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28. Kapitel.
Sensationelle Wendung!

Nachdem der Betrieb der Untersuchung an der Brandstätte und am Sektionstisch, der Zeugenverhöre, der Unterredungen mit Professor Divider vorbei war, vermochte auch Doktor Leberstein sich wieder etwas zu sammeln. Und er erinnerte sich plötzlich, als er so um den späteren Samstagnachmittag in seinem Villengarten bei einer Flasche Bier an einer Zigarre sog, der beiden versiegelten Briefe, die Doktor Tadisch ihm vor wenigen Tagen überreicht hatte. Auch die Szene spielte sich wieder vor seinen Augen ab, in welcher der arg Verängstigte, von seinen Todesahnungen, den Drohbriefen und Verfolgungen redende Mann ihn an einen Verrückten gemahnt hatte. Dem ersten Impuls, dieses Vermächtnis aus seinem Büro, wo es eingeschlossen lag, zu holen und aufzubrechen, gab er nicht nach. Er wollte endlich mal seine Ruhe haben.

Am Sonntagmorgen gegen zehn Uhr klingelte die Hausglocke wie rasend. Rolltür ließ sich melden, schweißgebadet. Er wies dem Untersuchungsrichter einen mit Schreibmaschine beschriebenen Bogen vor, ganz übereinstimmend mit denjenigen, die Tadisch schon früher zugesandt worden waren. Der Brief hatte schon seit Samstag Mittag auf dem Schreibtische Rolltürs gelegen. Bei all den Laufereien und Aufregungen war es dem Munitionsfabrikanten nicht möglich gewesen, seine Post durchzusehen. Der billigste Anstand verlangte es doch, daß er den Abend zusammen mit andern Bekannten bei der Witwe Frau Wenkermann verbrachte. Dort suchte man die sehr verwirrt aber anregend Redende zu zerstreuen und zu unterhalten. Der Brief trug den Poststempel unserer Stadt vom fünften Februar, dem Tage des Brandes und lautete:

 

»An die Redaktion der ›Blendlaterne‹!

Wir fühlen uns verpflichtet, unsere Drohung tatsächlich auszuführen. Da Sie sich hartnäckig weigern, das zu tun, was wir fordern, nämlich Herrn Erich Tadisch aus Ihrer Redaktion zu entfernen, werden wir Ihren Mitarbeiter und Denunzianten töten und alle Papiere verbrennen, die sich dank ihm mit unserer Wenigkeit befassen und unter den Akten der ›Blendlaterne‹ befinden. Der Untersuchungsrichter Leberstein wird Ihnen genaueren Aufschluß geben können, weshalb wir unserer Sache gewiß sind. Herr Abraham Real hat nicht umsonst im Gefängnis geschmachtet. Herr Leberstein und die gesamte Polizei werden Ihnen nichts nützen. Wir hatten Ihnen geschrieben, daß Sie es gleichfalls mit dem Leben bezahlen müßten, wenn Sie nicht die Anschuldigungen gegen unsere Gruppe unterdrücken oder berichtigen. Wir verlangen Widerruf all dessen, was besonders in der ›Blendlaterne‹ durch Sie und andere Ihrer Mitarbeiter, wie speziell durch Herrn Tadisch über uns laut wurde. Sie werden es nicht tun wollen. Wir können ruhig den richtigen Augenblick abwarten, bis wir Sie treffen. Damit die Dokumente über unsere revolutionären Bestrebungen verschwinden, die Sie in Ihrem Kassenschrank aufbewahren, sind wir genötigt, an das Ganze Feuer zu legen. Die Papiere werden dann wohl auch mitverbrennen. Wenn Sie nicht endlich aufhören, die Nachforschungen darüber fortzusetzen, wo die Bomben und Waffen herstammen, die nicht nur der südländischen Volkserhebung, sondern auch der inländischen zu dienen bestimmt waren, wird Sie und Ihr Haus das nämliche Schicksal ereilen, wie Ihren Mitarbeiter und Ihre Redaktion. Glauben Sie nicht, daß die betreffenden Gesandtschaften in irgendeiner Weise an unserem Unternehmen beteiligt sind. Ihnen stehen Beamte vor, die genau ermessen, in welchen Grenzen sie sich zu halten und wie sie die Neutralität aufzufassen haben.

