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19. Kapitel.
Zwei Briefe eines noch nicht Gestorbenen.

Erich Tadisch hatte zwei Briefe geschrieben. Den ersten an Dr. Leberstein:

»Den zehnten Januar.

Hochgeehrter Herr Untersuchungsrichter!

Seit Wochen schon lastet es schwer auf mir, daß die anonymen Drohungen, mögen sie nun von Herrn Schit und den Leuten um Magin, oder aber aus den anarchistischen Kreisen um Abraham Real herum stammen, über kurz oder lang zur Wahrheit werden. Sie und Herr Rolltür haben meine Schwarzsehereien belächelt. Vielleicht haben Sie recht. Vielleicht sind sie unsinnig. Aber wenn sie das sind, wenn die mich drückende Todesahnung nichts weiter als der Ausfluß einer Nervenüberreizung ist, in die mich die unheimlichen Briefe, sowie die Verfolgung durch unbekannte Männer versetzt haben, dann geraten ja diese Zeilen nicht in Ihre Hände.

Ich gehe von der Annahme aus, daß ich tot bin, wenn Sie die nachfolgenden Ausführungen lesen. Der letzte Wille eines Verstorbenen ist Gesetz. Er soll es für Sie nicht sein – nur eine herzliche Bitte, die auf Erfüllung hofft.

Ich weile nun seit mehreren Monaten in Ihrem gastlichen Lande. Es ist meine zweite Heimat geworden. Als solche liebe ich sie, ohne mich deswegen meiner internationalen Gesinnung entbinden zu müssen. Ich habe hier, da ich sorglos schaffen durfte und zu einem besseren Einkommen denn je gelangte, die schönsten Stunden meines Daseins durchlebt, auch die bittersten. Die bitteren vergißt man.

Unendlich peinlich ist mir der Gedanke, daß mein Tod für meine zweite Heimat durch die Aufdeckung der Dinge, die ich vor Ihnen aufzurollen die Gelegenheit erhielt, auch die Ursache zu einem ernsten Konflikte werden könnte. Das möchte ich vermieden wissen. Kommen die Motive der Täter, die sich an mir vergehen werden, ans Tageslicht, so liegen die Spannungen nicht nur in der Luft Ihres neutralen Landes, sondern Funken des ringsherum wütenden Flammenmeeres vermöchten die Explosion auch bei Ihnen nur zu schnell auszulösen.

Wenn ich mich auf den Standpunkt stellen wollte, ›nach mir die Sündflut!‹ so hängt doch mit meinem Schicksal, ja, staunen Sie nur – dasjenige meiner Frau und meiner Tochter zusammen. Sie haben bis heute nichts davon gehört, würden aber, falls mir etwas zustößt und man meinen Zivilstand kontrolliert, darauf geraten, daß ich rechtmäßiger Gatte der Frau Isidora Wenkermann und unzweifelhafter Vater ihrer Tochter Fridolinchen bin. Ohne daß sie den Spender kannten, habe ich mich bis heute immer bemüht, ihnen die nötigen Geldmittel zu ihrer Daseinsfristung zukommen zu lassen.

Die beiden geben sich bis heute der Täuschung hin, die Mutter lebe von dem Erträgnis ihrer Schriften, welche doch nur sehr wenige Menschen lesen, ja, sie lebe von der Rente ihres Verlegers und von den Tanzaufführungen Fridolinchens. Sie können sich selbst ausrechnen, wie weit das reicht. In Wahrheit sandte ich stets an den Verleger der Mutter gewisse Beträge, die dann als Honorarrente weitergeleitet wurden. Dem Verleger wäre es von sich aus kaum eingefallen, für die Existenz einer so unpopulären Philosophin zu sorgen. Müßten nun gar meine Frau und Tochter in ihre Heimat zurückkehren, wäre es sehr leicht möglich, daß sie sich einerseits wegen ihrer eigenen mißliebigen politischen Äußerungen Maßregelungen ausgesetzt sähen. Andererseits sind sie auch hier gefährdet, insofern die von mir gespielte Rolle irgendwie an die Öffentlichkeit gelangt. Ihrem Wohlwollen empfehle ich die Verbleibenden, einmal, daß man sie als Fremde in Ihrem gastlichen Lande dulde, dann auch, daß man für ihren Unterhalt da oder dort die ja nicht großen Mittel finde, mit denen sie sich über Wasser halten können. In diesem Sinne wende ich mich auch noch ausführlicher an den einflußreichen Justizminister Windfaner.

