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»Es ist zum Erstaunen, wie sich der
epische und philosophische Gehalt in
demselben drängt. Was innerhalb der
Form liegt, macht ein so schönes Ganze,
und nach außen berührt sie das Unendliche,
die Kunst und das Leben. In
der Tat kann man von diesem Roman
sagen, er ist nirgends beschränkt als durch
die rein ästhetische Form und wo die
Form darin aufhört, da hängt er mit dem
Unendlichen zusammen. Ich möchte
ihn einer schönen Insel vergleichen, die
zwischen zwei Meeren liegt.«
Schiller an Goethe über »Wilhelm
Meister«, 19. Oktober 1796
Auf dem letzten Blatte seines großen Werkes erzählt Romain Rolland die Legende vom heiligen Christophorus. Man weiß: der Fährmann am Ufer ward nachts geweckt von einem Kinde, daß er es über den Fluß trage. Lächelnd nimmt der gute Riese die leichte Last. Aber da er den Strom durchschreitet, wird sie seinen Schultern schwer und schwerer, schon meint er hinsinken zu müssen unter dem immer mächtigeren Gewicht, aber noch einmal rafft er seine ganze Kraft. Und am Ufer im Morgenlicht zu Boden keuchend, erkennt Christophorus, der Träger des Christ, daß er den Sinn der Welt auf seinen Schultern getragen.
Diese schwere lange Nacht der Mühe, Rolland hat sie selbst gekannt. Da er die Last dieses Schicksals, die Last dieses Werks auf seine Schultern nahm, meinte er, ein Leben zu erzählen, aber im Schreiten ward das anfänglich Leichte schwer: das ganze Schicksal seiner Generation, den Sinn unserer ganzen Welt, die Botschaft der Liebe, das Urgeheimnis der Schöpfung trug er dahin. Wir, die wir ihn schreiten sahen, einsam durch die Nacht des Unbekanntseins, ohne Helfer, ohne Zuruf, ohne freundlich winkendes Licht, wir meinten, er müsse erliegen. Und die Ungläubigen verfolgten ihn vom eigenen Ufer mit Hohn und Gelächter. Aber er schritt dahin, die zehn Jahre, indes der Strom des Lebens immer leidenschaftlicher um ihn schwoll, und kämpfte sich dem unbekannten Ufer der Vollendung entgegen. Mit gebeugtem Rücken, aber strahlenden Blicks hat er es erreicht. O lange, schwere Nacht der Mühe, die er einsam ging! O liebe Last, die er den Spätern brachte, von unserem Ufer aus an das noch unbetretene der neuen Welt! Nun ist sie geborgen. Als der gute Fährmann aufblickte, schien die Nacht vorbei, das Dunkel entschwunden. Feurige Röte stand am Himmel des Ostens, und schon meinte er freudig, es wäre der Morgen des neuen Tages, dem er dies Sinnbild des vergangenen entgegengetragen.
Aber es war nur die Blutwolke des Krieges, die Flamme des brennenden Europa, die da tagte und die den Geist der vergangenen Welt verzehrte. Nichts blieb vom heiligen Erbe unseres Wesens als dies Vermächtnis, das hier gläubige Kraft vom Ufer des Einstigen stark herübergerettet hat in unsere neuverwirrte Welt. Der Brand ist gesunken, wieder ist es Nacht geworden. Aber Dank dir, Fährmann, Dank dir, frommer Wanderer, für deinen Weg durch die Dunkelheit, Dank für deine Mühe: Sie hat einer Welt Botschaft der Hoffnung gebracht, für uns alle bist du dahingeschritten durch die schwarze Nacht; denn die Flamme des Hasses wird doch einmal löschen, das Dunkel der Fremdheit doch einmal fallen zwischen den Völkern. Er wird doch kommen, der neue Tag!