Edgar Wallace
Die blaue Hand
Edgar Wallace

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47

Während Digby Groat in seiner Kabine saß und alle Möglichkeiten überlegte, hörte Eunice, wie sich Schritte ihrer Tür näherten. Es war ein Uhr nachts.

Sie war davon überzeugt, daß es Digby sei. Sie sah, daß die Türklinke langsam heruntergedrückt wurde, und die Türflügel sich einen Spalt öffneten. Weiter ging es nicht, ohne die Tische und Stühle, die Eunice dahinter aufgebaut hatte, umzustoßen. Sie war vor Schrecken ganz starr, als die Tür noch etwas weiter aufgedrückt wurde.

»Fürchten Sie sich nicht«, sagte dann jemand.

Es war nicht Digby. Schnell sprang sie auf.

»Wer ist dort?« fragte sie.

»Ich bin der Kapitän.«

»Was wollen Sie?«

»Ich möchte mit Ihnen sprechen, Miss. Aber Sie müssen erst die Dinge wegstellen, die Sie hinter der Tür aufgebaut haben, sonst muß ich zwei Matrosen rufen, für die es eine Kleinigkeit ist, den Kram beiseite zu schieben.«

Er hatte die Tür nur so weit geöffnet, daß er durchschauen konnte. Mit einem Seufzer erkannte Eunice die Nutzlosigkeit ihrer Barrikade und zog die Möbel zur Seite. Der kleine Kapitän ging lächelnd hinein und schloß die Tür hinter sich. Er hatte seine Mütze in der Hand.

»Gestatten Sie, Miss«, sagte er höflich und stellte alles wieder an seinen Platz. Dann öffnete er die Tür und schaute hinaus. Eunice sah, daß ein großer Matrose dort stand, der ihr den Rücken zukehrte. Offenbar war er ein Wachtposten. Sie war gespannt, was das bedeuten sollte, aber der Kapitän erklärte es ihr bald.

»Meine Dame«, sagte er mit fremdem Akzent, »ich bin ein armer Seemann, der seinen gefährlichen Beruf für zweihundert elende Milreis monatlich ausübt. Aber wenn ich auch arm und von niederer Herkunft bin, so habe ich doch ein Herz.« Er schlug sich auf die Brust. »Es widerstrebt mir, daß einer Frau etwas zuleide getan wird!«

Sie war gespannt, was er jetzt sagen würde und glaubte schon, daß er ihr gegen Zahlung einer Geldsumme anbieten würde, seinen Herrn zu verraten. Wenn das der Fall war, würde sie freudig einstimmen, aber diese Hoffnung wurde durch seine nächsten Worte wieder zerstört.

»Mein Freund Groat ist mein Herr, ich muß seinen Befehlen gehorchen, und wenn er sagt: ›Fahren Sie nach Callao oder nach Rio de Janeiro‹, dann muß ich es tun.«

Ihr Mut sank, aber anscheinend hatte er noch mehr zu sagen.

»Als Kapitän muß ich seinen Anordnungen folgen, aber ich kann nicht dulden, daß eine Frau hier an Bord zu Schaden kommt. Verstehen Sie mich?«

Sie nickte. Ein neuer Hoffnungsschimmer tauchte in ihrem Herzen auf.

»Ich selbst kann nicht die ganze Zeit hier sein, und auch meine starken Matrosen können nicht immer Wache stehen, daß Ihnen nichts geschieht. Aber es würde mir nicht zur Ehre gereichen, wenn Sie irgendwie beleidigt würden!«

Offenbar war dieser weitblickende Kapitän sehr vorsichtig und wollte allen Teilen gerecht werden. Er suchte nach einem Kompromiß, der ihn wenigstens von seiner Verantwortlichkeit seinem Herrn gegenüber entlastete.

»Würde die junge Dame vielleicht so gut sein, diese Waffe zu nehmen?«

Sie nahm die Pistole mit einem halb unterdrückten Freudenschrei.

»Und wenn Sie sich später daran erinnern werden, daß José Montigano Ihnen gegenüber als ein guter Freund gehandelt hat, werde ich mich glücklich schätzen.«

»Oh, ich danke Ihnen, Kapitän, ich danke Ihnen vielmals.« Sie drückte ihm die Hand.

»Also erinnern Sie sich.« Er hob warnend den Finger. »Mehr kann ich nicht tun. Ich spreche jetzt als Herr zu einer Dame. Aber nachher bin ich wieder der Kapitän, der einen Herrn über sich hat. Sie verstehen, daß das ein großer Unterschied ist?«

Er hatte sie ein wenig verwirrt, aber sie ahnte wenigstens, was er sagen wollte.

Er machte eine kleine Verbeugung und ging hinaus.

Aber gleich darauf kam er zurück.

»Es hat keinen Zweck, Tische und Stühle gegen die Tür zu stellen. Das ist besser.« Er zeigte bedeutungsvoll auf den Revolver. Dann entfernte er sich lächelnd.


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