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12. Kapitel.
Die Spionenbörse und die Geschichte eines Doktortitels.

Doktor Tadisch hatte nach dem Diebstahl tüchtig mit sich zu schaffen. So viele rasche Bewegungen, so viel tatsächliches Handeln waren ihm seit Jahren nicht mehr zugemutet worden. So viel selbst und mit eigenen Händen auszuüben, noch nie in seinem Leben. Er lag in seinem Zimmer herum, befahl einen Arzt zu rufen, um sein Herz zu untersuchen, das ihn ununterbrochen, ziehend schmerzte. Man fand nichts. Aber Tadisch fürchtete einige Tage lang, an einem Schlagfluß zusammenzubrechen. Er schloß sich ganz ab, redete laut vor sich hin, führte Zwiegespräche mit von Wildthaußen, den er beschimpfte, mit Schit, den er verfluchte, träumte nächtens, daß er von beiden mit Waffen bedroht werde: Bald wollte ihn von Wildthaußen niederknallen, bald stach Schit mit einem langen Papiermesser auf ihn ein. Er verschwor sich hundertmal, weder zu Wildthaußen, noch in die »Blendlaterne« je wieder zu gehen. Aber so am vierten Tage schleppte er sich schnaufend und ächzend zum Atelier auf den Berg, da er wußte, daß nie jemand über Mittag in der Redaktion anzutreffen war und holte sich einiges Material herunter, nach dem er einen neuen Bericht, abermals an seine beiden Abnehmer Leberstein und von Wildthaußen auf der Maschine tippte:

»Allgemein möchte ich bei der Zusammenfassung der Schlüsse, die das obige Aktenmaterial aufnötigt, hinzufügen, daß ich bis vor kurzem, bis ich mich der Mühe unterzog, die in Frage kommenden Archive der ›Blendlaterne‹ genau zu durchsuchen, nicht an das geglaubt hätte, was nunmehr sichersteht. Aber während es von vornherein klar war, daß die ›Blendlaterne‹ eine Propagandaschöpfung der gegnerischen Presse zur Beeinflussung des neutralen Auslands und meiner eigenen Heimat ist, so blieb doch noch fraglich, ob der feindliche Nachrichtendienst dort direkt seine Zentrale besitze. Nach dem Vorliegenden besteht kein Zweifel mehr darüber, daß das Institut des Herrn Rolltür als regelrechte Spionenbörse den für sie zutreffenden Namen findet.«

Und nun führte Tadisch allerhand liebliche Dinge an, wie sie alle bei der »Blendlaterne« ein- oder ausgemündet hatten.

So wußte er insbesondere von Herrn Magin zu berichten, wie er in unserer Stadt eine Reitschule installiert hatte, in welcher er internierte Offiziere aushorchen konnte. Hektor Schit wurde nach den Dokumenten, die er achtlos im Kassenschrank liegen ließ und die sich Tadisch zu Nutzen machte, zusehends intimer mit Herrn Magin.

