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Luther und die Flüchtlinge.
(Münzer. Pfeiffer. Karlstadt und andere Vertriebene in Franken.)
Die Bewegung in der Kirche war dahin gelangt, daß sie bereits eine große Zahl Flüchtlinge hatte, die sich eben dahin wandten, wohin die aus politischen Gründen Vertriebenen oder Flüchtigen früher schon sich gewandt hatten, die Bundschuher von 1513 und 1514, wie Sickingens Freunde, die geächteten Ritter des Unternehmens von der Ebernburg, und der geächtete Herzog Ulrich von Württemberg; nämlich in die Gegend am Bodensee und Oberrhein.
Schon waren dahin die »neuen Propheten« vorausgegangen; ebenso manche feurige wissenschaftliche Köpfe, wie Hugwald, Oekolampad, Bucer und Andere. Selbst auch Vertriebene, und zum Theil in neuer Amtsstellung, wie Oekolampad, übten die schon Eingesessenen gerne und gastfreundlich das an den Neuangekommenen, 200was sie »nach Gottes Gebot an Schicksalsgenossen und Vertriebenen zu üben schuldig zu sein glaubten.« Oekolampads Schreiben an Pirckheimer aus Basel vom 21. September 1525.
In Oberschwaben und der Schweiz wimmelte es namentlich von solchen, die wegen des Evangeliums ihres Amtes entsetzt, verfolgt, verbannt waren, nicht durch die Katholischen, sondern durch die Evangelischen selbst. Noch hatte sich die Neugläubigkeit nicht zur Kirche herauf gebildet und gefestigt, so war sie schon unduldsam, herrschsüchtig, despotisch, und so zäh geworden, daß sie am Buchstaben hängen blieb, ihre Auffassung der Glaubenslehre, ihre Form des Gottesdienstes als die einzig wahren hinstellte und aufzwang, jeden Widerspruch dagegen, ja jede Abweichung davon als Ketzerei bitter anfeindete und verfolgte.
Luther, den alle diese Vorwürfe treffen, ging sogar so weit, daß er, was er an katholischen Fürsten und Regierungen als gottlose Gewaltthat, als Geistestyrannei schalt, sich ohne Weiteres gegen seine evangelischen wie katholischen Gegner selbst erlaubte. »Gegen ihre Schalkheit und Täuschung, sagt er offen, halte ich, wegen des Heiles der Seelen, mir Alles für erlaubt.« Luthers Schreiben 1525 bei de Wette I. S. 478. Nro. CCL. Die Freiheit der Presse, die er für sich unbeschränkt in Anspruch nahm, verweigerte er seinen Gegnern: er rief gegen Karlstadt, gegen Münzer mit Leidenschaftlichkeit den Arm der Polizei aus, er erwirkte gegen sie von der Regierung Verbote des Schreibens und Druckens ihrer Ansichten, die Beschlagnahme und Vernichtung ihrer Schriften; ihrer Drucker, ja ihre eigene und ihrer Familien Vertreibung aus dem Lande.
Martin Reinhard, Prediger zu Jena, hatte sich Karlstadts gegen Luther mit der Feder angenommen. Luther ruhte nicht, Reinhard mußte fort aus Jena. Weinend nahm dieser Abschied von der Kanzel herab, seine Gemeinde schoß ihm das Reisegeld zusammen; damit zog er mit Weib und Kind nach Nürnberg. Zugleich mit Reinhard vertrieb Luther auch den Doktor Gerhard Westerburg von Köln, als einen Freund Karlstadts, aus Jena. Auch in die Ferne noch verfolgte er sie durch Briefe, die er an den Rath der Stadt, wo sie sich niederließen, schrieb, oder einzelne ihm befreundete 201Rathsglieder: unter dem Scheine, die Stadt zu warnen, stachelte er zur Vertreibung seiner Gegner auch von dieser Zufluchtsstätte auf. Luthers Briefe, de Wette II., 552. 557. 586. 623. 617. 641. Karlstadt selbst auch wurde auf Luthers Betrieb aus den sächsischen Landen verwiesen; er ging zur gleichen Zeit, wie Münzer, an den Oberrhein, nach Straßburg und Basel.
