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Wie konnten zwei so verwandte Seelen, die Professoren Bäuchlings und Divider, nun aber Feinde geworden sein?
Äußerlich ganz einfach dadurch, daß beide eifersüchtig wachten, ihren Einflußbereich durch keinen anderen, durch keinen fremden Eingriff schmälern zu lassen. In erster Linie war doch Bäuchlings der Mann, welcher die amtlichen Sektionen ausführte. Bei Gerichtsfällen freilich konnte man auch wieder nicht bestreiten, daß sie Divider zugehörten. Aber wenn Bäuchlings der Verbrecherdrüse nachspürte, mußte ihm auch das entsprechende Material zur Verfügung gestellt werden. So wandte er sich an seinen vornehmlichen Gönner, den Justizminister Windfaner, der denn auch bestimmt hatte, daß, wo immer tunlich, alle Sektionen im pathologischen Institut unter Leitung Professor Bäuchlings stattzufinden hätten.
Diese Verordnung kränkte Divider tief. Er wollte es indessen mit Windfaner nicht verderben. Unser Minister hätte sich gewiß geärgert, falls man ihm mit dem Ansinnen gekommen wäre, seinen Ukas zu widerrufen. Deswegen gelangte Divider an seinen getreuen Schüler Doktor Leberstein und machte ihm den Mund nach einer Privatdozentur für gerichtliche Psychologie wässerig. Leberstein und die Seelenkunde gehörten zusammen, wie Sackleinwand und Brüsseler Spitzen. Aber Leberstein war unverzüglich Feuer und Flamme. Selbstironisch und mit gewohntem Witz redete er von seiner Profitdozentur und bearbeitete seine untersuchungsrichterlichen Kollegen, in allen außergewöhnlichen Fällen von Leichenschau, zuerst und geziemlich den Professor der gerichtlichen Medizin zu begrüßen. Das war auch einleuchtend und wurde von ihnen befolgt. Die Gerechtdenkenden, weil sie die Verfügung Windfaners mißbilligten. Die anderen, weil sie ohnehin zu den Busenfreunden Lebersteins zählten. Derart triumphierte Divider im stillen. Umso zuvorkommender war er im Verkehr mit Bäuchlings. Dieser platzte fast vor Ärger, wagte seinerseits jedoch keine Beschwerde bei Windfaner. Er kannte das zornmütige Temperament seines Gönners, der, hätte man sich abermals an ihn gewandt, fähig gewesen wäre, ihn lieblich anzuschnauzen.
Seit Jahr und Tag war der Kampf in den beiden Instituten ein an der Oberfläche liegender Gesprächs- und Zündstoff. Jeder, der im einen oder anderen Hause Assistent oder auch nur sonst gut Kind werden wollte, hatte seine Parteinahme ausdrücklich zu erklären. Er hatte sich zu verpflichten, das Möglichste zu tun, um seinerseits das gewünschte Studienobjekt beizuschaffen. Es wäre einmal fast zu einem Diebstahl eines Selbstgetöteten gekommen. Studenten Dividers gedachten nach durchzechter Nacht ihrem Lehrer dadurch eine Ovation zu bereiten, daß sie einen umstrittenen Leichnam, welcher zu Bäuchlings einquartiert worden war, auf einen Karren legten, um ihn ins gerichtlich-medizinische Institut zu schleppen. Divider kam zum Glück rechtzeitig dazu. Die Geschichte wurde aber Bäuchlings hinterbracht und goß neues Öl ins Feuer.
Man fing denn auch an, sich die Untersuchungen und Expertisen gegenseitig zu bemängeln und wartete nur auf die günstige Gelegenheit, den Entscheid über die wahre Autorität in Sektionsbefunden eines Tages vor das richtige Forum zu tragen.
