Edgar Wallace
Die blaue Hand
Edgar Wallace

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31

Digby Groat fuhr im Auto zur Stadt zurück und erreichte sein Haus am Grosvenor Square zum Dinner. Er speiste schnell und ging dann hinauf, um sich umzuziehen.

Er ging an Eunices Zimmer vorbei und fand Jackson auf einem Stuhl vor der Tür sitzen.

»Sie ist jetzt ruhig«, sagte der Mann grinsend. »Ich habe die Fenster geschlossen, die Fensterläden heruntergelassen und ihr gesagt, daß sie sich still zu verhalten habe, wenn ich nicht böse mit ihr umgehen soll.«

»Und wie steht es mit meiner Mutter? Haben Sie ihr die kleine Schachtel mit den Pillen gegeben?«

Jackson grinste aufs neue.

»Die ist jetzt zufrieden. Ich habe niemals gewußt, daß sie Morphinistin ist.«

»Es ist ganz gleich, was Sie wissen oder nicht wissen«, erwiderte Digby scharf.

Er mußte noch ausgehen, denn Lady Waltham gab am Abend einen Hausball. Es waren auch mehrere Mitglieder des Syndikats unter den Gästen, und einer derselben nahm ihn während des Tanzes beiseite.

»Sind denn schon alle Papiere für morgen früh in Ordnung?« fragte er.

Digby nickte.

»Einige Mitglieder des Syndikats sind darüber erstaunt, daß Sie bar ausgezahlt sein wollen«, sagte er und sah Digby lächelnd an.

Mr. Groat zuckte die Schultern.

»Sie vergessen, mein Lieber«, entgegnete er liebenswürdig, »daß ich nur ein Agent in dieser Angelegenheit bin und für meine etwas exzentrische Mutter handle.«

»Das hatte ich mir auch schon gedacht. Aber die Papiere werden doch in Ordnung sein? Hat Ihre Mutter auch schon die Unterschrift geleistet?«

Digby erinnerte sich innerlich fluchend daran, daß er versäumt hatte, ihre Unterschrift einzuholen. Sobald er konnte, verabschiedete er sich und kehrte nach Grosvenor Square zurück.

Das Zimmer seiner Mutter war verschlossen. »Wer ist da?« fragte sie erregt.

»Ich bin es, Digby.«

»Ich werde lieber morgen früh mit dir sprechen.«

»Ich will dich aber jetzt sehen«, verlangte Digby. »öffne die Tür.«

Es dauerte einige Zeit, bis sie gehorchte. Sie hatte ihren Schlafrock an, und ihr gelbes Gesicht war grau vor Furcht.

»Es tut mir leid, daß ich dich störe, Mutter, aber ich habe hier ein Dokument, das noch heute abend unterschrieben werden muß.«

»Ich habe doch schon alles getan, was du wolltest«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Habe ich es denn nicht getan, mein Junge?«

Sie hatte nicht die geringste Ahnung, daß sie durch diese Unterschrift Ihr ganzes Vermögen verlieren würde.

»Könnte ich es nicht morgen früh unterzeichnen?« bat sie. »Meine Hand zittert jetzt so.«

»Hier schreibst du deinen Namen hin«, fuhr er sie hart an, und sie gehorchte.

 

Das Nordland-Syndikat war nur eine Abteilung einer großen Finanzgruppe und eigentlich nur ins Leben gerufen worden, um die Dantonschen Liegenschaften zu erwerben.

In einem großen, schön möblierten Sitzungszimmer warteten die Mitglieder des Syndikats. Man sah Lord Waltham unter ihnen, Hugo Vindt, den reichen Bankier, der seine Hände in allen möglichen Geschäften hatte, und Felix Strathelan, den bekannten Lebemann, der einer der schlauesten Landspekulanten in ganz England war.

Als vierter trat eben Rechtsanwalt Mr. Bennett ein. Er trug eine schwarze Mappe unter dem Arm, die er vor sich auf den Tisch legte.

»Guten Morgen, meine Herren«, sagte er nur kurz. Er hatte längst aufgehört, große Achtung vor diesen reichen Finanzleuten zu haben.

»Guten Morgen, Bennett«, erwiderte der Lord. »Haben Sie Ihren Klienten heute schon gesehen?«

Mr. Bennett sah unfreundlich drein, als er seine Mappe öffnete.

