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Es geschah also am fünften Februar, an einem nebligen Freitag, als Munitionsfabrikant Rolltür eine Viertelstunde vor zwölf Uhr in Begleitung seines Verlegers und Kommanditärs Otto Rundhaupt, die Redaktion der »Blendlaterne« im Ateliergebäude Schnarp auf dem Berge neben der Wohnung Abraham Reals betrat.
Man war gerade übereingekommen, für Bibliophile eine Luxusausgabe der Zeitschrift auf echt holländischem Bütten herauszugeben und wollte mit Schit über den Kassenbestand beraten. So hatte es Rolltür um halb elf Uhr, anläßlich der regelmäßigen Morgenbesprechung in seiner Wohnung, mit ihm verabredet. Schit war einverstanden, die Berechnungen anstellen zu lassen und um halb ein Uhr die beiden Herren zu erwarten.
Erich Tadisch saß ingrimmig an einer Korrektur, immer im Kamelhaarmantel, mit Handschuhen. Vor seinem gegen das Fenster nach der Straße gelegenen Schreibtisch brummte er, als Rolltür ihn fragte, ob Herr Schit nicht dagewesen, was ihn die Privatangelegenheiten des letzteren angingen? »Sie könnten es wirklich vermeiden, Herr Rolltür, mich mit diesem kurzhosigen Kassier zu belästigen, der mir das Zusammenarbeiten mit Ihnen auf die Dauer verunmöglicht und mich, wie Sie wissen, ständig bedroht.«
Nach diesen Worten kehrte sich Tadisch wieder der Arbeit zu, würdigte Rundhaupt überhaupt keines Blickes und kritzelte an seinen Druckfahnen herum. Während sich Rolltür und Rundhaupt, ohne sich aus den Wintermänteln zu schälen, an die gegeneinander gerückten Schreibtische des Redaktionsraumes setzten, Rolltür Briefe durchging, Rundhaupt herumliegende Druckfahnen anschaute, zündete Tadisch, sichtlich vertieft in einen Gedanken, mit einem Streichholz ein Blatt Papier, ein Konzept an, wie er es schon früher etwa zum Ärger Rolltürs getan hatte. Brennend warf er es in den Papierkorb. Er erschrak offenbar gleich darüber, daß er einem »unbewußten« Zündelbedürfnis wiederum nachgegeben hatte. Mit den Handschuhen fuhr er in den Korb hinein und löschte das darin bereits entstandene Feuer.
»Sind Sie eigentlich ganz verrückt geworden?« schnauzte der Brotgeber Rolltür seinen Hilfsredaktor an, dieweil Rundhaupt seinen Kopf langsam hin und her kugelte und den vergeblichen Versuch machte, seine Augen mißbilligend hervortreten zu lassen. Das Geschehene schnitt ihm geradezu ins Fleisch, war seiner Natur ehrlich und aus tiefster Seele zuwider. Auch hatte ihn die Unpünktlichkeit Schits neuerdings sehr gegen die gesamte »Blendlaterne« eingenommen. Er brachte denn auch vor Rolltür unverzüglich die Kostenbedenken in Hinsicht auf das neue Projekt der Luxusausgabe zur Sprache. Obschon Rolltür das Geld ja nicht persönlich hergab, verstrickte auch er sich, seinerseits ärgerlich über Schit und Tadisch, mit Rundhaupt in eine heftige Diskussion, brach dann plötzlich auf, ohne sich von Tadisch zu verabschieden. Rundhaupt rannte, etwas schneller den Kopf schüttelnd, hinter ihm her. Dabei stieß ihm ein Unglück zu. Als er in das Vorzimmer gelangte, befand sich rechts von der Zwischentüre ein Stapel Zeitungen und Zeitschriften, teils Vorratsnummern der »Blendlaterne«, teils dort aufbewahrte Tagesblätter. Ein recht ansehnlicher verstaubter Haufe, schichtete er sich bis zur Brusthöhe an der Wand empor. Vor diesen Zeitungen glitt Rundhaupt im Vorbeilaufen aus, da der Boden merkwürdigerweise glitschig und wohl eben aufgewaschen worden war, und fiel mit der Stumpfnase gegen die sehr prominente Kante des Tisches im Vorraum. Auch der Tisch war über und über mit Zeitschriften und Büchern bedeckt. Rolltür, in diesem Augenblick nicht mehr sichtbar, stürmte beim entstandenen Gepolter aus dem Klosett, dessen Eingang auf das Vorzimmer ging, heraus, half dem verdutzten Rundhaupt auf die Beine und führte den aus der Nase Blutenden zur Waschgelegenheit in die Toilette, wo man den unfreiwilligen Aderlaß rasch beschwichtigen konnte.
