Edgar Wallace
Die blaue Hand
Edgar Wallace

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8

Die Geschichte von der Narbe und dem Eindruck, den sie auf Mrs. Groat gemacht hatte,, stimmte Jim nachdenklich. Er versuchte die Sache auf seine Weise zu erklären, aber Eunice lachte.

»Ich werde diese Stelle wieder aufgeben«, sagte sie, »aber ich muß noch so lange dort bleiben, bis alle Papiere von Mrs. Groat geordnet sind. Es sind noch ganze Stöße von Briefen und Dokumenten aller Art zu ordnen und einzutragen. Mrs. Groat hat mir das schon gesagt. Und es scheint doch auch nicht gut zu sein, wenn ich meinen Dienst verlasse, während die alte Frau so krank ist. – Ihre Vermutung, daß ich die junge Dame sein soll, die das große Vermögen erbt, ist auf keinen Fall richtig. Meine Eltern lebten in Südafrika, Jim. Sie sind viel zu romantisch, als daß Sie ein guter Detektiv sein könnten.«

Er leistete sich den Luxus, ein Taxi zu nehmen und sie nach Grosvenor Square zurückzubringen. An der Haustür verabschiedete er sich von ihr.

Während sie sich noch auf der Treppe unterhielten, öffnete sich die Tür, und Jackson begleitete einen kleinen, starken Mann mit großem, braunem Bart heraus.

Offenbar sah Jackson die beiden Leute nicht, er sah sie jedenfalls nicht an.

»Mr. Groat wird erst um sieben Uhr nach Hause zurückkommen, Mr. Villa«, sagte er laut.

»Sagen Sie ihm, daß ich vorgesprochen hätte«, entgegnete der andere ebenso laut und ging an Jim vorbei.

»Wer ist denn der Mann mit dem Bart?« fragte Jim, aber Eunice konnte ihm keine Auskunft geben.

Jim war mit der Erklärung über ihre Herkunft nicht zufrieden. Einer seiner Schulfreunde lebte unten in Kapstadt, und als er zu dem Büro zurückging, sandte er ihm ein langes Telegramm mit bezahlter Antwort. Er fühlte, daß er hinter einem Schatten herjagte, aber trotzdem tat er es. Dann ging er mißmutig nach Hause und war bedrückt von der Hoffnungslosigkeit der Aufgabe, die er sich gestellt hatte.

Am nächsten Tage erhielt er eine Nachricht von Eunice, daß sie nicht zum Tee kommen könnte. Der Tag war für ihn langweilig und verloren. Obendrein erhielt er noch die Antwort auf sein Telegramm, die alle romantischen Träume zerstörte, soweit sie Eunice Weldons Anwartschaft auf das Millionenvermögen der Dantons betrafen. Eunice May Weldon war am 12. Juni 1910 in Rondebosch geboren. Ihre Eltern waren Henry Weldon, ein Musiker, und Margaret May Weldon. Sie war in der Kirche von Rondebosch getauft worden, und ihre beiden Eltern waren tot.

Über die beiden Endzeilen des Telegramms war Jim erstaunt.

»Eine ähnliche Anfrage wegen der Eltern Eunice Weldons kam vor sechs Monaten von der Firma Selenger & Co., Brade Street Buildings.«

»Selenger &. Co.«, sagte Jim nachdenklich. Das war ein neues Rätsel. Wer mochte denn sonst noch Nachforschungen über das junge Mädchen anstellen? Er nahm das Telefonadreßbuch, schlug die Firma nach und fand sie auch gleich. Schnell nahm er seinen Hut, rief ein Taxi an und fuhr zur Brade Street. Nach einigem Suchen entdeckte er auch das Geschäftshaus. Es war ein mittelgroßer Häuserblock, und auf dem umfangreichen Firmen Verzeichnis am Eingang war auch die Firma Selenger & Co. vermerkt. Ihre Büros befanden sich im Erdgeschoß, Zimmer Nr. 6.

Der Raum war verschlossen und wurde anscheinend nicht benützt. Jim suchte den Portier unten auf.

»Nein, Sir«, sagte der Mann kopfschüttelnd. »Selengers haben jetzt nicht auf. Am Tag ist niemand hier, nur nachts.«

»Nachts?« wiederholte Jim erstaunt. »Das ist aber eine etwas ungewöhnliche Zeit, um Geschäfte zu machen.«

Der Portier sah ihn unliebenswürdig an.

»Die Leute müssen wohl selbst am besten wissen, wie sie ihre Geschäfte machen«, sagte er mit Nachdruck.

Es dauerte einige Zeit, bevor Jim den beleidigten Mann beruhigen konnte. Dann erfuhr er aus der Unterhaltung mit ihm, daß Selengers offenbar bevorzugte Mieter waren. Wegen einer Beschwerde dieser Firma war sein Vorgänger entlassen worden, und die Neugierde einer Reinmachefrau über die nächtliche Tätigkeit dieser Leute führte zu der sofortigen Entlassung dieser Vorwitzigen.

»Ich glaube, sie handeln mit ausländischen Aktien«, sagte der Portier. »Es kommen viele Auslandstelegramme hier an, aber ich habe den Inhaber des Geschäfts noch niemals gesehen. Er kommt stets durch den Seiteneingang herein.«

Dieser zweite Eingang zu den Büroräumen der Firma ging von einem kleinen Hof aus. Selenger & Co. war die einzige Firma in diesem Gebäude, die zwei Eingänge zu ihren Büros hatte. Und außerdem war es nur ihnen gestattet, die ganze Nacht hindurch zu arbeiten.

»Selbst die Bankagenten in der zweiten Etage müssen um acht Uhr schließen«, erklärte der Portier. »Und das ist sehr hart für sie, besonders wenn eine Hausse in Aktien ist. Dann haben sie gewöhnlich so viel Arbeit, daß sie bis zwölf aufhalten könnten. Aber um acht wird ganz streng geschlossen. Die Mieten sind hier nicht besonders hoch, und es ist eine große Nachfrage nach Büros in der City heutzutage. Die Zeiten werden hier strikt innegehalten; das war schon so zu Mr. Dantons Zeit.«

»Mr. Dantons Zeit?« fragte Jim schnell. »War er denn der Eigentümer des Gebäudes? Sie meinen doch den Schiffsreeder Danton, der ein großes Millionenvermögen besaß?«

Der Mann nickte.

»Jawohl, Sir«, sagte der Portier, der anscheinend mit der Wirkung seiner Worte sehr zufrieden war. »Aber er hat es verkauft oder sonstwie veräußert – schon vor einigen Jahren. Ich weiß es zufällig, weil ich damals als Bürobote in demselben Hause angestellt war. Ich kann mich sehr genau auf Mr. Danton besinnen – sein Büro lag in der ersten Etage; es war ganz herrlich dort.«

»Wer bewohnt die Räume denn jetzt?«

»Ein Ausländer, Levenski. Er ist aber niemals hier.«

Jim hielt die Nachrichten, die er erhalten hatte, für so wichtig, daß er sich aufmachte, um Mr. Salter in seiner Wohnung zu besuchen. Er erfuhr nur, daß der Rechtsanwalt nichts von diesem Geschäftshaus in der Brade Street wußte. Er konnte sich lediglich darauf besinnen, daß es eine Privatspekulation Dantons war. Es kam in seinen Besitz, als die früheren Eigentümer in Konkurs gerieten. Er hatte das Gebäude später ohne Rücksprache mit seinem Anwalt veräußert. Jim stand wieder vor einem Rätsel.


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