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Zweites Kapitel.

Thomas Münzer.

Als der Erste in dieser Art und als der Hervorragendste tritt Thomas Münzer auf, eine der kühnsten und interessantesten Gestalten der Reformationszeit.

Man hat immer die Jugendlichkeit Münzers in Betracht zu ziehen vergessen, und dadurch das ganze Bild verschoben.

Münzer hat als Jüngling gehandelt und ist als Jüngling gestorben. Daraus erklärt sich Vieles, und zwar allein daraus.

Zu Stollberg am Fuße des Harzes geboren, zwischen den Jahren 1490 und 1493 Seidemann, Biographie des Thomas Münzer, Dresden 1842, gibt als Geburtsjahr 1490 an. Ich fand früher wo das Jahr 1493 angegeben, kann aber jetzt weder die Quelle, noch die daraus gemachte Notiz wieder auffinden., hatte er, wie es scheint, seinen Vater frühe verloren; nach einer Sage Manlii Collect. II, 13, 5. Er will sie von Melanchthon gehört haben, wie L. Geyersberg, der sie in seiner Schrift: »Wie man auf die Irrthümer der Wiedertäufer antworten müsse« auch anführt. Seidemann S. 1. dadurch, daß ihn, einen 169bemittelten Mann, die Grafen von Stollberg mit dem Strang hinrichten ließen. Weder den Grund noch das Jahr dieser Hinrichtung gibt die Sage an; keinen Fingerzeig, ob in den Knabenjahren Thomas Münzers, oder vielleicht erst beim Beginn des Aufstandes. War schon das Auge des Knaben Thomas Münzers durch so eine Schmach, die seinem Vater angethan wurde, auf die Grausamkeit, welche die Unterthanen von Manchen der Herren zu erdulden hatten, aufmerksam gemacht, und seine Seele so frühe mit Abscheu dagegen erfüllt worden, so fände sich doch wohl in seinen Reden und Schreiben wider die Gewalthaber irgend eine Spur, irgend ein besonderer Zug, der auf dieses Erlebniß hindeuten würde.

Frühe offenbarte sich in ihm der reformatorische Drang. Nach eifrigen Studien, wahrscheinlich zu Wittenberg und Leipzig, hatte er den Doktorgrad erhalten und selbst sein Gegenfüßler Melanchthon gesteht ihm zu, daß er in der heiligen Schrift wohl erfahren gewesen sei. Bei jeder Gelegenheit wußte er jede seiner Behauptungen sogleich aus der Bibel zu belegen. Ganz unabhängig von Luther und irgend einem von denen, welche mit Luther als Häupter der Glaubensneuerung einen Namen haben, viel früher als sie, betrat Thomas Münzer eine Richtung, welche ihn von der damaligen Staatskirche ab und zum Kampfe mit ihr führte. In der Bibel sah er vor Luther die einzige Quelle der Erkenntniß und der Lehre des Glaubens, und weder das Oberhaupt der sichtbaren Kirche, noch die höheren und niederen Diener derselben in Deutschland, glaubte er in Lehre und äußerer Erscheinung in Uebereinstimmung mit dem, was er aus der Bibel als die ursprüngliche Gestalt der Kirche Christi sich herauslas.

