Oscar A. H. Schmitz
Brevier für Weltleute
Oscar A. H. Schmitz

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Der Stolz der Frau

Der Stolz der Spanierin ist sprichwörtlich, er beruht darauf, daß sie ihrer weiblichen Ehre nicht zu nahe kommen läßt, außer wenn sie liebt. Kein Land ist daher so wenig lasterhaft wie Spanien. Die liebende Frau ist vollkommen zuverlässig, andere Männer gibt es für sie nicht. Kommt sie zu der Überzeugung, daß sie sich einem Unwürdigen geschenkt hat, dann kehrt sich ihre Leidenschaft leicht in Rachedurst um, und jene bisweilen tödlichen Liebestragödien entstehen, von denen wir so häufig in südländischen Blättern lesen. Italien hat eine viel verwickeltere Kultur als Spanien, sein gesellschaftlich entfaltetes Leben hat den Typus der ursprünglich leidenschaftlichen Frau hie und da verwischt, aber seine Grundlinien sind auch in Italien noch häufig zu finden. Man weiß, mit welcher Begeisterung dort bei Prozessen die öffentliche Meinung für das Verbrechen aus Leidenschaft Partei nimmt, während sie Frivolität durchaus ablehnt. In einer Mittelstadt Oberitaliens lockte ein Mann der ersten Kreise seine Braut in seine Wohnung, und unter den Beteuerungen seiner leidenschaftlichen Liebe ergab sie sich ihm, darauf ließ er zunächst nichts mehr von sich hören. Auf einen Brief von ihr antwortete er, er habe nur versuchen wollen, ob sie wirklich besser sei als andere Frauen. Da der Versuch mißglückt sei, verzichte er auf weitere Beziehungen. Das empörte Mädchen trat ihm noch einmal in den Weg und fragte ihn, ob dies sein letztes Wort sei. Als sie die Überzeugung gewann, daß es ihm Ernst war, stand es für sie fest, daß er nicht länger leben dürfe. Eines Abends lauerte sie ihm mit der Flinte ihres Vaters auf, schoß ihn nieder, begab sich sofort auf die Polizei und erzählte den Vorfall. Der Polizeioffizier wagte nicht, sie zu verhaften, geleitete sie vielmehr persönlich in ihr Elternhaus zurück. Ein Prozeß fand nur der Form halber statt, denn ihr Freispruch war unzweifelhaft. Aus allen Gegenden Italiens erhielt dieses Mädchen Heiratsanträge. Das ist ein Beispiel dafür, worin der Stolz der südländischen Frau besteht.

