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Zwischen Tadisch und Schit kam es auf der »Blendlaterne« natürlich zu keiner Aussprache. Lauernd kreiselten sie umeinander herum. Schit hatte Rolltür nichts von der Doktorgeschichte mitgeteilt, weil er sich den Hieb aufsparte für den ersten Moment, da Tadisch ihm an den Lebensnerv, das heißt an die Kassenverwaltung zu greifen gedachte. So augenscheinlich es war, daß Tadisch mit Wildthaußen nichts gemein haben konnte, seinen Verdacht vermochte Schit doch nicht ganz zu beschwichtigen. Der Mann mußte weg. Mußte hinausgeekelt werden. Schit versuchte dies zunächst dadurch zu fördern, daß er ihn ununterbrochen, auffällig, ungezogen an allen möglichen und unmöglichen Stellen im Gespräche mit einem ausgedehnten »Herr Dok-tor« anödete.
Tadisch seinerseits, der über viel schärfere Klingen verfügt hätte und sich bei jeglicher Bosheit, die ihm über die Zunge wollte, nach Vorsatz zurückhalten mußte, brachte es hinwieder nicht fertig, bei sich bietender Gelegenheit einen Witz oder eine Bemerkung, welche die inbrünstige für Schit gehegte Geringschätzung ausdrückte, nicht von sich zu geben. Der plumpe Schit, der seiner Ohnmacht keineswegs mit Schlägen, wie bei Rosa Meier auf die Beine helfen konnte, drehte sich mit all seinem Denken beständig um Tadisch herum. Glaubte sich von ihm auf Schritt und Tritt verfolgt. Sein angenehm und lukrativ konsolidiertes Leben siechte demgemäß verpestet dahin. Momentan nahmen ihn zwar verschiedene Schmuggelaffären stark in Anspruch. Tadisch sah klar, daß sich die Dinge mehr und mehr komplizierten. Über die Mittagszeit blieb er auf der Redaktion der »Blendlaterne« und verfaßte einen seiner heftigen, aber ungefährlichen Artikel gegen die Umtriebe der von Wildthaußenschen Propaganda. Natürlich erwähnte er seinen anderen, heimlichen Brotgeber nicht mit Namen. Auch hütete er sich wohl, sich zu den Verhältnissen unseres Landes polemisch zu äußern.
Die Resultate seiner Nachforschungen faßte Tadisch in einem dritten Geheimbericht gleichzeitig an von Wildthaußen und Doktor Leberstein zusammen.
»Das Atelier«, so begann er, »zur einen Hälfte von der ›Blendlaterne‹ erhellt, wird eigentlich von Herrn Georg Schnarp, Kunstmaler, gemietet.«
Aber der Chronist unserer »Chronik des Chaos« unterbricht Doktor Tadisch schon an dieser Stelle, um mit einigen Worten auf die Persönlichkeit des Herrn Georg Schnarp einzugehen. Ein schmächtiges, verbrühtes Großstadtunkraut. Als einziges Kind wurde ihm jede nur erdenkliche Verwöhnung eingeimpft. Sexuell frühreif, hatte er alles mitgemacht, wozu ihn ältere und jüngere Kumpane mitschleppten. Die landesüblichen Geschlechtsseuchen wies er nicht von sich. Eines Tages stand er gewissermaßen als Gemahl einer mitgiftbehafteten, gleich ihm schon ex ovo, schon aus der Eizelle heraus angekränkelten Warenhausbesitzerstochter da. Bald nach der Hochzeit begann sie an einem Unterleibsleiden chronisch zu serbeln. Im übrigen trottete sie ebenso verwöhnt, vergnügungsgierig, haltlos durchs Dasein, wie er. Nach vielem Streit und wenig Liebe ließ man sich naturgemäß wieder scheiden. Dem früheren Schwiegervater rang Schnarp durch die Drohung, Familienintimitäten ans Tageslicht zu befördern, jahrelang eine Rente ab, bis schließlich ein Anwalt diesen erpresserischen Freundlichkeiten ein gewaltsames Ende setzte.
