Oscar A. H. Schmitz
Brevier für Weltleute
Oscar A. H. Schmitz

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Der Zwiespalt der geschiedenen Frau

In der Halle einer Pension des Berliner Westens sitzen Herr und eine Dame. Er ist Anfang der vierziger Jahre, dunkel, mager, rasiertes Gesicht, leise ergrauendes Haar. Sie ist zierlich, liebenswürdig. Gute Haltung, aber kindliche, wie hilfesuchende Augen. Anfang der zwanziger.

Sie (hat soeben von ihrer Ehe und Scheidung gesprochen): Wenn ich nur wüßte, was ich jetzt mit meinem Leben anfangen soll! Ich langweile mich. Können Sie mir nicht einen Rat geben?

Er: Dann müssen Sie mir erst eine Frage erlauben: Sind Sie eine Geschiedene aus Überzeugung?

Sie: Wie meinen Sie das?

Er: Ich meine: ist es ein persönlicher Zufall, daß Sie sich mit Herrn X. nicht vertragen konnten, oder betrachten Sie die Stellung der geschiedenen Frau als die angenehmste in unserer Zeit?

Sie: Ach, ich weiß es nicht. Ich möchte zwar von keiner meiner verheirateten Freundinnen ihr eheliches Joch übernehmen, aber eine alleinstehende Frau kann schließlich auch nichts mit ihrem Leben anfangen.

Er: Unbegreiflich! Wie können Sie das sagen, die Sie alle Eigenschaften besitzen, um aus Ihrem Leben etwas zu machen: Jugend, Schönheit und vollkommene soziale Unabhängigkeit?

Sie: Was soll ich denn damit anfangen?

Er: Erwerben Sie sich das Verdienst, in unserer bürgerlichen Zeit eine vollendete Weltdame zu sein.

Sie: Dazu braucht man einen Mann, der einem den Rahmen schafft, und das gerade will ich fürs erste nicht.

Er: Ich glaube, daß das heute nicht mehr so ist. Die moderne Ehe mit ihren starken Gemüts- und seelischen Forderungen hebt wohl die Frau gegenüber dem Manne bisweilen auf eine höhere Stufe, als es früher im deutschen Bürgertum geschah. Dadurch aber, daß das Zusammenleben heute einen so großen Einsatz an Persönlichkeit fordert, ist es kein günstiger Boden für die große Dame. Diese betrachtet die Ehe, wie Sie selbst sagten, mehr oder weniger als den Rahmen ihrer Stellung in der Welt. Wozu aber brauchen Sie den Rahmen, da Sie unabhängig sind? Entwickeln Sie Ihr Selbstbewußtsein, Ihren Charakter, lernen Sie Ihre Wünsche, Ihre Stimmungen beherrschen, dann beherrschen Sie das Leben um sich herum (das Zeug dazu haben Sie ja) und Sie werden sich nicht mehr langweilen.

Sie: Weiter. Ich glaube, von Ihnen kann ich etwas lernen.

Er: Geben Sie mir Ihren Fächer, ich will Ihnen ein kurzes Wort von Beaumarchais daraufschreiben. (Nachdem er geschrieben hat) Sois belle si tu peux, sois sage si tu veux, sois considerée, il le faut. Muß ich Ihnen das erklären?

Sie: Wenden Sie es ein wenig auf meinen Fall an. Er: Also: »Sei schön, wenn du kannst!« Nun, da Sie das ja so ausgezeichnet können, brauchen wir dabei nicht zu verweilen. »Sei tugendhaft, wenn du willst!« Es wäre taktlos, wenn ich mich da hineinmischen wollte. Die Hauptsache aber ist dies: »Sei geachtet, es ist nötig.«

Sie: Ist das alles? Mit diesem Grundsatz habe ich mich bei modern denkenden Menschen schon lächerlich genug gemacht, und ich glaube, die Leute haben recht mit ihrem Spott, denn was habe ich anderes von meinem guten Ruf, als daß ich mich langweile?

Er: Weil Sie es falsch anfangen. Daß Sie bis jetzt den sogenannten modernen Menschen zuliebe Ihren guten Ruf nicht geopfert haben, zeigt, was Sie für einen richtigen weiblichen Instinkt für die Wirklichkeit besitzen. Daß Sie sich aber deshalb Ihr Leben durch unnötige Einsparung verderben, beweist, was Sie noch für ein Kind sind.

Sie: Aber was soll ich denn tun? Neulich, als ich einmal ausnahmsweise mit dem Afrikareisenden im Theater war, hat uns ein Herr aus der Pension gesehen und den andern Tag klatschten bereits alle davon.

