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Professor Divider war immer früh auf dem Posten. Man sah ihm kaum an, wieviel Ruhe der Nacht ihn die Nachforschungen gekostet hätten, als er sich von seinen beiden wacker beschmißten Assistenten das Protokoll verlesen ließ. Nach vollzogener Leichenschau hatten sie bis gegen drei Uhr morgens im Seziersaal verweilt und gehofft, der zufriedene Chef werde sie noch bei ihrer Pflichtausübung überraschen. Allmählig umzäunten sie das in ewigen Schlummer hinübergegangene Brandopfer mit Flaschen geleerten Bieres. Der Institutsabwart pflegte solches für ähnliche Gelegenheiten in der Totenkammer kühl bereit zu halten. Begreiflicherweise war es bei der Beschaffenheit der Leiche völlig unmöglich gewesen, zu entscheiden, ob ein Verbrechen oder ein Unglücksfall vorliege. Eine Leichenöffnung lohnte sich nicht. Wenn der Chef sie anordnete, – gut. Einstweilen schrieb man auf, was festzustellen war. Die Herren Assistenten entdeckten beim Abstreifen des linken Handschuhs, den der Tote noch trug, einen Trauring mit den Initialen E. T. und J. W. Wiederum eine Bestätigung der Identität Tadischs mit dem gefundenen Körper. Andererseits verlieh dies auch den Aussagen der Frau Wenkermann neues Gewicht, wenn sie darauf beharrte, Herrn Tadisch als rechtmäßige Gattin angetraut worden zu sein. Das eingravierte Datum im Ringe wies auf achtzehn Jahre zurück. Wenn das siebzehnjährige Fridolinchen die Tochter Tadischs sein wollte, dann stimmte diese Behauptung ganz mit der gemachten Entdeckung überein.
Professor Divider freute sich mit seinen Assistenten über die scharfsinnigen Schlüsse, die sie aus dem Befunde gezogen hatten. Dann begaben sich alle drei im Auto zu Doktor Leberstein und nach einem gemeinsamen Frühschoppen zur Brandstätte. Bei der sorgfältigen Räumung des Platzes stieß man an dem Orte, wo die Leiche gelegen hatte, noch auf einige halbverbrannte Stoffreste, die mit Erich Tadischs Kamelhaarmantel übereinstimmten. Ferner fand man sein fast unversehrtes, mit seinen Anfangsbuchstaben gezeichnetes, übrigens blutbeflecktes Taschentuch, weiter ein langes, dolchartiges Messer, das der Redaktion zum Papierschneiden gedient hatte und endlich einen sogenannten Totschläger, ein massives Gummistück, oben mit Blei ausgegossen.
Rolltür langte inzwischen – es war gegen neun Uhr – ebenfalls bei seiner verbrannten »Blendlaterne« an. Professor Divider unterhielt sich leutselig mit sämtlichen Anwesenden. Man stapfte – die Kälte nötigte dazu – bald auf der Straße herum, bald in der schon durchsuchten Asche. Dann wieder kehrte man in die noch unerforschten Trümmer zurück, wenn irgendein neuer Gegenstand Aufsehen erregte. Gerade der Totschläger rief einiges Befremden hervor. Rolltür erzählte, in welcher Weise er Tadisch einmal einen Browning aufgedrungen habe, da dieser sich der Drohbriefe wegen fürchtete. Möglich, daß er auch einen Totschläger erstanden.
»Wie dieser ungeschickte Mensch ausgerechnet an ein solches Instrument geraten konnte. Merkwürdig, immerhin merkwürdig.«
Mittlerweile hatte man im ehemaligen Redaktionszimmer aus dem Schutte den eisernen Sicherheitsschrank ausgegraben. Die äußere Türe stand offen. Das innere, verschlossene Fach, in welchem Herr Schit nach Rolltürs Aussage Privatpapiere, in Wirklichkeit meinte er Geheimakten, aufzubewahren pflegte, war anscheinend unversehrt. Der Inhalt zeigte sich jedoch nur zum Teil guterhalten und Rolltür stellte sofort zu seiner Beruhigung fest, daß sich nichts Kompromittierendes unter den leserlichen Blättern befand. Dagegen hätte Ludwina von Lampel daraus unzweifelhaft entziffern können, daß Schit es mit der Treue nicht gar zu genau genommen.
