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13. Kapitel.
Die Äthermaske.

Hektor Schit blickte jetzt die fertig zum Ausgehen her gerichtete Ludwina von Lampel, nach der gemeinsamen Lektüre der Tadischakten trotz allem mit schwimmenden Äuglein an. Auf der Straße gefiel sie ihm. Auf der Straße war sie ihm der Inbegriff allen Schicks, aller Eleganz, aller mondänen Raffiniertheit, nach der er sich aus seiner vaterlosen Proletarierkindheit immer gesehnt hatte. Er bot ihr mitsamt Kniehosen und Gamsfederhütchen den Arm und beide watschelten, im Gang völlig übereinstimmend, körperlich und geistig einer Gesinnung, zum »Maulbeerbaum« hin. Sie saßen alle schon da, Wenkermann Mutter und Tochter, Wratocek, dekorativ bekrückt, Wankelung, unrasiert wie immer, die Stuhlbeine mit seinen Gehwerkzeugen dreimal umwindend. Die lebhafte Diskussion wurde nicht unterbrochen, als das Liebespaar sich ihnen zugesellte.

»Dieser Kompromißonkel von Weimar, – ääh – ööhh –« krächzte Wratocek, »dieser klassische Dreck- und bürgerliche Gedankenkehricht – –«

»Nein, das geht über die Hutschnur«, zappelte Wankelung an seinem Stuhl hin und her. »Goethe war immerhin ein ganz Großer, in dessen Licht und Wärme sich die heute noch lebende Generation – –« Ein Geheul aller am Tisch unterbrach ihn. Frau Wenkermann rief: »Sentimentalität goldbestickter Frackschöße, gestärkter Hemdenbrüste in der Laboratoriumsretorte Wagnerscher Hexenküche. Pubertätsinfantilismus Werterscher Leiden, Freuden einer alten Entwerterin!«

»Bewundernswerter äh – öh – Einfall unserer verehrten Philosophin«, stotterte Wratocek ehrfurchtsvoll und im Ernst, indem er einen gehäuften Löffel Schlagsahne in den Mund schob.

»Mama ist doch immer die geistreichste«, flüsterte ihm Fridolinchen schwärmerisch zu.

»Goethe liebte nur aus dem Unterleibe, – äh – öh, er kannte nur die niedrigsten Regionen, er mischte sich die chemischen Stoffe der Geschlechtlichkeit zusammen und nannte sie Wahlverwandtschaften«, fuhr Wratocek fort.

»Die Libido seiner Verdrängungen gaste aus dem Unter- und Vorbewußten empor, wenn er in seinen Dichtungen sich selbst abstrahierte. Ohne schöpferisches Dazutun. Seine Walpurgisnacht-Wunscherfüllungen steigen aus dem Sumpfe seiner perversen Sexualkonstitution herauf und gehen in die Regressionen der Mythologie aller Jahrhunderte zurück. Verdienstloses Wiedergekäu überlebter Symbolik!«

»Großartig, diese Mama«, flüsterte wieder Fridolinchen und berührte mit dem Fuße eines der sich gerade ausstreckenden Spinnenbeine Wankelungs, das entsetzt an seine Stuhlstütze zurückzuckte. Noch einmal versuchte Wankelung schüchtern, Goethe zu verteidigen, indessen übrigens Tadisch im Lokal erschien, sich seitlings zum Tische schob, dann, als er Schit erblickte, umkehren wollte, sich in den Kamelhaarmantel zurückzog, zuletzt aber doch, ohne Hut und Handschuhe abzuschälen, so abwesend wie möglich Platz nahm. Man sah es Tadisch an, daß er im Innersten erbost war. Trotzdem verneigte er sich steif, für seine Verhältnisse immerhin höflich gegen Ludwina von Lampel, reichte Schit die Hand. Man fühlte einen gänzlich leblosen Gegenstand, ein sich heranschiebendes Stück feuchter Seife.