Das, was wir wollen, ist, daß auch dieses Land, in dem wir und Sie als Fremde leben und das sich ganz ungerechtfertigterweise die Bezeichnung einer Friedensinsel beilegt, endlich Partei ergreift und an die Seite derjenigen tritt, die Recht und Gerechtigkeit verteidigen.«

 

Man kann sich denken, in welcher Erregung Doktor Leberstein im Zimmer auf- und abrannte, dieweil ihm der Inhalt aller Tadischschen Geheimberichte durch den Kopf fuhr. Man kann sich vorstellen, wie neben ihm der Munitionsfabrikant zitterte, ohne zu ahnen, was Leberstein von ihm erfahren hatte. Rolltür, der über sich nicht zu zweifeln brauchte, daß er das Haupt einer großangelegten Spionage- und Schmuggelorganisation war, welcher freilich eine andere mit ebenso raffinierten und wo nötig noch brutaleren Mitteln entgegenwirkte.

Der Munitionsfabrikant hatte sich das Schreiben zu Hause genau besehen und die nämlichen Merkmale daran gefunden, auf die er seinerzeit durch Erich Tadisch anhand früherer Drohbriefe aufmerksam gemacht worden war. Eine Schrift, die genau den Typen der auf der »Blendlaterne« gebrauchten Smith-Premier entsprach. Diese Maschine stand übrigens zur Zeit recht guterhalten inmitten der Brandtrümmer. Was die früheren Drohbriefe anging, so hatte Tadisch damals immer wieder auf Hektor Schit als auf ihren mutmaßlichen Verfasser hingewiesen.

Das wußte auch Doktor Leberstein. Er wußte ja überhaupt alles, was an dunkeln Machenschaften auf der »Blendlaterne« gespielt worden war. Von keinem anderen, als von Tadisch über diese Dinge aufgeklärt. »Gotts Donner!« fluchte Leberstein auf. »Die Sache wird brenzlig. Wir verstehen uns, Herr Rolltür. Ich kann Ihnen nur schonend mitteilen, daß ich besser über Sie informiert bin, als Sie sich's träumen lassen. Und einer auf Ihrer Redaktion dürfte nicht daran gezweifelt haben, daß ich von Doktor Tadisch unterrichtet bin – – –«

»Von Doktor Tadisch?« schrie Rolltür nun seinerseits auf.

»Ja, von Doktor Tadisch. Und einer argwöhnte dies, so behauptete wenigstens der Verstorbene, nämlich kein anderer als der verschwundene Hektor Schit. Und einer hatte Interesse daran, daß Doktor Tadisch beiseite gebracht wurde und soll sich auch wiederholt dahin geäußert haben – – –«

»Stimmt, stimmt!« sagte Rolltür und rannte um den Tisch im Arbeitszimmer Doktor Lebersteins herum.

»– – – und soll sich auch wiederholt darüber geäußert haben, nämlich Hektor Schit! Also?«

»Also?« antwortete Rolltür, der fast zusammensank.

»Also ist hier ein Verbrechen geschehen und ist Hektor Schit flüchtig als Mörder Erich Tadischs!«

Pause.

Beide liefen hintereinander um den Tisch, ohne es zu beachten. Rolltür perlten Schweißtropfen auf die bekleckerte weiße Weste, als er sich Doktor Leberstein mit plötzlichem Ruck gegenüberstellte.