»Nein, Mylord.« Er zeigte durch sein Benehmen, daß er mit Digby Groat nicht in den besten Beziehungen stand und nicht viel von ihm hielt.

»Dieser Groat ist doch ein merkwürdiger Mensch«, meinte Bankier Vindt lachend. »Er ist kein Geschäftsmann und stellt trotzdem so scharfe Bedingungen. Ich würde ihn eigentlich nicht für einen Engländer halten, er sieht mehr wie ein Südländer aus. Meinen Sie nicht auch, Lord Waltham?«

Der Lord nickte.

»Die Groats sind eine sonderbare Familie. Wissen Sie auch, daß seine Mutter Kleptomanin ist?«

»Um Gottes willen!« rief Strathelan erstaunt. »Das fehlte noch gerade!«

»Sie ist jetzt eine verrückte alte Frau, aber sie gehörte einst zu den schönsten Frauen Londons. Früher verkehrte sie viel in unserer Familie, und wir entdeckten jedesmal, wenn sie uns besucht hatte, daß irgendein kleines Schmuckstück fehlte, das meistens keinen großen Wert hatte. Aber einmal war auch ein sehr wertvolles Armband meiner Tochter mit ihr verschwunden. Mir war die Sache sehr unangenehm, aber als ich mit Groat sprach, hat er mir mein Eigentum sofort zurückerstattet. Damals kam es auch heraus, daß sie an dieser Krankheit litt. Aber im Grunde ist sie doch eine glückliche Frau.«

»Das würde ich nun gerade nicht sagen, weil sie diesen Sohn hat«, erwiderte Strathelan lächelnd.

»Sie hat trotzdem großes Glück«, behauptete der Lord. »Wäre Dantons Kind damals nicht umgekommen, so wären die Groats so arm wie Kirchenmäuse.«

»Haben Sie eigentlich Lady Mary gekannt, Mylord?« fragte Vindt.

»Ich habe beide gekannt – Lady Mary und ihr Kind. Wir verkehrten viel mit den Dantons und luden uns gegenseitig ein. Es war ein hübsches Kind.«

»Welches Kind meinen Sie?« hörte man eine Stimme aus dem Hintergrund.

Digby Groat war in seiner geräuschlosen Art in das Zimmer getreten und hatte die Tür des Sitzungszimmers leise hinter sich geschlossen. Erst als er die Frage stellte, nahmen die anderen seine Gegenwart wahr.

»Wir sprachen gerade über Lady Marys kleine Tochter – Ihre verstorbene Kusine.«

Digby Groat lächelte verächtlich.

»Es wird uns nicht weiterbringen, über sie zu sprechen.«

»Können Sie sich denn überhaupt auf sie besinnen?« fragte Lord Waltham.

»Nur ganz dunkel. Ich kümmerte mich nicht gerade viel um kleine Kinder. Ich kann mich daran erinnern, daß sie früher einmal in unserem Hause war. Sie schrie und heulte dauernd. Haben Sie alles in Ordnung gebracht, Bennett?«

Der Rechtsanwalt nickte.

»Hier ist auch das Dokument, dessen Unterschrift Sie von mir verlangten.« Digby nahm das Schreiben aus seiner Mappe und übergab es dem Rechtsanwalt, der es öffnete und bedächtig las.

»Also, das wäre in Ordnung. Nun wollen wir zum Geschäftlichen kommen, meine Herren.«

Alle nahmen ihre Plätze am Tisch ein.

»Ihre Forderung, Groat, das Geld in bar ausgezahlt zu erhalten, war eine schwer zu erfüllende Bedingung«, sagte Lord Waltham und öffnete einen kleinen Kasten, der neben ihm auf dem Tisch stand, »Ich habe nicht gern viel Geld in meinem Büro, und wir mußten deswegen zwei besondere Wachleute anstellen.«

»Aber das kommt doch bei der Sache heraus«, meinte Digby gutgelaunt. Er beobachtete gespannt, wie der Lord ein Paket Banknoten nach dem anderen herausnahm und auf den Tisch zählte.

Der Rechtsanwalt drehte ein Schriftstück um und reichte Digby eine Feder.

»Bitte, unterschreiben Sie hier, Mr. Groat.«

In diesem Augenblick wandte sich Hugo Vindt nach dem Sekretär um, der in den Raum getreten war.