»Immerhin, bitte sehr, lassen wir uns durch nichts in der Auffassung beirren, daß Goethe nicht nur ein Wegweiser war, der uns von den bedeutendsten Geschenken an die Menschheit vererbt hat, sondern daß er uns auch in Werk und Leben die Dinge aufs glücklichste entwickelte und offenbarte«, beharrte Wankelung. Ohne jedes Pathos. Wodurch seine Worte fast mit den Marmorbelägen der Maulbeerbaumsäulen in Einklang gerieten.

»Es kriecht nach oben und arrogiert nach unten. Was ist das? – Goethe!«

»Großartig«, sekundierten Wratocek und Fridolinchen die Wenkermann.

»Die kommende Generation wird seine Weisheit auf den Müllhaufen der Vergangenheit werfen! Bürgermastdarm- und Bauchgekröse!« platzte hier Tadisch dazwischen.

»Na, na, Herr D – o – k – t – o – r«, ließ sich nun Schit hören, der die Gelegenheit benutzte, um den Titel mit Genuß gedehnt aussprechen zu können. »Seien Sie doch ein bißchen jemütlich. Trinken Sie mal erst eine Schale Jold.«

»Heißgewordener Blasenausgang des Genius, Onanat der feindrapierten Wohlanständigkeit. Steißgeschmier, gleich dem der meisten unserer heutigen Romanklassiker, lieber Kollege Schit.«

»Einverstanden, Kollege Dok-tor Tadisch.«

Tadisch fuhr zu lästern fort. Die andern fanden ihn heute außerordentlich geistreich. Schließlich aber ärgerte er sich dermaßen, daß er auf einmal den Kopf ganz aus dem Mantel herausstreckte, mit dem assyrischen Feuerbärtchen wippte und laut ins Kaffee hineinschrie: »Und Goethe war schließlich doch ein Schwein!«

Im Sprechchor stimmten die andern in sein Wort ein. Damit hatte sich der Friede gleichsam wieder hergestellt, konnte sich Tadisch endgültig in den Mantel zurückziehen und sich fortan nur mit gelegentlichen Sticheleien gegen Schit und seine Geliebte, denn auf sie hatte er es sichtbarlich abgesehen, am Gespräche beteiligen. Die Unterhaltung ging denn auch in gleicher, angeregter Weise weiter. Bald »demolierte« sie einen von der Geschichte und der Allgemeinheit Anerkannten. Bald hob sie eine anwesende oder in Verbindung mit den Anwesenden stehende Null in den Parnaß, und wurde lauter, wenn die Bourgeois im Mittelraum des Kaffees aufhorchten. Sie artete nahezu in ein demonstratives Heben der Stimme aus, wenn einer etwa gar den Kopf schüttelte. Beschwichtigend kam der Kellner Gustav angelaufen.

Wankelung griff zuguterletzt, wie immer in solchen Fällen, zum Hut und machte sich, ein begossener Pudel, davon. Er tat es mit Vorliebe, wenn er eine der Honoratioren unserer Stadt unter den übrigen Gästen des »Maulbeerbaumes« witterte. Schit fühlte sich von jeder neuen Bemerkung Tadischs immer empfindlicher getroffen. Er antwortete ebenso spitz und kurz, bei der Gegenrede den Doktor gedehnt betonend. Das vernehmbare Gespräch endete, wie gewöhnlich, beim Thema Verleger und Vorschuß. Und Tadisch bot Schit an, eines seiner bereits mehrfach gedruckten Bücher an eine bekannte Firma, um eine populäre Ausgabe zu veranstalten, weiter zu empfehlen. Dabei war er fast sachlich geworden.

Ein Gedanke jedoch drängte sich Tadisch in all dem Geschwätz unwiderstehlich auf. Nichts wie diese Untertöne in Schits Sprechweise, in seiner Art, ihn fast höhnisch und gleicherzeit wie triumphierend zu titulieren, konnte ihm besser bestätigen, was ihm kurz vorher durch von Wildthaußen kundgetan worden war.

