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Dreizehntes Kapitel.

Ursachen des steigenden Drucks.

Ueber den ganzen Süden des Reiches hin, von den Ufern des Rheins bis zu den Karpathen, hatten die Waffen des Herrenthums den Widerstand des gemeinen Mannes besiegt. Die Ruhe schien allenthalben hergestellt.

Die auf das Herz des Fürsten gerichteten Geschosse der Bauern im Remsthal, die mit adeligem Blute gerötheten Ruinen so vieler Herrensitze in den windischen Alpen waren laute warnende Rufe an die Mächtigen, vom Unrecht zu lassen. Es gab wohl auch Einige, die mit Furcht und Zittern in solchen Vorgängen den Finger Gottes erkannten, und die sich durch die augenblickliche Ruhe nicht täuschen ließen: der Sturm war von der Oberfläche verschwunden, aber sie hörten sein Sausen wohl, unterirdisch, unter ihren Füßen.

Wie wenig schon zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts in Folge der Aufstände die Verständigeren unter den Herren das, was Noth that, und die von dem Volke ihnen, wenn sie sich nicht mäßigen, augenscheinlich drohenden Gefahren mißkannten, dafür spricht eine Urkunde des schwäbischen Bundes v. J. 1492. Der König hatte den Ständen Schwabens zum Behuf einer Kriegsbeihülfe eine bedeutende Schatzung ihrer Unterthanen angemuthet. Sie aber entzogen sich diesem Anmuthen. »Denn, sagten sie, in dieser Art und im Land Schwaben haben die Dinge die Gestalt, daß die Unterthanen ihren Herrschaften schon so mit Gülten und Zinsen verpflichtet sind, daß in derselben Vermögen nicht steht, einige fernere Schatzung oder Geld zu geben, oder die Herrschaften müßten ihre jährlichen Zinse, Renten und Gülten verlieren; etliche Unterthanen sind gefreit, und ist gemeiniglich die Gewohnheit in Schwaben, daß es in der Obrigkeit Vermögen nicht steht, sie weiter als um die gewöhnlichen Renten, Gülten und Zinse anzulegen. Wollten die Bundesstände dieses dennoch thun, so würden sich die Ihrigen wider ihre Herrschaft setzen, abwerfen und bei Andern Rücken suchen.«

Aber die Verständigeren auf dem Reichstage waren nicht die 123Mehrheit der Herren im Reiche. Deren Leichtsinn und Härte blieben sich nicht bloß gleich, sie steigerten sich.

Der vornehmste Grund zu den steigenden Bedrückungen des gemeinen Mannes lag neben der Lust, immer über mehr Herr sein zu wollen, hauptsächlich in dem Luxus, der in den letzten Zeiten sich weit verbreitet hatte, und sehr schnell und sehr hoch gestiegen war.

Theilweise war dieser Luxus in den geistlichen Herrensitzen althergebracht, besonders so weit er Essen und Trinken, gut Leben betraf, und er wuchs nur und änderte sich mit der Zeit in seinen Gegenständen. In den Burgen und Schlössern des niedern und hohen Adels war er neu, bis zum letzten Drittel des vierzehnten Jahrhunderts wenig oder nicht gekannt.

Er kam von den Städten und von Außen herein. Mit der steigenden Wohlhabenheit, der natürlichen Folge regen Handels und Gewerbes, war auch der Luxus in den Städten gestiegen, und Märkte, Reichs- und Fürstentage brachten Beides in dieselben, noch größeren Geldumlauf, und Gelegenheit und Reiz, den bürgerlichen Reichthum zu zeigen. Nicht nur Rathsherren und Männer in andern städtischen Würden, sondern die Bürger überhaupt trugen Perlen auf ihren Hüten, an ihren Wämsern, Hosen, Röcken und Mänteln, goldene Ringe an den Fingern, Gürtel, Messer und Schwerter mit Silber beschlagen; alle Arten von Kleidern, mit Silber, Gold oder Perlen gestickt, die Stoffe von Sammt, Damascat oder Atlas, seidene Hemden zierlich gefältelt und goldene Borten darauf; Unterzug und Umschlag von Zobel, Hermelin und Marder an Hüten, Mänteln und Röcken. Natürlich war der Luxus des schönen Geschlechts noch viel größer. Frauen und Jungfrauen der Städte durchflochten ihre Zöpfe und Locken mit reinem Gold, umhingen sich mit Geschmeide, und trugen Perlen, goldene Kronen oder gold- und perlengestickte Hauben auf ihrem Haupte. Ihre Gewande waren von den edelsten Stoffen, von Sammt, Damascat oder Atlas, mit Gold und Perlen gestickt oder eingewirkt, den Unterzug von Zobel oder Hermelin, und unter Allem goldeingewirkte Hemden.

