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Der Fürstabt und die Bauern von Kempten.
Ehe vom Schwarzwald bis zum Bodensee der Aufstand Form und Zusammenhang gewinnen konnte, war dies im Allgäu der Fall, in der Abtei Kempten.
279Als durch das Klettgau und die Baar das Feuer in das Hegau und in die Seegegenden fortlief, als bewaffneter Aufstand, bewegten sich die Bauern in Kempten noch immer nur auf dem Boden ihres guten alten Rechts. Hier, wo die Freiheit noch in frischer Erinnerung und ihre Unterdrückung noch nicht so lange her war, hier trat auch jetzt noch im Anfang der gemeine Mann ruhiger auf, besonnener und gemäßigter, als an allen andern Orten, und hier gerade zeigte sich darum das Unrecht der Herrschenden greller als irgendwo; der Despotismus, der das Billigste weigerte, und jedes Gütliche, jedes Rechtserbieten der Regierten mit Hohn und Muthwillen zurückstieß.
Der vorzüglichste Prediger der evangelischen Lehre in Kempten, der Stadt, war Matthias Waibel, der Pfarrer bei Sct. Lorenz.
Waibel gehörte nicht der Bewegungspartei an; er warnte seine Zuhörer vor Empörung; aber er eiferte gegen den Uebermuth und die Ueppigkeit der geistlichen Herren. Darum haßten diese ihn so, daß »sie ihn erstochen hätten, wäre er nicht von seinen Freunden behütet worden.«
Der Fürstabt Sebastian schien, als es in Schwaben zu gähren anfing, einen Augenblick die Furcht der andern Herren zu theilen, und er ließ sich auf ein neues Schiedsgericht ein. Mit einander wählten er und die Landschaft sechs Herren; den Marschall Joachim von Pappenheim zu Rotenstein; Adam von Stein zu Ronsperg; Gordian Seuter und Heinrich Seltmann, die beiden Bürgermeister zu Kempten; Leonhard Kolb, den Bürgermeister zu Wangen, und Matthias Klamer, den Stadtamtmann zu Kaufbeuren. Am Montag nach dem Dreikönigsfeste 1525 sollten durch diese in der Stadt Güntzburg die Parteien in Güte vertragen werden.
Die Abgeordneten der Bauern erschienen auf dem Tag, eben so der Fürst in Person. Aufs Klarste entwickelten und erwiesen die Erstern ihre Beschwerden, aber dem Fürsten war, wie den Herren auf den Tagen zu Stockach und Radolfszell, der Trotz wieder gewachsen, er gab in keinem Punkte nach, und schlug es sogar ab, auf einem neuen Tage nach Ostern zu verhandeln. Die Abgeordneten, mit denen jetzt wie mit den üblichen Rechtsformen der Fürst zum vierzehnten Male sein Spiel getrieben hatte, ließen ihre Bitte durch die Schiedsrichter wiederholen. Adam von Stein brachte aber die Antwort zurück, der Herr Abt wisse weiter nichts mit ihnen zu 280tagen. Da gaben die Abgeordneten an das Schiedsgericht die Erklärung ab, sie wollen und müssen, was hier zu Güntzburg verhandelt worden sei, auch ihres gnädigen Herrn, des Fürsten, letztes Wort, an die gesammte Landschaft bringen.
Sie gingen heim und beriefen an die uralte Mallstadt zu Luibas die Verordneten aller Gemeinden. Aus jeder der siebenundzwanzig Pfarreien, die zu dem Gotteshaus Kempten gehörten, erschienen einige Männer, mit einander zu landtagen. Sie wurden einig, nicht für sich einen Beschluß zu fassen, sondern heimzugehen, jeder in seine Gemeinde und dort zu verkünden, daß auf Montag nach Sebastianstag (dem Namenstage des Abts) alles Volk des kemptischen Landes an der Mallstatt zu Luibas zur allgemeinen Volksversammlung sich stellen solle, zu hören, was auf dem Tage zu Güntzburg gehandelt worden, und zu rathschlagen und zu beschließen, was weiter zu thun sein möchte, auf dem Wege gütlicher Vergleichsversuche, oder auf dem Wege des Rechtes.