 

Denn direkt von der Junkerstraße 49 her war Erich Tadisch jetzt in den »Maulbeerbaum« eingekehrt. Er hatte die Aufforderung von Wildthaußens, zur Entgegennahme einer wichtigen Mitteilung vorbeizukommen, nicht allzulange mißachten dürfen.

Von Wildthaußen war diesmal Herr der Partie geblieben. Mit Vorwürfen auf Tadisch eindringend, als dieser kaum in der Türe erschien, erklärte er ihn als für Geheimdienste unbrauchbar, unfähig, eröffnete ihm, ohne daß Tadisch auch nur einen Augenblick zu Worte gelangen konnte, daß er seiner eigenen Unvorsichtigkeit und Ungeschicklichkeit allein es zu danken habe, wenn Herr Schit nun ein Material gegen ihn, Tadisch in Händen halte, das aber auch dem Büro Wildthaußen ungemein gefährlich werden mußte. Er, Tadisch, habe seine ihn selbst betreffenden Akten, die, das gebe von Wildthaußen zu, nicht ganz zufällig ebenfalls auf seinem Schreibtisch gelegen hätten, gestohlen und an Schit ausgeliefert.

Tadisch war so überrumpelt, so erschrocken gewesen, daß er von Wildthaußen auch dann nichts erwiderte, als dieser zu reden aufhörte.

Von Wildthaußen pflanzte sich hinter seinen Schreibtisch, da er zu bemerken glaubte, wie Tadisch seine behandschuhten Fäuste in den Taschen des Kamelhaarmantels ballte. Umso freundlicher, süßer sprach er jetzt auf Tadisch ein.

Das Vorgefallene sei insofern nicht ganz zufällig gewesen, als sich von Wildthaußen mit Tadisch in Gedanken beschäftigt habe, während er gemäß Vereinbarung die ihn, Wildthaußen, belastenden Akten bereitlegte. Eben jene Akten, die seine eigene Person bloßstellten und nebst dem »Narrenseelsorger« Schit in die Hände gespielt werden sollten. In diesem Augenblick nun habe er ganz unwillkürlich zu dem Aktenbündel Tadisch aus der Registratur gegriffen und sich vorgenommen, die sehr faule Doktorgeschichte auf alle Fälle zu entfernen. Dann, wie das so geht, rief das Telephon an, traf die Post ein, folgte eine Unterredung mit der Gesandtschaft, dieweil die Bombenaffäre, von der er ja wisse, immer kritischer wurde, – kurz, die Akten blieben liegen und er, Tadisch – wie konnte man so unvorsichtig, so wahnsinnig kopflos sein, habe sie mitgeschleppt und seinem Denunzianten, dessen Mißtrauen ja beseitigt werden mußte, eigenhändigst ausgeliefert. Tadisch hatte sich ganz in den Schreibtischsessel zusammengekauert. Nicht, daß er von seinen Erlebnissen sehr stark erregt wurde. Aber seine geistige Reputation, seine intimsten Freuden, die Korrespondenzen und Intrigen mit Verlegern und literarischen Schiebungszentralen, das fiel ihm blitzschnell ein, die wurden durch die Angelegenheit, wenn Schit nicht schwieg, samt und sonders über den Haufen geworfen.

Von Wildthaußen redete, während Tadisch sich all das eben Erwähnte überlegte, in sanften Tönen weiter, sog dabei an der unvermeidlichen Importe, die er sich diesmal wohlweislich gehütet hatte, Tadisch anzubieten. Zuerst sei er, Wildthaußen, über das Mißgeschick restlos zerschmettert gewesen. Denn der Zweck des Diebstahls habe doch dahin gelautet, den unruhig gewordenen Schit zu beschwichtigen. Wer schlug den Einbruch vor? Tadisch selbst. Um den unwiderleglichen Beweis zu erbringen, daß er, Tadisch, mit von Wildthaußen keine gemeinsamen Beziehungen haben konnte. Demzufolge nun, daß bei ihm, von Wildthaußen, sogar Akten gegen Tadisch selbst vorlagen, war dieser Beweis im Grunde ja handgreiflich erbracht.

