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Von Amerika ausgehend, verbreitet sich immer mehr eine optimistische Lebensphilosophie von der Allmacht des Willens. Gleichzeitig hört man von Ungläubigen immer wieder den einleuchtenden Einwand, daß so viele Menschen so vieles wollen, was sie doch nicht erreichen. Darauf ist zu erwidern, daß die meisten Menschen gar nichts wollen und infolgedessen auch nichts erreichen; denn man darf nicht etwa denken, daß die, welche Geld, Liebe oder Anerkennung wünschen, irgend etwas wollen, was ist, sondern nur ihre ganz unbestimmten, mit keiner Wirklichkeit übereinstimmenden und darum nicht zu verwirklichenden Vorstellungen von Geld, Liebe, Anerkennung. Alle diese Menschen sehnen sich nach etwas, aber Sehnsucht ist noch nicht Wille. Der Wille kann wohl aus der Sehnsucht entstehen, ebenso oft aber zerfrißt sie den Willen, der so gut von der Sehnsucht, wie von des Gedankens Blässe angekränkelt sein kann.
Die meisten, die Geld haben wollen, wissen und sehen vom Gelde nichts als die stets gefüllte Tasche. Das ist nur ein Nebenher des Geldhabens, das ohne eine ganze Reihe von Beziehungen, Verantwortungen, Sorgen und Mühen nicht möglich ist. Diesen Apparat aber wollen die meisten nicht. Kein Wunder, daß ihre Wünsche sich nicht erfüllen. Es wird von Rockefeller erzählt, daß er von Jugend auf der reichste Mann der Welt werden wollte. Er ist es geworden, weil er alles wollte, was damit zusammenhängt. Er hat es teuer bezahlen müssen, denn an persönlichen Annehmlichkeiten bietet ihm sein Reichtum weniger, als manchem seine kleine Rente. Sein Gesundheitszustand zwingt ihn, von Hafersuppen zu leben, die Einseitigkeit seiner Interessen schließt ihn von vielen menschlichen Freuden aus, aber er ist der reichste Mann der Welt, genau, was er wollte. Mit einem Wort: wer etwas will, muß auch die Mittel wollen, wobei ich nicht etwa an unlautere Mittel denke, die sich ja nebenbei meistens auch als unpraktische Mittel erweisen.
Sehr viele Menschen möchten Geist besitzen, aber trotz diesem Wunsch bleiben sie mittelmäßig. Der Grund liegt nicht in der Ohnmacht des Willens überhaupt, sondern daran, daß sie vor den Mitteln zurückschrecken. Sie wollen nicht geistige Menschen sein, das wäre ihnen viel zu mühsam und wohl auch zu langweilig.
Wo irgendein Wille sich nicht erfüllt, liegt es immer am unklaren, halben Wollen oder daran, daß zwei Willenstriebe von ähnlicher Stärke einander aufheben. Hier gilt es dann, sich zu entscheiden. Eine Frau z. B. wünscht mit aller Kraft Liebe. Sie kommt gewiß, aber vielleicht verlangt sie Aufgabe ihrer ganzen bisherigen Stellung. Da wird sie schwankend und schließlich verzichtet sie, vielleicht mit gutem Grund, denn ihr Wille zur gesellschaftlichen Achtung ist noch stärker.
