Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

240

Zwölftes Kapitel.

Th. Münzer und Pfeiffer in Oberschwaben.

Nach seiner Verweisung aus Nürnberg waren ihm in die oberen Lande längst seine Boten vorausgegangen. Er wählte, wie er selbst sagt, diesen Weg, um die Lage der Dinge daselbst kennen zu lernen, den Aufstand der obern Lande zu benützen, und für sich Raum zu gewinnen. Münzers Bekenntniß. Er zog sich durch Schwaben hinauf in den Klettgau und in den Hegau. In Basel, im Zürchischen, im Elsaß zeigen sich seine Spuren. Karlstadt war auch hier am Oberrhein. Sehr wahrscheinlich ist, daß Münzer auch von Pfeiffer in diese Gegenden begleitet wurde, und daß dieser mit seiner klaren und scharfen Feder hier thätig war.

Mehrere Wochen lang nahm Münzer seinen Sitz im Klettgau, in dem Dorfe Griessen, von wo aus er in die Nachbarschaft, namentlich in die Landgrafschaft Stühlingen Ausflüge machte, um in seinem Sinne zu arbeiten. Bullinger, Füßli, Ott, Münzers eigenes Bekenntniß. Zu Basel schon hatte er über das Thema gepredigt, wo unglaubige Regenten, sei auch unglaubig Volk, es müsse anders werden. Im Klettgau und Hegau predigte er viel von der Erlösung Israels: die Stunde sei nahe, da der Herr sein Volk heimsuchen, sein Reich der Heiligen, sein tausendjähriges Reich aufrichten und die Christenheit ein Volk von Brüdern sein werde. Er schrieb und verbreitete Flugschriften im Druck gegen die Tyrannei der Herren. Die bereits zuvor gährenden, großentheils schon in wirklichem Aufstande begriffenen Gemeinden dieser obern Lande baten ihn, bei ihnen zu bleiben, was jedoch nicht in seinem Plane lag. Auch gelehrte Männer standen ihm zu, namentlich Conrad Grebel, Sohn eines Rathsherrn zu Zürich, und eben jener Doktor Balthasar Hubmaier, der Prediger zu Waldshut.

Es war gegen Ende Oktober 1524, als Münzer auf dem Walde erschien, und im November begannen die Bewegungen unter den Bauerschaften dieser obern Lande ernstlicher als das erste Mal. Die österreichische Regierung wurde unter solchem Handel bedenklich und zögerte mit ihrem Angriff auf Waldshut. »Dieser Handel, schrieb 241man ihr, ist ganz beschwerlich anzusehen, und zu befürchten, es möchte ein Landeskrieg daraus erwachsen. Hier oben steht es wild, seltsam und sorglich.«

Jünger Münzers durchzogen noch zahlreicher als zuvor die obern Gegenden, und verbreiteten seine neue religiös-politische Lehre. Sie mußte dem Bauern mehr zusagen als die lutherische und zwinglische. Die Zahl der Prädikanten war nach dem Bericht eines Augenzeugen in St. Gallen so groß, daß man an Sonn- und Feiertagen nirgends hingehen konnte, ohne allenthalben auf Haufen von Bürgern und Landleuten zu stoßen, die einem Prediger zuhörten, und unter diesen Predigern erkannte man am groben Kleid und breiten grauen Filshut sogleich viele als Wiedertäufer; sehr Viele, die zuvor lutherisch gewesen waren, fielen jetzt diesen zu. »Da, da, sprach ein Bauer zum andern, das ist das recht Evangeli. Lueg, lueg, wie hant die alten Pfaffen gelogen und falsch geprediget, man sollt die Buben alle zu todt schlagen, wie hant sie uns also herrlich betrogen und beschissen!« Bald getraute sich kaum noch ein Priester in seinem langen schwarzen Kleide bei einem solchen Bauern- und Bürgerhaufen vorüberzugehen. Fridolin Sicher's Bericht bei Ildefons v. Arx. Auch im Allgau wimmelte es von Wiedertäufern. Chronik v. Kempten.