Wenn der Ritter von seiner Burg herab die städtischen Festlichkeiten als Gast besuchte, wenn die Edeldame bei den Turnieren auf den golddurchwirkten Teppichen saß, welche der bürgerliche Rath den 124edeln Zuschauerinnen unterbreitete, und sie die köstliche Garderobe der ehrbaren Frauen und Jungfrauen um sich her sah, welche diese oft drei und viermal des Tages wechselten, so wollte sie nicht hinter denselben zurückbleiben, und so that es, so weit es gehen wollte, Burgherr und Burgfrau den Ehrbaren in der Stadt nach oder noch darüber.

Der Bürger hatte Geld und Gut, der Adelige in der Regel, nichts als Güter. Der größte Theil seines Vermögens bestand in liegenden Gütern, Häusern, Hofraithen oder berechtigten Bauplätzen, welche an Bauern verliehen waren, von denen er gewisse Zinse und Gülten bezog. Nun aber kostete ein gewöhnliches Frauenkleid 9 bis 10 fl., zu gleicher Zeit da der Morgen Land um 2 bis 3 fl., 83 Morgen guter Boden, steuer- und zehentenfrei, um 400 fl. verkauft wurden. In solchem Mißverhältnisse waren die Preise der Luxusartikel und die Preise des Bodens und der Bodenerzeugnisse. Und doch war die Kleiderpracht nur ein Theil des allgemeinen Luxus. Es war die Zeit, wo der Handel die Genüsse und Stoffe aller Länder in das Reich hereinführte, oder das Gewerbe und die Kunst der deutschen Städte selbst Erzeugnisse aller Art hervorbrachten.

Es hatte zudem seit Jahrhunderten Manches zusammen gewirkt, daß der Adel, der hohe wie der niedere, in seinen Vermögensumständen herabkam. Dahin gehören von manchem Hause die Schenkungen an die Kirche, und andere Arten, auf welche sich die Klöster, Güter weltlicher Herren zuzuwenden wußten. Es gehören dahin die Zerstücklung des adeligen Grundbesitzes, und bei Vielen die schlechte Bewirthschaftung desselben. Sie vernachlässigten aus Vorurtheil die Landwirthschaft. Selbst große Güter warfen den Grundherren nur geringes Einkommen ab, und dieses noch überdies höchst zerstückelt. Immer wiederkehrender Mangel an baarem Geld war die nothwendige Folge davon.

Der Edle aber, der Geld bedurfte, fiel in schlimme Hände, gleich schlimm, ob es Juden, Klöster oder Städtebürger waren, bei denen er seine Anleihen machte. Zehn, fünfzehn, ja zwanzig Procent mußte er leiden, trotz aller Sicherheit des Unterpfandes, bei jedem Gültverkauf, und konnte er den Termin des Rückkaufs nicht einhalten, so war die Gült oft ewig verloren. Ausstattungen von Töchtern, Ausrüstungen von Söhnen, Feldzüge und Turniere, festliche 125Gelegenheiten machten auch dem sparsameren edeln Hausvater größern Aufwand nothwendig. Mancher aber rechnete Verschwendung zur Ehre des Adels.

Während aber selbst die einfacheren Bedürfnisse zunahmen oder sich vertheuerten, jedenfalls also die Ausgaben stiegen, minderte sich oder versiegte manche Quelle, woraus der Adel bisher Einkünfte und Zuflüsse geschöpft hatte.

Das Schießpulver zehrte auf mancherlei Weise am Vermögen des Adels, indem es ihm Einnahmen abschnitt und schwere Kosten verursachte: Das letztere, indem jetzt eine Burg festere Mauern, kostspielige Geschütze und Büchsenmeister nöthig hatte, und zur Fehdezeit leicht ein Schloß durch die Karthaunen zusammengeschossen wurde, das früher für unbezwinglich galt; Das erstere, indem dadurch die Art des Kriegswesens verändert wurde; denn es verschaffte dem Fußvolk, das schon vor der Erfindung des Pulvers als besonders tüchtig im Kampfe sich erwiesen hatte, jetzt den entschiedenen Vorzug vor der Reiterei. Der Kriegsdienst um Sold war eine Hauptverdienstquelle des Adels gewesen. Das Fußvolk, aus Bauern geworben, der Landsknecht, diente weit wohlfeiler als der Ritter.

So floß diese Quelle nur noch schwach, und der Landfrieden, die Reichsgesetze schwächten auch eine zweite, sonst ergiebige Quelle, den kleinen Krieg, d. h. das Fehdewesen, und das ritterliche Gewerbe, sich wegelagernd an reichen Städten zu erholen, das faustrechtliche Beutemachen. Die Fehden, eine vielhundertjährige Erwerbsquelle der ritterlichen Lehensmannen, nahmen seit langer Zeit ab, theils von selbst, theils dadurch, daß die strengen Landfriedensgesetze seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts oft sehr nachdrücklich vollzogen wurden, besonders durch den schwäbischen Bund. So warf der große und kleine Krieg dem Adel nicht mehr das ab was früher; der Fürstendienst am Hofe kostete meist mehr, als er eintrug; nur Zweierlei blieb zu ergreifen, um die Ausfälle redlich zu decken, die Landwirthschaft und die Wissenschaften, zu welchen beiden aber Wenige sich wandten.

