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10. Kapitel.
Herr von Wildthaußen beunruhigt!

Erich Tadisch beging einen großen Fehler. Er wurde mehrmals, in ein Gespräch mit Doktor Leberstein vertieft, im »Maulbeerbaum« gesehen. Auch Schit, in allen Dingen der Spionage äußerst gewitzigt, wußte um die Stellung Lebersteins als Chef einer geheimen politischen Polizei. Zwar übte der Untersuchungsrichter nach außen keine Macht aus, sondern beschränkte sich darauf, in gewissen Kreisen über gewisse Leute Andeutungen ausstreuen zu lassen. Das bewirkte schlimmstenfalls eine gesellschaftliche Kreditschädigung und konnte dem Denunzierten im Grunde höchst gleichgültig bleiben. Die Dossiers hatte man für den Fall eines politischen Erhebungsversuches, eines Landesstreikes oder für ähnliches angelegt.

Tadisch und Leberstein zusammen? Schit wurde von Stund an mißtrauisch. Zudem erhielten die Inhaber der »Blendlaterne« anonym eine Mitteilung, daß die Gegenspionage offenbar genauere Angaben über die Herkunft ihrer Geldmittel besitze. Schit besaß Kenntnis davon, daß nur das Büro von Wildthaußen als Gegenspionage in Betracht kam. Tadisch schien keine Beziehungen zur Junkerstraße 49 zu pflegen. Allerdings äußerte sich Schit zu Rolltür, sie hätten vielleicht die Kamelhaarungeschicklichkeit des lyrischen Dichters bedeutend unterschätzt.

Je weniger bestimmte Anhaltspunkte Schit fand, desto nagender wurde sein Argwohn, desto unbotmäßiger seine kaum verhaltene Gereiztheit gegenüber Tadisch. Der Antikriegslyriker mit dem assyrischen Feuerbärtchen trat seinen Dienst in der »Blendlaterne« pünktlich an. Schrieb unentwegt Artikel, die ganz und gar den von Wildthaußenschen Tendenzen zuwiderliefen. So daß der Verdacht dadurch stets aufs neue beschwichtigt wurde. Aber Schit mußte Gewißheit erlangen, ob er Tadisch aus dem Wege zu räumen hatte? Er erschrak, als er diesen Gedanken plastisch vor sich sah. Als er gar mit Rolltür darüber sprach, gebrauchte er auch vor ihm, wie sich später herausstellte, eine Redewendung, die auf eine Unschädlichmachung Tadischs lautete.

Schit dachte noch weiter: wenn Tadisch für ihn und die »Blendlaterne« durch seinen Umgang mit Doktor Leberstein eine Gefahr bedeutete, um wieviel mehr mußte er im Falle seiner Beziehung zu Wildthaußen eine solche für diesen sein? Wie Schit wußte, verbarg sich von Wildthaußen peinlichst vor der politischen Polizei. Als Dichter Brander trachtete er durch seine korrekte Fassade jeglichen Spionageverdacht von sich fernzuhalten. Mit Rolltür zusammen kam Schit auf das nicht ganz ungewöhnliche Mittel, Herrn von Wildthaußen für alle Fälle durch anonyme Briefe auch seinerseits zu benachrichtigen. Hatte der Mann im Kamelhaarmantel mit Wildthaußen keine Fühlung, dann schadeten die Briefe ja nichts. Höchstens konnte Tadisch damit seiner Heimatbehörde als verdächtig denunziert werden. Er wäre höchstens seiner Papiere verlustig gegangen und um so enger an Rolltür und sein Institut gebunden gewesen. Der kleine Verrat ließ sich nachträglich durch den Paß einer gegnerischen Nation aussöhnen. Oder die Sache lief ins Gegenteil. Dann traute von Wildthaußen dem Tadisch nicht mehr und nahm dessen Zuträgereien, denn um solche mußte es sich handeln, nicht weiter ernst, klärte ihn vermutlich auch über die Denunziation auf. Dadurch hätte Tadisch wiederum an Sicherheit bei Rolltür und der »Blendlaterne« eingebüßt.

Und eben dies wäre Schit genehm gewesen. Machte sich doch Tadisch allmählich bei Rolltür unentbehrlich, schrieb viel fleißiger, gewissenhafter als er, Schit, der auf die Redaktion ging, wann es ihm gerade paßte. Es bestand die Gefahr, daß Tadisch ihn mit der Zeit von seinem führenden Platze, dem Verwaltungsposten der einlaufenden Gelder, verdrängte.