Mein Wunsch ginge dahin, daß Sie, der Freund des letzteren, mein beiliegendes Schreiben, falls mir etwas widerführe, in seine Hände legen wollen. Der Wunsch mag ungeheuerlich sein. Aber es ist der Wunsch eines Toten, vielleicht eines politischen und für die gastliche zweite Heimat gestorbenen Märtyrers, dem nicht die Todesahnungen, wohl aber die Sorgen um seine Hinterbliebenen seine letzten Wochen vergällt haben.

Für die Erfüllung dieser Bitte und für alles Gute und Liebe, das Sie für mich getan haben, spreche ich Ihnen meinen allerherzlichsten Dank aus.

Erich Tadisch.«

Der zweite Brief lautete:

 

»Hochgeehrter Herr Justizminister!

Als Ausländer von Geburt, aber Inländer als Pazifist, und weil ich Ihre Heimat so unendlich liebe, und weil ich während meines hiesigen Aufenthaltes die glücklichsten Stunden meines Lebens in stillem Schaffen verbracht habe, wende ich mich an Sie. Ich bin ein Opfer des blinden Hasses einiger Irregeleiteter geworden, deren Fährten aber zweifellos bis zu den Agenten fremdländischer Amtsstellen führen müßten. Dränge man dort weiter vor, könnten ungeheuerliche Verwicklungen entstehen, die das einzige Land, das wie eine Insel im Weltensturm steht, überfluten würden.

Ich weiß, daß meine Mörder auch aus politischen Gründen gegen mich vorgehen, daß sie eine für ihre Gesinnung richtige Tat auszuüben vermeinten. Ich verzeihe ihnen und bitte Sie inständig, alles vorkehren zu wollen, um zu verhindern, daß sich in Folge meines Todes die allgemeine Lage hierzulande verschlechtere. Und wenn es dem Arme der Gerechtigkeit gelingen sollte, meine Mörder zu entdecken und zu verhaften, so möge ihnen meine Verzeihung als Schild und ihre Verblendung und Abhängigkeit von fremden Einflüssen zur Entschuldigung gereichen. Ich muß annehmen, daß sie sich mit meiner Ermordung ein Verdienst erworben und ihrer Sache zu nützen geglaubt haben. Meine Vernichtung ist nicht das Schlimmste, was sie an mir verübten, sondern die angstvollen Stunden eines zu Tode Verurteilten, welche sie mich Wochen und Wochen zu durchleben nötigten. Ahnte ich doch, daß ich früher oder später in ihre Hände fallen mußte.

Herr Justizminister! Ich hinterlasse, worüber Sie Herr Untersuchungsrichter Leberstein unterrichten wird, eine Witwe und eine Tochter in prekärer Lage. Meine Frau, die als Philosophin und Essayistin bekannte Isidora Wenkermann, ist geisteskrank und bedarf, wenn ich nicht mehr, wie ich es bisher im stillen immer getan habe, für sie sorge, der Pflege in einer Heilanstalt. Da sie sich durch ihre Schriften in meiner und ihrer Heimat politisch unliebsam bemerkbar gemacht hat, möchte ich um keinen Preis, daß sie dorthin abgeschoben würde, dieweil zu befürchten wäre, daß man sie verfolgte oder mindestens in Schutzverhaft nähme. Meine Tochter ist gänzlich unselbständig und verliert an der wenn auch blind in sie vernarrten Mutter den letzten Halt. Sie würde zur Straßenprostitution heruntersinken, falls man sie nicht in ähnlicher Weise, wie die Mutter, in einem geeigneten Heim unterbringt. Nun habe ich mir nie Vermögen ansammeln können. Ich lebte von dem Einkommen, das mir meine Schriftstellerei einbrachte. Ihrem Wohlwollen empfehle ich diese beiden Wesen, denen ich heimlicherweise meine ganze Liebe widmete.