Als die beiden Herren schon auf der kleinen Treppe zum Redaktionsausgang nach dem Walde anlangten, bellte Rolltür zu Tadisch zurück, der sich bei seiner Korrektur nicht gemuckst zu haben schien:
»Sagen Sie doch der Putzfrau, Doktor Tadisch, wenn sie schon mal reinemacht, dann möge sie auch richtig auftrocknen, – Schweinerei, so was!«
Dabei bemühte er sich, Rundhaupt beim Abklopfen des Staubes behilflich zu sein, mit dem er trotz dem aufgewaschenen Boden sich behaftet hatte, – offenbar von Büchern auf dem Tisch im Vorraum. Sein Spitzbauch kam ihm während des Versuchs, Rundhaupt seine Teilnahme zu bezeugen, fortwährend in die Quere.
Etwa eine halbe Stunde später, ein Viertel nach ein Uhr, kehrte Abraham Real, ausnahmsweise zu einem kranken, alten Freund gerufen, nach seiner Wohnung zurück und nahm augenblicklich zweierlei Auffälliges wahr: Einen Mann in Kniehosen, hinter dem Atelier- und Redaktionsschuppen im Wald verschwindend, – er hätte geschworen, daß … aber nein, das war doch nicht möglich. –
Und zweitens, als er den Blick auf die Fenster der Redaktion und des Vorzimmers richtete: Feuerschein! Blitzschnell glimmt es an den Gardinen empor! Dann Rauch, immer dichterer Rauch! Knacken springender Fensterscheiben, aus deren Spalten ebenfalls Dampf und schon Flammen hervorzucken. Noch wenige Sekunden. Die Redaktion der »Blendlaterne« brennt lichterloh!
Der alte Herr rennt um den Schuppen herum, zu der dem Walde zugekehrten Eingangstüre, versucht einzudringen. Die Türe, verschlossen, gibt nicht nach.
Mit voller Wucht stemmt er sich dagegen, wirft die Achseln gegen die Türe. Abraham Real ist groß und kräftig. Die Türe biegt sich, aber nur, um ihm beißenden, schwarzen Qualm in Augen und Nase zu treiben und ihm so schnell den Atem zu rauben, daß er zurücktaumeln muß.
In großen Sprüngen um den Platanenhof herum, hinauf in die eigene Wohnung im ersten Stock, in die Küche zu Jungfrau Hermine, eine Axt ergreifen, Hermine zurufen:
»Auf den Münsterturm telephonieren! Feuer im Atelier!«
Hinunter in die Erdgeschoßwohnung Schnarps – der Futurist ging über Mittag immer mit der gegenwärtigen Gemahlin in die Stadt zum Essen, nachher in den »Maulbeerbaum« – durch die Wohnung Schnarps hindurch, die verschlossene Glastüre am Verbindungsgang zum Atelier einschlagend. Dann besinnt sich Real, auch er ist kopflos geworden. Wieder hinauf in seine eigene Wohnung. Zum Fenster hinüber, wo er das Dach des Verbindungsganges erreichen kann – mit mächtigen Hieben darauf hämmernd, daß die Ziegel und kleineren Dachbalken splittern. Dann wieder hinunter, vors Haus, von außen auf die Bretterfassade hämmernd. Vorübergehende laufen hinzu; Nachbarn der nächsten, immerhin recht entfernten Häuser, greifen zu Stangen, zu Pflastersteinen, was sie gerade finden, trimmen mit ihm vereint auf die Verbindungswand ein und legen in wenigen Minuten eine Bresche. Minuten, die genügen, daß die Flammen aus der Redaktion prasseln, dann aus dem Firste des Ateliers Schnarp. Krachend bricht das Rückgrat des ganzen hölzernen Schuppens, knickt ein, rollt sich zusammen wie ein in Asche zerfallendes Streichholz; die obersten Dachbalken donnern in die Tiefe hinab, in das Atelier. Einen Augenblick hört man den Stutzflügel winseln, dessen Lack grün in die purpurne Lohe hineinfunkt; und nun spitzen sich haushoch die Flammen, zweimal haushoch, in den dunkelgrauen, mit niedrigen Wolkenschwaden verhängten Februarhimmel, sprenkeln den Nebel, in dem alles um diese Mittagszeit beschattet und farblos dagelegen hat, dunkelkupferig; ungeahnte, unausdenkbar phantastische Rauchballen entsenden das dürre, außen schneefeuchte Holz, die aufgestapelten Bücher und Zeitungen. Endlich stapfen die ersten Feuerwehrleute bergan.