Karlstadts eigentlicher Name war Andreas Bodenstein, und er war aus Karlstadt unweit Würzburg gebürtig. Etwas älter als Luther, auch schon vier Jahre vor ihm theologischer Professor an der Universität zu Wittenberg, später Kanonikus und Archidiakonus an der Stiftskirche, 1511 Rektor, 1512 und öfters Dekan der theologischen Fakultät, hatte er Luther zum Doktor der heiligen Schrift creirt. Er hatte auf mehreren ausländischen Fakultäten studirt, selbst Rom besucht und die römisch-kirchlichen Zustände an der Quelle kennen gelernt. Die Parteileidenschaft der Lutheraner hat ihn nachher so weit verleumdet, daß sie ihn hinstellen wollte als einen Mann, dem selbst die Kenntniß der Grundsprachen gemangelt habe, und doch rühmt Luther selbst von ihm, noch im Jahre 1520, »er sei ein Mann von unvergleichlichen Studien, und habe den Augustinus wunderbar trefflich erläutert.« Von Karlstadts Werk: »Die mystische deutsche Theologie,« urtheilte Luther zu gleicher Zeit, es sei nach der Bibel und nach Augustin das beste Buch. In öffentlicher Rede zu Wittenberg schon im Jahre 1508 pries Doktor Scheurlen Karlstadts ungemeine Kenntnisse im Griechischen und Hebräischen, nannte ihn einen großen Philosophen, einen größern Theologen, und rühmte seinen schönen und alle liebevoll anerkennenden Charakter als Mensch, der darum die allgemeine Liebe und Hochachtung besitze.
Lange gingen Luther und Karlstadt neben einander her, in Freundschaft und gemeinsamem Wirken. War auch Luther das größere, Karlstadt das kleinere Licht, wie der Zeizer Mönch sie beide nennt, so ehrte doch Luther in Karlstadt dessen Ueberlegenheit an gelehrtem Wissen, während Karlstadt an Luther die Ueberlegenheit des Genius und seinen reformatorischen Beruf gerne anerkannte. Sie waren ursprünglich nicht die von Haus aus innerlich ganz verschiedenen Naturen, wie man gewöhnlich meint: so sehr sie auch nachher auseinander gingen, in so Manchem waren sie sich ähnlich, in Licht und 202Schatten: beide waren heftige gewaltsame Naturen, leicht an der Ehre, in ihrem Selbstgefühl verletzt; beide mit reformatorischem Drang, beide aber auch halsstarrig in dem, was sie als Wahrheit erkannt zu haben glaubten; beide waren Männer, die es aufrichtig mit ihrer deutschen Nation meinten, denen es ein rechter Ernst war mit ihrem Streben; beide endlich wurzelten mit ihrem religiösen Leben ursprünglich in der Mystik, Luther aber schwärmte mit dem Herzen in ihren Regionen, Karlstadt mit dem Verstand. In dem Endziel der Reformation gingen sie weit auseinander: Luther wollte durch das neue Evangelium nur die Seelen frei machen, Karlstadt Seele und Leib, das ganze christliche Leben zugleich; Luther langsam, nach und nach, die Leidenschaftlichkeit des eigenen Dranges mit Weisheit mäßigend; Karlstadt rasch darein fahrend, umwerfend; Luther stützte sich bei seinem Streben nach einer Wiedergeburt der Kirche auf die Großen, die Machthabenden; Karlstadt auf das Volk; von unten herauf, vom gemeinen Mann aus wollte er das Leben reformiren. Frühe und tief sein innerstes Wesen ergreifend, war in Karlstadt die Einsicht aufgegangen, wie es mit dem ganzen Wust der scholastischen Theologie nichts sei und mit dem ganzen äußeren Gerüste der christlichen Kirche. Sein scharfsehendes Auge, das sich keinen Nebel vormachen ließ, ohne ihn zu durchdringen, sah in der christlichen Gesellschaft nichts weniger als das wirklich geworden, was er als Wirkungen des Christenthums um sich her preisen hörte, und er äußerte schon in den ersten Jahren der Reformation den Gedanken, selbst die heilige Schrift, ihrem ganzen Inhalte nach in's Volk hinausgegeben, diene zu Uebertretung, Sünde und Tod, und gewähre nicht den wahren Trost, dessen die Seele bedürfe. Er setzte das innerliche Zeugniß des Geistes über das