Noch blutjung, als Lehrer an der lateinischen Schule zu Aschersleben, darauf zu Halle, stiftete er einen Geheimbund, zunächst wider den Erzbischof Ernst II., der als Erzbischof von Magdeburg und Primas in Deutschland am 3. August 1513 in Halle starb. Zweck des Bundes war, »die Geistlichkeit zu reformiren.« Die Zahl der Mitglieder blieb klein. 1515 wurde er Propst des Nonnenklosters zu Frohsa bei Aschersleben. Damals schon wich er, selbst im Amte, bei der Messe, von den eigentlichen Glaubenslehren der römischen Kirche ab. Bald darauf war er Lehrer am Martinigymnasium zu Braunschweig, 1519 wieder Beichtvater im Nonnenkloster Beutitz 170bei Weissenfels, und 1520 Prediger an der Marienkirche zu Zwickau. Hier fing er an noch heftiger als zu Halle und Braunschweig gegen die »blinden Hüter der blinden Schafe« zu predigen, »die mit ihren langen Gebeten die Häuser der Wittwen fressen und bei den Sterbenden nicht auf den Glauben, sondern auf Befriedigung unersättlichen Geizes ausgehen.« Die reichen Bettelmönche Zwickaus machten Münzern, der sich auf das Evangelium berief, den Kampf und den Sieg sehr leicht, wenn ihr Sprecher, ein ergrauter Mönch, von der Kanzel predigte: »Nichts als Evangelium predigen, heiße sehr schlecht predigen, weil dadurch den Satzungen der Menschen widersprochen werde, die doch ganz vorzüglich beobachtet werden müssen. Dem Evangelium müsse Vieles hinzugefügt werden; man müsse nicht in Einem weg nach dem Evangelium leben. Wäre die Armuth evangelisch, so dürften die Könige u. s. w. nicht der Schätze der Welt sich bemächtigen, sie müßten vielmehr, wie die Seelenhirten, arm und Bettler sein.«

Damals war Münzer ein Bewunderer Luthers; er hoffte von dem Auftreten des Doktors der Theologie und Professors zu Wittenberg, der unter dem Schutze des mächtigsten Reichsfürsten vorwärts ging, einen größeren Erfolg, als wenn er, Münzer selbst, in seiner unbedeutenden Stellung, und dazu in einem Lande, dessen Fürst der Neuerung so sehr feind war, das Zeichen gegeben hätte, daß die Deutschen der römischen Kirche den Gehorsam künden und für die Freiheit sich erheben sollen.

Bald aber fand Münzer, daß Luther lange nicht so weit ging, als er von ihm erwartete. Luther leistete nichts von dem, was, wie Münzer sich vorstellte, der Christenheit nothwendig war, ein völliger Neubau des Staates wie der Kirche auf ganz neuen Grundlagen. Eine Zerstörung der alten Kirche von Grund aus und eben so eine Auflösung der bisherigen Staatsverhältnisse von Oben bis Unten mußten nach seiner Ansicht unumgänglich vorausgehen.

Luthers kirchliches Auftreten hatte Münzern zu neuen theologischen Studien gespornt. Der Zweifelgeist wuchs in ihm. Der »todte Buchstabe der Bibel« befriedigte ihn nicht mehr. Sollte das Geschriebene seine Glaubwürdigkeit aus sich selbst nehmen können? fragte er. Können wir nicht irren, wenn wir Christus und die Apostel für göttlich halten, weil sie selbst sagen, daß sie es sind? und um der 171Wunder willen, die sie selbst von einander erzählen? und wenn wir wieder diese Erzählungen für wahrhaft halten, eben um der Göttlichkeit der Erzähler willen, die wir erst auf diese Erzählungen gebaut haben? Haben doch die Türken auch ein Buch, worin sie das Wort Gottes zu lesen glauben, und worin Wunder die Menge erzählt sind, an die sie so fest glauben, als wir an die Wunder des neuen Testaments. Wo ist nun der Beweis, daß ihre Lehre die falsche sei, die unsere aber wahr?«

Die römische Kirche nannte sich die allein Berufene, den Glaubensinhalt unfehlbar auszulegen; die Bewahrerin der wahren Lehre, kraft des heiligen Geistes, den ihr der göttliche Stifter gesandt, und der sich in ihr fortpflanze bis ans Ende der Zeiten. Sie forderte darum, daß alle ihr unbedingt glauben und gehorchen, als der Mutter, die allein und unfehlbar in alle Wahrheit leite, und die eben damit die Seele aller Zweifel und aller Unruhe enthebe.