»Ist das für mich?« fragte er und zeigte auf einen Brief, den der Mann in der Hand hielt.

»Nein, für Mr. Bennett.«

Bennett nahm das Schreiben an sich, schaute auf den Absender und runzelte die Stirn.

»Es ist von Salter, und es steht ›Dringend und wichtig‹ darauf.

»Die Sache hat doch wohl Zeit, bis wir das Geschäft beendet haben«, sagte Digby ungeduldig.

»Es ist besser, wir öffnen es gleich.« Der Rechtsanwalt machte den Brief auf und las ihn sorgfältig durch.

»Was hat er denn geschrieben?« fragte Digby.

»Ich fürchte, der Verkauf kann nicht vorgenommen werden«, antwortete Mr. Bennett langsam. »Salter hat ein Caveat gegen den Verkauf der Liegenschaften eingebracht.«

Digby sprang wütend auf.

»Wie kann er das machen – er hat ja gar kein Recht dazu!« rief er wild. »Er ist doch nicht mehr mein Anwalt. Wer hat ihn denn dazu ermächtigt?«

Bennett sah ihn sonderbar an.

»Dieses Caveat«, sagte er und betonte jedes Wort, »hat Salter im Auftrage von Dorothy Danton beantragt, die nach diesem Brief noch am Leben ist.«

Ein peinliches Schweigen trat ein.

»Das ändert natürlich die Sache«, sagte Bankier Vindt plötzlich. »Sie wissen doch, Groat, was dieses Caveat bedeutet?«

»Aber ich bestehe darauf, daß die Übereignung vollzogen wird! Das ist doch nur eine Schikane von diesem alten verrückten Salter! Jeder Mensch weiß, daß Dorothy Danton längst tot ist. Sie starb durch einen Unglücksfall vor zwanzig Jahren.«

»Trotzdem können wir angesichts dieses Einspruches nichts weiter unternehmen«, sagte Lord Waltham ruhig. »Wir sind als Käufer nachher für allen Schaden verantwortlich.«

»Aber ich werde die Übereignungsurkunde unterschreiben«, erwiderte Digby heftig.

»Das ist ganz gleich, selbst wenn Sie zwanzigmal Ihre Unterschrift daruntersetzen. Würden wir Ihnen das Geld zahlen, und es stellte sich später heraus, daß es das rechtmäßige Erbe von Miss Danton ist, dann haben wir unser ganzes Geld verloren und müssen ihr ihr Eigentum zurückgeben. Nein, Groat, wenn das nur, wie Sie sagen, eine Schikane ist, können wir uns an jedem anderen Tage wieder treffen, sobald alles geklärt ist. Wir möchten die Ländereien sehr gern erwerben. Aber ich kann mir nicht denken, daß ein Mann von Salters Stellung, Alter und Erfahrung einen derartigen Einwand nur aus Schikane vorbringt.«

Die anderen stimmten ihm bei.

»Im Augenblick können wir also nichts unternehmen – das müssen Sie als Geschäftsmann einsehen.«

Digby war außer sich vor Wut, als er sah, daß die Banknoten wieder in den Kasten zurückgelegt wurden.

»Nun gut«, sagte er schließlich. Sein Gesicht war bleich. Er überschaute sofort die möglichen Entwicklungen. Sollte ihm dieser Plan, zu Geld zu kommen, nicht gelingen, so mußte er eben andere Maßregeln ergreifen. Er durfte keine Zeit verlieren, bevor Mr. Salter einen weiteren Schritt gegen ihn einleitete.

Er drehte sich wortlos um und eilte die Treppe hinunter. Vor dem Tor wartete sein Wagen.

»Zur Third National Bank«, rief er dem Fahrer zu, als er einstieg.

Er wußte, daß seine Mutter dort ein Bankguthaben von etwa hunderttausend Pfund hatte. Sie war ihr ganzes Leben furchtbar sparsam, um nicht zu sagen geizig gewesen und hatte dieses Vermögen aus den Einkünften des Dantonschen Besitzes aufgehäuft. Digby ahnte sehr wohl, daß Salter nicht aufs Geratewohl diesen Einspruch erhoben hatte. Sicher konnte er sich auf ganz positive Tatsachen stützen. Wo mochte nur diese Dorothy Danton plötzlich herkommen? Wer war sie? Digby fluchte. Auf jeden Fall wollte er sichergehen und alles Geld, das irgendwie einzukassieren war, abheben. Mit diesem Gedanken stieg er aus dem Wagen. Er wünschte nur, daß er Villa das Geld seiner Mutter zum Kauf der Jacht gegeben hätte. Statt dessen hatte er die Summe von dem enormen Bankguthaben der Bande der Dreizehn gezogen.