Er: Da können Sie sehen, wie falsch Ihre gewohnte Einsperrung ist. Wagen Sie einmal einen selbständigen Schritt, so müssen natürlich alle glauben, es ginge etwas Besonderes vor. Wären Sie aber in der Pension gleich als selbständige Persönlichkeit erschienen, die Bekannte an der Riviera, in London und in Petersburg hat, die niemandem verantwortlich ist, sich heute von einem japanischen Attaché in die Philharmonie, morgen von einem Journalisten in den Reichstag begleiten läßt, so würden Sie den Leuten von vorneherein einen ganz anderen als den kleinbürgerlichen Maßstab für Ihr Verhalten in die Hand gegeben haben.

Sie: Und glauben Sie, daß dann nicht über mich geklatscht worden wäre?

Er: Zweifellos, vielleicht sogar noch mehr, aber in einer Art, die Ihrem Ruf nicht gefährlich wäre. Sehen Sie einmal: geklatscht wird über jede Frau, die über das Mittelmaß hübsch ist, und die Frage liegt auch wirklich nahe, ob und wie sie die Macht ihrer Schönheit benutzt. Das Interesse wird natürlich noch lebhafter, wenn man keinen Mann neben ihr sieht. Sie dürfen nun nicht Ihre Lebenskraft mit dem fruchtlosen Streben verzetteln, daß man über eine hübsche, unabhängige Frau nicht klatschen soll. Das können Sie durch die klösterlichste Vorsicht doch nicht erreichen. Also geben Sie es auf; geklatscht wird über Sie. Es handelt sich nur darum, diesen Klatsch selbst zu meistern und zu lenken.

Sie: Ja, wie kann man denn das?

Er: Erscheinen Sie mit einem Herrn, so richten sich natürlich alle Blicke auf ihn. Da haben Sie bereits Ihre Waffe. Sie müssen öfter mit verschiedenen Herren erscheinen und zwar ganz offen, damit sich die Blicke verteilen und bedeutungslos werden. Andere Frauen werden Sie natürlich beneiden, aber man wird nicht so weit gehen, zu behaupten, daß Sie mit allen diesen Männern beklatschenswerte Beziehungen unterhalten. Ihr Verhältnis mit jedem einzelnen erscheint harmlos durch die gleichzeitigen Verhältnisse zu den andern. Das Publikum weiß nichts und kann höchstens für möglich halten, daß sich unter Ihren verschiedenen Freunden ein Liebhaber verbirgt. Diese Möglichkeit liegt aber ohnehin bei einer hübschen Frau vor, die niemand Rechenschaft schuldet. Ob Ihnen in Wirklichkeit einer dieser Männer nahesteht, bleibt daher ganz ausschließlich Ihre Sache. Sois sage, si tu veux. Ich will gar nicht davon reden, wie bequem, nützlich und bildend es für eine Frau ist, für alle ernsten und heiteren Lagen des Lebens einen solchen Stab von Männern aus den verschiedensten Berufen um sich zu haben, vortragende Räte.

Sie: Aber glauben Sie denn, daß die Männer für nichts als hie und da einen liebenswürdigen Blick zu solchen Knappendiensten zu haben sind?

Er: Zweifellos, wenn Sie ihre Eitelkeit genügend zu benutzen verstehen. Jeder zeigt sich gern mit einer so gut aussehenden Frau in der Öffentlichkeit. Dann aber müssen Sie einige wirkliche Freundschaften haben; ein paar Flirts, die auf die Schäferstunde warten, werden sich immer daneben finden. Natürlich dürfen Sie keinem alle Hoffnung rauben und falls einer dringlich wird, müssen Sie ihn auf später vertrösten ... Sie seien gerade in einer Krise Ihrer Gefühle, Ungeduld könne alles zerstören, oder, wenn es überhaupt möglich wäre, würden Sie nur an ihn denken, aber im Augenblick sei es überhaupt nicht möglich. Sie lächeln? ... Weil Sie diese Dinge besser wissen als ich. Natürlich dürfen solche Herren nicht Ihr einziger Umgang sein; Sie müssen zu ihnen aus einem festen Kreis erstklassiger Familien zu treten scheinen, wo man auf Ihre Tugend schwört und es der »armen, einsamen Frau« nicht verdenkt, daß sie ihr Leben ein wenig genießen will.

Sie: Das wäre alles ganz hübsch, aber ... Gott, wie soll ich Ihnen das erklären ... wenn ich mich nun in einen wirklich, ernstlich verliebe ... und diese verschiedenen Freundschaften und Flirts, hinter denen er versteckt werden soll, passen ihm nicht? Dann muß ich mir doch wieder gefallen lassen, was er ...

Er: Gefallen lassen? Kann ich meinen Ohren trauen? Müssen Sie sich etwas gefallen lassen? Das mag eine Frau, die froh ist, wenn sie überhaupt einer nimmt. Aber Sie? Da können Sie sehen, wie Sie noch Ihr Selbstbewußtsein entwickeln müssen. Wenn Sie bei Ihren Beziehungen nicht selbst die Bedingungen angeben, dann sind Sie ja ... gar nicht wert, geschieden zu sein.