Das Volk war durch gar Mancherlei zur selben Zeit aufgeregt. Selbst die Natur schien aus ihrem Geleise getreten, und ungewöhnliche Erscheinungen am Himmel und auf Erden, und noch mehr deren Auslegungen und Deutungen verrückten den Leuten den Kopf. Bald wollte man um die Sonne drei Kreise und eine brennende Fackel dabei gesehen haben, bald um den Mond zwei Kreise und ein Kreuz in der Mitte. In Ungarn sollten bei Nacht gekrönte Häupter am Firmament im Gefechte mit einander gesehen worden sein; am Rhein, hieß es, habe man am hellen Mittag ein großes Getümmel und Krachen der Waffen in der Luft gehört, als geschehe eine Feldschlacht. Da und dort wurden die seltsamsten Mißgeburten in dem Thierreich geboren. An etlichen Orten sah man die Störche, an andern die Krähen und Dohlen heftig Streit führen. Man hörte von Erdbeben in den südlichen Ländern; in Schwaben, Baiern und Oesterreich wütheten pestartige Seuchen, in der Stadt Kempten im Allgäu allein starben von 1521 bis 1523 über 1600 Menschen daran. Wolkenbrüche, Kometen 242und Umkehrung der Jahreszeiten kamen dazu: es war einmal in den letzten drei Jahren der Winter so warm gewesen, daß das arme Volk barfuß wie um Michaelis ging, und das Gewürm und die Fliegen wie im Sommer umkrochen und flogen; im Februar hatten die Kirschen geblüht, und an den Bäumen waren alle Sprossen angeschwollen und geschwängert. Um Ostern aber war kalter Winter eingetreten. In Folge der schweren Ungewitter hatten die Früchte fühlbar aufgeschlagen, in allen obern Landen begann sich ein wahrer Nothstand bei dem gemeinen Manne anzumelden. Das Alles wurde auf seltsame Dinge gedeutet, die erst kommen sollten. Man konnte ohne Zeichen und Prophetengabe aus der Lage der Dinge schon seit Jahren eine gewaltige Umwandlung voraussagen. Doch verdient angemerkt zu werden, daß nicht bloß Volkspropheten weissagten, sondern daß die vom Glauben der Zeit als hohe Wissenschaft geehrte und bewunderte Astrologie das Jahr 1524 als den Zeitpunkt festgesetzt hatte, wo »eine solche Aenderung vor sich gehen werde, dergleichen nie gehört worden.« – »Die Astrologen mögen wahr reden,« schrieb am Anfange des Jahres 1520 der bairische Kanzler Eck an seinen Herzog, »nach Schickung aller Läufe. Es ist nicht möglich, daß das Feuer, so allenthalben jetzt angezündet, ohne Schaden zergehe.« Schreiben des Kanzlers an Herzog Wilhelm v. 13. Januar 1520 bei Jörg 316. Eine der Volksweissagungen, die seit länger umliefen, hieß: Wer im 1523sten Jahr nicht stirbt, 1524sten nicht im Wasser verdirbt, und 1525 nicht wird erschlagen, der mag wohl von Wundern sagen. Handschriftliche und gedruckte Chroniken.

Mit solchen Dingen im Kopf stand er da, der gemeine Mann, vor den herausfordernden Prädikanten, hier einer mit bleichen, hagern Wangen und mit Augen, aus denen der Zorn blitzte, daß außer ihm auch sein Weib und seine Kinder hungern sollten; dort einer, dem die lange Sklaverei, die ewige Frohne alle Kraft entzogen zu haben schien, und der nur gebückt aufhorchte; hier aber voran, hart am Prediger und seinem Munde, sehnigte aufgerichtete Gestalten, voll Kühnheit in Blick, Schritt und Ausgriff; dort im Hintergrund Gruppen, Einer dem Andern erzählend, wie es ihm bisher schlecht gegangen, und sich auf bessere Zeiten die Hände schüttelnd. Manchem 243gefiel die Predigt, weil sie das Feuer wieder anblies, das erlöschen wollte, und weil es dann Rache und Raub gab. Wenige gewiß standen und horchten aus bloßer Neugier und Müßiggang. Der Raum für die Zuhörer war ein unbeschränkter; denn nicht oder nur selten in Kirchen, in der Regel im Freien wurde die neue Lehre gepredigt; bei der großen Linde vor dem Ort, im Felde, auf freien Wiesen, auf einem Hügel, am Waldessaum, liebten sie, wie die ersten Verkündiger des Evangeliums der Armen, ihre Kanzel aus dem Stegreif sich zu schaffen. Münzer selbst weilte gegen drei Monate in den obern Landen; Pfeiffer ging früher nach Mühlhausen zurück.


 << zurück weiter >>