Die Geliebte Schits, die Tänzerin Ludwina von Lampel – in Wirklichkeit hieß sie Rosa Meier – spielte dabei eine nicht geringe Rolle. Wenn Schit Geld bringen sollte, stand in dem Briefe Magins immer, er möge seinen Kodak nicht vergessen. Der Kodak mußte oft herhalten. Der Anforderung des Kodaks jedoch ging meist irgendeine jener Unternehmungen voran, die in unserem Lande dann unliebsames Aufsehen erregten. Im Grenzfluß gegenüber einem Kraftwerk wurde noch rechtzeitig ein Faltboot gefunden, in dem mit Pikrinsäure geladene Bomben lagen. Zeitbomben steckten in allen Ecken und Winkeln des Kraftwerkes; Brandbomben kamen in Lebensmittelwagen, die unserer Nahrungsversorgung zugehörten, zum Vorschein; Pillen entdeckte man, die kurz vor der Grenze zur Vergiftung von ganzen Viehtransporten hätten dienen sollen. Magin hatte mit Schit eine eigentliche Sicherheitsabteilung organisiert. Verräter mußten doch beseitigt werden. Auf einer unserer Stadt benachbarten Landstraße lag ein bis zur Unkenntlichkeit verstümmelter Mann, der nur von Magin im Automobil betäubt, auf die Straße geworfen und dann durch Überfahren getötet worden sein konnte. Am Tage vor der Auffindung des Leichnams, so ist es aus den Briefen Magins ersichtlich, war Schit zu einer Zusammenkunft mit Kodak dringend gebeten worden. In einem Grenzsee fischte man unbekannte Tote auf; ein gutes Dutzend Mißliebiger wurden über die Markpfähle hinaus ins feindliche Ausland verschleppt und blieben verschollen. Und als unsere wackere Polizei endlich einmal hinter die Geschichte kam, war Magin aus seiner Villa ausgeflogen. Nur in allen Kaminen brannten trotz sommerlicher Hitze lustige Papierfeuerchen. Genau auf das Datum des Verschwindens von Magin findet sich ein Brief im Schrank Schits: »Dem Lebensretter Dank für die unschätzbaren Mitteilungen! Besuche mich bald am anderen Ufer der länderscheidenden Wasserpfütze, um wohlverdienten Film nachzufüllen. Dein M.«

Längere Ausführungen widmete Tadisch jenem Einbruch in eine Gesandtschaft, anläßlich dessen man geschulte Geldschrankknacker aus einem südländischen Zuchthaus hatte kommen lassen. Während in den Straßen unserer Stadt im vorhergegangenen Jahr die Fastnacht lärmte, stahlen die zugezogenen Einbrecher wichtige Dokumente und nebenbei den Schmuck der Frau Gesandtin. Die Dokumente wurden auf die »Blendlaterne« geschafft und enthielten Pläne, um Parlamentsgebäude, Dynamitfabriken, Panzerschiffe in die Luft zu sprengen, Warenlager in Hafenstädten anzuzünden und so weiter.

Aus der Zeit dieses Einbruchs findet sich auch eine Quittung im Kassenschrank Schits für einen prächtigen Skunkspelz, in dem Ludwina von Lampel zu jener Zeit Furore machte. Am Schluß seines Berichtes bat Tadisch dringend, zu bedenken, daß er sich der Rache so gefährlicher Menschen wie Magin und Schit ausgeliefert habe.

»Sie sahen nach all dem Vorgebrachten, mit welch rücksichtsloser Brutalität die Unternehmungen ins Werk gesetzt, in welch schonungsloser Weise verdächtige Helfershelfer vertilgt wurden. Die geringste Indiskretion müßte mich unfehlbar der Rache der Betroffenen ausliefern. Und vornehmlich Herr Schit, der einigen Argwohn gegen mich hegt, verfolgt mich in letzter Zeit auf Schritt und Tritt. Er machte eine abgefeimte Lehrzeit durch, steckte nicht umsonst tagtäglich in der Reitschule des Herrn Magin. Ich bitte fast flehentlich, dies im Auge zu behalten, mir jeden privaten und öffentlichen Schutz angedeihen zu lassen und vor allem auch, mir nicht durch ein unvorsichtiges Wort, durch die Erwähnung meiner Person ein gewaltsames Ende bereiten zu wollen.«

 

Hektor Schit in seinem Heim. Trotz dem unsinnigen Geld, das ihm durch die Hände rinnt, hat er nur zwei ineinandergehende, möblierte Zimmer gemietet. Vertragliche Bedingung des darin klug voraussorgenden Herrn Rolltür: Hektor Schit dürfe während dreier Jahre, solange er als Redaktor der »Blendlaterne« zeichne, seine äußere Lebenshaltung nicht verändern. Der Ankauf eines eigenen Autos ist in einem besonderen Paragraphen ausdrücklich verboten. Aber Schit hätte die Mittel dazu doch nicht besessen. Rosa nimmt sie ihm ab, verwaltet sie, bringt sie in geeigneten Momenten sorgfältig beiseite und legt sie auf ein Bankkonto, auf das der an sich doch so bauernschlaue Schit ein für allemal jedes Anrecht aufgegeben hat. Schit steht in absoluter Hörigkeit vor ihr. Ungeschminkt, ungepudert, in einem mit gar unreinlichen Spitzen versehenen Morgenrock sitzt sie auf dem zerwühlten Rand ihres Bettes und räkelt sich.