Die sprichwörtliche Hochherzigkeit Ihres Landes wird den beiden Hinterbliebenen vergessen helfen, daß ihnen derjenige fehlt, der ihnen unerkannt das Wohlleben und das tägliche Brot gab. Dadurch, daß Sie all das, was sich an meinen Tod knüpfen wird, mit eigener Hand ordnen, werden sich auch die Schwierigkeiten vermeiden lassen, die sich wegen meines Hinschiedes zwischen meinem Vaterlande und Ihrer Heimat ergeben könnten. Ich liebe sie ebenso innig, wie meine wirkliche. Mich quält der Gedanke, daß das unüberlegte Verbrechen jener Fanatiker, welche durch meine Abschlachtung einen unbequemen Mitwisser von dunkeln und die Ruhe auf der Friedensinsel gefährdenden Umtrieben zu beseitigen wähnten, ein Grund zu Zwistigkeiten zwischen zwei Staaten werden könnte. Möge Gott der Allmächtige das verhüten!

Mein Verdacht über den Schreiber der anonymen Briefe an mich richtet sich nach der ›Blendlaterne‹ und speziell auf Herrn Schit. Aber auch andere, anarchistische Mitbewohner des Hauses, welche die Redaktion der genannten Zeitung beherbergt, dürften damit zu tun gehabt haben. Wenn diese meine Ansicht in mir Gewißheit geworden wäre, wenn ich ferner jene Verfolger, die so oft hinter mir herschlichen, sicher gekannt hätte, so würde ich mich direkt und offen an Sie gewandt haben.

Ich hätte Ihnen ja dann zu beweisen vermocht, daß all das, was mich während Wochen in atemloser Spannung und Angst hielt, wirklicher Lebensgefahr entsprang. Sie hätten mit mir verstanden, daß das, was jene Briefschreiber von mir fordern, nämlich über ihre verbrecherischen Umtriebe gegenüber den hiesigen Behörden zu schweigen, unmöglich war.

Es mag befremdend und lächerlich anmuten, daß ein Lebender in dieser Weise wie aus dem Jenseits berichtet. Aber die Todesahnung ist für mich Gewißheit. Gelangen meine Zeilen in Ihre Hände, so bedeutet dies, daß meine Ahnung mich nicht trog. Dann werden meine Worte nichts Befremdendes oder Lächerliches mehr haben.

Wüßte ich sicher, daß mein Ableben dem hiesigen Vertreter meines Heimatlandes, den ich trotz seiner manchmal zweideutigen Stellungnahme doch auch schätze und verehre, keine bitteren Stunden, noch meiner geliebten zweiten Heimat, Ihrem Vaterlande Unruhe und Unannehmlichkeiten bereiten würde, könnte ich mit größerem Gleichmut dem Augenblick entgegensehen, in dem ich in meinen Eingeweiden den Dolch des Mörders fühlen werde.

Möge Ihnen, Herr Justizminister, viel Glück beschieden sein, möge Ihre Heimat aufblühen und ewig vom Kriege verschont bleiben!

Dieses wünscht von ganzem Herzen
Erich Tadisch.«

 

Mehrere Wochen nach Abfassung seiner Briefe schwankte Tadisch noch, ob er sie abliefern wollte oder nicht. Eines Tages lief er dann aber, was er bis jetzt aus Vorsicht vermieden hatte, um nicht seine direkten Beziehungen zu Dr. Leberstein damit aufzudecken, in größter Unruhe auf dessen Büro. Von der Haussuchung bei Real und von dessen Verhaftung hatte ihm Rolltür bald, nachdem es geschehen war, berichtet.

