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Zweites Kapitel.

Wie die freien Bauern zu Kempten um ihre Freiheit kamen.

Die Urkunden der im Allgäu gelegenen Abtei Kempten und die landschaftlichen Akten legen anschaulich dar, wie diese Landleute nach und nach Stück für Stück um ihre Freiheit gebracht und mit ungerechten Lasten beschwert wurden.

Die schöne Landschaft Allgäu erhebt sich im Osten des Bodensees und senkt sich an der Nordseite des Tiroler Gebirges gegen den Lech ab, vorwärts schließt sie sich unmittelbar an die Alpen an. Seit alten Zeiten hatte sich hier eine zahlreiche freie Bauerschaft erhalten, »eine freie Gebürs,« die theils zerstreut umher saß, theils eine zusammenhängende Reihe von Weilern und Höfen ausmachte. Ihre Person und ihre Güter waren ursprünglich ganz frei, wie die der Edelleute. Frei konnten sie sich einen Schirmherrn wählen, wo sie wollten, ziehen, wann und wohin sie mochten, und waren dem Schirmherrn bloß gerichtsbar und botmäßig. Nur wenig von ihnen unterschieden war eine gleichfalls zahlreiche Klasse, die Freizinser: wie die erstern frei für ihre Person, hatten sie das Recht, wie diese zu testiren, Intestat-Erbschaften zu machen, Verträge zu schließen, ganz selbstständig über ihr Eigenthum zu verfügen, ohne Schatzung mit Leib und Gut überall hin zu ziehen, und zahlten nichts, als jährlich einen Zinspfennig auf den Altar und ein Schirmgeld dem Schirmherrn, den sie, wie es ihnen gut dünkte, wechseln konnten. Sie hatten weder Reisen, noch Besthaupt, Erbtheil, Tagdienste, oder sonst etwas zu leisten. Nur beim Tode eines Freizinsers oder einer Freizinserin wurde das beste Gewand als Todfall gegeben. Nach und nach kamen sie in die Unterthänigkeit ihrer Klöster, ihrer Freiherren, ihrer Städte. Bei der Landschaft Kempten ging es so:

Zuerst wurde im Laufe der Zeit außer dem rechten Todfall auch das Besthaupt genommen. Dann ging man daran, solche Freizinser, welche Güter des Gotteshauses zu Lehen nahmen oder trugen, und welche darum dieselben Zinse, Gülten und Dienste, wie andere Gotteshausleute, schuldig waren, nach und nach wie diese letztern anzusehen, sie mit diesen in eine Klasse zu werfen; und die, welche es sich 10gefallen ließen und nicht bei Zeiten die Rechte ihres freien Standes verwahrten, liefen nach Jahren in der Liste der Leibeigenen, und wurden als solche behandeln Da der größte Theil des Grundeigenthums bald auf den früher beschriebenen Wegen im Besitz der Abtei war, so waren viele Freizinser zugleich Lehenträger des Klosters, und eben darum bald auch Viele aus freien Leuten Eigenleute geworden, oder als solche behandelt. Das erste Stück, das man ihnen von ihrer Freiheit abzog, war das Recht, sich beliebig zu verheirathen. Die Abtei verbot den Freizinsern, welche zugleich Lehen von ihr trugen, die Heirath mit Leuten, die ganz frei waren, oder unter einer andern Herrschaft standen, weil nach allemanischem Gesetz Kinder, mit freien Frauen erzeugt, ganz frei waren; dagegen begünstigte die Abtei die Heirath freier Zinsbauern mit ihren Leibeigenen, weil so erzeugte Kinder Leibeigene des Gotteshauses waren.

In der Mitte des zwölften Jahrhunderts saßen urkundlich noch viele Bauern auf ihren Höfen völlig frei und unmittelbar unter kaiserlichem Schutze, zu nichts verpflichtet als zum Kriegsdienste. Natürlich wurden auch sie auf jede Weise dahingetrieben, sich unter den Schirm des Gotteshauses zu begeben, und dadurch in eine Stellung, worin es dem Schirmherrn leicht wurde, sie nach und nach den Unfreien gleich zu behandeln, und immer weiter zu greifen. Da die Ungunst der Zeiten manchen freien Mann dulden, und die Rückforderung seiner Freiheit und seiner Rechte verschieben ließ, wurde das lange gegen ihn geübte Unrecht zuletzt zu einem verjährten Rechte gestempelt.