Schit ist in schlechtester Laune. Er weiß genau, daß ihn diese allbereits verwelkte, gänzlich inhaltslose Frau durch nichts fesselt als durch eine Vergangenheit und Gegenwart heimlicher Laster, die er nirgendwo sonst zu befriedigen sich zutraut, und in denen er versinkt, wie andere in Weingeist und Mohnsaft. Außerdem kennt sie alle seine Geheimnisse und macht aus dem Konkubinat eine jahrelange, ununterbrochene Erpressung.

Schit könnte sie erwürgen, wie sie so vor ihm hockt und sich zwischen den Zehen kratzt. »Sie riecht sogar schlecht«, denkt er bei sich.

Schit war mit sich ins Reine gekommen, von der Diebstahlsgeschichte, zu der ihn Tadisch überredet hatte, nichts verlauten zu lassen. Aber schon am Abend nachher zog sie alles aus ihm hervor. Den Inhalt der Briefumschläge hatte er sich erst in der »Blendlaterne« zu Gemüte führen wollen. Während er sich jetzt an seinen Schreibtisch setzt, sieht er, daß die Kuverts aufgerissen sind.

»Du bist doch die niederträchtigste Sau, die mir je vorgekommen ist«, schreit er zu der sich waschenden Geliebten hinüber.

»Und du mit deinem Bruchband der ekelhafteste Gauner, der lausigste Schmutzfink, der auf dem Erdboden herummistet!«

Schit pflegt in solchen Augenblicken auch einfach dreinzuschlagen, eine Waschschüssel zu Boden zu hauen, Rosa das Kaffeegeschirr an den Kopf zu schmeißen, um nachher demütig die Milchpfütze aufzutupfen und die Scherben zusammenzulesen. Diesmal aber ist sein Blick gerade rechtzeitig auf ein Paket, Akten Tadisch, gefallen, und im Staunen darüber erstickt das neue, noch unflätigere Schimpfwort, das er auszustoßen sich anschickt.

Schläge kamen ihn übrigens jeweilen teuer zu stehen. Rolltür hatte die geschilderten edlen Beziehungen durchschaut und erfand gerade aus diesen Gründen Hektor Schit als so außerordentlich brauchbar. Er wußte mit Bestimmtheit, daß auch die größten Beträge immer wieder in den Händen der Rosa Meier unschädlich wurden, unschädlich für Schit, der sonst sicher außer Hauses Dummheiten damit angestellt hätte. Sie aber war bis zur Vollendung geizig, paßte meisterhaft auf ihn auf, daß nichts über einen mittleren Lebensaufwand hinaus den kompromittierenden Weg der Verschwendung gehen konnte.

Während Schit liest, mit der Faust auf den Tisch schlägt, ein dröhnendes »hä« und schneidendes »pff« um das andere vor sich hinstößt, ist sie hinter ihn getreten, mit von Zahnpulver weißen Lippen, die dünnen nassen Haarsträhnen in einen dürftigen Knopf zusammendrehend. Tagsüber, darin war sie Meisterin, verfügte sie über eine rotgoldene Haarschmuck-Tiara, die ihre Stirn »im Stil indischer Pagoden krönte«, wie es in den Zeitungsberichten über ihre Tanzerei zu heißen pflegte.