Es ist nicht ausgeschlossen, daß man mehreres zugleich mit Macht will, es ist sogar der Fall der meisten Menschen, die überhaupt wollen. Sie machen oft den Fehler, daß sie, anstatt ihre verschiedenen Wünsche auf ein harmonisches Gesamtbild zu lenken, sich bald nach dieser, bald nach jener Seite mit Heftigkeit wenden. Auf diese Art verzetteln sie ihre Kraft. Es ist darum in solchen Zwiespalten empfehlenswert, seine Wünsche nicht zu sehr zuzuspitzen, sondern nach irgend etwas Allgemeinerem mit aller Kraft zu streben und das Einzelne dem Schicksal zu überlassen, z. B. nach Harmonie, nach reichen Erlebnissen, nach Wohlergehen schlechthin, nach Weisheit, sich dabei aber doch den erstrebten Zustand deutlich auszumalen. Diese Zustände enthalten schon das Meiste, sie verhindern uns, in Sackgassen zu laufen, in denen wir nur unsere Kräfte verschwenden würden. In solchen Sackgassen finden wir besonders leicht jene Menschen von scheinbar krampfhaft angespanntem Willen, die doch nichts erreichen, häufig tragische Idealisten, die so gern zum Beweise angeführt werden, daß der Wille nicht allmächtig ist und oft nicht gegen eine unverständige Umgebung oder übermächtige Verhältnisse ankämpfen kann. Man muß eine Mitte finden zwischen zu eigensinnig zugespitzten und zu allgemeinen, nebelhaften Wünschen. Eigensinnige Menschen machen, ins Große gesteigert, denselben Fehler wie jene unfruchtbaren Sehnsüchtigen, von denen anfangs die Rede war. Sie wollen etwas, ohne die Mittel zu wollen. Sie wollen z. B. die Menschen beglücken, aber ohne die Menschen, denn was sie sich unter Menschen vorstellen gibt es nicht, und kann es nach den Gesetzen dieser Welt unter dem Mond nicht geben. Sie wollen den Bühnenerfolg ohne die Bühne, deren Gesetze sie verachten, aber nur, was wir lieben, wird uns dienstbar in dieser Welt. Wir bekommen ganz genau das, was wir wollen, aber unser Wille ist zum großen Teil unbewußt. Wir wissen nicht immer, was wir wollen. Viele sogar wollen etwas ganz anderes, als sie zu wollen glauben. Die erste Notwendigkeit daher, unseren Willen mächtig, ja allmächtig zu machen, ist Selbsterkenntnis. Eine Frau z. B. meint, sie wolle Liebe, in Wirklichkeit aber wünscht sie nur Befriedigung ihrer Gefallsucht. Sie wird sich daher immer am falschen Ort befinden. Man kann auch die Befriedigung der Gefallsucht wollen, dann muß man es aber ganz genau wissen und sich nicht durch Selbsttäuschung seine Ziele verhüllen. Eine Frau, die bewußt gefallsüchtig ist, wird ebensosehr ihr Ziel erreichen wie eine Frau, die wirklich liebt. Aber die werden zweifellos am Wege liegen bleiben, die weder das eine noch das andere recht wollen, die heiraten und dann neidisch sind auf das Leben der Curtisanen, die eine Geldehe schließen und sich dann über die Unliebenswürdigkeit ihres Gatten beklagen. Beide Arten Frauen haben nicht zu wollen gewußt. Natürlich kann man in den verschiedenen Zeiten seines Lebens Verschiedenes wollen, es kommt nur darauf an, daß man immer weiß, was man will, es nicht nur zu wissen glaubt.
Es gibt Menschen, die sich immer über ihre Mißerfolge und ihr Unglück beklagen. Beobachtet man sie genauer, so wird man entdecken, daß sie gerade diese Leiden lieben, ja daß sie sie wollen. Es ist ein verdrehter Wille, aber auch er erreicht sein Ziel. So sonderbar es klingt, in jedem sind solche verkehrten Selbstvernichtungstriebe. Wer hätte noch nicht die Freude gefühlt, wenn etwas »schief geht«, daß es »ganz schief geht«. Es gewährt einen geheimen, bitteren Spaß, den Tag, der mit einigen Unannehmlichkeiten begonnen hat, zu einem wahren Unglückstag zu machen. Auch diese menschliche Veranlagung kann eine gewisse Größe erlangen. Man kann »épouser son malheur«. Der in der Verbannung lebende große Mann, der abgesetzte Fürst, der seiner Liebe beraubte Liebende, sie alle wollen und lieben ihr Unglück, und es kann ihnen zum großartigen Lebensinhalt werden. Dies ist nicht nur kein Beweis gegen, sondern gerade einer für die Allmacht des Willens, der schließlich sogar die Schrecken des Todes zu überwinden vermag, indem er den Tod will.