»Doktor Leberstein, – im höheren politischen, ja sozusagen diplomatischen Interesse«, er holte tief Atem, »müssen wir über die Zusammenhänge zwischen uns und fremden Regierungen schweigen.«

»Ich verspreche nichts, bis ich die Situation mit Justizminister Windfaner geklärt habe.«

»Einverstanden. Aber es liegt gar keine Notwendigkeit vor, den verfluchten Drohbrief, – denn wir können diesen Umstand nicht verschweigen – – –«

»Unmöglich!«

»– – – nicht so zu deuten, daß die Anspielungen darin auf Abraham Real und die Bombenanarchisten zu beziehen sind.«

»Mein Kompliment, Herr Rolltür! Kein Wunder, daß man Ihnen so wichtige Geheimangelegenheiten anvertraute!«

Die Idee imponierte Doktor Leberstein sichtlich. Er rieb sich sogar die Hände.

»Aber können wir den Brief nicht doch vernichten und die Sache nach dem Befund Professor Dividers belassen, wie sie ist?«

Rolltür schwitzte aufs neue. Nein. Er hatte schon seiner Frau von der Sache Mitteilung gemacht. Die würde zwar dicht halten. Aber dann auch dem Verleger Rundhaupt, zu dem er zuerst gelaufen war.

»Idiot!« schrie nun Leberstein.

»Ganz recht, Idiot«, bestätigte Rolltür sehr klein.

»Nichts zu wollen. Schließlich egal. Sogar auch ganz gut. Komme mit der kriminalistischen Sensation. Glänzende Waffe gegenüber den Anarchisten! Eigentlich sehr gut! Überdies kursierte schon gestern abend, – wie entstanden, fasse ich nicht recht, – das Gerücht herum, daß Schit den Doktor Tadisch ermordet habe. Endlich fällt mir ein, daß gestern zur vorgerückten Stunde Ludwina von Lampel noch bei mir war, – fesches Frauenzimmer, – und berichtete, Hektor Schit habe ihr vor einigen Tagen gesagt, er müsse am Freitagnachmittag verreisen. Das war doch offenbar Lüge, oder wissen Sie davon, daß er nicht auf die Redaktion zu gehen gedachte?«

Nun stotterte Rolltür wieder. Er erinnerte sich sofort, daß zwischen Schit, Schnarp und ihm auf den Freitag das große Schmuggelunternehmen geplant worden war und daß Schit wohl einige Tage vorher Ludwina vorbereitet haben mochte, damit sie ihn am Freitag nicht erwarte. Wahrscheinlich hatte er in der Folge vergessen, die Äußerung wieder richtig zu stellen, da man den Fischzug ja früher erledigte. Aber das ging Doktor Leberstein durchaus nichts an.

»So«, sagte Rolltür etwas spät nach dieser langen Überlegung und schwieg, denn Leberstein hatte das Telephonhörrohr ergriffen und benachrichtigte die Polizei, daß er unverzüglich kommen werde und daß man Hektor Schit steckbrieflich verfolgen müsse. Das Signalement werde er bringen.

»Sicherlich«, nahm Rolltür das Gespräch wieder auf, während man dem Ausgang zuschritt, »ist Schit der Mörder Tadischs. Schon weil er den ihm verhaßten und unliebsamen Zeugen aus der Welt schaffen mußte. Schit war jähzornig, vergriff sich übrigens öfters an Ludwina von Lampel. Sie verstehen: vergiß die Peitsche nicht!«

»Was meinen Sie, ist sie mit im Komplott?«

»Ausgeschlossen. Übrigens, es gibt noch ein Motiv für Schit. Am Freitag hatte man uns zwanzig Tausendernoten überwiesen. Der Kassenschrank war offen. Nur Schit hatte den Schlüssel. Das Geld ist fort. Anscheinend verbrannt. Aber die Papiere im Geheimfach sind nicht alle vernichtet. Auffallend nur die politischen, unsere sogenannten Geheimakten. Dagegen ließ Schit sogar seine ihn persönlich belastenden Liebesbriefe zurück. Raffinierter Kerl. Hätte ihm das im Grunde nie zugetraut. Nach mir die Sintflut! Paßt andererseits wieder zu ihm. Furchtbar, furchtbar. Der arme Tadisch!«

»Der arme Tadisch. War ein brauchbarer Kerl. Wertvoll für mich. Schade um ihn«, schloß Leberstein sich kopfschüttelnd an.


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