äußerliche Zeugniß des geschriebenen Wortes. Sein kritischer Verstand erkannte vorausnehmend und vorauseilend, was nach drei Jahrhunderten wissenschaftlich so gut als entschieden ist, daß die mosaischen Bücher von Moses nicht ganz verfaßt, vielmehr von den jüdischen Priestern später bearbeitet, und daß namentlich die Evangelien nicht so, wie sie ursprünglich geschrieben waren, sondern vielfach verändert, durch Einschiebsel entstellt auf uns gekommen seien. Löscher Historia motuum, I. 15. So hoch er demungeachtet die heilige Schrift stellte, 203so wollte er nie ihren Buchstaben für bindend erkennen, sie war ihm von Menschen geschrieben, und eben darum sah er in jeder Zeile, da Menschen stets ihre besondern Ansichten und Eigenthümlichkeiten behalten, die Möglichkeit, daß Menschliches, Irrthümliches oder Unlauteres mit untergelaufen sein möchte. Während Luther auf der Wartburg war, kamen die Genossen Thomas Münzers, die Zwickauer Propheten, nach Wittenberg, Karlstadt wurde von ihnen hingerissen. Das neue Reich des Geistes schien ihm angebrochen, Alles, was bisher Brauch war, alles äußerlich Festgesetzte eben damit sein Ende erreicht zu haben. Das Christenthum war ihm nicht mehr Theologie, sondern Lebens- und Volkssache: gelebt, nicht disputirt sollte es werden. Er verwarf öffentlich den ganzen gelehrten Apparat, als unnütz, als schädlich. Er ging in die Buden, in die Werkstätten der Gewerbsleute und besprach sich mit ihnen über ihr Verständniß des göttlichen Wortes. Hier unter diesen von den Vorurtheilen und Nebeln der Theologie unverwüsteten Naturen ekelte ihn das scholastische Wesen erst recht an. Es entstand in ihm der Glaube, alle Menschen müssen, um glücklich zu sein, zur Einfachheit der Natur zurückkehren, und die Gesellschaft von dort aus sich neu bilden. Er erklärte laut Händearbeit für besser und nützlicher, als Stubengelehrsamkeit. Es ward in ihm immer fester, daß der gelehrte Wust den grünen Baum des Lebens wie ein ungeheures Raupennest überspinne, und in der Bitterkeit über das, was er um sich her wahrnahm, vermischte er die wahre Wissenschaft mit der falschen und sprach sich gegen die Wissenschaft überhaupt aus. In fanatischem Eifer verblendete er sich selbst so, daß er gewaltsam die Bilder, die Denkmale der Kunst aus der Hauptkirche that, und sie als »Oelgözen«, als abgöttische Klötze, von der fanatisirten Jugend zerschlagen ließ. Die bilderstürmerischen Unruhen gingen jedoch nur insofern von Karlstadt aus, als er dazu aufreizte. Das Abthun der Bilder, manche Neuerungen im Gottesdienste geschahen mit Zustimmung der Universität und des Magistrats zu Wittenberg: die von Karlstadt fortgerissene Gemeine hatte dem Rath die amtliche Erlaubniß abgenöthigt. Darauf verließ Karlstadt die Universität und ging hinaus zu seinem Schwiegervater, einem ehrsamen Landmann zu Segren, dessen Tochter er seit länger geheirathet hatte. Vor seinem 204Abgang noch hatte er den Rath vermocht, alle Häuser unerlaubter Vergnügungen zu schließen, und an die Mönche im Minoritenkloster erging das amtliche Schreiben, man werde künftig keine Bettler mehr in der Stadt dulden, Bettler dürfe es in der Christenheit nicht geben, daher möchten sich die jüngern Mönche anschicken, eine Kunst oder ein Handwerk zu lernen, die ältern, als Krankenwärter in den Spitälern zu nützen. Karlstadt hatte vorgeschlagen, die Güter der Brüderschaften, die ohnedies verderblich seien, zum Besten der Armen einzuziehen; den Studenten hatte er gerathen, nach Hause zu gehen wie er, und ein Handwerk zu lernen oder das Feld zu bauen; wie der Apostel Paulus sei jeder Prediger verpflichtet, sein Brod durch Handarbeit zu verdienen. Zu Segren zog Karlstadt einen Bauernrock an und arbeitete als Landmann, ließ sich nicht mehr Doktor, sondern Nachbar