Ganz weit her, vom Münsterturm hört man den Haspel wimmern, Armsünderglocke mit giftigem Ton. Unsere Feuerwehr tropft weiter einzeln, sehr pustend, sehr eifrig, über den Berg herauf, einige rasseln mit einem Hydrantenkarren an, legen einen trockenen Schlauch. Dann beginnt es zu kommandieren, vielstimmig, nutzlos, durcheinander: »Hydrant Numero eins Wasser!«
Jeder fühlt sich bemüßigt, diesen Ruf mehrmals zu wiederholen. Das Wasser schwellt träge den Schlauch; fast so langsam scheint es vorzudringen, wie wenn eine Riesenschlange das Kaninchen durch den langen Schlund sichtbar hinunterwürgt. Kleine Springbrunnen spritzen aus schadhaften Stellen der Leitung auf. Endlich prustet der Strahl mitten ins Feuer, bis Real, immer noch dabei, überall voran, das Wendrohr an sich reißt und zunächst einmal die Mauer des von riesigen Fackeln schon gierig beleckten Platanenhofs bestreicht. Noch ein Hydrant rumpelt heran. Nun eine Feuerspritze. Man flucht, schreit, befiehlt. Volk trifft von allen Seiten ein. Buben in unwahrscheinlichen Scharen, manche mit den Schulränzeln auf dem Rücken, vergessen Lehrer und Lehrerin, weichen nicht vom Platz. Man umsteht in immer dichter werdenden Knäueln den Brand, Männlein und Weiblein, jung und alt, groß und klein, reich und arm, erschauert, bewundert, wenn eine besonders prächtige Garbe ausbirst, gestikuliert, trägt aus dem Atelier Schnarp unter Lebensgefahr ein futuristisches Gemälde samt Staffelei heraus, einen angebrannten, weithin penetrant nach Terpentin riechenden Ölfarbkasten, stellt alles mitten in einen aufgetrampelten, von rußschwarzem Schnee bedeckten Acker. Man rettet noch durch das letzte erhaltene Fenster, unter Anlegung von Rauchmasken, eines der Kanapees, Zeuge der Schnarpschen Orgien (landkartenartige Löcher sind im gelbschwarzen Damast ausgekohlt, daß Seegras und Roßhaar herauskräuseln), man lacht, man drängt vor und zurück, dann kommt etwas Disziplin in die Geschichte. Polizisten schnaufen auf den Fahrrädern heran; anderen geraten die Säbel beim Rennen zwischen die Beine; man drängt das Publikum zurück, spannt eine Schnur aus, welche zwei Feuerwehrleute halten und über die das Volk nicht hinweg darf; im richtigen Augenblick immerhin, denn schon krachen die Holzwände nach innen ein und begraben die ehemalige Ateliers- und Redaktionsherrlichkeit ohne Ansehen der Werte unter sich. Es brennt lichterloh weiter, brennt und brennt. So viel kostbares Heizmaterial in der Zeit ärgster Kohlen- und Holznot, wie die anwesenden Hausfrauen in Filzschuhen und Küchenschürzen jammernd feststellen. Bis gegen die vierte Stunde zucken die Flammen stets wieder auf, bis gegen fünf Uhr, als es schon dunkel wird, vermengen sich kupferfarbige Rauchschwaden mit weißgelben Nebelfetzen und glimmen vom Berg hin über die Stadt.
Das Wohnhaus wurde gerettet; die beiden Platanen standen unversehrt; die Realschen und Schnarpschen Räume lagen fußhoch unter Wasser; immerhin nicht das Arbeitszimmer Reals, nicht seine Bücher. Er hatte sich, nachdem Volk und Feuerwehr eine eigentliche Belustigung an ihrem Diensteifer bekundeten, zurückgezogen, dieweil Jungfrau Hermine in ihrer Aufregung ein Stück Geschirr um das andere in Scherben schlug.
Die Gestalt in Kniehosen, die beim Brandausbruch in den Wald gelaufene, beschäftigte Real stark.