Sie: Aber was wollen Sie, wenn man jemand wirklich lieb hat?

Er: Dann müssen Sie erst recht auf der Hut sein, um ihn nicht zu verlieren, und dazu gehört in erster Linie, daß Sie stets geheimnisvoll und neu aus der für ihn niemals ganz durchdringlichen Wolke Ihres intimen Lebens hervortauchen. In der Ehe mag dies unmöglich sein, solange Sie aber frei sind, gebe ich Ihnen den einen Rat: wen Sie im mindesten im Verdacht haben, daß es ihm am nötigen Takt fehlt, Ihr Privatleben und dessen Gewohnheiten zu achten, den halten Sie von sich entfernt. Er wird sonst notgedrungen Ihr Feind, nachdem er Ihre Nerven gequält und Sie an den Rand des Sanatoriums gebracht hat.

Sie: Sie haben recht; wenn man das will, kann man ja gleich wieder heiraten. Ach, ich sehe, das Leben ist schwer, wo man es auch immer anfaßt.

Er: Gewiß; und je höher man steht und je mehr man von ihm verlangt, desto angespannter muß man seine Stellung behaupten.

Sie: Eine Frau hat es doppelt schwer.

Er: Und unsere Zeit mit ihrer moralischen Verwirrung macht es ihr nicht leichter. Die sogenannten modernen Anschauungen über Liebe und Ehe locken die Frau geradezu aufs Glatteis, indem sie sie lehren, der Gesellschaft ins Gesicht zu schlagen. Statt sich eine gute Welterziehung zu geben und zu lernen, wie die Dinge, die man ahnt und fühlt, in der Wirklichkeit aussehen, grübelt die moderne Frau über das Recht auf freie Liebe, auf freies Muttertum. Diese Lehren hindern sie nur, die gesellschaftliche Wirklichkeit zu erkennen, und was man nicht erkennt, kann man auch nicht beherrschen.

Sie: Sie meinen die Frauen, die sich »ausleben« wollen? Die hasse ich auch.

Er: Ich hasse sie nicht, ich beklage sie nur. Ich habe zu viele flügellahme Geschöpfe gesehen, die auszogen, um zu leben, und sich nur bloßgestellt haben.

Sie: Haben nicht manche doch wenigstens gelebt?

Er: Sie haben Freuden, die man auch so haben kann, hoch bezahlt, nämlich mit ihrem Ruf, und alle sehen schließlich traurig ein, daß das gar nicht nötig war. Sois considerée, il le faut.

Sie: Aber ist das nicht eigentlich eine schreckliche Heuchelei?

Er: Eine Heuchelei vielleicht. Aber warum schrecklich? Die Achtung vor den eigenen und fremden Vertraulichkeiten erfordert die taktvolle Verhüllung des Liebeslebens und dazu sind gewisse Notlügen, die man Heuchelei nennen mag, unerläßlich. Ihre besonnene Anwendung ist die Grundlage aller guten Erziehung. Es ist wirklich nicht abzusehen, warum die Welt wissen soll, in was für Beziehungen Herr X. und Frau Y. stehen. Ich halte es für ein Zeichen sinkender Kultur, daß man heute in bestimmten Kreisen der Heuchelei die Schamlosigkeit vorziehen will.

Sie: Finden Sie nicht wenigstens, daß es nicht besser wäre, die Menschen würden harmloser und unbefangener von diesen Dingen denken?

Er: Darüber habe ich keine Meinung und brauche auch keine. Ich lege mehr Wert auf den Charakter, der mit den Tatsachen fertig wird, als auf den Intellekt, der Meinungen über sie aufstellt. Ob Meinungen gut oder schlecht sind, weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß man aufhört, eine Dame zu sein, wenn man in der Öffentlichkeit als Befreierin des Liebeslebens auftritt.

Sie: Darin gehen Sie aber zu weit.

Er: Ein solches Apostolat erweckt den Verdacht, daß seine Vertreterin unter dem alten System der Gesellschaft unbefriedigt geblieben ist und unter einem neuen Befriedigung erhofft. Eine Frau aber, die so etwas vermuten läßt, begeht einen Skandal. Wir müssen – wenn nicht alle Ritterlichkeit aufhören soll – die Fiktion aufrecht erhalten, daß die Damen uns nicht brauchen, daß das, was sie gewähren können, Gnaden sind.

Sie: O, ich sehe, eine alleinstehende Frau ist im Grund eine Unmöglichkeit.

Er: Ich bin überzeugt, in spätestens zwei Jahren den Ehering wieder an Ihrer Hand zu sehen.

Sie: (seufzt entsagungsvoll).

(Der Gong zur Tafel ertönt.)


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