oder Bruder Andreas nennen. Der allgemeine Taumel, der Wittenberg ergriffen, ließ ihm viele Studenten folgen, die Universität leerte sich. Da entbrannte Luther auf der Wartburg und kam nach Wittenberg zurück, auch Karlstadt kam wieder. Luther erklärte zwar, er sehe nichts sonderlich Unrechtes in den kirchlichen Neuerungen, nur daß der Satan zu sehr auf die Eile gedrungen habe. Es gebühre nicht einem Jeden, Alles, was recht sei, anzufangen, sondern es sei genug, daß Einer das recht thue, was ihm befohlen sei. Luther selber führte nachmals größtentheils die nämlichen Neuerungen ein, welche Karlstadt angefangen hatte; aber es verdroß ihn, daß Karlstadt ihm darin zuvor gekommen war, daß er es ohne ihn unternommen, ihm in sein Reformationswerk eingegriffen hatte. Darum setzte er, was seinem Ansehen und seiner gewaltigen Predigt auch leicht gelang, hier in der Stadt, die ihren Ruhm eigentlich von ihm erst und mit ihm hatte, eine gänzliche Reaction gegen Alles durch, was Karlstadt Neues begonnen hatte. Das war der erste Bruch zwischen beiden: schmerzlich verletzt, ging Karlstadt nach Orlamünde, entschlossen, »es koste Leben oder Tod, um des gräulichen Mißbrauchs und der armen betrogenen Christenheit halben auszubrechen.« Er konnte es nicht länger ansehen, daß »durch falsche Kirchenbräuche die Liebe Gottes erloschen, der Glaube verhindert, die Gewissen mit gräulichem Irrsaal gefangen bleiben, ohne dem Wahn, welchen man in allen Kirchen predigen höre, nach Vermögen zu wehren.« Luthers 205Anhang vertrieb ihn auch aus Orlamünde, wo ihn das Volk mit Freuden empfangen hatte, und Luther setzte es durch, daß ihm öffentliches Reden und Schreiben verboten, seine schon gedruckten Schriften mit Beschlag belegt und unterdrückt wurden. Gegen ihn, dem durch Luther auf diese Art vom Kurfürsten nach Karlstadts eigenem Ausdruck Hände und Füße gebunden waren, schlug Luther als gegen einen aufrührischen, mörderischen Geist, besonders in einer Predigt zu Jena. Karlstadt setzte ihn darob im schwarzen Bären, als er mit vielen Personen, darunter kaiserlichen und markgräflichen Gesandten, zu Tische saß, zu Rede: »Ihr thut mir Gewalt und Unrecht, sagte Karlstadt, daß Ihr mich zu dem mörderischen Geist einbrockt. Ihr habt mich heut in eurem Sermon etwas hoch angetastet, und mit aufrührischen, mörderischen Geistern, wie Ihr sie nennt, in Eine Zahl und Ein Werk eingeflochten, dazu ich nein sage. Wer mich solchen mörderischen Geistern zugesellen will, der sagt mir solches ohne Wahrheit und nicht als ein redlicher Mann nach. Daß ich mit dem Geist des Aufruhrs zu thun habe, dagegen protestire ich öffentlich vor diesen Brüdern allen.« – »Ei lieber Herr Doktor, antwortete Luther, es bedarf deß nicht, ich habe den Brief gelesen, den ihr von Orlamünde dem Münzer geschrieben habt, und habe wohl darin vernommen, daß euch der Aufruhr entgegen und zuwider ist.«
Thomas Münzer hatte auf seine Einladung, die er von Altstedt aus an die Orlamünder schrieb, um sie in ihr Bündniß zu bringen, von Karlstadt einen offenen gedruckten Brief erhalten, worin er die Orlamünder antworten läßt, daß sie mit weltlicher Wehr gegen die Bedränger des Evangeliums nichts zu thun vermögen, Christus habe Petrus auch sein Schwert einzustecken geboten, und ihm nicht gestattet für ihn zu kämpfen. Sie wollen nicht zu Messern und Spießen laufen, vielmehr solle man wider seine Feinde gewaffnet sein mit dem Harnisch des Glaubens. Verbänden sie sich mit ihnen, so wären sie nicht mehr freie Christen, sondern an Menschen gebunden. Das würde ein recht Zettergeschrei dem Evangelium bringen, da sollten die Tyrannen frohlocken und sprechen: diese rühmen sich des einigen Gottes, nun verbinden sie sich Einer mit den Andern, ihr Gott ist nicht stark genug sie zu verfechten!