Schnarp hatte sich gelegentlich damit vergnügt, zu malen. Zeichnen konnte er nicht. In unserer Stadt aber siedelte er sich als Begründer des plastographischen oder graphoplastischen Expresso-Intuitionismus an. Dies darum, weil er in seine Gemälde nicht etwa nur ein Goldpapierchen oder einen Zeitungsausschnitt klebte, sondern weil er bald ein wirkliches Moos oder sogar einen Baumzweig hineinsteckte. Außerdem »realisierte« er seine Ansicht, man dürfe nicht nur auf Flächen, sondern müsse auch auf Kugeln, Eiern, Zylindern, Kegeln und so weiter seine abstrakten Schildereien anbringen.
Eine Zeitlang nahmen unsere Kritiker seine »Schöpfungen« sehr ernst, um so mehr, als er mit den Literaten des »Maulbeerbaums« einigging, man sollte endlich aufhören, einen Michelangelo, Lionardo oder Rembrandt zu bewundern.
Nun gab es in unserer Stadt einen Verbi Divini Minister – Fauner hieß er mit Namen – er ist längst gestorben, der jedermann bekannt war, weil ihm ein Sturz von der Kanzel ein Bein zerschmettert hatte. Mit seinem Stelzfuß reiste er immergeschäftig in seiner Pfarrei herum. In den Mußestunden huldigte er tiefenpsychologischen Studien. Seine psychoanalytischen Kenntnisse waren ihm besonders im Konfirmandenunterricht wertvoll. Irgendwie hatte er nun in Schnarps Bildnereien unterbewußt verdrängte und archäologische Primitivismen entdeckt, was ihn bewog, ein Buch über den bedeutenden Maler zu schreiben. Außerdem verschaffte er ihm durch viele Monate hindurch ein Stipendium von einer indischen Nabobstochter, die damals durch einen unserer hiesigen Weisen von allerhand Launen und Tücken, welche in ihrem Unbewußten rumorten, freigezaubert wurde. Um sie aber auch außerhalb der Sprechstunden zu beschäftigen, erlaubte man der Nabobstochter, vormittags ihr Hotelstockwerk, allerdings mit einem Schweif von Zofen und Domestiken, abzustauben. Nachmittags dann, nachdem ihr Leib massiert und eaudecolognisiert worden war, durfte sie in einem heimlich eingerichteten Laden allerhand Volks analysieren. Nicht selten folgte zur Bekräftigung der Kur ein kleinerer Scheck, so daß unsere Stadt dieser Abart von Fremdenindustrie ehrliche Sympathie bekundete. Man fand es interessant, sich von einer reichen Dame den eigenen Sexualschmus erklären zu lassen.
Auch Schnarp bekundete den entsprechenden Eifer und fristete längere Zeit mit solcher wissenschaftlichen Anteilnahme sein Leben. Nachdem jedoch Magister Fauner jeden Kritz und Kratz Schnarps unter dem Gesichtspunkt der Sublimierung sämtlicher unterbewußten Triebe aufgezeichnet hatte, kam man mit der Nabobin überein, er sei nun unbedingt soweit geläutert, daß er seinen Lebensunterhalt ohne Unterstützung sollte fristen können. So oft Magister Fauner in der Folge vernahm, daß sein erfolgreich behandelter Analysand anscheinend luxuriös existierte, legte er seinen Mund zum Saugnapf zusammen. Das bedeutete für ihn gleichviel, wie wenn wir gesagt hätten, er habe sich gerührt an die Brust geschlagen. Fauner war durch nichts in seiner Überzeugung zu beirren, daß die ans Tageslicht gezauberten, herausoperierten, »verdrängten Archaismen« die arme Seele befreit und geläutert hätten.
Dabei hatte Schnarp dem edeln Gottesminister das ganze Material zu seinem Buch unter Kokainwirkung verzapft.
Kokainhunger war und wurde ihm eine in die letzten Muskelfibrillen übergegangene Sucht und Krankheit und zerrüttete Schnarps Körperkräfte ebenso wie seinen Geist. Er lief in allen Kaffeehäusern nach dem Gifte herum. Er versetzte seine letzte Habe, um wieder einige Gramm zu erhalten. Er kam dieserweise mit Schmugglern, die es ihm liefern konnten, in Berührung. Die aber handelten nicht nur mit Kokain allein. Und als sie Schnarps immer bedürftiger werdende Lage durchschauten, schlugen sie ihm vor, gleich ihnen Kokain und andere Dinge im Schleichhandel zu vertreiben. Ja besser noch, er solle sich überhaupt an ihrem Gewerbe beteiligen und sein geliebtes Gift, aber auch andere Waren hinüber- oder hereinbringen, je nach Bedarf.