Er wurde in das Büro des Bankdirektors gerufen und glaubte zu erkennen, daß dessen Gruß kühler als sonst war.

»Guten Morgen, Mr. Stevens. Ich möchte den größten Teil des Guthabens meiner Mutter abheben und wollte vorher mit Ihnen darüber sprechen.«

»Es ist gut, daß Sie das tun wollen, Mr. Groat. Nehmen Sie, bitte, Platz.« Der Direktor fühlte sich anscheinend nicht recht wohl. »Ich bin nämlich nicht in der Lage, Ihnen einen Scheck zu honorieren, den Sie auf das Konto Ihrer Mutter ziehen.«

»Was soll denn das bedeuten?« fragte Digby.

»Es tut mir leid«, erwiderte der Direktor mit einem Achselzucken, »aber ich habe heute morgen eine Nachricht erhalten, daß ein Einspruch erhoben ist und daß das Dantonsche Testament nicht zugunsten Ihrer Mutter durchgeführt werden kann. Ich habe bereits unsere Direktion benachrichtigt, die sich wegen der juristischen Seite der Sache mit unseren Rechtsanwälten in Verbindung setzen wird. Aber da Mr. Salter uns sofort mit der Klage droht, wenn wir diesem Einspruch nicht nachkommen, so sehen Sie wohl ein, daß ich Ihnen nichts von dem Geld Ihrer Mutter aushändigen kann. Von Ihrem eigenen Konto können Sie natürlich soviel ziehen wie Sie wollen.«

Digbys eigenes Konto repräsentierte auch eine beträchtliche Summe.

»Nun gut«, sagte er nach kurzem Nachdenken. »Lassen Sie mich bitte wissen, wie hoch mein Konto ist. Ich will dann alles Geld abheben und mein Konto bei Ihrer Bank schließen.«

Digby war wieder ganz ruhig und konnte klar und kühl denken. Er wollte nicht das Unmögliche versuchen und mit dem Kopf gegen eine Granitmauer rennen. Diesem kaltblütigen Rechtsanwalt mußte er mit Umsicht und Schlauheit begegnen. Salter war verteufelt klug und hatte alle einschlägigen Bestimmungen in den Fingerspitzen. Äußerste Vorsicht war geboten.

Glücklicherweise befand sich das Guthaben der Dreizehn auf einer anderen Bank. Wenn es zum letzten kommen sollte, konnte er ja elf von den dreizehn im Stich lassen. Sie mochten sehen, wie sie fertig wurden.

Der Direktor kam zurück und reichte ihm ein Blatt Papier über den Tisch, auf dem die Abrechnung seines Kontos verzeichnet war. Einige Minuten später ging Digby zu seinem Wagen zurück. Seine Taschen waren aufgebauscht von den vielen Banknoten, die er bei sich trug.

Ein großer, bärtiger Mann stand auf dem Bürgersteig, als er hinaustrat. Digby sah ihn neugierig an und wußte sofort, daß es ein Detektiv war. Diese Tatsache machte ihn nachdenklich. Befaßte sich die Polizei schon mit ihm? Oder war es nur ein Privatdetektiv, den Salter gegen ihn ausgesandt hatte?

Er entschied sich für das letztere und hatte damit recht.

Als er nach Hause zurückkehrte, fand er ein Telegramm vor, das Villa gesandt hatte. Es war nur kurz, aber er war mit dem Inhalt sehr zufrieden.

›Kaufte Pealigo hundertzwölftausend Pfund. Schiff unterwegs nach Avonmouth. Bringe Kapitän per Flugzeug. Komme Grosvenor Square neun Uhr abends.‹

Sein Gesicht hellte sich auf, als er das Telegramm zum zweitenmal las. Er lächelte, als er an Eunice dachte. Seine Lage war noch nicht verzweifelt, sie hatte sogar ihr Gutes.


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