Ganz nur bisher ein Mann des Studirzimmers und des Katheders, 206trotz seines heißen Bluts ohne Naturanlage zum Volksredner und Volksbeweger, ein Radikaler der Idee, nicht der That, hielt sich Karlstadt noch ganz inner des Kreises der bloß religiösen Neuerungen in Formen und Meinungen, er war kein politischer Revolutionär. Nichts als daß er im groben Bauernrock ging, mit schlechtem weißem Filzhut, und ein Schwert an der Seite. Dennoch schrie Luther fort: Karlstadt treibt Aufruhr mit der Zunge und mit der Feder. Luthers Werke, Altenb. II, 799. III, 50. 52.
Als bald darauf Luther, durch hochfahrende Feindseligkeit gegen Karlstadt und durch ungeschicktes Benehmen gegen die Bürger zu Orlamünde, solche Kränkung sich schuf, daß er nur durch schnelle Abfahrt den Scheltworten und den Steinwürfen des Volks sich entzog, wurden Karlstadt und sein Freund der Prediger Reinhard aus Sachsen verwiesen. Daß Karlstadt die leibliche Gegenwart Christi im Abendmahl läugnete, der Sakramentstreit, den Karlstadt eben damals begonnen hatte, das war es, was Luthern am grimmigsten aufbrachte. Melanchthon, eine Natur, die sich vor jeder stärkern Bewegung, ja vor jedem Luftzug fürchtete, ein noch blutjunger Professor, der wohl unter dem Blätterrauschen seiner durchgelesenen Pergamente und Bücher aufgewachsen war, sich aber nie in die Nähe des rauschenden Lebens gewagt hatte, mußte eine so gewaltsam-saftige, lebensvollblütige Natur, wie die Karlstadts hassen, sich von ihm beängstet, gedrückt fühlen. Er hatte eine Art Entsetzen vor ihm. Er ist verdächtig, schrieb Melanchthon an seinen vertrauten Camerarius, daß er über Deutschland hinblitzen und es bewegen will, nicht wie ein Perikles, sondern wie ein neuer Spartakus. Und er und Luther schrieen und schrieben in die Welt hinaus von Karlstadts aufrührigem Geist, daß, wie dieser selbst sagt, ein Nachbar dem andern über die Gasse ihn als einen Aufrührer zurief. Luther wurde erst recht heftig, als die religiösen Ansichten des vertriebenen Karlstadts am Oberrhein die ersten Männer, selbst Zwingli und die Straßburger, für sich gewannen, oder wie Luther sagt, sein Gift sich überall ausbreitete. Vom Oberrhein wandte sich Karlstadt nach Ostfranken. Markgraf Casimir ließ auf ihn fahnden, man sah ihn zu Schweinfurt, zu Kizingen, in der Umgegend von Rottenburg; in der letztern Stadt nahm er sogar bleibenden Sitz. Es waren Doktor 207Deuschlin, der Pfarrer und Commenthur im deutschen Haus, Christian, »der blinde Mönch,« der Altbürgermeister Ehrenfried Kumpf und andere Bürger, welche ihn heimlich herbergten und bewirtheten, auch seine Schriften heimlich zum Druck beförderten. Besonders lang hielt er sich im Hause Philipps des Tuchscheerers auf. Der Rath der Stadt verbot ihm und seinen Schriften sein Gebiet, aber er blieb. Und indessen bereitete sich der Aufstand im Rottenburgischen vor. Thomas Zweifel Handschrift, Auszüge von Lehmus.