Tadisch fuhr auf. »Selbstverständlich. Dadurch haben Sie sich doch verraten, von Wildthaußen, daß Sie mich ausliefern wollten, daß Sie meine Akten absichtlich hinpraktizierten!«

»Wußte natürlich, daß Sie damit kommen würden. Aber schlechte Psychologie. Hätte Ihnen die Tatsache einfach verschweigen können, wenn schlechtes Gewissen gehabt. Kn. Schit wird dicht halten, wenn Sie ihn nicht reizen. Und das liegt auch gar nicht in Ihrem Programm, ihn zu reizen. Sollen doch weiter an der ›Blendlaterne‹ bleiben, um mir Ihre – kn – wohlbezahlten Dienste zu leisten. Hatte nicht das mindeste Interesse, Sie vor Schit bloßzustellen. Endlich müssen Herr Doktor Tadisch bedenken: Bedaure sehr, der Akten über Sie nicht mehr habhaft zu sein. Hätte Ihnen am liebsten vorgeschlagen, sie auf gleiche Weise aus der ›Blendlaterne‹, wo sie Schit vermutlich hinschaffen wird, oder aus seiner Privatwohnung wieder herzuschaffen, wie sie von mir weggenommen sind. Aber werden sich natürlich hüten, mir diesen Streich gegen Ihr eigenes Ich auszuüben. Ob Sie's für sich tun wollen – Ihre Sache –, aber gefährlich. Verdacht müßte unbedingt auf Sie fallen. Damit wäre erwiesen, daß ich Sie über den Verlust aufgeklärt haben könnte und hierdurch die Tatsache erhärtet, daß wir unter einer Decke stecken, kn.«

»Wer sagt mir, daß Sie die Dokumente wirklich auslieferten und nicht vorsorglich nur Abschriften?« warf Tadisch, gelb im Gesicht, dazwischen.

»Sieh einer den nur mit der Feder und sonst mit nichts auf der Welt vertrauten Einsiedler in härenem Gewand! Gut kombiniert für einen Literaten! Lemberg-Krakau. Kn. Heißen mich Lügner, weil ich sage, ich reiste nach Krakau, damit Sie meinten, ich sei unterwegs nach Lemberg. Halten aber doch dafür, daß ich nach Krakau fahre. Gut kombiniert. Halten dafür, ich behauptete, ich hätte die Originaldokumente herausgegeben, während es nur Abschriften waren. Wenn ich nun erkläre, es seien doch die Originaldokumente gewesen, so sei ich ein Lügner. Aber man kann die Sache weiter fortsetzen. Ich bleibe dabei, daß mir leider Originaldokumente entwendet wurden und vermag Sie nicht zu verhindern, zu glauben, daß es lediglich Abschriften waren. Vorschlag zum Guten: Nehmen Sie die Sache psychologisch! Kennen mich doch. Bin zu faul, selber abzuschreiben. Vertraue solche Angelegenheiten fremden Hilfskräften nicht an. Bin nicht so, mich mit unnötigen Kopierarbeiten abzuplagen. Wäre mir auch nicht in den Sinn gekommen, bevor Sie Ihren Zweifel in etwas hitziger Weise auszusprechen beliebten. Nein, leider – kn – besitzt Herr Schit meine Originalpapiere, meine für Sie recht kompromittierenden Akten, Herr Doktor. Und ich selbst kann, weil diese Schriftstücke so unerfreulich beschaffen sind, nur bedauern, sie nicht mehr in Gewahrsam bei mir zu wissen. Denn, und damit liefere ich Ihnen fast mich selbst aus, – kn –, waren ein Mittel, mit dem ich mir Autorität über Sie anmaßte und Sie zu Diensten anhielt, ja zu Diensten befahl. Werde von jetzt an nur mehr an Ihre Freiwilligkeit appellieren können. Habe mir damit einen wertvollen Mitarbeiter aus den Händen gespielt.«

Welches Maß von Bedauern drückte sein Gesicht doch aus! Tadisch konnte ein Lächeln nicht verbergen, da ihn das zuletzt gehörte Argument trotz seinem Mißtrauen zu überzeugen begann.