Luther hatte sich von dieser sichtbaren Kirche losgesagt, hielt aber an vielen ihrer Glaubenslehren fest, und berief sich gegen Andere, die sich auch noch von diesem Rest ihrer Lehren lossagen wollten, auf die Unfehlbarkeit der alten Kirchenlehre eben sowohl als auf die Bibel.

Diese Unfolgerichtigkeit Luthers durchschaute Münzer: die Bruchstücke der kirchlichen Tradition, auf die Luther sich stützte, konnten, nach Münzers Ansicht, doch nur als Menschenwerk gelten; Luther legte ihnen die Bedeutung einer Art von Unfehlbarkeit bei, und hatte doch zuvor ausdrücklich geläugnet, daß der Geist Gottes fort durch die Kirche gesprochen habe und spreche; daß die Kirche unfehlbar sei.

Münzer kam so von selbst darauf, einerseits müsse die Bibel mittelst der Vernunft ausgelegt werden, andererseits stehe die fortdauernde unmittelbare göttliche Erleuchtung des Einzelnen neben der Bibel als Führerin zur Wahrheit.

Abgestoßen, wenigstens unbefriedigt von der Theologie und dem ganzen Christenthum der Zeit, hatte er sich in Mystik versenkt.

Werke von Mystikern des Mittelalters waren es, die jetzt seinem Herzen die meiste Nahrung boten. Denn er war von innigem Gemüth, poetisch-excentrisch; und so sehr er Verstand hatte, so überwog in ihm doch das Gemüth und die Einbildungskraft. Vorzüglich las er Geschichten von Männern und Frauen, die sich göttlicher Gesichte 172und Unterredungen rühmten, oder denen sie nachgerühmt wurden; am unverkennbarsten übte der Calabrese, Abt Joachim, der Prophet des zwölften Jahrhunderts, Einfluß auf ihn. Münzer gesteht dies selbst in seiner Schrift »vom getichten Glauben.«

Dieser Prophet lebte in einer Zeit, in der die dürrste Scholastik als christliche Lehre herrschte, die Kirche schon sehr verweltlicht, und sein Vaterland unter tyrannischem Drucke war. Viele waren mit der Gegenwart unzufrieden und sehnten sich nach besseren Zeiten. Diese Zukunft zeigte Joachim in einem mystischen Spiegel. Er strafte die geistlichen Erpressungen, erklärte den Besuch des materiellen Tempels für unnöthig, weissagte ein Strafgericht, wo Christus die Geißel ergreifen und Käufer und Verkäufer aus dem Tempel treiben werde: von dem Hause des Herrn müsse das Gericht anfangen, und das Feuer ausgehen von seinem Heiligthum, um es zu verbrennen. Es werde das Zeitalter des Geistes kommen, und mit ihm die Liebe, die Freude und die Freiheit, alle Buchstabengelehrsamkeit werde untergehen und der Geist frei hervortreten aus der Hülle des Buchstabens. Das Evangelium des Buchstabens sei etwas Zeitliches, seine Form etwas Vergängliches, Vorübergehendes, das Evangelium des Geistes sei das ewige Evangelium. Mit diesem werde die Verheißung des Herrn in Erfüllung gehen, daß er noch Vieles zu verkündigen habe, was die Menschen seiner Zeit noch nicht fassen konnten, und daß der Geist ihnen dies einst verkünden und sie in alle Wahrheit leiten werde. Dann werde eine Gemeinschaft von Brüdern auf Erden sein, von Spiritualen, Söhnen des Geistes, denen die heilige Schrift nach ihrem geistlichen Sinne das lebendige Wasser sei, jene Schrift, die nicht mit Dinte und Feder auf Papier geschrieben worden, sondern durch die Kraft des heiligen Geistes in dem Buche des menschlichen Herzens. Die Organe, durch welche bisher das Göttliche den Menschen nahe gebracht worden sei, Priester und Lehrstand, werden aufhören; die Söhne des Geistes bedürfen einer solchen Vermittlung nicht mehr, der Geist werde ihr Lehrer sein, die innere Offenbarung die Stelle der äußerlichen Autorität vertreten, die Religion eine rein innerliche, eine unvermittelte Gottesanschauung sein, alle Mysterien ganz offenbar, und die Weissagung des Propheten Jeremias (31, 33. 34.) erfüllt, daß Gott selbst der Lehrer Aller sein, und Allen sein Gesetz 173in ihr Herz schreiben wolle; wenn aber die Erhabenheit der himmlischen Dinge sich offenbare, werde alle irdische Hoheit zu Schanden werden. Weiteres über diesen merkwürdigen Mann findet man in Engelhardt's kirchengeschichtlichen Abhandlungen, S. 32: Abt Joachim und das ewige Evangelium. Auch bei Neander, allgem. Gesch. der christlichen Kirche Band V. S. 290. ff.