Das Gotteshaus ging dabei methodisch zu Werke. Ein Abt baute auf dem, was sein Vorgänger gebaut, um die Freiheit der Bauern zu beschränken, unter Benutzung jedes günstigen Zeitverhältnisses weiter, bis man zuletzt von ihnen dieselben Leistungen verlangte, wie von den Eigenleuten des Klosters. Die freien Bauern und Zinser wiesen, als die Anmaßungen soweit gingen, diese zurück. Der Abt griff jetzt zu grobem Betrug. Er ließ eine Urkunde schmieden, und präsentirte sie als einen Stiftungsbrief Karls des Großen, worin die geforderten Leistungen als uralte Rechte des Gotteshauses enthalten waren. Die Bauern fühlten und wußten, daß ihnen gröblich Unrecht geschah, aber ein Dokument, ein altes Pergament sprach gegen ihr Gefühl und ihr Wissen. Den Betrug aufzudecken, waren sie außer Stande; denn einmal 11waren sie zu der Zeit – es war zu Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts – noch nicht aufgeklärt genug in diesen Landen, um einem so hoch gestellten frommen Manne einen solchen Betrug zuzutrauen; dann auch fehlte es den Bauern an den nöthigen wissenschaftlichen Kenntnissen, um die Urkunde als unächt und unterschoben nachweisen zu können, und Geistliche, die ihnen hätten hierin zur Hand gehen können, hätten in solchen Dingen niemals gegen Geistliche gearbeitet. In ihrer Noth suchten die freien Zinsbauern sich dadurch zu helfen, daß sie Gebrauch von einem alten Rechte machten, von dem urkundlichen Rechte, falls sie durch Ungebühr bedrängt würden, einen andern Schirm sich zu wählen. Sie stellten sich unter den Schutz des Grafen Wilhelm von Montfort-Tettnang. Der Abt schrie über Eingriffe in seine Rechte. Ein höheres Gericht, auf Befehl Herzogs Ludwig von Baiern aus Edeln und Städtebürgern zusammengesetzt, sollte entscheiden. Der Landadel und die Städter aber entschieden gegen die Bauern: es wurde dem Grafen abgesprochen, dieselben in Schirm zu nehmen.

Die Bauern wählten nun den Ritter von Freiberg, des Stiftes Vogt, der auf Wolkenberg saß, zu ihrem Schirmherrn, und vertheidigten mit den Waffen ihr altes gutes Recht wider das Kloster. Dieses wandte sich an den Pabst Martin V., und unter Androhung des Bannes wurde dem Ritter von Freiberg geboten, die Leute des Gotteshauses nicht zu schützen, und vor dem päbstlichen Delegaten zu Constanz binnen vierzehn Tagen sich zu verantworten. Als er nicht erschien, wurde er mit seinen Dienern und Unterthanen gebannt, und auf der Feste Wolkenberg belagert. Die freien Zinsbauern selbst wurden mit dem Bann bedroht, wofern sie nicht dem Gotteshause die schuldigen Renten, Zehnten und Zinse zu leisten sich entschlößen, oder sich binnen vierzehn Tagen zu Constanz rechtfertigten. Ein Schiedsgericht, das den Edeln Berthold von Stein zum Obmann, den Ulmer Bürger Ulrich Löw und den Edeln Peter von Hoheneck zu Schiedsleuten hatte, forderte, da der Streit bis in den Frühling 1423 sich verzog, von dem Abt, einen Eid zu schwören, daß seine Vorfahren und er die Zinser des Gotteshauses mit Steuern, Zinsen, Diensten und aller Gewaltsame gleich den Eigenleuten, wie er vorgebe, besessen haben; und nach ihm sollten die zwei vornehmsten Conventherren des Stiftes schwören, daß des Abtes Eid rein und nicht unrein sei. Der Abt verlangte Bedenkzeit, Aufschub; 12die Bauern drangen auf augenblickliche Leistung des Eides. Der Aufschub wurde gewährt. Am 4. Juli 1423 schwur der Abt den Eid, und die Bauern kamen dadurch ins Unrecht. Glücklicher waren die freien Zinsbauern, die in der Stadt wohnten: sie schützten die Städte, und, ein seltener Fall, selbst der heilige Stuhl zu Rom, so sehr auch die Priester der obern Lande einander wider die Bauern unterstützten.

Denn alle Stifter und Klöster sahen in der Streitsache der freien Zinsbauern und des Abtes zu Kempten ihre eigene Sache. Vierzig Prälaten verbanden sich zusammen, auf zwölf oder mehr Jahre, gemeinschaftlich den Streit wider die Bauern zu führen, die Geldkosten gemeinsam zu tragen, und auf jede Art einander behülflich zu sein.

Um des Pabstes Schutz den Angefochtenen zu entziehen, erlaubte der Abt sich in einem Schreiben an den heiligen Stuhl die Lüge, daß die freien Zinser gleichsam wie Leibeigene seit unvordenklichen Zeiten Dienste geleistet haben, und diese Lüge unterstützten mehrere Prälaten mit ihrem Zeugniß und Siegel.

