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Menschheitsdienst

Dem Vaterlande dienen, indem man der ganzen Menschheit mit seinem Gewissen dient, den Kampf aufnehmen, indem man das Leiden und seine tausendfältige Qual bekämpft, das fühlt Rolland als Pflicht des Künstlers. Auch er verwirft das Abseitsstehen. »Ein Künstler hat nicht das Recht, sich abseits zu halten, solange er den andern noch helfen kann.« Aber diese Hilfe, dieser Anteil darf nicht darin bestehen, die Millionen noch zu bestärken in ihrem mörderischen Hasse, sondern sie zu verbinden, wo sie unsichtbar verbunden sind, in ihrem unendlichen Leiden. Und so tritt auch er in die Reihen der Mitwirkenden, aber nicht die Waffe in der Hand, sondern dem Beispiel des großen Walt Whitman getreu, der im Kriege als Pfleger dem Dienst der Unglücklichen sich hingegeben.

Kaum daß die ersten Schlachten geschlagen sind, gellen schon die Schreie der Angst aus allen Ländern in die Schweiz hinüber. Die Tausende, denen Botschaft von ihren Gatten, Vätern und Söhnen auf den Schlachtfeldern fehlt, breiten verzweifelt die Arme ins Leere: Hunderte, Tausende, Zehntausende von Briefen und Telegrammen prasseln nieder in das kleine Haus des Roten Kreuzes in Genf, die einzige internationale Bindungsstätte der Nationen. Wie Sturmvögel kamen die ersten Anfragen nach Vermißten, dann wurde es selbst ein Sturm, ein Meer: in dicken Säcken schleppten die Boten die Tausende und Abertausende geschriebener Angstrufe herein. Und nichts war solchem Dammbruch des irdischen Elends bereitet: das Rote Kreuz hatte keine Räume, keine Organisation, kein System und vor allem keine Helfer.

Einer der ersten, die damals sich gemeldet haben, Hilfe zu bieten, war Romain Rolland. In dem kleinen hölzernen Verschlag, mitten in dem rasch ausgeräumten Musée Rath, zwischen hundert Mädchen, Studenten, Frauen, ist er, achtlos für seine Zeit und seine eigene Arbeit, durch mehr als anderthalb Jahre täglich sechs bis acht Stunden gesessen an der Seite des Leiters, des wundervollen Dr. Ferrière – dessen hilfreiche Güte namenlosen Tausenden und Abertausenden die Qual des Wartens verkürzt hat – hat Briefe registriert, Briefe geschrieben, eine scheinbar geringfügige Kleinarbeit getan. Aber wie wichtig war jedes Wort jedem einzelnen, der im ungeheuren Weltall des Unglücks doch nur sein Staubkorn Elend fühlte. Ungezählte bewahren heute, ohne es zu wissen, Mitteilungen über ihre Brüder, Väter und Gatten von der Hand des großen Dichters. Ein kleiner ungehobelter Schreibtisch mit einem nackten Holzsessel mitten im Gedränge einer schmucklosen, mit Brettern auf gezimmerten Kajüte, neben hämmernden Schreibmaschinen, drängenden, rufenden, eiligen, fragenden Menschen –, das war Romain Rollands Kampfplatz gegen das Elend des Krieges. Hier hat er versucht, was die andern Dichter und Intellektuellen durch Haß gegeneinanderhetzten, durch gütige Sorge zu versöhnen, wenigstens einen Bruchteil der millionenfachen Qual zu lindern durch gelegentliche Beruhigung und menschliche Tröstung. Er hat eine führende Stellung im Roten Kreuz weder begehrt noch innegehabt, sondern ganz wie die andern Namenlosen dort die tägliche Arbeit der Nachrichten Vermittlung besorgt: unsichtbar war diese seine Tat und darum doppelt unvergeßbar.

Und als ihm dann der Nobelfriedenspreis zufiel, behielt er davon keinen Franken, sondern gab ihn ganz hin zur Linderung des europäischen Elends, damit das Wort die Tat und die Tat das Wort bezeuge.

Ecce homo! ecce poeta!


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