Schit bildete sich auf die hier ausgesprochenen Kombinationen sehr viel ein. Tatsächlich bedeuteten sie für sein träges Hirn eine Leistung. Er fabrizierte folgendes Schreiben: »Auf weiter nicht zu erläuterndem Wege gelangte der ungenannte, streng monarchisch-patriotisch gesinnte, in hiesiger Stadt niedergelassene Einsender hinter die geheime Bedeutung Ihres Büros. Es ist ihm bekannt, daß als Agent desselben unter anderem ein gewisser Dr. Erich Tadisch funktioniert, der aber keineswegs vertrauenswürdig sein dürfte. Besagter wurde vor einigen Tagen mit dem uns als Chef der geheimen politischen Polizei bekannten Untersuchungsrichter Dr. Leberstein während eines intimen Gespräches im Kaffee ›Maulbeerbaum‹ beobachtet. Cavete! Ein Landsmann«.

 

Das Schreiben gelangte richtig in die Hände von Wildthaußen. In dessen Hirn hob ebenfalls rege Kombinationstätigkeit an. Das mit Maschine geschriebene Dokument war ungeschickt. Hatte man doch zwei Punkte in der Rechnung übersehen, die zur Entdeckung des Absenders führen mußten. Es konnte nur jemand geschrieben haben, der mit Spionage- und Gegenspionageangelegenheiten vertraut war und der den Einfluß Tadisch fürchtete. Der Weg führte direkt nach der »Blendlaterne«. Wenn Doktor Tadisch sich auf Befragen daran erinnern sollte, ob jemand aus der »Blendlaterne« zugegen gewesen, als er mit Doktor Leberstein sprach, dann würde die Vermutung ja ohne weiteres zur Gewißheit erstarken.

Aber sollte er Doktor Tadisch zu merken geben, daß ihm sein Umgang mit Leberstein bekannt geworden? Welches Risiko trug Wildthaußen dabei? Zunächst war der Beweis noch keineswegs erbracht, daß Tadisch bei der politischen Polizei etwas verraten hatte. Er würde sich hüten. Dazu schien der Mann im Kamelhaarmantel zu wenig abgefeimt.

Wildthaußen fuhr sich die längste Zeit mit der Hand von unten nach oben über die Bürste seines Hitlerschnurrbärtchens, rauchte eine seiner dicksten Zigarren, rannte stundenlang in seinem Büro von einem Ende zum andern. Alle drei bis vier Minuten konnte man sein trockenes Hüsteln vernehmen. Dann wieder spielte er mit seinem Einglas, setzte es ein, ließ es in die flache Hand hinunterfallen, dachte dazwischen, wenn er sich im Spiegel erblickte, an seine verwilderten Geschlechtsverhältnisse, an die verlassene Frau, die ununterbrochen Geld von ihm verlangte, an seine beiden Geliebten, zwei Schwestern, mit denen er zusammenlebte, mit denen er die intimsten Beziehungen unterhielt, ohne daß jedes der beiden dahinterkommen durfte und um derentwillen er nicht selten schon seine Nächte hatte teilen müssen. Es begann lästig zu werden.

All dies schwirrte ihm durcheinander, wenn er an den Schwierigkeiten, die ihm Tadisch bereitete, herumgrübelte. Schwierigkeiten, die seine endlich glänzenden Einkünfte abzubinden drohten. Indessen, konnte nicht dieser nämliche ihm attachierte Tadisch auch eine Pulvermine für die »Blendlaternler« werden? Eine derartige Sprengstoffladung, daß, wenn Tadisch ihre Geheimnisse der »Politischen« anvertraute, ihm von den »Blendlaternlern« unbedingt das Luntenlegen rechtzeitig verleidet werden mußte. Und waren nicht auf beiden Seiten – à la guerre comme à la guerre – Leute gefallen, ausgelöscht worden? Einfach ausradiert. Wenn aber Tadisch, »der bekannte Literat«, verschwand, welch unliebsames Aufsehen würde damit heraufbeschworen? Solange Kerle wie Schit gegen Tadisch keine stillwirkenden Waffen in Händen hielten, würden sie ihn selbst unter Geräusch unschädlich zu machen suchen. Er, Wildthaußen wenigstens, hätte sich nicht anders zu helfen gewußt.

Erregt strich er, wieder vor dem Spiegel angelangt, an seinem Referendarscheitel hin und her. Er betrachtete die vom Stirnschweiß nasse Hand. Das Einglas bohrte er sich tief in die Rinne, den Tränendrüsen entlang.

Verfluchter, verdammter, verr... Racker, die Betty, die anfing, auf die minderjährige Liesel eifersüchtig zu werden, nicht mehr aus dem Zimmer ging, wenn er oben bei ihnen war. Die Fünfzigtausend ihres Waisenvermögens zur Deckung seiner Schulden wurden recht wackelig.