»Haben da gelächelt und folgere daraus, – kn – daß Sie an meiner Aufrichtigkeit Gefallen finden. Mache Ihnen aber noch weiteres Eingeständnis. Wollte mich selbst an Ihrer Bereitschaft, die Diebstahlskomödie durchzuführen, vergewissern, ob etwa Sie mit Herrn Schit unter einer Decke steckten. Wenn ich dies nun auch für ausgeschlossen erachte, weiß ich indessen immer noch nicht, in welchen Beziehungen Sie zu Doktor Leberstein stehen. Da ich denn also kein Mittel mehr besitze, Sie vor unvorsichtiger Anbiederung an den Herrn Untersuchungsrichter zurückzuhalten durch die Drohung, Ihre Angelegenheit an den Tag zu bringen, muß ich mich nunmehr auf Warnung und Drohung mit Gewaltmitteln beschränken. Was Herr Magin auf seiner Seite, vermögen wir genau so auf der unsrigen. Dieser zarte Wink, – kn –, mit dem Zaunpfahl, dürfte Ihnen genügen. Im übrigen sind Ihre Aufschlüsse über den eben genannten Herrn sehr dankenswert, besonders auch im Hinblick auf seine Beziehungen zur ›Blendlaterne‹. Kann Ihnen meine Erkenntlichkeit nur durch den Inhalt des Kuverts bezeugen, das Ihnen zu überreichen ich – kn – in höherem Auftrage die Ehre habe.«

Er legte Geld in einem Briefumschlag auf den Schreibtisch vor Tadisch, das dieser freilich nicht berührte.

»Da Sie immerhin mit Ihrem Passe Schwierigkeiten ausgesetzt sein könnten, –«

Tadisch juckte fast schreiend empor: »Also haben Sie mich doch in der Hand und brauchten meine Personalakten fürderhin nicht, um mich in der räudigsten, gemeinsten, schweinigsten Weise an Schit auszuliefern.«

»Sie fahren doch nach Lemberg«, wollte er, etwas ruhiger schon, hinzufügen.

Aber in diesem Augenblick war der Diener von Wildthaußens, ein ihm zu Spionagezwecken attachierter Offizier, hinter Tadisch getreten und legte ihm ganz einfach eine Äthermaske über das Gesicht. Von Wildthaußen hatte dies sorgfältig angeordnet. Wenn die Stimme Tadischs laut werden sollte, hatte der Gehilfe so geräuschlos wie möglich von hinten durch die Türe einzutreten und ohne jedes weitere Zeichen, ohne Befehl, die Maske aufzupressen.

Tadisch wehrte sich einige Sekunden lang. Brüllte sogar. Eine Hand grub sich ihm dicht über dem Mund ins Gesicht. Er gab aber im Schrecken, und sehr rasch betäubt, den Widerstand bald preis. Der Diener goß reichlich Äther nach. Tadisch fiel in der Narkose an die Stuhllehne zurück und schlief.

Man brachte die Ätherflasche beiseite. Der Diener verschwand. Tadisch erwachte nach einigen Minuten, blickte verwirrt um sich. Starrte angsterfüllt auf von Wildthaußen, welcher, als ob nichts geschehen wäre, lächelnd vor ihm stand und seine Rauchringe in die Luft paffte. Der den Tabakduft durchdringende Äther jedoch überzeugte Tadisch, daß er nicht nur phantasiert haben konnte.