Die Gelegenheit sollte nicht ausbleiben. Dividers ehemaliger Korpsbruder und Angehöriger seiner Leibfuchsenfamilie, Untersuchungsrichter Dr. Leberstein, am denkwürdigen fünften Februar mit der Brandtour betraut, hatte nicht versäumt, die mutmaßlichen sterblichen Reste Erich Tadischs ins gerichtlich-medizinische Institut führen zu lassen und Professor Divider telephonisch über die jedenfalls interessante Obduktion zu unterrichten.
Divider rief sogleich nach seinem Wagen, fuhr schnurstracks zu den Wohnungen der beiden Assistenten, holte sie ab und auf sein Institut. Unruhig, wie immer in solchen Fällen, nach seiner Methode, alles in Bewegung zu setzen, was zur Aufklärung eines Falles seiner Ansicht nach nötig schien, überantwortete er den beiden den schwarzen Toten, den er flüchtig besichtigt hatte, um gleich wieder im Auto zu Doktor Leberstein zu sausen. Dort erkundigte er sich nach den Einzelheiten des Brandes, machte ellenlange Notizen, merkte sich Adressen vor und beorderte den Chauffeur mit vorschriftswidriger Geschwindigkeit zu Munitionsfabrikant Rolltür. Leberstein hatte Professor Divider einen uniformierten Polizeisoldaten mitgeben müssen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß es um des Effektes willen geschah.
Bei solchen Unternehmungen Dividers wurde man den Eindruck nicht los, daß es ihn über die Maßen befriedigte, vor allen möglichen Leuten aufzutreten, in jeglichem Kreise bekannt zu werden. Da ihm der Name des sogenannten Mäzens und Publizisten Rolltür oft genug zu Ohren gekommen war, konnte es ihm nur lieb sein, sich ihm in wichtiger und amtlicher Mission zu präsentieren. Divider verstand es buchstäblich fabelhaft, zu imponieren! Und wie sehr dachte er auch selbst, daß er dies tue, wenn er so geschäftig-geschäftlich offiziell herumregierte. Rolltür hatte sich eben, nach den Aufregungen des Tages, zu Bett begeben. Öffnete mit hellem Entsetzen die Türe. Divider erklärte ihm hastig, aber lang und breit, wer er sei, welche Befugnisse solchen Falles auch ein Universitätsprofessor besitze, ermahnte zur Aufrichtigkeit, daß eine Unwahrheit einem falschen Zeugnisse gleichkäme. Rolltür war so schlafverwirrt, daß ihm all dies sichtlich Respekt einflößte. Er gab auf sämtliche Fragen wie ein Rekrut Bescheid, meistens nein, da er wirklich nicht viel wußte, außer daß Tadisch sich einmal angeschossen, daß er von Drohbriefen geredet habe, daß dies aber Hirngespinste gewesen seien. Professor Divider unterbrach, bemerkte bedeutungsvoll, man ziehe natürlich in solchen Sachlagen gerne das Menschenmögliche heran. Man verwende zu einer Kausalitätskette oft Dinge, die dem Laien zufällig oder gänzlich belanglos erscheinen. Auf jeden Fall war Rolltür mit dem Professor ganz einig, daß unbedingt ein Unglücksfall vorliege und daß Doktor Tadischs Zündelsucht wohl die Ursache seines tragischen Endes geworden war. Hier wieder bot sich Professor Divider Gelegenheit, über Pyromanie im allgemeinen und im besonderen zu dozieren. Wenn auch nach den Erklärungen der Psychoanalytiker die Zündelsucht einem sexuellen Äquivalent gleichkomme, so vermöge er sich dieser Ansicht nicht ganz anzuschließen. Er neige eher dazu, diese pansexualistischen Theorien ein wenig abzulehnen. Nebenbei sei er doch von der Richtigkeit vieler Beobachtungen, von der Verdrängungs- und Komplexlehre überzeugt. Im konkreten Falle handle es sich aber sicher um einen ererbten und spezifischen Feuerspieltrieb. Er werde nicht versäumen, an die Angehörigen Doktor Tadischs zu schreiben, um die Aszendenz dieses unglaublich interessanten Falles wissenschaftlich zu verfolgen. Divider korrespondierte stets, wo sich nur die leiseste Handhabe bot, mit den erdenklichsten und unerdenklichsten Anverwandten. Auch machte er auf Staats- und auf Kosten der an einer Sache Beteiligten Reisen in aller Herren Länder. Immer bereit, fiktive und wirkliche Personen, wenn sie nur in den Akten figurierten, ans Tageslicht zu befördern. Den »großen Unbekannten« der Schwindler und Hochstapler – »es könnte doch etwas an der Geschichte sein« – spürte er mit Vorliebe nach. Hier schreckte er nicht davor zurück, auch mal einen energischen Griff in sein eigenes Portemonnaie zu tun. Leider fand auch er trotz allen Bemühungen diesen großen Unbekannten nie. Er war ein geriebener Kopf, unser Professor Divider.