Wollten nämlich die Adeligen die Vogteien, die sie bisher inne gehabt, ihre Sitze als Räthe an den Fürstenhöfen und am Kaiserhof fort behalten, so mußten sie studiren. Denn die Fürsten fingen theilweise an, die Doktoren, die wissenschaftlich Gebildeten bei der Wahl 126ihrer Räthe vorzuziehen, und nur solchen Gehalte zu geben. Und mitten unter dieses Versiegen alter Erwerbsquellen und das Hervorbrechen neuer Bedürfnisse und Ausgaben drang, Alles mit sich fortreissend, jene Prachtliebe und Genußsucht herein, wie sie zuvor nie gekannt oder erhört war. Es war ein Taumel, ein böser Geist, der vom Kaiserhof bis herab zum Dienstmann alles im Nu besessen hatte.

Da konnte es nicht anders kommen, als daß man immer weiter und weiter hinabdrückte und erpreßte, nicht mehr um der Hab- und Herrschsucht, nur noch um dem unmäßigen Aufwand genügen zu können.

Unheilvoll in so mancher Hinsicht, besonders aber auch in Hinsicht seiner Bedrückungen, war für den gemeinen Mann das Aufkommen des römischen Rechtes. Seit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts entschieden Doktoren nach römischem Recht an den fürstlichen Hoflagern und Gerichtshöfen. Den Kopf voll von römischer Gesetzgebung und römischen Verhältnissen, unwissend im alten deutschen Recht und alten deutschen Zuständen, verwirrten und verwechselten diese Einheimisches und Fremdes, und verwandelten durch ihre Sprüche den freien Zustand Einzelner und ganzer Gemeinden in einen unfreien, wie durch Hunderte von Urkunden nachgewiesen werden kann, und nachgewiesen worden ist, z. B. von Arndt in Bezug auf Pommern. Diese juristischen Neulinge waren die eifrigsten Handlanger für die Anmaßungen und Uebergriffe der Herren. Es ist ein Volk, das seyndt Juristen,
          wie seyndt mir das so sölliche Christen!
Sie thunt das Recht so spitzig bügen
          und könnens wo man will hinfügen –
Darnach wirt Recht fälschlich Ohnrecht;
          das machet manchen armen Knecht.

                    Th. Murner, Schelmenzunft.
Der wahre Sinn der alten deutschen Zustände wurde von ihnen entweder nicht begriffen, oder absichtlich ignorirt und verdreht, und wo sie nur eine entfernte Aehnlichkeit zwischen deutschen und römischen Verhältnissen herausfanden, wurde der Paragraph des römischen Rechts darauf angewandt. Fand sich bei Zinsbauern irgend ein Merkmal, das mit der eigentlichen Leibeigenschaft gleich war, z. B. bei den Wachszinsigen der Sterbfall, so wurden sie ohne Weiteres unter 127die Leibeigenen klassifizirt und das römische Rechtskapitel von der Knechtschaft auf sie angewandt. Ebenso wurden die römischen Paragraphen von Pachtungen bei Streitigkeiten über deutsche Bauerngüter zu Grunde gelegt, und so die Gesetze, die auf ganz grundverschiedene Verhältnisse gemacht waren, zur Verkehrung des Rechts, zur Unterdrückung der Freiheit mißbraucht. So sprachen die Herren bald überall nur von Leibeigenthum und Eigenhörigkeit, und bei jedem Streite legten sie die Analogie der Leibeigenschaft zu Grunde. Sie fühlten sich und betrugen sich als Herren nicht nur auf ihren Gütern, wo sie das, was ihnen früher die Gemeinden nur auf ihr, von den zugezogenen Hofschöppen unterstütztes Ansuchen bewilligt hatten, jetzt ohne Weiteres für sich forderten, sondern auch auf den Landtagen, wo vorzüglich sie die Gesetze und Entscheidungen über bäuerliche Verhältnisse berathen und abfassen halfen, und mit ihnen die neurömischen Doktoren.

Es galt so wenig für Schimpf oder für Sünde, seine Unterthanen zu drücken, daß derselbe christliche Biograph den Grafen Johann Truchseß zu Sonnenberg in Einem Athemzuge einen seinen Unterthanen sehr harten Mann, der sie mit Frohndiensten erdrückte, und einen frommen Mann nennt, und andere Edelleute trugen ihren Bauerndespotismus so zur Schau, daß einer sich auf Urkunden mit besonderem Wohlgefallen »Bauernfeind« zu unterzeichnen pflegte.

Diese Steigerungen des Drucks waren am häufigsten im obern Deutschland; häufig aber auch im mittleren.


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