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Einsamkeit

So ist dieses Leben mit der ganzen Welt verbunden und tausendfältig wirksam, Wärme ausstrahlend und verbreitend: aber wie einsam sind doch im Letzten diese fünf Jahre des freiwilligen Exils! In einem kleinen Hotelzimmer in Villeneuve am Genfersee wohnt Rolland in tragischer Absonderung: der schmale Raum ist irgendwie jenem in Paris ähnlich geworden, auch hier Bücher, Broschüren übereinandergehäuft, auch hier der kleine schlichte, hölzerne Tisch, auch hier ein kleines Pianino, an dem er in Tönen von der Arbeit ruht. Und an diesem Arbeitstisch vergeht sein Tag, oft auch die Nacht, selten ist ein Spaziergang, selten ein Besuch, denn seine Freunde sind von ihm abgeschlossen, selbst seine greisen Eltern, die geliebte Schwester, können nur einmal im Jahr über die verschlossene Grenze. Und das Furchtbarste dieser Einsamkeit: sie ist Einsamkeit im gläsernen Haus. Von allen Seiten wird der »große Heimatlose« bespäht und belauscht, »agents provocateurs« suchen ihn als Revolutionären und Gesinnungsgenossen auf. Jeder Brief wird gelesen, ehe er in seine Hände kommt, jedes Telephongespräch gemeldet, jeder Besuch überwacht: ein Gefangener unsichtbarer Mächte, wohnt Romain Rolland im gläsernen Kerker.

Wird man es heute noch glauben: in den letzten zwei Jahren des Krieges hat Rolland, auf dessen Wort eine Welt wartet, keine Zeitung, um mehr darin zu veröffentlichen als einige gelegentliche Revuen, keinen Verlag für seine Bücher. Die Heimat verleugnet ihn, er ist der »Fuoruscito« des Mittelalters, der aus den Mauern Verbannte, selbst der Schweiz – je radikaler sich seine geistige Unabhängigkeit bekundet – nicht mehr recht genehm: eine geheimnisvolle Acht scheint über ihm zu schweben. Allmählich weichen die lauten Angriffe einer neuen gefährlicheren Form der Gehässigkeit: ein finsteres Schweigen steht um seinen Namen, seine Werke. Immer mehr der alten Gefährten haben sich zurückgezogen, manche der neuen Freundschaften, besonders mit den Jüngeren, die ganz Politiker aus geistigen Naturen geworden sind, lockern sich: es wird stiller und stiller, je lauter draußen die Welt dröhnt. Keine Frau steht ihm helfend zur Seite, selbst seine besten Genossen, die Bücher, sind ihm unerreichbar ferne, denn er weiß: eine Stunde nur in Frankreich, und die Freiheit seines Wortes wäre dahin. Die Heimat ist eine Mauer, das Asyl ein gläsernes Haus! Und so wohnt er, der Heimatloseste der Heimatlosen, ganz »in der Luft«, wie sein geliebter Beethoven sagte, ganz in den Ideen, im unsichtbaren Europa, allem verbunden und wie keiner allein. Und nichts zeigt größer die Kraft seiner lebendigen Güte, als daß er statt verbittert durch die Erfahrungen, nur gläubiger in dieser schwersten Prüfung geworden ist. Denn gerade die tiefste Einsamkeit unter den Menschen ist die wahre Gemeinsamkeit mit der Menschheit.


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