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Beethoven ist für Rolland die reinste Gestalt des Leidbezwingers. Zur Fülle geboren, scheint er berufen, die Schönheit des Lebens zu verkünden: da zerbricht das Schicksal dem Körper das edelste Organ der Musik, wirft den Mitteilsamen in den Kerker der Taubheit. Aber der Geist erfindet sich neue Sprache, aus der Finsternis holt er sich das Licht, anderen dichtet er den Hymnus an die Freude, den sein zerschlagenes Ohr selbst nicht vernimmt. Doch nur eine von den vielen Formen des Leidens ist die körperliche, die hier das Heldentum des Willens bewältigt, »das Leid aber ist unendlich, es nimmt alle Formen an. Bald wird es durch die blinde Willkür des Geschickes bedingt: Unglück, Siechtum, Ungerechtigkeit des Schicksals, bald hat es seinen tiefsten Grund im eigenen Wesen. Dann ist es nicht weniger beklagenswert, nicht weniger verhängnisvoll, denn man wählt nicht seine Natur, man hat das Leben nicht so begehrt, nicht verlangt, zu sein, was man geworden ist.«
Dies ist nun die Tragödie Michelangelos, den das Unglück nicht inmitten des Lebens überfällt, sondern dem es eingeboren ist, der den Wurm, den nagenden des Mißmuts, von der ersten Stunde an im Herzen trägt und dem er durch die achtzig Jahre seines Lebens mitwächst, bis das zerfressene Herz stille steht. Melancholie ist die schwarze Tönung all seines Gefühls: nie klingt rein – wie so oft aus Beethoven – der goldene Ruf der Freude aus seiner Brust. Aber seine Größe ist: dies Leiden auf sich zu nehmen wie ein Kreuz, ein anderer Christus mit der Last seines Schicksals zum täglichen Golgatha der Arbeit zu gehen, müde zu sein, ewig müde des Lebens, und doch nicht müde zu werden des Werks, selbst ein Sisyphus, der ewige Wälzer des Steins. Allen Zorn und alle Bitternis in den geduldigen Stein zum Kunstwerk zu hämmern. Für Rolland ist Michelangelo der Genius einer großen und entschwundenen Welt: der Christ, der unfreudige Dulder, indes Beethoven der Heide ist, der große Pan im Walde der Musik. In seinem Leiden ist auch Schuld, Schuld im Sinne der Schwäche, Schuld jener Verdammten Dantes im ersten Höllenkreise, die »eigenwilliger Traurigkeit sich hingeben«, er ist bemitleidenswert als Mensch, aber doch wie ein Gemütskranker, weil Widerspruch eines »heldenhaften Genies und eines Willens, der nicht heldenhaft war«. Beethoven ist Held als Künstler und noch mehr als Mensch, Michelangelo nur als Künstler. Als Mensch ist er der Besiegte, ungeliebt, weil nicht selbst der Liebe aufgetan, unbefriedigt, weil ohne Verlangen nach Freude: er ist der saturnische Mensch, unter dunklem Sternbild geboren, aber seinen eigenen Trübsinn nicht bekämpfend, sondern selbstgenießerisch nährend. Er spielt mit seinem Gram: »La mia allegrezza è la malinconia« – »Die Melancholie ist meine Freude« – und bekennt selbst, »daß tausend Freuden nicht eine Qual wert seien«. Wie durch einen finstern Stollen hämmert er sich mit dem Steinbeil von einem Ende seines Lebens bis zum andern einen unendlichen Gang zum Licht. Und dieser Weg ist seine Größe: er führt uns alle näher in die Ewigkeit.
Rolland hat selbst gefühlt, daß dieses Leben Michelangelos ein großes Heldentum umschließt, aber keine unmittelbare Tröstung den Leidenden zu bringen vermag, weil hier ein Mangel nicht selbst mit dem Schicksal fertig wird, sondern noch einen Mittler jenseits des Lebens braucht – Gott, »die ewige Ausflucht all derer, denen es nicht gelingt, in unserer Welt zu leben, ein Glauben, der nichts anderes ist, als mangelnder Glaube an das Leben, an die Zukunft, an sich selbst, ein Mangel an Mut, ein Mangel an Freude. Wir wissen, auf wie viel Trümmern er aufgebaut ist, dieser schmerzende Sieg.« Er bewundert hier ein Werk und eine erhabene Melancholie, aber mit einem leisen Mitleid, nicht mit der rauschenden Inbrunst wie den Triumph Beethovens. Der Freigläubige, der auch in der Religion nur eine Form der Menschenhilfe und Erhebung sieht, wendet sich ab von dem menschenfeindlichen Lebensverzicht, der im Christentum des großen Florentiners liegt. Michelangelo gilt nur als Beispiel dafür, wieviel Schmerz eine irdische Existenz zu ertragen vermag: aber die dunkle Schale der Schicksalswage bleibt lastend auf seiner Seele liegen, es fehlt ihr das Gegengewicht der hellen Schale, die Freude, die allein das Leben wieder zur Einheit macht. Sein Vorbild zeigt Größe, aber warnende Größe. Wer solchen Schmerz in solchem Werk besiegt, ist zwar Sieger, aber doch nur ein halber Sieger: denn es genügt nicht, das Leben zu ertragen, man muß es – höchstes Heldentum – »erkennen und dennoch lieben«.