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Die Gegner

Daß in einer Zeit der Parteien keine Bestrebung undankbarer sein werde, als die zur Unparteilichkeit, darüber gab sich Rolland von allem Anbeginn keinem Zweifel hin. »Die Kämpfer sind heute nur in einem einig: alle jene zu hassen, die sich weigern, mitzuhassen. Wer nicht delirieren will wie die andern, wird verdächtig. Und in diesen Zeiten, da die Justiz sich nicht Zeit nimmt, Prozesse gründlich zu verfolgen, ist jeder Verdächtige schon ein Verräter. Wer darauf besteht, inmitten des Krieges den Frieden zwischen den Menschen zu verteidigen, der muß wissen, daß er seinen Glauben, seinen Namen, seine Ruhe, sein Ansehen und selbst seine Freundschaften aufs Spiel setzt. Aber was wäre eine Überzeugung wert, für die man nichts wagen wollte?« Rolland weiß also, daß der Platz zwischen den Fronten der gefährlichste ist, er weiß, was ihn erwartet, aber gerade die Gefahr stählt sein Gewissen. »Ist es tatsächlich nötig, wie die Volksweisheit sagt, den Krieg im Frieden vorzubereiten, so ist es nicht minder nötig, den Frieden im Krieg vorzubereiten. Diese Aufgabe scheint mir jenen zugeteilt, die sich selbst außerhalb des Gefechtes befinden und die durch ihr geistiges Leben nähere Verbindung mit dem Weltganzen haben – diese kleine Laienkirche, die heute besser als die andere ihren Glauben an die Einheit des menschlichen Gedankens bewahrt hat und für die alle Menschen Söhne des selben Vaters sind. Bringt es diese Überzeugung mit sich, daß wir beschimpft werden, so sind die Beschimpfungen eine Ehre für uns, die wir vor der Zukunft rechtfertigen werden.«

Man sieht: Rolland war sich des Widerspruches im voraus bewußt. Aber die Wut der Angriffe gegen ihn übertrifft in erschreckender Weise alle Erwartungen. Die erste Welle kommt aus Deutschland. Die Stelle im Briefe an Gerhart Hauptmann: »Seid ihr Enkel Goethes oder Attilas?« und einige andere finden zorniges Echo. Ein Dutzend Professoren und literarische Schwätzer fühlen sich sofort bemüßigt, die französische Anmaßung zu »züchtigen«, und in der »Deutschen Rundschau« enthüllt ein engstirniger Alldeutscher das große Geheimnis, daß der Johann Christof unter der Heimtücke von Neutralität der gefährlichste Angriff Frankreichs auf den deutschen Geist gewesen sei.