 

Fräulein Ludwina von Lampel, Schits Rosa Meier, stand in besonderer Gunst der Kunstkritiker. Allerdings hatte sie sich auch nie im Morgenrock vor ihnen sehen lassen. Man durfte ihr höchstens hinter der Bühne im Dunkeln die dickbepuderten Rückenpartien bestreichen. Dafür, das heißt für die Begegnungen hinter der Bühne, war es Ludwina von Lampel denn auch vergönnt gewesen, bei einem der großen Festanlässe unserer vieltausendköpfigen Vereinigten Kunstgesellschaft im Mondschein auf einer wirklichen Wiese einen Nietzscheabend zu tanzen. Dank der dazu gegebenen Anregung zählte sich der Präsident und Festarrangeur besagter Gesellschaft, Herr Stäfemer-Büchli (PVKG), zu den Unsterblichen. Er hatte unweigerlich den Beweis erbracht, wie hoch und zeitgemäß das künstlerische Niveau und die Freigeistigkeit unseres Heimatlandes im besonderen und allgemeinen gelte.

Und nun steht dieses Fräulein Ludwina von Lampel, die Tänzerin unseres Nietzscheabends, hinter ihrem Hektor Schit, legt die Hand auf die Akten Tadisch und sagt: »Wenn du mir nicht mindestens fünfhundert, welche dir dein Oberferkel Rolltür für die Papierchen zubilligt, bis auf den letzten Groschen ablieferst, sollst du von mir erfahren, was das Lebersteinchen zu deinem Diebstahl sagen wird.«

»Halt's Maul! Geh zum Teufel, ekelhafter Spion!«

»Wer sagt wem Spion?«

»Satan verfluchter, abscheulicher, niederträchtiger Satan!«

»Immer die gleichen Geschichten, herrlicher Jüngling mit dem Bruchband! Wirst du mir den Judaslohn abliefern?«

In dieser Weise geht's weiter und weiter, bis Schit zitternd, schäumend, sich an den Kopf schlagend, die Wasserkaraffe aufhebt, daß ein voller Strahl auf eine rote Kleckse weinende Tapete fällt – die Karaffe zerschmeißt er diesmal aber doch nicht – bis er zuguterletzt windelweich der eiskalt dastehenden Rosa gelobt, alles, was er bei dem Handel herausschlägt, abzugeben. Ohne Rechenschaft darüber zu verlangen, was sie mit dem Gelde mache. Einzig die Bezahlung einer längst fälligen Hutrechnung hat er sich schließlich noch ausbedingen können. Sie wurde übrigens doch nicht beglichen. Dann setzen sie sich gegenüber und Schit erklärt, unterbrochen von ihren Fragen, die Bedeutung der so unerwarteterweise bei Wildthaußen aufgefundenen Akten:

»Na sei also wieder gut, Schnuckchen«, grunzt er einleitend, »sonst kommst du nicht nach. Es ist zu lästerlich schön, was wir da erwischt haben. Nicht das andere Kuvert, von dem ich meinte, daß es das wichtigere sei. Da haben wir gar nicht viel erwischt. Das hat mir Rolltür längst mitgeteilt und dein süßer Magin. Möchtest mal wieder zu ihm hin, was?«

Schit ist nunmehr strahlender Laune; Ludwina von Lampel nimmt die Anzüglichkeit nicht übel. Die Geliebten Schits und Magins hatten sich hie und da verwechseln lassen. Und zu viert war man auch lustig gewesen. Sie grient vor sich hin.

»Also das interessiert dich nicht. Es steht nichts von Maginchen drin.«

Hektor hatte Ludwina – sie nannten sich stets bei vollem Namen, auch im Zorn – als Rosa, das Zimmermädchen, vor Jahren in einer Pension kennengelernt. Ludwina und Hektor verfügten über ihren eigenen Liebesjargon. Die Formen, die sie sonst in der Gesellschaft zur Schau trugen, fanden sich jedenfalls nicht darin enthalten.

Die ganze Verlogenheit ihres Plüschsofaeheglückes, das beide von Zeit zu Zeit das Bedürfnis hatten, einander vorzugaukeln, kam deutlich in ihrer Liebessprache zum Ausdruck.