Tadisch! Daß er sich mit dem Burschen, nein mit dem Hund, mit dem verfluchten, vermaledeiten Hund eingelassen hatte! – Kn –. Ein Skandal mußte vermieden werden. Denn auch, wenn sich die Aufmerksamkeit in erster Linie nach der Seite der »Blendlaterne« richtete, so war es fast unumgänglich, daß man nicht auch auf seine Spuren gelangte. Einmal, falls Tadisch wirklich mit der »Politischen« zusammensteckte. Dann aber weiter, wenn man das Material der »Blendlaterne« auffand. Damit durfte von Wildthaußen rechnen, daß über ihn Informationen dort lagen, die zum großen Teil nicht die Unwahrheit sagten.

Halt – Tadisch konnte dadurch paralysiert werden, daß man die »Blendlaternler« auf andere Fährte lockte. Ihnen Material in die Hände spielen, welches die Aufmerksamkeit von Tadischs Beziehungen zum Büro von Wildthaußen ablenkte. Material, das den »Blendlaternlern« erlaubte, Tadisch an sich zu fesseln und sich infolge davon in Sicherheit zu wiegen. Glänzende Idee! – Kn –. Von Wildthaußen klatschte sich auf die Schenkel. Schit wird in den Besitz der Doktordokumente Tadischs gelangen!

Dann fühlte sich Schit seiner mächtig. Dann war Schit, der passive Schit, für seine Person beruhigt. Dann suchte Schit nach weiteren Wegen, Tadisch aus der Welt zu schaffen, gänzlich zum Schweigen zu bringen, auszulöschen. Das Umgekehrte war nicht zu befürchten. Tadisch war damit schachmatt. Tadisch fand niemals den Mut, sich an Schit zu vergreifen.

Geriet übrigens Tadisch in Harnisch gegen Schit, das war dann lediglich ein Hausstreit der »Blendlaterne«. Mochten sie gegeneinander die Zähne blecken und hernach miteinander sich abfinden. Wie aber, wenn Tadisch dahinter kam, daß das Dokument von Wildthaußen herstammte? Das durfte natürlich nicht sein. Tadisch mußte der »Blendlaterne« das ihn selbst belastende Dokument vermitteln. Abermals glänzende Idee! – Kn –. Er mußte Tadisch beauftragen, einen Diebstahl im Büro Wildthaußen zu inszenieren. Tadisch würde gewiß gehorchen, weil er damit den besten Beweis für seinen Nichtzusammenhang mit dem Büro Wildthaußen erbrachte. Er mußte mit Tadisch nur abkarten, bestimmte Dokumente bereitzulegen, in denen Dinge enthalten waren, welche die »Blendlaternler« ja ohnedies wußten. Und in diese Dokumente sollten dann die Doktorakten Tadischs, versteht sich, ohne sein Wissen, eingeschmuggelt werden.

Halt! Tadisch mußte sich fragen, wie sein eigenes Dossier in die für den Diebstahl bereitgelegten Papiere geraten konnte? – Wunder Punkt! – kn –. Sehr faul. Wart, Tadischchen, ich werde dich selbst davon unterrichten! Entdecke natürlich sofort den Mißgriff, werde zwei Briefumschläge statt einen auflegen, nur von einem sprechen. Schit wird unfehlbar zu beiden greifen, beide mitnehmen wollen. Werde Tadisch nachher zu mir rufen, atemlos, besorgt, höchst erschrocken berichten. Fabelhafte Idee – kn –, zwei Fliegen mit einem Schlag! Dann ist Tadisch durch mich selbst im Bilde, haßt von vornherein den gefürchteten Gegner, der ihn in Händen hält, – ausgespielt, gegeneinander ausgespielt!

Freilich die Frage, wie es mit dem Zusammenhang Tadischs und der politischen Polizei aussah, war bei alledem doch nicht geklärt. Je nun, man würde Tadisch zu überwachen wissen.

Von Wildthaußen warf den Stummel der dritten, schweren Importe von sich, legte sich auf das Ledersofa. Der Puls schlug unheimlich rasch. Rasend klopfte das Herz. Kalte Feuchtigkeit klebte ihm am ganzen Körper. All dies regte ihn auf, fürchterlich regte es ihn auf! Es wurde ihm gottserbärmlich schlecht und er erkannte selber sachgemäß, daß er sich wieder einmal eine richtige Nikotinvergiftung angeraucht hatte, die ihn den übrigen Tag vollständig lähmte.


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