuft, endet es in Jubelchören, für die der Dichter ganz bestimmte Forderungen an den Komponisten stellt. »Die Musik muß gleichsam der Grund des Freskos sein,« sagt er, »sie muß den heroischen Sinn dieses Festes verdeutlichen und Pausen decken, wie sie eine Statistenmenge nie vollständig ausfüllen kann, die trotz allen Lärmens unweigerlich die Illusion der Lebendigkeit zerstört. Diese Musik müßte sich an jener Beethovens inspirieren, die, stärker als jede andere, den Enthusiasmus der Revolution spiegelt. Vor allem müßte sie aus einer leidenschaftlichen Gläubigkeit entstehen. Keiner wird hier etwas Großes schaffen, wenn nicht die Seele des Volkes und die brennende Leidenschaft, die sich hier darstellt, in ihm selber lebt.«
Was Rolland mit diesem Werke will, ist Ekstase. Nicht dramatische Erregung, sondern im Gegenteil: Überwindung des Theaters, restlose Vereinigung des Volkes mit seinem Bilde. Wenn sich in der letzten Szene die Worte an das Publikum wenden und die Erstürmer der Bastille die Hörer zum ewigen Sieg über die Bedrückung zur Brüderlichkeit aufrufen, so muß diese Idee in ihnen nicht wiederklingen, sondern aus ihrem eigenen Herzen brechen. Der Schrei »Tous frères« – »Seien wir alle Brüder«, muß ein Doppelchoral werden von Sprechern und Zuschauern, die selbst von der heiligen Welle, dem »courant de foi« ergriffen, mitrauschen sollen in der Flut des Jubels. Aus eigener Vergangenheit soll der Funke überspringen in die Herzen von heute: der Rausch soll sie heiß machen und zum Flammen bringen. Wohl bewußt, daß das Wort allein solche Wirkung nicht erreicht, fordert darum Rolland als höhere Magie die Musik, die ewige Göttin der reinen Ekstase.
Jene erträumte Menge war ihm nicht gegeben, auch der Musiker, der annähernd seine Forderungen erfüllte, Doyen, erst nach zwanzig Jahren. Und die Darstellung im Théatre Gémier am 21. März 1902 verklang als verlorener Ruf: nie ist er zum Volke gedrungen, dem er so leidenschaftlich entgegengesandt war. Ohne Echo, fast ärmlich leise, ist dieser Hymnus der Freude im Maschinengewühl der Millionenstadt verhallt, die vergaß, daß es ihre Väter waren, die diese Taten schufen, und daß es ein Bruder ihrer Menschlichkeit war, der sie ihnen ins Gedächtnis rief.