Leberstein zeigte schlechteste Laune. Er hatte gerade den zweiten Vermerk Windfaners, man möge die Haftfristverlängerung für Real motivieren, erhalten und fuhr Dr. Tadisch, als er kaum in der Türe erschien, tüchtig an:

»Sie haben mir eine schöne Drecksuppe eingebrockt. Wo hatten Sie denn Ihre Beweise, daß Real mit den Anarchisten zusammensteckte?«

»Herr Dr. Leberstein, ich hatte Beweise in Händen, aber ich kann sie Ihnen nicht nennen. Sie hätten nicht so rasch handeln sollen. Der Erfolg wäre Ihnen sicher gewesen. So aber erleben Sie selbst wieder Unannehmlichkeiten, während ich Tag und Nacht keine Ruhe mehr finde, daß man mich als Denunzianten entlarven und sich an mir rächen wird.«

»Sie sind schuld an der ganzen Schweinerei! Sie wollten mich aus irgendeinem Grunde, den ich nicht zu durchschauen vermag, auf falsche Fährte locken. Ich werde Sie verhaften und des Landes verweisen.«

Tadisch lief hände-, das heißt handschuheringend auf und ab. »Auch Sie verlassen mich! Auch Sie erschrecken mich! Ist es nicht genug, daß ich Drohbriefe kriege, daß Leute hinter mir her sind, daß ich mich durch meine Gutmütigkeit Verfolgungen aussetzte? Helfen Sie, raten Sie doch, statt mich anzubrüllen!«

»Ich brülle nie. Ein Untersuchungsrichter brüllt nie! Merken Sie sich das!« Dabei schrie Leberstein, daß die Wände dröhnten und die Dogge knurrend über den Tisch hinausblickte. Tadisch sah aber so hilflos, so kläglich, so niedergeschmettert aus, daß selbst Leberstein sich erbarmte.

»Im Grunde sind Sie ein Hosenscheißer, ein armer Teufel, dem kein Haar gekrümmt werden soll! In unserem Staat wird Ihnen nichts widerfahren. In unserem Staat herrscht Ordnung und Freiheit, ist dem Bürger sein Leben und Recht garantiert. Wo treffen Sie alles dies so mustergültig, als wie bei uns?«

»Doktor Leberstein, ich habe für mich die absolute Gewißheit, daß ich eines baldigen gewaltsamen Todes sterben werde. Wollen Sie mir eine Bitte erfüllen?«

Leberstein sah ihn erstaunt an.

Tadisch holte aus seinem Kamelhaarmantel die beiden Schreiben, verschlossen und versiegelt, hervor.

»Wollen Sie diese beiden Briefe verwahren? Der eine ist an Sie gerichtet, darf aber nur geöffnet werden, falls mir etwas zustößt. Der andere enthält meine letzten Wünsche und ist an Herrn Justizminister Windfaner adressiert. Ich sehe, Sie wundern sich, daß ich an ihn gelange. Fragen Sie mich jetzt nicht nach dem Grund. Ich habe Zutrauen zu diesem Manne. Ich gelange an ihn als einen Vertreter Ihrer Regierung. Denn wenn mir etwas geschieht, vollzieht es sich an mir als an dem Opfer politischer Verhältnisse. Somit habe ich das Recht, mich auch an eine politische Persönlichkeit zu wenden. Nicht mein Los allein macht mich besorgt. Es sind andere Menschen an mein Schicksal verknüpft und diese Briefe bergen die nötigen Aufklärungen darüber. Wollen Sie mir, Doktor Leberstein, dem ich so rückhaltlos mich ausgeliefert habe, solchen Vertrauensdienst erweisen? Wollen Sie die Briefe verwahren?«

Leberstein wurde es ungemütlich. Tadisch stand so drängend vor ihm, schien so außer sich, daß er daran dachte, ob er nicht vielleicht verrückt geworden sei. Um ihn zu beruhigen, aber auch, um aus der immer unheimlicher werdenden Szene herauszukommen, nahm er stillschweigend die Briefe und verschloß sie vor den Augen Tadischs sorgfältig in sein Pult.