Es stellte sich bald heraus, daß Schnarp für derlei Geschäfte begabt war. Hemmungslos unbekümmert, im Ausfindigmachen von allerhand Verstecken geschickt, versuchte er es zunächst in der großen Zuckernot mit Sacharin, zeigte sich aber auch in Hinsicht auf Diamanten, Perlen und anderen kostbaren Kleinkram nicht wählerisch. Eben in jenen Tagen, da Magister Fauner mit vor Vergnügen Saugbewegungen machendem Munde die Heilung und den sozialen Emporstieg seines Zöglings proklamierte.
Da ratterten denn die Automobile den Berg hinauf und hinunter, nicht nur zu Herrn Schnarp und seiner momentanen Lebensgefährtin, sondern die Insassen pendelten aus seinem Atelier auch regelmäßig ins Redaktionsbüro hinüber. Spione und Schmuggler dienten Herrn Rolltür vielfach in einer Person. Im besonderen doppelspurig aber arbeitete Herr Schit, der einerseits die Schmuggelunternehmen finanzierte, um sie andererseits, wenn er gerade Geld nötig hatte, auch an die interessierten Zöllner zu verraten und mit ihnen bei ihren Prämien für gute Fänge Halbpart zu machen. Das Risiko für die Schmuggelunternehmen trug im allgemeinen Herr Schnarp.
Von einem stellenlosen Bankkommis wußte Tadisch in seinem Geheimbericht zu erzählen, der Garn in Körben, mit Äpfeln verdeckt, als Passagiergut ein erstes Mal über die Grenze fuhrwerkte, ein zweites Mal dann nicht, weil der in Frage kommende Zollfeldwebel von Schit rechtzeitig gewarnt worden war. Ein Balkengerüst im Grenzfluß wurde bei Nacht und Nebel errichtet, damit man oberhalb davon Ballen mit Korkzapfen ins Wasser werfen konnte. Diese Ballen, vom Gerüst aufgehalten, ließen sich von Schmugglern weiter unten und auf der anderen Seite unschwer auffischen. Den Herkunftsort der Korkzapfen denunzierte Schit nach einiger Zeit an unseren Fiskus, der dann das ganze große Lager als Konterbande beschlagnahmte. Schits erhebliche Gratifikation blieb nicht aus. Spulen von Nähfäden wurden in Rucksäcken über die Grenzpässe getragen; Sacharin, elektrische Taschenbatterien und viele ähnliche Kleinigkeiten mehr.
Aber diese Detailgeschäfte nahmen im Betrieb des Ateliers Schnarp, wie sich von selbst versteht, einen geringen Raum ein. Größer war sein Handel mit »besseren«, auch akademischen Mitarbeitern. Gold wurde in allen möglichen Formen außer Landes gebracht. Platin führten die als Kuriere reisenden Söldlinge Magins mit sich. Platin wurde auf Reisenecessairs kunstvoll geschmiedet und wanderte als Silberbeschlag zu horrenden Preisen in die blockierten Staaten. Ein Invalider humpelte wiederholt mit einem künstlichen Platinfuß anstelle eines gewöhnlichen aus Nickel über die Grenze.