Seine Ruhe hatte sich von Wildthaußen, der nie etwas unternahm, was nicht sorgfältig vorherbedacht war, bis in alle Einzelheiten genau eingeprägt. So sehr er schon seit geraumer Zeit mit allerhand gewalttätigen Menschen zu tun gehabt, so sehr fürchtete er sich bei jeder Handlung, bei der er persönlich zugegen sein mußte. Auch er war, bevor er seinen jetzigen »Posten« bekleidete, um sich als »kriegsunabkömmlich« zu befreien, bei verschiedenen Ärzten gewesen, hatte sich allerhand Mittel, die ihn schlaff machen sollten, einspritzen lassen und sich vor jedem kleinsten Nadelstich geängstigt. Wie er überhaupt für seinen Körper beständig besorgt und ein eigentlicher Hypochonder war. Der Streich mit der Äthermaske fiel ihm ein, als er Tadischs eigenen Bericht über die Prozeduren Magins las. Von Wildthaußen erschrak, als er daran dachte, daß er bei einer ähnlichen Sache, welche andere Leute für ihn schon wiederholt hatten ausführen müssen, selber dabei zu sein sich anschickte. Dennoch galt es, Tadisch einzuschüchtern. Das schien unumgänglich. Wenn Tadisch wirklich mit Leberstein Verbindungen pflegte, durfte man alles von ihm erwarten? Aber gerade, sofern das letztere der Fall war, – würde Tadisch nicht auch diese Geschichte dem Untersuchungsrichter zutragen? Im Grunde, was wollte dieser Leberstein einem von Wildthaußen anhaben? Der war sich klar, wer ihn, von Wildthaußen, deckte. Wie Magin hatte Wildthaußen sich nie vorgewagt. Nein, Tadisch konnte nichts erzählen, weil er zu schlau war, um nicht vorauszusehen, daß man ihm doch nicht jeglichen Kram, den er berichtete, glauben würde.

Erst durch den ihm zugeteilten Diener und Leutnant, dem er den Narkoseüberfall als Kinoromantik hinzustellen wußte, ließ sich von Wildthaußen die letzten Reste von Angst wegreden. Seine Rolle hatte er soeben zur vollen Zufriedenheit durchgeführt und seine Stimme gehorchte ihm restlos, als er jetzt zum erwachenden Tadisch so ganz nebenhin sagte: »Wollte Ihnen – kn – nur kleinen Beweis meiner Mittel – alter Trick, – haben selbst darüber berichtet – liefern. Empfehle mich Ihnen, Herr D–o–k–t–o–r Tadisch und erwarte dieser Tage weitere Meldung über die Erfahrungen, die Sie in der ›Blendlaterne‹ machen. Bin in der Lage, falls, – kn – Ihr Kopf schon imstande ist, aufzufassen, Ihnen einige Neuigkeiten mitzuteilen. Kennen Herrn Schnarp, Mitarbeiter der ›Blendlaterne‹. Sollen im Vertrauen erfahren: Herr Schnarp wirkt, ohne zu wissen, daß er es tut, für uns. Veranstaltet zu unseren zentralmächtlichen Gunsten großzügige Schmuggelunternehmen, um die hierzulande verbotene Ausfuhr und damit die Blockade gegen uns zu durchbrechen. Aber seit einiger Zeit werden seine raffiniert angelegten Schachzüge beständig gestört. Nicht unwahrscheinlich, daß gerade unser Freund Schit derjenige ist, der uns einen Strich durch die Rechnung zieht, obschon er an den Geschäften des Herrn Schnarp jeweilen klingend beteiligt wird. Schit partizipiert also am Schmuggel Schnarps, der für die Zentralmächte sich auswirkt. Schit und Schnarp handeln ihrem gemeinsamen Brotgeber Rolltür entgegen, der ja von unseren Feinden, den Alliierten finanziert wird. Schit läßt sich bezahlen, damit er nichts an Rolltür verrät, was im Büro der ›Blendlaterne‹ alles gegen Rolltür läuft. Schit verrät aber im Allergeheimsten auch Schnarp bei den die Ausfuhr überwachenden Zöllnern und profitiert an deren Prämien. Mit diesem letzten Akt endlich sabotiert Schit meine edeln, von Schnarp inszenierten Schmuggelunternehmen, welche die Blockade lindern sollen. Verstehen nun, verehrtester Tadisch, daß es mich interessiert, genau zu erfahren, wie Schit gegen uns zu Felde zieht. Beweis mehr, um Sie zu versichern, wie wenig mir daran gelegen sein könnte, Sie, Doktor Tadisch, – kn – an ihn auszuliefern.«