»Aber da! Hättest du's gedacht, Schnuckchen …« – die beiden sind sich ob der gemachten Entdeckungen augenblicklich wirklich so weit zugetan, daß sie dicht aneinander rücken. »Hättest du dir's träumen lassen, daß die Wenkermann rechtmäßige Gattin Doktor Tadischs ist? Und Fridolinchen seine Tochter?

Gleichen tut sie ihm freilich, wie ein Apfel dem Roß, von dem er gefallen ist. Hähä.« Und beide lachen. Schit haut ihr und sich auf die Schenkel, daß es knallt und dann verküssen sie sich wahrhaftig.

»Daß du aber 's Maul hältst. Nun, verstehst dich drauf. Jeschäft ist Jeschäft.«

 

Als Resultat der Auseinandersetzung Schits mit seiner Konkubine ergab sich:

Gegen Tadisch war in seiner Heimatstadt vor Jahren eine Strafuntersuchung geführt worden, und zwar auf Antrag der Universität, wegen unbefugter Anmaßung des Doktortitels. Er hatte wohl einige Gymnasialklassen absolviert und sich in mehrere pikante lateinische Schriftsteller, die ihm besonders zusagten, wie Lucian und Petronius, verbissen. Alles andere aber versäumte er und fiel zwischen Prima und Oberprima durch. Dies ging aus der Abschrift eines den Akten beiliegenden Gutachtens hervor. Originaldokumente waren selbstverständlich nicht in Schits Hände gefallen. Von Wildthaußen hatte sie wohlweislich für sich behalten.

Während der erwähnten Strafuntersuchung nun benahm sich Tadisch so sonderbar, daß man ihn dem Psychiater zuführte. Das Gutachten bewirkte die Sistierung des Strafverfahrens. Man erklärte Tadisch für unzurechnungsfähig, behielt ihn jedoch eine Zeitlang in einer Anstalt zurück, um so mehr, als er sich um seinen Lebensunterhalt in keiner Weise kümmerte. Er empfand es angenehm, seinen lateinischen »Studien«, die er ohne Ziel und Zusammenhang für sich betrieb, im Narrenhaus nachgehen zu können. Da er aber gegen die Ärzte ohne Unterlaß – er konnte sehr bizarr witzig sein – Bosheiten erfand, schickte man ihn schließlich nach Hause. Auch, weil man dahinter kam, daß ihm das Anstaltsasyl im Grunde eine viel zu sorglose Existenz ermöglichte.

Aus den Akten sah man ferner, daß Vater Tadisch seinen Sohn Erich nach Schulentlassung in ein Export-Importgeschäft gesteckt hatte, wo er etwa ein Jahr lang geduldet wurde, trotzdem er keinen einzigen kaufmännischen Brief zur Zufriedenheit aufsetzen konnte. In seiner Geschäftstätigkeit ereignete es sich nun, daß Erich Tadisch junior aus dem Zeitungsinserat einer Oriental University in Minneapolis U.S.A. entnahm, wie sie geeignete Kandidaten sammelte, »welche auf Grund ihrer Studien und ihrer Position in der Lage waren, ihre Kandidatur zur Doktorpromotion oder irgendeiner anderen, den Universitätsgewohnheiten gemäßen akademischen Würde zu stellen.«