Am bestimmten Tage, dem 21. Januar, zogen die Landleute von allen Marken des Stiftes her zur Landesversammlung der Luibas zu: von der Huminfurt, wo zwischen Felsen eingeengt die Iller rauscht, von der steilen Rogginsfluhe des Hauenbergs, von Hellengerst und dem Ißner Wasser, von der Eschach und der Lautrach, von dem Bergwald Hohenrain und dem Sedelbrunnen, vom Bärenbrunnen zu Böhen und dem Ursprung der Mindel, von der Wertach, der Geltnach und der Rotach.
Haufenweise zogen die Bauern, die oberhalb der Stadt im Allgäu saßen, »für Hof« zum Klosterthor hinein durch die Stadt gen Luibas. Ebenso die unterhalb der Stadt Gesessenen. Die im Augsburger Bisthum lagen, zogen durch die Vorstadt. Die Stadt war ihnen offen, darin aus- und einzugehen, um ihr Geld zu essen und zu trinken. Bei der Bürgerschaft ging es nicht ohne üble Reden und Zwist unter sich selbst ab; denn ein Theil hielt es mit den Bauern, ein anderer mit dem Abt. Vom Rathe der Stadt ritten auch einige zu der Landschaft hinaus, als sie zu Luibas versammelt war.
Da lasen nun die Bevollmächtigten der Landschaft alle einzelnen Beschwerden der Versammlung vor, wie sie dieselben aufgesetzt und auf dem Tage zu Güntzburg vorgelegt hatten; entwickelten dann den 281Gang der Verhandlungen und die Fruchtlosigkeit ihres Bemühens, und erklärten, wie jetzt, da des Abtes letzte Antwort jeden Ausweg zu gütlicher Vergleichung verschlossen habe, von ihnen der Weg des Rechtes betreten werden müsse. Dazu haben sie die Landschaft einberufen, nicht um das Gotteshaus zu schädigen, oder Empörung und Gewalt gegen dasselbe zu üben; wer solches wollte oder thäte, der sollte angezeigt und es an ihm geahndet werden.
Höchst schwierig und außerordentlich kostspielig war noch immer, selbst für große Gemeinschaften, das Betreten des Rechtswegs. Um die großen Kosten zu vermeiden, hatte die Landschaft bisher so oft ihre Versuche zu gütlichem Austrage wiederholt. Um das Aufbringen dieser Kosten zu sichern, schlugen die Sprecher der Landschaft jetzt vor, wer dafür sei, daß der Rechtsweg betreten werden solle, möge es jetzt aussprechen, und Alle, die dafür wären, sollen es einander bei Treu und Glauben an Eidesstatt zusagen, die Kosten bis zu Ende tragen zu wollen.
Zu dem Ende hielten zwei Bauern einen Spieß empor; unter diesem sollte Jeder hindurchgehen, der dafür wäre. Nach einander gingen alle Anwesenden hindurch, die unter dem Stifte saßen, Keiner blieb zurück, auch nicht Einer. Nur die vom Rathe der Stadt und Andere, die aus der Nachbarschaft gekommen waren, zuzuschauen und zuzuhören, enthielten sich; denn nur die Gotteshausleute durften hindurchgehen. Daraus wurde ein Dritttheil der jährlichen Herrensteuer zur Bestreitung der Kosten ausgeschieden, und beschlossen, daß auf nächsten Freitag jede Pfarrei Einen oder Zwei aus ihrer Mitte in die Stadt Kempten abordne, um einen Ausschuß zu wählen, der den Rechtsstreit betreibe. Nachdem man noch verabredet hatte, für den Fall, daß gegen die eine oder die andere Gemeinde feindliche Gewalt gebraucht werden wollte, Sturm zu läuten, gingen sie Alle wieder auseinander. Viele Haufen zogen, wie sie hergekommen waren, wieder durch die Stadt, mit Musik und Gesang, mit keckem Muth und »Wohlleben.« Aber ohne die geringste Ausschweifung, alles in Ordnung und Ruhe, zerstreuten sie sich, jeder in seine Mark und seine Hütte. Auszüge aus den landschaftlichen Akten und einer handschriftlichen städtischen Chronik in der Sammlung des Prälaten von Schmid. Aus den landschaftlichen Akten. Haggenmüller S.505—511.