Die dicke Frau Rolltür war außer sich. Ob all diese Verhandlungen zu nachtschlafender Zeit nötig gewesen wären? Hatte es wirklich einem dringenden Bedürfnis entsprochen, daß ihr Gatte bis fast um elf Uhr bei Rosa Meier, – pardon, Fräulein Ludwina von Lampel! – als Tröster gewesen war? Kaum beruhigt über diese erste Frage, mußte die Geheimratsbombe hereinplatzen.
Die spitznasige Frau des Verlegers Rundhaupt schrie, als sie Professor Dividers Läuten vernahm, von oben herunter, man solle sich zum Kuckuck, zum Gottseibeiuns, + + +, zur Hölle scheren, sonst leere sie den Pottschamber aus! Es sei keine Art und Weise, ruhige Bürger aus ihrem Schlummer zu wecken. Da erwies sich indessen als glückliche Eingebung, daß sich Divider von einem Polizisten hatte begleiten lassen. Nichts wirkt besänftigender, versöhnender auf den wohlerzogenen Mittelstand, als so ein blitzender Säbelknauf, als Tschako, Montur und goldene Knöpfe. Augenblicklich schrie sie die gleichfalls schreienden sieben Kinder an, zerrte den kaum zu weckenden Gatten aus dem Pfühl. In Unterhosen stolperte er treppab, öffnete den Buchladen und begleitete den Professor, den er übrigens sofort erkannte und sonst sehr als Kunden bedienerte, in seine Chefecke.
Hier unterhielt sich Divider betreffs der Zunahme der Unglücksfälle im allgemeinen und im besonderen. Er fragte nebenbei Rundhaupt, ob er eine populäre Broschüre über die Gefährdung durch Fahrlässigkeit publizieren würde, kam dann beiläufig auf den Brand in der »Blendlaterne« und wurde von Rundhaupt in der wichtigen Vermutung bestärkt, daß Doktor Tadisch offenbar Pyromantiker (wie Rundhaupt nachsagte, als der Professor von Pyromanie gesprochen hatte), gewesen sei. Rundhaupt wurde mittlerweile etwas wacher und führte nun seinerseits einiges über die traurigen Erfahrungen aus, die man mit den Autoren im allgemeinen und im besonderen zu machen habe. In herzlichem Einverständnis trennten sich beide.
»Der Fall klärt sich zusehends«, dachte Divider, im Auto zur Wohnung der Frau Wenkermann ratternd. Hier kam er leider entgegengesetzt an. Zwar drang er bis an die Zimmertüre in ihrer Pension vor. Dort aber wurde er mit einer Flut von allergewöhnlichsten Schimpfworten bedacht, welche die geweckte Philosophin auf ihn herunterprasseln ließ. Fridolinchen erschien einen Augenblick im Türspalt und spuckte einfach hinaus. Die beiden Verwaisten, die sie seien und die ihren Gemahl und Vater verloren hätten, jetzt noch zu belästigen, zu stören, das Andenken des Unsterblichen in seiner ersten Todesnacht zu besudeln, zu beschmieren, zu bedrecken und so weiter. Skandal, Niedertracht, Gemeinheit, Polizei! Der auftretende Uniformierte blieb wirkungslos, weil durch die beharrlich geschlossene Türe auch ein noch so prunkvoll ausgestatteter Wächter der Ordnung nicht gesehen werden konnte. Die übrigen Pensionsinsassen kamen mehr oder weniger angekleidet zum Vorschein und ergriffen für Frau Wenkermann Partei. Professor Divider und sein Polizist hatten nur noch einen Gedanken: wie man den Rückzug in Ehren bewerkstelligte.