Die freie Prüfung war der Grundgedanke, wovon Luthers Bewegung in der Kirche ausging, und die freie Prüfung der religiösen Wahrheit mußte zur freien Prüfung der politischen Wahrheit von selbst mit Nothwendigkeit führen. Wie Luther die freie Prüfung, mit welcher Andere über ihn hinaus gingen, hemmte, trat er mit seinem Grundgedanken, von dem er selbst ausging, in Widerspruch: er hemmte sein eigenes Werk. Entweder stand Allen das Recht der freien Prüfung zu, die Schreib-, Druck- und Lehrfreiheit; oder stand sie auch Luther nicht zu.
Diejenigen Männer, welche die freie Geistesbewegung der Zeit in andere Richtung und weiter trieb, als Luther, thaten im Grunde nichts, als daß sie für sich und für die Welt das Recht der Gewissens-, Denk- und Rede-Freiheit in Anspruch nahmen und davon Gebrauch machten. Daß die freie Geistesbewegung, sobald sie einmal begonnen hatte, eine Mannigfaltigkeit von Meinungen und Lehren zu ihrem Ausfluß hatte, und auf Bahnen und zu Folgen führte, die Luther weder wollte noch vorhersah, war nur naturgemäß.
Ganz Feuer und Flamme für seine eigene Schöpfung, war er unduldsam, daß die neue Bewegung sich nicht innerhalb des Kreises halten wollte, den er ihr ausgezeichnet hatte. Ueber ihn, welchen Bossuet den Donner und Blitz, der die Welt aus ihrer Starrsucht erweckte, genannt hat, kamen seine Stunden, in welchen er sich von der Gottheit durchdrungen fühlte, und glaubte, nicht er, Luther, sei es, der spreche, sondern Gott spreche durch seinen Mund. Dieser Glauben wurde in ihm dadurch noch erhöht, daß nicht nur viel Volks ihn als »Gottesmann,« als einen Propheten ansah, sondern selbst Gelehrte, wie Jonas und Melanchthon, von ihm als einem »Propheten« sprachen und schrieben. In diesem Gefühl und Glauben 208setzte er sich selbst als eine Autorität: das »Lutherthum« war ein Rückfall in den Autoritätsglauben. Luther kam dahin, daß er, statt diesen zu überwinden und aufzuheben, Dogma mit Dogma, die alten Gewissensbande, die er bekämpft hatte, mit neuen Gewissensbanden ersetzte. Er wollte die neue Geistesbewegung in seiner Person concentriren, ohne sich dessen bewußt zu sein.
Daß er beschränkend, mit Glaubensgesetzen und Glaubensgerichten auftrat, das hatte seinen Grund in dem Auftauchen so vieler theils schwärmerischer, theils rationalistischer Meinungen; er fürchtete, die Duldung derselben werde den christlichen Hauptlehren Gefahr bringen, und der Glaube daran zuletzt verschwinden.
Er selbst hatte das Joch abgeschüttelt, von welchem die Freunde der alten Kirche von je her behaupteten, daß es »allen Arten von Geistern, und besonders so brausenden und stürmischen wie der seinige, nothwendig sei, nämlich das Joch einer gesetzmäßigen Autorität.« Und dennoch glaubte er – so viel Altkirchlichkeit war in ihm noch übrig – Andere bedürfen der gesetzmäßigen Autorität in Glaubenssachen, und einer festen Regel. So entstand das Verfahren gegen Prediger, welche von Luthers Lehrbestimmungen abwichen oder abzuweichen schienen, mit all seiner Härte, und mit den Verdächtigungen, Zänkereien und Verbitterungen, die daraus folgten und nicht christlich waren.