»Was für Liebesartikel verwahrten Sie im äußeren Fache ihres Geldschrankes, wenn Herr Schit im Inneren seine billets doux versorgte?«, fragte Doktor Leberstein, immer witzig, den Munitionsfabrikanten.
»Ein Gemütsmensch sind Sie, Herr Untersuchungsrichter. In unserem Alter schreibt man sich solche Dinge nicht mehr.«
»Man tut sie nur«, meckerte Leberstein. »Also, was hatten Sie drin?«
»Gewöhnlich Papiergeld. Es lag zur Bestreitung der laufenden Ausgaben unserer Administration, welche Herrn Schit unterstand, bereit.«
»Größere Beträge?«
»Fast immer einige Tausende.«
Doktor Leberstein verwunderte sich.
Rolltür erschrak über seine unvorsichtige Aussage. In Wahrheit hatte man das Geld auch für die anderen weitläufigen Geschäftsbetriebe der »Blendlaterne« stets zur Stelle gehabt. Gerade gestern früh war seine Rate der »Subsidien« eingetroffen.
Etwas stotternd fügte Rolltür hinzu: »Ja, unsere literarische Mission begann nämlich in größere Dimensionen auszuwachsen. Auch bin ich vielfach von bedürftigen Künstlern angegangen worden.«
Es schien ihm sichtlich schwer, auf seine mildtätige Gesinnung eine Anspielung zu machen und man schwieg infolgedessen taktvoll.
Von den Banknoten im Kassenschrank zeigte sich gar nichts mehr. Man mutmaßte, daß sie verbrannt waren.
Professor Divider redigierte zusammen mit Doktor Leberstein eine Mitteilung an die Presse, da ja begreiflicherweise der Brand das Stadtgespräch beherrschte.
»Nach den minutiösen Nachforschungen unseres weit über die Grenzen hinaus berühmten Professors am gerichtsärztlichen Institut und des für seinen Pflichteifer rühmlichst bekannten Untersuchungsrichters Doktor Leberstein beim Brand des Ateliers und Redaktionsschuppens, in welchem die Räume der »Blendlaterne« untergebracht waren, ist leider ein Menschenleben zu beklagen. Vermutlich war der Verunglückte, Herr Schriftsteller Dr. phil. Erich Tadisch, das Opfer des von ihm selbst angezündeten Feuers. Litt er doch, nach den interessanten Erhebungen des Herrn Professors Divider, an einer krankhaften Feuerspielsucht (Pyromanie). Durch eine in solchem Zusammenhange begangene Unvorsichtigkeit, höchstwahrscheinlich durch nicht gelöschte Asche im Papierkorb (ein warnendes Beispiel!) löste der Bedauernswerte die Wut der Elemente aus. Das Ergebnis der vom gerichtlich-medizinischen Institut vorgenommenen Leichenöffnung mußte resultatlos ausfallen. Die Ärzte erklärten, daß es bei dem Zustande des stark verkohlten Kadavers zu entscheiden unmöglich war, ob der Tod durch ein Verbrechen oder einen Unglücksfall verursacht wurde. Anhaltspunkte für eine Missetat liegen nicht vor.«
So dachte keine von den maßgebenden Personen im Laufe des Tages ernstlich an ein vorsätzliches Verbrechen oder gar an irgendwelche Schurkerei. Der Untersuchungsrichter hätte zu gern einen Vorwand gehabt, Abraham Real und den Platanenhof mit in die Sache hineinzuziehen. Aber etwas Plausibles war nicht herauszubringen. Notgedrungen verzichtete er auf seine »Hypothese«. In einem Rapport faßte er sich dahin zusammen, daß Erich Tadisch im Redaktionszimmer, offenbar an seinem Schreibtisch sitzend, wie er um halb ein Uhr noch von Herrn Verleger Rundhaupt beobachtet worden war, nach seiner sehr üblen Gewohnheit Konzepte zu seinen Manuskripten verbrannt habe und dabei unvorsichtig vorgegangen sei. Außerdem erinnerte man sich, daß Erich Tadisch früher und auch noch während seiner Anwesenheit in unserer Stadt an epileptischen Anfällen gelitten hatte.
