Edgar Wallace
Die blaue Hand
Edgar Wallace

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Eine kleine Rauchfahne fern im Süden ließ Jim einer falschen Fährte nacheilen, denn das Schiff erwies sich nur als ein Frachtdampfer, der seinen drahtlosen Anruf nicht beantwortet hatte, weil der eine Mann, der den Apparat bedienen konnte, in seiner Kabine schlief. Jim erkannte, den Charakter des Schiffes, als er sich auf zwei Meilen genähert hatte. Sofort warf er seine Maschine herum und verfolgte einen Kurs nach Nordwesten.

Er sah sich nach seinem Passagier um; aber Inspektor Maynard fühlte sich sehr wohl auf seinem Sitz.

Jim wurde ängstlich. Er konnte höchstens vier Stunden in der Luft bleiben, und zwei waren schon vergangen. Er mußte noch genügend Brennstoff behalten, um das Land wieder zu erreichen. Er durfte höchstens noch eine halbe Stunde weitersuchen.

Er war schon fast verzweifelt, als er in großer Entfernung eine dünne Rauchfahne sah. Das Schiff selbst konnte er noch nicht erkennen. Er sandte einen Funkspruch, aber es kam keine Antwort. Er wartete eine Minute, dann klapperte der Sender wieder. Als das Stillschweigen anhielt, wurde er ärgerlich und funkte in scharfem Ton. Dann hörte er plötzlich einen hohen, schrillen Ton – der Dampfer antwortete.

»Was für ein Schiff ist das?«

Er wartete und zweifelte nicht, daß es irgendein kleiner Handelsdampfer sein würde. Wieder kam das hohe Summen.

»P-e-a-l-i-g-o«, war die Erwiderung.

 

Digby lehnte sich über die Brüstung, um zu sehen, was die Leute taten, die draußen in einem Boot niedergelassen wurden. Als er entdeckte, daß sie den alten Namen ›Pealigo‹ zustrichen und ›Malaga‹ daraus machten, war er beruhigt und erfreut.

Er ging in bester Stimmung zum Kapitän. »Das war ein guter Gedanke von Ihnen!«

Der Kapitän nickte: »Natürlich in Ihrem Auftrag.«

»Selbstverständlich!« lächelte Digby. »Auf meinen Befehl.« Er stand neben dem Kapitän und unterhielt sich mit ihm. Es fiel ihm auf, daß der Mann dauernd nach Norden ausschaute und den Himmel absuchte.

Der Funker kam die Treppe zur Brücke herauf und überreichte dem Kapitän eine Botschaft.

Wenn sie aber entkommen sollten! – Es war immerhin möglich, daß sie allen Verfolgungen entgingen, die die Polizei gegen sie inszeniert hatte. Sie konnten auch das Land erreichen, daß er sich als Ziel gesteckt hatte. Vom Kapitän konnte er nicht erwarten, daß er dieses Risiko auf sich nahm, nachdem er die drahtlose Warnung erhalten hatte. Der wollte sich nach jeder Seite decken.

Wenn sie erst weit draußen auf dem offenen Meer waren, entfernt von den allgemeinen Schiffahrtswegen, würde der kleine Brasilianer seine Haltung ändern, und dann –! Digby nickte. Der Kapitän handelte eigentlich ganz klug. Es war Wahnsinn von ihm, daß er die Erfüllung seiner Wünsche jetzt erzwingen wollte.

Eunice konnte sich ja nicht vom Schiff entfernen. Sie fuhr mit ihm in derselben Richtung, zu demselben Ziel. Und es würden Wochen kommen, erfüllt von heißem, glühendem Sonnenschein, wo sie auf dem Vorderdeck nebeneinander sitzen und miteinander plaudern würden. Er nahm sich fest vor, jetzt vernünftig zu sein und sich nicht mehr wie ein Höhlenmensch zu gebärden. Wenn sie eine Woche lang hier auf dem Schiff zusammengelebt hatten, und er sie nicht in ihrer Freiheit störte, würde sie auch ihr Betragen ändern – aber immerhin gab es noch ein großes Wenn, das sah er wohl. Steele würde nicht ruhen, bis er ihn gefunden hatte. Aber zu der Zeit konnte sich Eunice auch schon an ihn gewöhnt haben und mit ihrem Los zufrieden sein.