Aber diesen Wutausbrüchen geben die französischen nichts nach, sobald der Aufsatz »Au-dessus de la Mêlée« oder eigentlich bloß die Kunde davon bekannt geworden war. Denn französische Blätter durften zunächst – wer versteht dies heute noch? – dieses Manifest gar nicht abdrucken; die ersten Fragmente lernte man aus den Angriffen kennen, die Rolland als einen Verderber des Patriotismus an den Pranger stellten, eine Aufgabe, vor der Professoren der Sorbonne und Historiker von Ruf nicht zurückschreckten. Aus den einzelnen Angriffen wurde bald eine systematische Kampagne, statt Zeitungsartikel erschienen Broschüren und schließlich sogar das dicke Buch eines Hinterlandshelden mit tausend Beweisen, Photographien, Zitaten – ein ganzes Dossier, das seine Absicht gar nicht verhehlte, Material für einen Prozeß zusammenzustellen. Die niedrigsten Verleumdungen werden nicht gespart, wie die, Rolland sei während des Krieges dem deutschen Verein »Neues Vaterland« beigetreten, er sei Mitarbeiter deutscher Zeitungen, sein amerikanischer Verleger ein Agent des Kaisers, eine Broschüre beschuldigt ihn der bewußten Fälschung von Daten: und zwischen diesen offen ausgesprochenen Verleumdungen schimmern zwischen den Zeilen noch gefährlichere. Alle Zeitungen, mit Ausnahme einiger kleiner radikaler Blätter, schließen sich zusammen zu einem Boykott, keine Pariser Zeitung wagt eine Berichtigung zu bringen, triumphierend verkündet ein Professor: »Cet auteur ne se lit plus en France«, »dieser Autor wird in Frankreich nicht mehr gelesen«. Ängstlich rücken die Kameraden von dem Verfemten ab, einer seiner ältesten Jugendfreunde, der »ami de la première heure«, jener »Freund von der ersten Stunde«, dem Rolland eines seiner Werke gewidmet hatte, versagt in diesem entscheidenden Zeitpunkt und läßt ein schon vorbereitetes, schon gedrucktes Buch über Rolland ängstlich einstampfen. Auch der Staat zielt immer schärfer auf den Unerschrockenen hin: vergeblich sendet er seine Agenten um »Material«, und in einer Reihe von »Defaitistenprozessen« visiert er deutlich Rolland, dessen Buch der Tiger der Anklageprozesse, Leutnant Mornet, öffentlich »abominable« nennt. Nur die Autorität seines Namens, die Unantastbarkeit seines offenen Lebens, die Einsamkeit seines Kampfes, die sich nie in unreine Gemeinschaft verstrickt, machen den Angebern und Hetzern den wohlbereiteten Plan zunichte, Rolland neben Abenteurern und kleinen Spionen auf der Anklagebank zu sehen.

Mit einer gewissen Mühe – all dieser Irrsinn war ja nur in der überreizten Atmosphäre einer Katastrophenpolitik verständlich – vermag man heute aus jenen Broschüren, Büchern und Pamphleten zu rekonstruieren, was das patriotische Verbrechen Rollands in der Mentalität jener Menschen damals gewesen ist. Aus den eigenen Werken vermöchte auch das phantasievollste Gehirn sich einen »Cas Rolland«, eine »Affäre« nicht mehr zu erklären und am wenigsten den Fanatismus der ganzen französischen Geistigkeit gegen diesen Einzigen, der ruhig und verantwortungsvoll seine Gedanken entwickelte.

Aber dies war schon das erste Vergehen im Sinn jener Patrioten, daß Rolland überhaupt öffentlich über die moralischen Probleme des Krieges nachdachte. »On ne discute pas la patrie«, »man spricht nicht über Dinge, die das Vaterland angehen.« Man schweigt, wenn man nicht mit der Masse reden kann oder will, war ja das erste Axiom der Kriegsethik. Pflicht ist, die Soldaten zur Leidenschaft, zum Haß anzufeuern, nicht zum Nachdenken. Eine Lüge, die Begeisterung erzeugt, taugt im Kriege besser als die beste Wahrheit. Nachdenkender Zweifel ist – ganz im Sinne der katholischen Kirche – ein Verbrechen am unfehlbaren Dogma des Vaterlandes. Die Tatsache allein also schon, daß Rolland über diese Dinge der Zeit nachdenken will, statt die Thesen der Politik zu bejahen, ist keine »attitude française«, keine patriotisch-französische Haltung und stempelt ihn zum »neutre«, zum Neutralen. Und »neutre« war damals Reimwort auf »traître«.

Das zweite Vergehen war, daß Rolland gerecht sein wollte gegen alle Menschen der Menschheit, daß er nicht aufhörte, auch in den Feinden noch Menschen zu sehen, daß er auch bei ihnen zwischen Schuldigen und Unschuldigen unterschied, für die deutschen Leidenden das gleiche Mitleid hatte wie für die französischen und ihnen das Wort »Brüder« nicht versagte. Das patriotische Dogma aber verlangte, daß man auf Kriegsdauer das Humanitätsgefühl abkurble wie einen Motor, die Gerechtigkeit bis zum Sieg suspendiere wie die Worte des Evangeliums: »Du sollst nicht töten«, und pathetisch trägt eine Broschüre gegen Rolland das Motto: »Pendant une guerre tout ce qu'on donne de l'amour à l'humanité, on le vole à la patrie«, »Alles, was man an Liebe während eines Krieges der Menschheit gibt, stiehlt man dem Vaterlande«, – ein Motto, das man freilich auch umdrehen könnte im Hinblick auf die Menschheit.