Den Meisten ist zu empfehlen, ganz allgemein Glück zu wollen. Das ist das halbunbewußte harmonische Wirken von Seele und Geist. Wo es bewußt wird, besteht bereits die Gefahr der Langeweile. Für den Glücklichen ist kein Grund vorhanden, zu schaffen, zu forschen, zu streben. Die Antriebe entstehen erst aus einer gewissen Disharmonie und bedeuten die Flucht aus ihr. Wer aber nach einer dieser Richtungen bewußt will, ordnet alle kleineren Antriebe diesem Willen unter, mag es auch bisweilen schmerzlich sein. Der wahrhaft Wollende strebt nicht nach Glück, kann das Glück gar nicht brauchen. Ein Zwiespalt vieler besteht darin, daß sie sich nicht entschließen können, ob sie Glück wollen oder erfolgreiches Streben. Sie können sich nicht von der allgemeinen Vorstellung befreien, Glück sei notwendig, darum müssen sie sich in seiner Abwesenheit für unglücklich halten. Daher die vielen inneren Zusammenbrüche, Selbstmorde. Glück ist aber ganz und gar unnötig für den, dessen Geist ein Ziel sieht und will. Glück ist sogar eine Gefahr für seine Leistungen. Wer seine Ziele hoch genug steckt, dem werden die Mißerfolge des Alltags im Verhältnis dazu immer kleiner erscheinen, er wird sie, innerlich unberührt, auf die Debetseite seines Schicksals schreiben, so wie er sich nicht darüber aufregt, daß er am Anfang des Jahres Rechnungen zu zahlen hat. Natürlich müssen die notwendigen Bestände da sein, sie liegen in dem vom Geist gelenkten Willen.
Wie kommt nun der Geist zu der nötigen Willensfahrung, genannt Selbsterkenntnis? Durch die Lösung einer Reihe von Aufgaben, die ihm ganz klar vorgeschrieben sind. Die Religionen haben uns gelehrt, daß die Begierden, die sich auf Weltliches richten, niedrig sind. Sie sind es, wenn wir uns ihnen geistlos überlassen. Sollen wir sie darum bekämpfen? Die Folge davon ist, daß sie uns immer mehr quälen. Versuchungen, wie sie dem heiligen Antonius in seiner Zurückgezogenheit nahten, bleiben dem Sinnenleben des Weltmenschen fern. Ebenso überschätzt niemand den Wert des Geldes mehr als der, welcher es nicht hat, aber es haben möchte. Die Folgen solchen »Brunst«leidens sind die Ressentimentgefühle des Neides, der Heuchelei, der Verbitterung. Sie alle trüben die Klarheit des Geistes. Weil unsere Eitelkeit, Sinnlichkeit, Bequemlichkeit gewisse äußere Güter stark begehrt, müssen wir den Geist anstrengen, um zu erkennen, auf welche Art wir sie am sichersten und schnellsten erreichen. Nicht eher wird man zu ungetrübter geistiger Betrachtung kommen, als bis man durch gelegentliche Befriedigung seine Begierden zum Schweigen gebracht hat. Wer nicht unter einer bestimmten Summe im Jahre, nicht ohne gewisse Freuden und Bequemlichkeiten leben zu können glaubt, der muß sie sich im Namen seines geistigen Selbst zu verschaffen suchen, andernfalls wird dieses Selbst fortgesetzt durch Unzufriedenheit getrübt und dadurch zu einem von Ressentimentempfindungen verzerrten Weltbild geführt. Wer nach irgendeiner Richtung hin »Brunst« leidet, kann nie zur Weisheit kommen. Dies ist mehr als ein bequemer Rat der Lebensklugheit. Mir scheint vielmehr, daß uns die Begierden gegeben sind, um uns zur Auseinandersetzung mit der wirklichen Welt zu zwingen, andernfalls unser Geist sich völlig im Abstrakten verlöre. Unsere Begierden sind vielleicht nichts anderes, als die dem Willen gestellten Aufgaben, die den Geist immer mehr zur Erfahrung und Selbsterkenntnis führen. Ist er erst auf diesem Wege, dann ist ihm alles möglich. Er braucht nur zu wollen, und es wird ihm genau das Gewollte gegeben, denn er hat nun durch die Erfahrung zu wollen gelernt. Er vergesse aber nie das Eine vor allem zu erstreben: die innere Erhabenheit über die weltlichen Genüsse, die ihm den Alltag erleichtern mögen. Ist man erst soweit, dann fällt einem alles von selber zu.