Cand. phil. Erich Tadisch, weiland Export- und Import-Kommis, hielt sich demzufolge zur Kandidatur für berechtigt und reichte einen alten Schulaufsatz über die Hetärengespräche seines Lucians mit einigen, eine gründliche Kenntnis der zeitgenössischen Prostitution verratenden Glossen ein, worauf ihm von einem Vertreter und Agenten besagter Universität die Mitteilung zuteil wurde, die vorgelegte Arbeit sei infolge ihrer hohen moralischen Reife und der darin enthaltenen philologischen Gelehrsamkeit ausgezeichnet und entspreche allen Anforderungen. Tadisch werde, da seine Studien und die Praxis ihn ohne weiteres dazu berechtigten, zur Promotion zugelassen (gegen Hinterlage von 90 Dollars). Da der Doktorand Tadisch, den man im Geschäft hauptsächlich zu Ausläuferdiensten verwendete, auf der Bank einen Scheck einlösen sollte, geriet er unverhofft in die Lage, die geforderten Dollars zu erlegen, weitere sechzig für sich zu behalten und an die Riviera zu verduften, woselbst er sein Diplom in Empfang nahm. Es ist zu berichtigen, daß er eigentlich nur eine Anzahlung von fünfzig Dollars machte und den Rest bis zum heutigen Tage schuldet. Das Diplom sandte man ihm unvorsichtigerweise auf die erste Rate. Sein alter Vater, der das Geld kaum erübrigen konnte, deckte unterdessen die Unterschlagung des Sohnes, damit es nicht zur Strafverfolgung kam. Später verzieh er seinem Erich in einer großen Familienszene, als er die goldumränderte Pergamentrolle erblickte, an deren würdeverleihenden Inhalt Vater Tadisch fest glaubte. Der promovierte Erich zweifelte übrigens im Laufe der Zeit nicht mehr daran, daß er rechtsgültig in den Akademikerstand erhoben worden war.

Die Abschätzung seiner Akademikerwürde heißt nicht unbedingt, man wolle den Wert der richtiggehenden, staatlich anerkannten Doktortitulaturen gegenüber derjenigen Erich Tadischs als wirklich seligmachende erklären. Ob nun schließlich Erich Tadisch als Philologe an einer unserer Universitäten gekrönt worden wäre, dieweil er nachgeforscht hätte, wo das Wort Milch bei den lateinischen Autoren vorkam, oder ob er einen juristischen Wortsalat aus anderen Rechtsdissertationen und Handbüchern abschriftstellerte, oder ob er nüchtern und schulmäßig beschrieb, welche Träume primitive Völker aufwiesen – und all das wären ernstgemeinte, mit wundgescheuertem Sitzfleisch erkaufte Arbeiten gewesen – das bliebe sich letzterdings gleich. Die staatlich doktorhutbekränzten Trottel, die ohnehin in der Welt herumlaufen, werden an Zahl deswegen keineswegs geringer. Erst im Augenblick aber, als Tadisch so unvorsichtig war, sich mit seinem Doktortitel irgendeine der unzähligen Kanzleistellen seines bürokratischen Heimatstattes ergattern zu wollen, gerieten einige Schulkameraden, sich seiner erinnernd, in helle Futterneidempörung und eröffneten eine Pressefehde. Bei dieser Gelegenheit fiel auch sonst allerlei sonderbares Licht auf die Machenschaften der Oriental University, was eben die Staatshochschulen veranlaßte, gerichtlich gegen Tadisch vorzugehen. Es stellte sich nämlich heraus, daß man sich meist mit noch weniger als mit einem alten Schulaufsatz eines Kandidaten bei den Dissertationen begnügt hatte. Ferner, daß die Vertreter der Oriental University bald ein internationales und technisches Unternehmen, bald ein internationales Patentanwaltsbüro, bald eine internationale Patentverwertungsstelle, bald ein internationales Zentral-Patentanwaltskontor, bald eine erste internationale Patentverwertungsstelle für Großindustrie usw. usw. neben der »Delegation« für die Oriental University betrieben. Ehrendoktoren der erwähnten Hochschulen, die freilich etwas teurer zu stehen kamen, besorgten diese Herren gleicherweise. Die ganze Leitung der Oriental University tauchte im Agentenverzeichnis auf, das die Namen derjenigen enthielt, die für Hektor Schit und August Rolltür Sicherungs- und Erkundigungsdienste taten.

Jedenfalls sagte Schit mehrmals zu Rosa Meier, wenn er in den Akten auf seine Komplizen stieß, etwas Ähnliches wie: »Also da hast du deine Finger auch drinnen gehabt, alter Freund.« Je nachdem brummte er »alter Junge« oder »alter Gauner« oder sogar »mon vieux« vor sich hin und bezeugte damit sein feineres Unterscheidungsvermögen für dergleichen Dinge.


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