Die freien Zinsbauern aber schickten selbst eine Botschaft nach Rom, deckten die Unwahrheit des geistlichen Schreibens auf, und brachten es dahin, daß der Abt die gütliche Vermittlung der Städte nachsuchte. Darauf ließen sie sich dahin vermögen, die Sache vor dem heiligen Stuhle nicht weiter zu treiben.

Der Meineid, die Lüge, die schlechten Mittel jeder Art, welche sich der Abt in dem Streite mit den Bauern erlaubt hatte, fingen nachgerade an, ihn in seinem Gewissen zu beängstigen. Er wandte sich in der Gewissensangst an den Pabst, und dieser sprach ihn, nachdem er dem Abte von Zwiefalten gebeichtet, von seinen Sünden los. Das Unrecht, womit er sich an Gott und Bauern versündigt, machte er nicht wieder gut. So wurden hier durch offenbaren Meineid und Betrug freie Bauern um ihre Freiheit und ihr altes Recht betrogen.

Wenige Jahre darauf wußte das Stift vom Kaiser sich auszuwirken, daß Niemand des Gotteshauses Leibeigene, freie Zinsbauern oder Altarleute auf dem Lande wider den Abt und ohne dessen Willen in Schutz nehmen dürfte. So schnitt der Kaiser den freien Zinsbauern den letzten Weg ab, sich den Bedrückungen des Stiftes zu entziehen, und löschte so mit einem Federzug ihr uraltes Recht aus, wegzuziehen und das Zinserrecht aufzugeben, sobald man sie durch 13Ungebühr bedränge. Und die Bedrängungen gingen nicht nur fort, sondern nahmen zu. Die landschaftlichen Akten weisen nach, wie gleich derjenige Abt, der diese Vergunst vom Kaiser ausgewirkt, manchen freien Bauern zu völliger Leibeigenschaft gedrängt, und wie noch mehr sein Neffe und Nachfolger von den freien Zinsbauern Dienste, Steuern, Todfälle und Leibhühner forderte und eintrieb, wie von seinen Leibeigenen, denen er sie in Allem gleich behandelte. Heirathete eine freie Jungfrau oder Frau einen Zinsbauern des Stifts, so wurde sie vom Abendmahl, ja von der Kirche überhaupt so lange ausgeschlossen, bis sie sich in die Zinserschaft des Gotteshauses ergab; heiratheten freie Zinsleute Leibeigene, so wurde das Gleiche gegen sie angewandt, bis sie sich selbst auch leibeigen dem Stift ergaben.

Wirkte der Zwang, den man den Gewissen anthat, in einem und dem andern Falle nicht, so legte man den Ehemann ins Gefängniß, bis die neuvermählte Frau sich an das Stift ergab. Klagen, Berufungen auf ihre alten Freiheitsbriefe wurden mit dem Block oder Thurm beantwortet. In solcher Noth wagten sechsundzwanzig Familien freier Zinsbauern, dem letzten kaiserlichen Spruche zum Trotz, fremden Schirm zu suchen. Kaiser Siegmunds Spruch und Brief, sagten sie, finde auf sie keine Anwendung, indem solche ihren alten Briefen entgegen lauten, und der Kaiser von dem wahren Stande der Sachen nicht unterrichtet gewesen sei. Einige Familien beriefen sich auf besondere Briefe, alle aber auf ein altes Buch und auf eine Urkunde darin vom Jahre 1144, worin unzweifelhaft verzeichnet war, daß die freien Zinsbauern nichts als den Zinspfennig und den Todfall schuldig seien, und sonst keine Leistung. Diesem entgegen, habe sie der Abt zu Kriegsdiensten (Reisen), Steuern und andern Dingen gedrängt, zudem etliche von ihnen mit Thurm und Block genöthet, und so haben sie einen andern Schirm gesucht, wie sie wohl laut ihrer Briefe thun dürfen.

Jetzt suchte das Stift alle Spruchbriefe, welche in früheren Streiten mit den Bauern gegen diese erlassen worden waren, als Rechtsbeweise wider sie geltend zu machen. Aber umsonst. Die späteren Papiere, welche das Unrecht in Rechtsform gebracht hatten, waren nicht haltbar den alten Originalurkunden gegenüber, welche die Bauern wieder aufgefunden hatten. Der Abt mußte die alten Briefe seiner Vorfahren und die Freizügigkeit der Zinsbauern anerkennen, und es blieb 14ihm nichts, als die Dienstbarkeit derjenigen Zinsbauern, welche in diesen alten Briefen nicht begriffen waren, durch einen Eid zu erhärten. Er leistete ihn, und dieser Eid brachte diesen Theil der Zinsbauern nun für immer in die Lage, daß ihre Dienstbarkeit als eine gesetzliche Berechtigung des Gotteshauses galt.


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