In Schinkenbroten, in Poulets reisten ebenfalls Platin und Gold über die Schlagbäume hinaus. Echte Perlen gingen als Talmischmuck an Säumen und Krägen von dazu bestimmten Damen, welche den Kurieren Gesellschaft zu leisten hatten, herüber und hinüber. Riesige Transportumwege wickelten sich ab, um die Herkunft der für die Ausfuhr verbotenen Waren in unserem Lande zu verwischen. Aspirin, Salvarsan, Cereisen wurden nach anderen neutralen Ländern bestellt, das Cereisen dort in T-Balken umgeschmolzen und schließlich als Ballast in Stromdampfern zu uns verschifft. Bis zu unseren Staatsräten hinauf wiesen die Spuren. Werden doch neben dem bewilligten Kompensationsverkehr mit Wissen hochgestellter Herrschaften allerhand Tricks verwendet. Je nachdem drückte man ein oder auch beide Augen zu. Von einem südlichen Grenzsee wurden Pneus und Rohgummi durch einen Unterwasserzug ans Ufer unseres Asylstaates geschleift. Man verpackte das damals so hochgewertete Gut in Fässer, goß Rohgummi darüber und ließ die Fässer dieserweise in einem Lager stehen. Man füllte eine ebenso große Anzahl Fässer mit Gips, schüttete ebenfalls Rohgummi darüber und verwechselte sie dann mit den mit wirklichem Kautschuk ausgegossenen Fässern, welche anstandslos den Weg in die blockierten Staaten fanden. Die Gipsgummifässer hielten jeglicher Kontrolle, ob die eingeführten Mengen in unserem Asylstaate noch zugegen waren, regelrecht stand.
Herr Tadisch schloß seinen Geheimbericht an die Herren von Wildthaußen und Leberstein mit folgendem Wortlaut ab:
»Es wird Sie nicht groß in Erstaunen setzen, wenn ich, am Ende dessen angelangt, was ich in Erfahrung bringen konnte, noch einmal auf meine eigene Person hinleite. Ich habe mich so eingehend über den weitverzweigten, glänzenden Überwachungsdienst der Herren Magin, Rolltür, Schit und Schnarp ausgesprochen, daß mein Verdacht, die genannten Herren könnten bereits wissen, wie weit ich mit Ihnen in Verbindung stehe, nicht unerwartet kommen mag. Bestärkt wurde ich in dieser meiner Vermutung durch einen Drohbrief, den ich vorgestern durch die Post erhielt und den ich Ihnen bei nächster Gelegenheit persönlich unterbreiten werde. Ich füge gleich hinzu, daß ich nach genauer Überprüfung die völlige Identität der Typenschrift mit einer der in der Redaktion der ›Blendlaterne‹ gebräuchlichen Schreibmaschinen festgestellt habe und daß ich einen von Hand hinzugefügten Nachsatz als die verstellte Schrift des Herrn Schit erkenne, wie ich denn überhaupt vermute, daß das besagte Schreiben von Letztgenanntem herrührt oder in seinem Auftrag verfaßt worden ist.
Es lautet: ›Wir haben untrügliche Beweise dafür, daß Sie an gewisse näher nicht zu bezeichnende Stellen verleumderische Angaben über rechtschaffene Leute ausstreuen, die in der gegenwärtigen Zeit zu den größten Unannehmlichkeiten für die Betreffenden führen könnten. Wir brauchen aber nicht daran zu erinnern, daß uns Mittel und Wege zur Verfügung stehen, Sie unschädlich zu machen und spurlos von der Bildfläche verschwinden zu lassen und raten Ihnen, sich schleunigst danach zu richten!‹
So sehr auch obige Worte nach Kinoromantik riechen und eigentlich zum Schlusse führen, daß höchstens ein Jugendlicher dermaßen einfältige Drohungen ausstößt, heißt mich doch eine innere Stimme, die Angelegenheit nicht oberflächlich und romantisch zu betrachten. Wer da versteht, wie viel phantastischer als das Kinodrama unsere gegenwärtige Wirklichkeit ist, weiß auch, daß die Ermordeten, anders als im Film, nach der Aufführung eben nicht wieder aufstehen. Wer da ahnt, wie der korrumpierteste Film der verbrecherischen Verwegenheit dieser Tage bei weitem nicht gerecht wird, der kann sich der Einsicht nicht verschließen, daß gerade die Banalität des Drohbriefes nicht auf die leichte Achsel zu nehmen ist. Außerdem gibt das Fehlen einer erpresserischen Absicht dem Ganzen ein wahrhaftigeres Gepräge. Stünde eine solche darin angedeutet, dann würde ich mich keinen Augenblick länger damit beschäftigen, als höchstens ihn dem nächsten Polizeiposten zu übergeben. Ich muß beifügen, daß ich mich in letzter Zeit von einem oder mehreren verdächtigen Individuen, die mir auffallend häufig begegnen, verfolgt fühle, und daß ich dringend bitte, man möge mir jeden Schutz gewähren, der mich vor Unheil bewahren kann.«