»Auf Wiedersehen«, fügte Wildthaußen, die Hand ausstreckend, hinzu, als Tadisch noch immer um sich glotzte und nicht Miene machte, sich zu erheben.

Nun tat er es aber, fuhr sich mit der behandschuhten Pfote über die Stirn, setzte sich den Hut auf, der heruntergefallen war, wandte sich der Türe zu. Dort drehte er sich mechanisch wieder um, kehrte langsam zum Schreibtisch zurück und nahm das Geldkuvert an sich.

Mühsam, betrunken schlarpte er den Weg von der Junkerstraße zum »Maulbeerbaum«. Bei jedem Atemzug roch er den Äther, den er immer noch aushauchte. Vollständig niedergeschmettert. Und neben der Furcht, die ihn vor Wildthaußen erfüllte, war es ein ungeheurer Haß gegen Schit, der in ihm aufstieg, gegen diesen Schit, der nun die nämlichen Erpressermittel wie von Wildthaußen auf ihn anwenden konnte, wenn er abgefeimt genug war. Hatte von Wildthaußen ihn ausgeliefert? Wo lag sein Interesse daran? War es so groß, war ihm sein, Tadischs, Horchposten auf der »Blendlaterne« so wichtig, daß er all das Geschehene in Szene setzte, um Schits Mißtrauen endgültig zu beschwichtigen? Eines schien klar, – jede Enthüllung mußte Lawinen von andern ins Rollen bringen. Aber bestand von Wildthaußens Taktik auch zu Recht? War Schits Vertrauen zu ihm, Tadisch, dadurch wieder hergestellt? Mußte Schit ihn nicht in der nämlichen Weise fürchten und hassen, wenn er weiter vermutete, daß er, Tadisch, an Wildthaußen und Leberstein seine Geheimnisse leitete? Und schließlich, verwickelte er sich nicht mehr und mehr in Abenteuer, die in Selbstvernichtung und Verbrechen auszuarten und ihn mitzureißen drohten?

Wie gut, so dachte er, endlich klarer werdend, daß er sich mit Doktor Leberstein in Verbindung gebracht hatte. Der vertrat die Obrigkeit an Ort und Stelle, der war am nächsten, wenn Gefahr im Verzuge sein sollte.

Dann verirrten sich seine Gedanken wieder. Hatte er das wirklich erlebt mit von Wildthaußen? War er nicht verfolgungswahnsinnig? War er von Schit gefährdet? Durch von Wildthaußen gehetzt? Mußte er nicht allen Leuten auf der Straße in seinem jetzigen Torkelzustande auffallen? Tuschelte man nicht rings um ihn her? Hörte er nicht, daß sie Spion sagten, wenn er vorbeiging, daß sie mit den Nasen schnüffelten, weil er immer noch sein Chloroform oder seinen Äther oder was es war, ausdünstete?

Ein paar Minuten atmete er krampfhaft ein und aus. Dann trat er in den »Maulbeerbaum«, wo ihn die literarische Luft rasch abgelenkt hätte, wenn ihm nicht die eigentümlichen Betonungen Schits, sein hämischer Gesichtsausdruck bestätigt haben würden, daß alles Wirklichkeit gewesen war. Und die alte Vettel, die Lampelin, hatte auch verständnissinnig gegrinst. Bei so einer sickerte ohnehin alles durch. Er sah sich schon zwischen Scherben herumhumpeln, die ihn zu Fall bringen und ihm die Eingeweide zu zerschneiden drohten.


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