Das dritte Vergehen – das staatsgefährlichste – für jene Mentalität aber war, daß Rolland im militärischen Siege nicht das Wunderelixier der Moral, des Geistes, der Gerechtigkeit erblicken wollte, daß ihm ein nachgiebiger, ein unblutiger Friede, der eine völlige Versöhnung, eine brüderliche Bindung der europäischen Völker brächte, segensreicher schien als eine blutige Bezwingung, die nur wieder Drachensaaten von Haß und neuen Kriegen zeugte. Nun war in Frankreich – in wunderbarem Parallelismus zum deutschen Wort von den »Flaumachern« und dem »Schmachfrieden« – bei den Parteien, die den Krieg bis zur Vernichtung führen wollten, das Schimpfwort »défaitiste«, »Freund der Niederlage«, für jeden erfunden worden, der einer vernünftigen Verständigung das Wort redete. Und Rolland, der ein ganzes geistiges Leben damit verbracht hatte, der rohen Gewalt höhere sittliche Gewalt entgegenzusetzen, wurde als Vergifter der Kampfmoral, als der »initiateur du défaitisme«, »der Erfinder des Defaitismus«, gebrandmarkt. Als den letzten Vertreter des »sterbenden Renanismus«, als das Zentrum einer sittlichen Macht fühlte ihn der Militarismus und suchte darum seinen Ideen gewaltsam den Sinn zu unterstellen, als wünschte ein Franzose hier Frankreich die Niederlage. Doch sein Wort stand unbeirrt: »Ich will, daß Frankreich geliebt werde, ich will, daß es siegreich sei, aber nicht durch die Macht, nicht bloß durch das Recht (auch das wäre noch zu hart), sondern durch die Überlegenheit seines großdenkenden Herzens. Ich wünschte, daß es stark genug sei, um ohne Haß zu kämpfen und selbst in jenen, die es niederschlagen muß, noch seine Brüder zu sehen, die im Irrtum sind und denen man, sobald sie unschädlich gemacht sind, sein Mitleid bieten muß.«

Auch auf die verleumderischsten dieser Angriffe hat Rolland nie geantwortet. Ruhig läßt er sich schmähen und verunglimpfen, er weiß, daß der Gedanke unantastbar und unverlierbar ist, als dessen Bote er sich fühlt. Menschen hat er nie bekämpft, nur Ideen. Und den feindlichen Ideen hatten längst die eigenen Gestalten geantwortet: sein Olivier, der freie Franzose, der nur den Haß haßte, sein Girondist Faber, der sein Gewissen höher stellte als die Argumente des Patrioten, sein Adam Lux, der seinen Gegner, den Fanatiker, mitleidig fragt: »N'est-tu pas fatigué de ta haine?« »Bist du nicht deinen Haß schon müde?«, sein Teulier – alle die großen Gestalten, in denen sein Gewissen den Kampf der Zeit um zwei Jahrzehnte vorausgekämpft hat. Daß er allein steht gegen fast die ganze Nation, macht ihn nicht irre, er kennt Chamforts Wort: »Es gibt Zeiten, da die öffentliche Meinung die schlechteste aller Meinungen ist.« Und gerade der maßlose Zorn, die hysterische, schreiende und geifernde Wut seiner Gegner bestärkt das Gefühl seiner Sicherheit, weil er in diesem Geschrei nach der Gewalt die innere Unsicherheit ihrer Argumente fühlt. Lächelnd sieht er herab auf ihren künstlich überhitzten Zorn und fragt mit seinem Clerambault: »Euer Weg ist, sagt ihr, der bessere, der einzig gute? Nun, so geht ihn und laßt mir den meinen. Ich zwinge euch nicht, mir Gefolgschaft zu leisten, ich zeige nur, wohin ich gehe. Was regt euch daran so auf? Solltet ihr am Ende fürchten, daß ich recht habe?«


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