»Hoffen wir, daß uns die Dame hier freundlicher aufnehmen wird«, sagte Professor Divider, als man bei Ludwina von Lampel eintraf.
Bis um halb elf Uhr hatte sie Herr Rolltür getröstet und war aus Mitleid zärtlich geworden. Jetzt saß sie noch angekleidet herum, teils mit Angst kämpfend, teils in ohnmächtiger Wut gegen Schit, der sich augenscheinlich aus dem Staube zu machen gedachte.
Sie vermochte sich das Verschwinden Hektors schon zu erklären, wenn sie wollte. Heute morgen, vor seinem Weggang zu Herrn Rolltür, war er dahintergeraten, daß sie zwei Sparkassenbücher auf ihren eigenen Namen angelegt hatte. Eine der in letzter Zeit selteneren Prügelszenen waren Grund genug, sich vorderhand nicht zu zeigen.
Das erzählte sie nun Professor Divider, der ihr größtes Vertrauen einflöße. Unverzüglich und mit salbungsvollen Worten versicherte er, dergleichen komme in den besten, in den allerbesten Familien vor. Im übrigen möge sie bitte ja nicht denken, daß es etwas Anstößiges an sich habe, wenn der Arzt zu so später Stunde in ein Schlafgemach eintrete. Da Fräulein Ludwina schon wer weiß wie lang seelisch mit sich gekämpft und gerungen habe, werde sie es zweifellos nur als Wohltat empfinden, jemanden um sich zu wissen, der sie verstehe. Als sie dann hartnäckig auf den Streit mit dem treulosen Hektor anspielte, konnte sich Professor Divider nicht enthalten, befriedigt zu äußern, dies gebe lediglich den Schlußknoten zur Aufhellung der bis dahin noch dunkeln Tatsache, daß Herr Schit seit heute morgen nicht mehr erblickt worden war. Zweifellos stecke er eben wo anders, werde jedoch, er kenne die Männerherzen, zu einer so gemütvollen – hmhm – Gefährtin, wie Fräulein Ludwina von Lampel, in Bälde zurückkehren. Man müsse so kleine Entgleisungen bei der polygamen Veranlagung des Herrn der Schöpfung nicht zu tragisch nehmen. Höchstens dürfe sich Gleiches mit Gleichem vergelten.
Ludwina bemerkte mit schalkhaft erhobenem Drohfinger, der Herr Professor sei aber auch einer! Schließlich fügte sie begütigend hinzu, wenn man einen dermaßen schweren Beruf ausübe und bis tief in die Nacht noch seinen Pflichten nachgehe, begreife man mancherlei. Der Teekocher stand auf dem Nachttischchen. Mit einladendem Lächeln fragte Ludwina, ob es dem Herrn Geheimrat genehm wäre, wenn ihn wenigstens nicht noch weitere Gänge abhielten, ein Täßchen zur Erwärmung bei ihr zu trinken?
Schutzmann und Chauffeur vor der Haustüre unten wunderten sich, daß im einzigen erhellten Zimmer des Hauses die Rollgardinen nach einiger Zeit hörbar heruntergelassen wurden und daß sich die Untersuchung des Herrn Professors, der sich eines untadeligen Rufes erfreute, über mehr als anderthalb Stunden erstreckte.