Diese Gedanken beruhigten ihn. Er schloß das Glas wieder in den Schrank und schlenderte an Deck zurück. Zum ersten Male sah er das Schiff bei Tage. Es war eine wunderbare Jacht. Die Decks waren schneeweiß gestrichen, die blankgeputzten Messingstücke glänzten, und vorn auf dem Promenadendeck standen unter einem großen Sonnensegel Korbmöbel, die zum Sitzen einluden.

Er beobachtete den Horizont; es war kein Schiff in Sicht. Die vielen kleinen Wellen auf der See glitzerten im strahlenden Sonnenschein. Eine tiefschwarze Rauchfahne zog sich vom Schiff weit über das Meer hin, denn der ›Pealigo‹ raste jetzt mit einer Geschwindigkeit von zweiundzwanzig Knoten in der Stunde vorwärts. Der Kapitän betrog ihn also nicht; sie fuhren mit Volldampf nach Westen. Digby Groat war beruhigt.

Rechts in der Ferne zeigte sich ein unregelmäßiger, hellroter Streifen; es war die irische Küstenlinie.

Die Stühle sahen so schmuck und einladend aus, daß er sich niedersetzte und sich behaglich ausstreckte.

Wieder wandten sich seine Gedanken Eunice zu, die eben an Deck kam. Zuerst sah sie ihn nicht und ging zur Reling. Sie atmete freier in der erquickenden Morgenluft.

Wie schön sie doch war! Er konnte sich nicht darauf besinnen, einer Frau begegnet zu sein, die eine so schöne Haltung hatte.

Sie wandte sich um und machte eine Bewegung, als ob sie in ihre Kabine zurückgehen wollte. Aber er winkte ihr, und zu seinem Erstaunen kam sie näher. »Stehen Sie nicht auf«, sagte sie kühl. »Ich finde schon selbst einen Stuhl. Ich möchte mit Ihnen sprechen, Mr. Groat.«

Er schaute sie nur verwundert an.

»Ich habe nachgedacht, und ich kann Ihnen vielleicht einen Vorschlag machen, der Sie veranlaßt, den Kurs des Schiffes zu ändern und mich an der Küste von Irland oder England abzusetzen.«

»Was könnten Sie mir denn anderes bieten als sich selbst?«

»Ich biete Ihnen Geld«, erwiderte sie kurz. »Ich weiß nicht, durch welches Wunder es geschehen ist, aber ich bin die Erbin eines großen Vermögens, und Sie wissen, daß Sie durch meine Erbschaft arm geworden sind.«

»Aber abgesehen davon verfüge ich auch über große Mittel«, sagte er offensichtlich erheitert. »Was wollen Sie mir denn anbieten?«

»Die Hälfte meines Vermögens, wenn Sie mich nach England zurückbringen.«

»Und was wollen Sie mit der anderen Hälfte anfangen?« fragte er ironisch. »Wollen Sie mich damit vor dem Galgen retten? Nein, nein, meine junge Freundin, ich habe mich zu sehr verstrickt, als daß Ihr Plan ausführbar wäre. Ich werde Sie nicht mehr stören und werde warten, bis wir unser Ziel erreicht haben. Dann werde ich Sie um Ihre Hand bitten. Ihr Angebot war fair, das muß ich zugeben. Aber ich bin jetzt zu weit gegangen, um umkehren zu können. Im Augenblick hassen Sie mich, das Gefühl wird sich legen.«

»Niemals!« Sie erhob sich und wollte gehen; aber er ergriff sie bei der Hand und zog sie zurück. »Sie lieben einen anderen?«

»Sie haben kein Recht, diese Frage an mich zu stellen.«

»Ich frage Sie ja gar nicht – ich stelle nur fest. Sie lieben einen anderen – und zwar Jim Steele.« Er beugte sich vor. »Aber merken Sie sich, bevor ich Sie diesem Mann überlasse, bringe ich Sie um!«

Sie lächelte nur verächtlich.

 

»Was ist es?« fragte Digby schnell.

Ohne ein Wort reichte ihm der Brasilianer das Blatt.

›Weißes Schiff nach Westen, sendet Name, Nummer und Heimathafen.‹

»Woher kommt das?«

Der Kapitän erhob sein Fernglas und suchte wieder den nördlichen Himmel ab. »Ich kann nichts sehen«, sagte er stirnrunzelnd. »Möglicherweise ist es ein Anruf von einer Landstation. Ein Schiff kann ich auch nicht entdecken.«

»Wir wollen anfragen, wer es ist«, sagte Digby.