 

Einige Tage später erregte das Erscheinen Erich Tadischs bei einem gemütlichen Abend mit Lampions einiges Befremden. Frau Justizminister Windfaner hatte als kunstverständige Frau die in unserer Stadt wohnenden literarischen Größen zu sich geladen. Frau Wenkermann las eines ihrer Essais vor, Fridolinchen führte einen Tanz auf, den ihre Mutter als »Expressionismus, Impressionismus und Intuitionismus« ankündigte. Der Erfolg, den sie damit besonders bei den bestandeneren Gästen, einem Milizobersten, Staatsratskollegen Windfaners, besonders aber bei Untersuchungsrichter Leberstein einheimste, ließ Ludwina von Lampel nicht ruhen, so daß sie dann zum Entzücken ihres Hektor Schit Chopin und Beethoven »interpretierte«. Leberstein schwankte eine Weile, ob er sich nicht doch lieber in Ludwinas »molligere« Formen vertiefen sollte.

Ludwina wurde indessen im entscheidenden Augenblick von den gewichtigeren Herren ins Studierzimmer hinübererrungen. Ihr Quieken im Verein mit dem speckigen Lachen der Herren unterbrach den Baß eines in unserer Stadt sehr beliebten Sängers, der in entstehenden Pausen immer dafür sorgte, daß etwas lief. Seine Frau war in diesem Moment, wie sie einräumte, prosaisch und besprach mit der Windfanerin ein neues Rezept zum Einmachen von Zuckererbsen.

In diese allgemeine Heiterkeit hinein erregte denn, wie gesagt, Dr. Tadisch mit seinem Erscheinen einiges Befremden. Den Kamelhaarmantel und die Handschuhe hatte er nicht ausgezogen. Die Nase, an der Spitze wieder einmal zum Platzen gespannt, mit goldengelbem Tupf gekrönt, verriet deutlich, wie sie unaufhörlich zwickte. Er pflanzte sich mitten ins Eßzimmer, in dem sich Leberstein mit Fridolinchen unterhielt und in dem im betreffenden Augenblick die meisten anderen literarischen und kunstverständigen Persönlichkeiten sich stimmungsvoll-leise betätigten. Meuchlings zog er ein Manuskript aus der Tasche. Ungeschickt, abgehackt las er ein lyrisches Gedicht gegen den Krieg. Frau Windfaner war restlos begeistert.

»Haben Sie das wirklich erlebt?« fragte sie Tadisch.

Der Justizminister – er hatte Tadisch noch nie bei sich gesehen – interessierte sich offenkundig für ihn. Er setzte sich neben ihn und hörte seiner Theorie vom Vegetarismus, durch welchen Krieg und Tötung für ewig ausgemerzt wären, geduldig zu. Windfaner wußte von den Berichten Tadischs an Leberstein. Natürlich hütete er sich, davon anzufangen. Auf die Frage, warum Tadisch ein so leichenbitteres Gesicht bei der allgemeinen »Stimmung« mache, erklärte Tadisch, er sehe in eine düstere Zukunft hinein. Windfaner kehrte den Teilnahmsvollen heraus und bat ihn, ihm freundschaftlich von seinen Sorgen zu erzählen. Ob er ihm nicht irgendwie behülflich sein könne? Doch, sagte Tadisch, nur vermöge er sich hier, unter allen den Frohen, nicht darüber zu äußern. Windfaner nahm ihn ins Schlafzimmer, in dem die Damen ihre Mäntel und Hüte über die Betten hingebreitet hatten. Auch die ausgezogenen Röcke, Korsette und Wäschestücke der Ludwina von Lampel und Fridolinchens lagen dort herum, da sie für den Rest des Abends ihre »anmutenden« Kostüme anbehielten.

Tadisch entledigte sich auf einmal behende seines Kamelhaarmantels, knöpfte sich den Rock darunter auf. Windfaner folgte ihm staunend durch die dicken Brillengläser. Ja, Tadisch legte die Weste von sich, stülpte sich das Hemd über den Kopf, sowie ein gräuliches Leibchen und zeigte auf einen Heftpflasterverband, den er über der linken Brust trug. Dann faßte er den einen Zipfel des rosenroten Leukoplastes, riß ihn weg und deutete auf eine frische, blutige Streifwunde.