Diese Ideen, welche sich vorzüglich in seinen Auslegungen des Propheten Jeremias und der Offenbarung niedergelegt finden, vorgetragen mit diesem Tiefsinn, mit diesem Phantasieschwung eines großen, von Sehnsucht nach besseren Tagen brennenden Geistes, mußten Funken in eine so entzündbare Seele wie die Thomas Münzers werfen, und diese Funken wurden in ihm bald zur Flamme.

Während er sich damit beschäftigte, predigte er da und dort mit großem Beifall: dem gemeinen Manne gefiel es, daß er auf ein thätiges Christenthum, auf ein christliches Leben drang, und nicht immer nur vom Glauben redete, wie die meisten Lutherischen. Aber schon, als er noch unangestellt zu Stollberg predigte, machte einmal der ungewöhnliche Inhalt einer Palmtagspredigt, »verständigen Leuten allerlei Nachdenkens.« Spangenberg bei Strobel, Th. Münzer, S. 12. Daß es gerade eine Palmtagspredigt war, welche diese Wirkung that, dürfte darauf deuten, daß er den Text, Christi Königseinzug zu Jerusalem, zur Entwicklung seiner religiös-politischen Ideen benützte.

Schon zu Zwickau war er mit sich im Reinen, daß die Kirchenreformation zur Nationalrevolution sich erweitern müsse. Doch sprach er öffentlich nur verdeckt davon; offen aber ging er über Luther in der Lehre hinaus. Die Gewalt des Pabstes, sagte er, den Ablaß, das Fegfeuer, die Seelenmessen und andere Mißbräuche verwerfen, wäre nur halb reformirt. Man müsse die Sache mit mehr Eifer angreifen; es sei eine völlige Absonderung von Andern nöthig; es müsse eine ganz reine Kirche von lauter ächten Kindern Gottes gesammelt werden, die mit dem Geist Gottes begabt und von ihm selbst regiert werde. Luther sei ein Weichling, der dem zarten Fleisch Kissen unterlege; er erhebe den Glauben zu sehr und mache aus den Werken zu wenig; er lasse das Volk in seinen alten Sünden und diese todte Glaubenspredigt sei dem Evangelium schädlicher, als der 174Papisten Lehre. Luther selbst schrieb später (Luth. W. XIII. S. 19): »Diese Predigt von der Rechtfertigung allein durch den Glauben sollte man mit herzlicher Danksagung annehmen, sich daraus bessern und darnach auch fromm sein. So kehret sich's leider um, und wird die Welt aus dieser Lehre nur je länger je ärger. Jetzt sind die Leute mit sieben Teufeln besessen, da sie zuvor mit einem Teufel besessen waren, sie sind geiziger, listiger, vortheilischer, unbarmherziger, unzüchtiger, frecher und ärger, denn unter dem Pabstthum.« Man müsse auf den innwendigen Christus dringen, welchen Gott allen Menschen gebe; man müsse nur oft an Gott denken, der noch jetzt mit den Menschen ebensowohl durch Offenbarungen handle, als vordem.

Und schon zeigten sich in seiner nächsten Nähe Männer, welche sich darauf berufen, solche Offenbarungen des Geistes zu haben.


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