Die drei Männer gingen in die Funkkabine, und der Funker hängte die Hörer um. Plötzlich begann er zu schreiben. Digby beobachtete atemlos die Bewegung seines Bleistifts.

›Drehen Sie bei, ich komme an Bord.‹

»Was soll das heißen?« fragte Digby.

Der Kapitän trat unter dem Sonnensegel vor ins Freie und richtete sein Glas aufs neue zum Himmel. »Ich kann es nicht verstehen«, sagte er.

»Das Signal kam von ganz nahe, Kapitän, es war kaum drei Meilen entfernt«, unterbrach ihn der Funker.

Der Kapitän rieb sich das Kinn. »Dann wäre es das beste, wenn ich stoppte.«

»Sie werden keinen solchen Unsinn machen!« rief Digby stürmisch. »Sie werden weiterfahren, bis ich Ihnen den Befehl gebe, zu halten!«

Sie gingen zur Brücke zurück. Der Kapitän legte die Hand auf den Maschinentelegrafen. Er war unentschlossen.

Plötzlich fiel dicht vor ihnen, keine halbe Meile entfernt, etwas in die See, und das Wasser spritzte hoch auf.

»Was war denn das?« fragte Digby.

Als Antwort schoß an der Stelle eine große Rauchwolke empor, die sich immer mehr verbreiterte und einen undurchdringlichen Schleier bildete. Der Kapitän hielt sich die Hand über die Augen und schaute empor. Direkt über dem Schiff erblickte er ein silberhelles Flugzeug. Es war so klein, daß er es kaum ausmachen konnte.

»Sehen Sie, in der Luft kann sich viel ereignen.« Er drehte den Maschinentelegrafen auf ›Halt‹.

»Was war das?« fragte Digby wieder.

»Eine Rauchbombe. Und ich ziehe eine Rauchbombe in einer halben Meile Entfernung einer echten Bombe auf mein schönes Schiff vor!«

Digby starrte ihn einen Augenblick entsetzt an, dann sprang er mit einem Wutschrei auf ihn zu und riß den Maschinentelegrafen auf ›Volldampf voraus‹. Aber zwei Matrosen packten ihn sofort von hinten, und der Kapitän drehte den Maschinentelegrafen wieder auf ›Halt‹.

»Melden Sie dem Flieger, dem Sie eben ja auch den Namen des Schiffes gesendet haben«, wandte er sich an den Funker, »daß ich Mr. Digby Groat in Ketten legen lasse.«

Aus dem blauen Himmelsgewölbe fiel das silberhelle Flugzeug herab, kreiste erst in großem Bogen um das Schiff und ging dann wie ein Vogel aufs Wasser nieder, ganz dicht neben der Jacht.

Schon vorher hatte der Kapitän ein Boot heruntergelassen, und während sich die Matrosen noch abmühten, Groat in Fesseln zu schließen, der wie ein Wahnsinniger um sich schlug, kam Jim Steele an Bord und folgte dem Kapitän nach unten.

Eunice hörte trotz des Geräusches der Schiffsmaschinen das Summen des niedergehenden Flugzeuges. Sie eilte zum Fenster und zog die seidenen Gardinen fort.

Nun konnte sie das weiße Flugzeug sehen, das wie eine Mücke summte und jetzt aus der Sicht verschwand, weil es auf die andere Seite des Schiffes wechselte. Was hatte das wohl zu bedeuten? In diesem Augenblick wurde die Tür aufgerissen. Ein Mann ohne Kragen und Weste, mit verwildertem Haar und zerrissenem Hemd, stand im Eingang. Sein verzerrtes Gesicht blutete. Ein Glied einer Handschelle war um sein Handgelenk befestigt. Es war Digby Groat, der von teuflischer Wut besessen war.

Sie wich nach dem Bett zurück, als er auf sie zukam. Heller Wahnsinn loderte in seinen Augen. Und plötzlich trat ein zweiter Mann in den Raum. Groat fuhr herum und begegnete dem stahlharten, kalten Blick Jim Steeles.

Mit einem markerschütternden Schrei sprang er wie ein wildes Tier den Mann an, den er so tödlich haßte. Aber er konnte den Schlag mit der schweren Handschelle nicht mehr ausführen, denn Jim traf ihn zweimal mit der Faust, so daß er bewußtlos zu Boden taumelte.

Im nächsten Augenblick lag Eunice in den Armen Jims.

 

Ende

 


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