»Herr Justizminister – nein, nein, – nicht die Wirkung eines Attentates, – das ist eine Selbstverletzung. Wie Sie vielleicht schon durch Herrn Doktor Leberstein gehört haben, werde ich in letzter Zeit mit Drohbriefen, aber auch auf der Straße belästigt. Ich zweifle nicht daran, daß ich in Bälde eines unnatürlichen Todes sterben muß. Herr Rolltür …« (der Genannte, wie Schnarp, letzterer aber ohne Dame, – nein, das hätte Frau Windfaner doch nicht geduldet, – waren übrigens auch anwesend) – »Herr Rolltür nötigte mir einen Browning auf. Als ich ihn kürzlich reinigen wollte, ging ein Schuß los und verletzte mich, wie Sie sehen.«

Tadisch nahm den Gazebausch, über den der Heftpflasterstreifen sich zog und klebte sich's wieder auf die Wunde. Das ging alles sehr rasch. Windfaner hatte noch nicht Zeit gefunden, etwas zu sagen oder zu fragen.

»Ich bitte Sie, Herr Justizminister, schützen Sie mich, retten Sie mich!«

»Zum Donner, was macht man denn hier bei uns für Sachen! Bin ich nicht mehr Justizminister! Haben wir denn keine Rechtsordnung? Leberstein soll gleich einen Rapport schreiben! Selbstverständlich werde ich Sie schützen! Wir verdanken Ihren wertvollen Informationen sehr viel. Zählen Sie auf mich!« Dann fiel ihm ein, daß er zu laut geworden war. Er dämpfte die Stimme: »Aber nun kommen Sie wieder hinaus zu den anderen. Lassen Sie Ihre Hirngespinste. Unsinn. Wir sind auch noch da, wir, bevor Ihnen etwas geschehen soll. Wünschen Sie einen beständigen Begleiter, einen Detektiv? Es wäre zwar nicht einfach, immerhin durchführbar.«

»Nein, Herr Minister, nichts Derartiges. Haben Sie vielmehr ein Auge auf meine Widersacher. Schützen Sie mich vor den ›Blendlaternlern‹, vor Herrn Schit, vor Herrn Rolltür, vor Herrn Magin, vor Herrn von Wildthaußen! Verlieren Sie die Leute nicht aus dem Auge! Schützen Sie mich auch vor den Burschen um den Anarchisten Real herum! Sie wissen doch, wie sehr ich der Wut aller ausgesetzt bin, sofern nur das geringste über meine außerliterarische Tätigkeit bekannt wird.«

»Herr Doktor, in der höheren Politik weiß man zu schweigen. Sie genießen unbegrenzte Achtung. Sie sind ein Mann, der den offenen Blick für die Gefahren besitzt, welche den Staat bedrohen. Wir brauchen Leute wie Sie, die neben ihrer dichterischen Berufung sich noch um die Fahnen für das Allgemeinwohl scharen. Verfügen Sie über mich, wo und wie ich Ihnen nur behilflich sein kann! Aber nun gehen wir wieder hinüber! Denn gerade Schit und Wildthaußen könnte unser Alleinsein in die Augen stechen.«

Als Leberstein später, stark erhitzt, aus einer von roten Lampions in schummriges Dunkel gehüllten Ecke wieder ins hellere Licht trat, um sich Punsch einzugießen, nahm ihn Windfaner ebenfalls ins Schlafzimmer.

»Dieser Tadisch kann nachgerade gefährlich werden. Er schnappt uns noch über. Nehmen Sie ihn allmählich an die Kandare, so wertvoll seine Mitteilungen uns waren. Schade, daß er uns den Real nicht besser ans Messer geliefert hat.«

Nach einer halben Stunde hatte sich Tadisch übrigens verzogen. Allen war sein bedrücktes Wesen aufgefallen. Rolltür, der von seinem Unfall mit der Pistole wußte, erzählte Schit und Wratocek davon. Sie verbreiteten es weiter, so daß Wildthaußen es hörte und seinerseits etwas einsilbiger wurde. Wie sollte er nun die Geschichte deuten?


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