Luther übersah dabei, daß es ein Mannigfaltiges in dem Einen gibt, daß alles dieses Mannigfaltige seine Berechtigung hat; daß seine Entfaltung eine nothwendige ist; und daß Christ ist, was unter dem Kreuze sich sammelt. Karlstadt, Münzer und nicht wenige Andere waren in dieser Berechtigung, wenn sie, auch in Anderem irrend, die christliche Religion, von welcher die Gleichheit vor Gott längst anerkannt war, jetzt ausdehnten und fortführten zur demokratischen natürlichen Gleichheit vor den Menschen. »Der Kreis des Christenthums, sagt der fromme Chateaubriand, ist ein dehnbarer; er erweitert sich mit der Einsicht und der Freiheit, während das Kreuz ewig den unverrückbaren Mittelpunkt andeutet.«
Indem Luther das übersah und diesem Weitergehen entgegen trat, hemmte er selbst die Bewegungen in Kirche und Staat; und indem er gerade die feurigsten Kräfte der geistigen Revolution, statt 209sie friedlich mit sich auszugleichen, feindlich auf einen andern Boden hinaus drängte, half er auch dadurch mit, die politische Revolution zu befördern.
Deutschland, dem die politische »Einheit« fehlte, hatte auch noch das Unglück, in dem Augenblicke, da diese erkämpfbar und erreichbar schien, nicht bloß religiös in ein alt- und neugläubiges Lager gespalten zu werden, sondern auch noch im Lager des neuen Glaubens die bitterste innere Befehdung zu nähren.
Luther vorzüglich hinderte die religiöse Einheit der Bewegung, die wenigstens im Lager des neuen Geistes möglich und nöthig war; er verwarf jede Ausgleichung wie mit Münzer und Karlstadt, so mit Zwingli und Calvin, und wurde eben damit eines der Hindernisse für Erringung der politischen Einheit; er handelte so nicht bloß aus Reizbarkeit und Eigensinn, sondern weil er in der That das Fortrollen der Bewegung, zu der er selbst den stärksten Anstoß gegeben, und ihre ganze Bedeutung nicht begriff.
Von ihm und seiner Partei verfolgt, irrten viele Männer um, ob sie gleich in der Hauptsache dasselbe, was er, verneinten, und, wenn auch auf andern Wegen und in anderer Form, dasselbe, wie er, wollten, nämlich eine Umwandlung in Kirche und Staat. Auf allen Straßen in Oberschwaben sah man des Amtes entsetzte oder verbannte Prediger mit dem Wanderstabe, meist Männer von starrem Charakter, welche an ihre Ueberzeugung Alles setzten, Hab und Gut, Heimath und Amt, im Nothfalle Freiheit und Leben. Es waren Männer: hie und da war wohl einer davon aus Widerspruchsgeist bloß, aus allzugroßem Eifer mehr für Meinungen, als für wesentliche Ideen des Glaubens und des Staatslebens, seinem Schicksale verfallen; aber anerkennenswerth waren auch solche doch immer noch, wegen ihrer Ueberzeugungstreue und ihres Mannescharakters.
So wanderten sie in die Verbannung als Vertriebene; Einzelne auch freiwillig, um ihre Sache auszubreiten; arm und sorglos, ihrem Gott vertrauend, oft ohne einen Groschen in der Tasche zu haben. So waren Münzer, Pfeiffer und Reinhard nach Franken gegangen.
Hier, wo die Beweglichkeit des gemeinen Mannes so eben stark zu Tage getreten war, fanden und machten sie sich und ihrer Lehre Freunde, besonders auch in der Stadt Nürnberg selbst. »Da sieht 210man den Satan umgehen, den Geist von Altstedt!« schrieb Luther, Luthers Briefe, Werke XXI. S. 85. als er von der Bewegung im Nürnbergischen hörte.
Viele vom Volke riethen Münzern, in Nürnberg, wo er eingesessen war, zu predigen. »Ich wollte, schreibt er selbst an einen Freund nach Eisleben, ich wollte ein fein Spiel mit denen von Nürnberg angerichtet haben, wenn ich Lust gehabt hätte, Aufruhr zu machen. Ich antwortete: ich wäre nicht um zu predigen hingekommen, sondern mich durch den Druck zu verantworten. Da das die Herren (des Raths) erfuhren, klangen ihnen die Ohren; denn gute Tage thun ihnen wohl; der Handwerksleute Schweiß schmeckt ihnen süß; gedeihet aber zur bittern Galle.«
Nur Eine Schrift aber konnte er hier in den Druck bringen, seine Vertheidigungsrede wider Luther, grob, wie dieser bei ähnlichen Gelegenheiten, und voll Heftigkeit. »Noch bist du verblendet, schrieb er, und willst doch der Welt Blindenleiter sein? Du hast die Christenheit aus deinem Augustinus mit einem falschen Glauben verwirrt, und kannst sie, da die Noth hergeht, nicht berichten. Darum heuchelst du den Fürsten. Du meinst aber, es sei gut worden, so du einen großen Namen überkommen hast. Du hast gestärket die Gewalt der gottlosen Bösewichter, auf daß sie ja auf ihrem alten Wege blieben. Darum wird dir's gehen, wie einem gefangenen Fuchs. Das Volk wird frei werden, und Gott will allein Herr darüber sein.«
Der Rath zu Nürnberg ließ von dieser Schrift alle Exemplare, deren er habhaft werden konnte, wegnehmen, den Buchdrucker, der die Schrift gedruckt, in's »Lochgefängniß« legen, und Münzer mußte die Stadt verlassen.