Professor Divider wollte es sich überdies nicht nehmen lassen, ein zweites Mal bei Frau Wenkermann vorzusprechen, um sich für die nächtliche Störung zu entschuldigen. Er mochte es mit niemand verderben, am wenigsten mit einer so bekannten Philosophin. Unerwartet wurde er huldvoll empfangen. Frau Wenkermann, nun ganz schwarz gekleidete Witwe, mit einem Trauschein versehen, den sie zum Erstaunen Fridolinchens hervorgekramt hatte, wies denselben dem Professor unvermittelt vor und wünschte, daß man ihr die Überreste des teuren Seligen möglichst bald überantworte. Doktor Wankelung war gerade kondolieren gekommen, ebenso Wratocek, der nicht von ihrer Seite wich und mit ihr das Schicksal des großen Freundes beweinte. Divider zeigte sich höchst erfreut, unsere Literatur auf einmal beisammen zu treffen. Er versäumte nicht, die Worte Tadischs aus Wratoceks Mund anzuhören, Worte, welche den Besuch des Verstorbenen bei Abraham Real und den dort erlittenen epileptischen Anfall schilderten.
Diese Aussagen seien so fachmännisch, so in unerfindbaren Einzelheiten durch ein künstlerisches Auffassungsvermögen, wie das des Herrn Wratocek dargeboten, daß es sich vollständig erübrige, bei Herrn – hmhm – Kollegen Real sich näher zu erkundigen. Um so mehr, als dieser politisch etwas eigenartig orientierte Auch-Mediziner ohnehin in akademischen Kreisen kein besonderes Zutrauen genieße.
Im Rapport des Untersuchungsrichters hieß es dann weiter, es sei gar nicht ausgeschlossen, daß der Ausbruch des Brandes mit einem Wehanfall des in dieser Hinsicht unglücklich veranlagten Schriftstellers in Zusammenhang stehe. Oder aber, da ja die Leiche nicht im Redaktionszimmer, sondern im Vorraum lag, daß der nervöse und schwächliche Mensch bei dem Versuche, Manuskripte, Akten und das Geheimfach zu retten, in der Aufregung einem Herzschlag erlegen sei. Als fernere Eventualität zog man in Erwägung, daß ein umstürzendes Büchergestell – im Vorraum war ein solches an der dem Leichenfundort gegenüberliegenden Wand befestigt gewesen – ihm auf den Kopf gefallen sei und ihn dort verwundete oder betäubte. Eine Verletzung der Schädeldecke lege diese Auffassung ebenfalls nahe. Den genannten Schlußfolgerungen sich anschließend, verfügte der Untersuchungsrichter, daß die Leiche freigegeben und der bei dieser Gelegenheit sich als rechtmäßige Gattin ausweisenden Frau Isidora Tadisch-Wenkermann ausgehändigt werden möge. Damit erkannte er den verkohlten Körper als den des Herrn Erich Tadisch an, was auch mit der allgemeinen Auffassung übereinstimmte.
Herr Kunsthändler Moritz Schmeißinger hatte sich bei der Witwe eingefunden, den ersten, aus unseren Bergblumen prachtvoll gebundenen Kranz überbringend. Er sagte ihr jegliche Hilfe zu. Das furchtbare Unglück seines einstigen und wohl auch in bezug auf den Nachlaß so hochgeschätzten Autors verpflichte ihn, für eine würdige Bestattung bemüht zu sein. Er habe sich bereits mit der Vereinigten Kunstgesellschaft (VKG) unserer Stadt in Verbindung gesetzt, wie überhaupt das Schrifttum im ganzen Lande von innigstem Mitgefühl erschauere. Den schon ausgesuchten Begräbnisplatz, im Friedhof oben auf dem Berge, nahe seiner letzten Wirkungs- und Schicksalsstätte, bitte er Frau Wenkermann, von ihm annehmen zu wollen.
Die Einzelheiten der Bestattung wurden dem Präsidenten der Vereinigten Kunstgesellschaft (PVKG) übertragen, das Datum auf den achten Februar festgelegt. Am Abend des sechsten, des Samstag, erschienen die ersten, sehr warmen und ehrenvollen Nachrufe. Vorab aus der Feder Doktor Wankelungs, der dem literarischen Werk des Verstorbenen voll und ganz gerecht ward.