282Diese feste, gesetzliche Haltung der kemptischen Landleute, aus der sie sich durch keine Bedrängniß, durch keine Unbill, durch keine Rechtsverletzung, durch keinen Hohn herausbringen ließen, diese Geduld und Ausdauer, welche, in Masse versammelt und in Waffen, keine andere Hülfe suchte, als im Wege des Rechtes – das ist die Empörung der Kemptner, von der so viele Geschichtschreiber erzählen.
Am 25. Januar traten die Abgeordneten aller Gemeinden in der Stadt Kempten zusammen und wählten den Ausschuß, mit der Vollmacht, im Wege Rechtens die Landschaft gegen ihren ungerechten Herrn zu vertreten. Der Thätigste dabei war Jörg Schmid von Luibas, genannt der Knopf, Im schwäbischen Volke gewöhnliche Bezeichnung für einen untersetzten, leibstarken Mann. der Sohn jenes Schmids von Luibas, der dreißig Jahre zuvor als Sprecher und Bote der Landschaft auf dem Wege zum Kaiser durch meuchlerische Tücke des Gotteshauses verschwunden war. Durch Schuld des Abts war er, der Sohn des Vertrauensmannes der Kemptener Landschaft, so verarmt, daß er als Bleichknecht bei einem Bleicher zu Kempten diente. Aber sein Name und seine Rechtschaffenheit hatten einen guten Klang. Er war der Erste, der in den Ausschuß gewählt wurde; als Zweiter Jörg Täuber von Häusern in der Pfarrei Lauben, ein freier Mann, hätte nicht das Gotteshaus seinen Großvater in die Leibeigenschaft gezwungen; auch seine Ehefrau war ein freies Weib; Abt Johann Rudolf, des jetzigen unmittelbarer Vorgänger, hatte sie mit Gewalt aus ihrer Freiheit gedrungen. Der Dritte im Ausschuß war Konrad Maier von Götzen in der Pfarrei Bezigau.
Diese Drei erließen eine Protestation gegen das Verfahren ihres Herrn des Abtes an den schwäbischen Bund und den Kaiser, worin sie verlangten, daß über ihre Beschwerden rechtlich entschieden werden möge, und sich erboten, alle Renten, Gülten und Zinse, woran der Fürst ein urkundliches Recht nachwiese, diesem ohne Widerrede zu geben, in Erwartung, daß der Bund selbem nicht gestatte, etwas gegen sie vorzunehmen, ehe der Rechtsstreit erledigt wäre. Der Fürst aber klagte seinerseits bei dem schwäbischen Bunde, seine Unterthanen haben eine Vereinigung gegen das Gotteshaus und den Bund gemacht, und forderte dessen bewaffnete Hülfe. Darin, daß seine 283Landleute zum rechtlichen Schutz ihrer alten Freiheiten sich nach altgesetzlicher Befugniß vereinigten, sah er freventliche Empörung.
Wie die Herren anderswo, so lange sie sich in der Enge fühlten, so führten die Bundesräthe zu Ulm eine begütigende Sprache; sie schickten Gesandte an die kemptische Landschaft und verhießen, ihre Beschwerden in Güte oder durch rechtlichen Entscheid auszugleichen. Die Bundesräthe waren sogar zuvorkommend; denn schon hatte sich auf drei neuen Punkten ober- und unterhalb Ulms der Aufstand erhoben.