Zu Altstedt hatten ihn seine Freunde mit der nöthigen täglichen Nahrung versorgt; jetzt wieder auch von Nürnberg vertrieben, sah er sich genöthigt, an einen Freund zu schreiben: »So ihr's vermöget, helft mir mit einer Zehrung, es sei, was es wolle; aber wenn ihr euch daran ärgern solltet, will ich keinen Heller haben.« Nur seiner Idee lebend, hatte er keinen Gedanken, sich selber zeitlich zu bedenken. Nichts regte ihn mehr an, als das, was er als seinen Beruf in sich fühlte. Für alles Andere war er abgestorben. Als ihm die Nachricht wurde, daß ihm ein Sohn geboren sei, hörte er 211sie schweigend an, und als man ihn darob tadelte, sagte er: »Ihr seht, mich bewegt Nichts mehr, ich bin der Natur entrissen.« Selbst seine zurückgelassenen Freunde waren, als sie ihn so flüchtig und umgetrieben sahen, verzagt, und scheinen ihn abgemahnt zu haben von seinen kühnen Bestrebungen. »Das Aergerniß der Bösen ficht euch zu hoch an, schrieb er. Ach, wie thut ihr, wenn die Larve der hinterlistigen Welt soll untergehen!« Er selbst war unter allen diesen Widerwärtigkeiten sich gleich, voll Zuversicht auf sich, seinen Gott und seine Sache. »Lieber Bruder Christoph, schrieb er, unsere vorgenommene Sache ist dem schönen rothen Waizenkörnlein gleich worden, welches die vernünftigen Menschen pflegen zu lieben, wenn es in ihrer Gewalt ist; aber ist's in die Erde geworfen, so scheint es ihnen nicht anders, als wenn es nimmermehr aufgehen würde. – Es nimmt mich nicht sehr Wunder, daß ich vor der Welt stinke; ich weiß, daß im Schooße mein Name schmeckt, ehe er Aehren gewinnt, es sind aber Gerstenstacheln daran, das Gerstenbrod muß gebrochen werden, das Gesetz wird die Gottlosen umstürzen, es hilft sie ihr Geschrei gar nichts. Hab ich vor einmal gescholten mit Büchsen, will ich nun mit Gott über sie donnern im Himmel, sie haben ihre Büberei lange genug getrieben. – Ich danke Gott, daß ich viel größere Ursache habe wider sie, denn Simson wider die Philister. Mein Herz ist unerschrocken in Gott meinem Heiland. Es wird da kein Bedenken oder Spiegelfechten helfen, die Wahrheit muß hervor. Die Leute sind hungrig, sie müssen und wollen essen. Saul fing auch etwas Gutes an, aber David nach langem Umtreiben mußt' es vollführen. Könnten sie auch Eisen fressen, so will ich sie doch aufs Allergeringste unaussprechlich entbremsen.«
In Nürnberg zu bleiben war von Anfang an nicht Münzers Plan gewesen: es zog ihn nach Oberschwaben und auf den Schwarzwald, wo Aufstände des Landvolkes längst im Gange waren. Man hat irriger Weise schon diese ersten Bewegungen der obern Lande mit Münzers persönlichem Einfluß in Verbindung gebracht. Sie waren Monate lang zuvor ausgebrochen, während Münzer noch im nördlichen Deutschland weilte.