Auch von den englischen Frauen hört man häufig behaupten, sie seien stolzer als Frauen anderer Länder. Ich habe dieser Frage in England etwas nachgeforscht, indem ich jedesmal, wenn mir diese Behauptung aus weiblichem Munde entgegentönte und die Gelegenheit günstig war, um nähere Aufklärung bat, worauf eigentlich dieser englische Frauenstolz beruhe. Da hörte ich denn fast jedesmal die überraschende Antwort: während sich die deutschen oder französischen Frauen so leicht von ihren Gefühlen hinreißen lassen, habe die Engländerin viel mehr »self-control«. Eine englische Frau erlaube vielleicht einem Manne, daß er sie liebe oder sie küsse, aber sie sei sehr schwer dazu zu bewegen, selbst zu lieben und selbst zu küssen. Wenn nun auch niemand geneigt sein wird, einer derartigen Behauptung Glauben zu schenken – die menschliche Natur ist wohl überall ähnlich –, so ist es doch bezeichnend genug, daß sehr viele englische Frauen in einem solchen passiven Sichhuldigenlassen ein stolzes Ideal erblicken. Ohne rechten Grund sind manche unserer Frauen in dem Übergangszustand, worin sie sich befinden, so unsicher und bescheiden, daß ihnen ein solches ihrer Natur so fremdes Ideal aus der Ferne Eindruck macht. Eine triebsichere Südländerin dagegen würde diese Art des Frauenstolzes, die gewissermaßen das Wesen des Weibes aufhebt, ohne dadurch aber männliche Tugenden hervorzubringen, von Herzen verachten. Sie kann darin nur Kälte, Berechnung und Gefallsucht erblicken. Ein Mann, der die Angelegenheit kühler betrachtet, sieht in diesem Ideal in erster Linie das Unwahre, Unnatürliche und darum Undurchführbare. Die Enttäuschung über diese Undurchführbarkeit aber führt zu den verkniffenen englischen Moralanschauungen, die jedem Ausländer in jenem Lande auffallen, und zu der angelsächsischen Form der Liebe, dem Flirt, dessen eigentliches Wesen in südlichen Ländern überhaupt nicht, in Deutschland nur ungenau bekannt ist. Er hat nichts mit dem harmlosen Tändeln und Kokettieren zu tun, das in allen Ländern bald der Liebe vorausgeht, bald eine bloße gesellschaftliche Konvention ist. Sein Ziel ist vielmehr, unerfahrene Jungen in Lagen zu bringen, in denen Mädchen gewisse Abschlagszahlungen auf die Ehe herauslocken können ohne Rückzahlung. Die Situation erlaubt in jedem Augenblicke, so zu tun, als sei nichts vorgefallen, im Falle der Überraschung aber den Mann als verruchten Bösewicht hinzustellen und ihm die Verantwortung für eine Lage öffentlich aufzubürden, die man selbst herbeigeführt hat. Geschickt Vorgehende können auf diesem Wege unter Umständen eine Verlobung oder aber eine entsprechende Entschädigungssumme erpressen. Daß eine »Lady« so etwas nicht tut, liegt auf der Hand, aber auch die bis ins Einzelne veröffentlichten englischen Ehescheidungsprozesse, die sich der hohen Kosten wegen fast nur Ladies und Gentlemen leisten können, zeigen eine Fülle weiblicher Kampfmittel, die den Glauben erwecken sollen, daß eine Frau immer für eine unnahbare »Lady« zu halten ist. Dabei gibt es kein Land, wo die Frauen häufiger die Beginnenden sind. Haben sie dann so einen Jüngling-Mann in eine Lage gebracht, wo er den Kopf verliert und Dummheiten macht, dann äußert sich jene puritanische Heuchelei, die von nichts weiß und sich über die unerwartete Sündhaftigkeit der anderen beschwert. Dieser englische Stolz, kein Gefühl haben zu wollen, ist kein Instinkt wie der südländische, sondern wie so vieles in England, z. B. die Freiheit, nur eine nützliche Theorie, eine »opinion«. Die berüchtigten »breach of promise cases« sind ihr Ausdruck.

Der Stolz der französischen Frau ist sehr verwickelter Natur und wird oft mißverstanden. Die Französin gilt für berechnend, sie verstehe es ganz besonders, Liebesangelegenheiten mit Geldfragen zu verquicken. Es ist richtig, daß die Französin verhältnismäßig leicht den Schritt von der Gesellschaft zur Halbwelt macht. Sie kennt nicht so sehr die Gewissenskämpfe der protestantischen Länder, wo die »Gefallene« weniger durch das, was sie tut, als durch die Verachtung der Gesellschaft hinabgestoßen wird. Aber wie häufig ist es, daß gerade in Frankreich aus einer anfangs eng mit Geldfragen zusammenhängenden Liebe ein »Ménage«, ja ein Idyll entsteht. Ich glaube, der Stolz der französischen Frau ist nichts anderes, als der durch Vernunft gemäßigte Stolz der Südländerin. Auch hier ist der Grundsatz nicht etwa, sich zu versagen, sondern sich nicht an jemanden wegzuwerfen, der morgen über einen lacht, kein Gefühl aufkommen zu lassen, wo es dem andern nur um den Reiz des Augenblicks zu tun ist. Die unübersehbaren Verhältnisse einer galanten Weltstadt wie Paris, dazu die Leichtigkeit des gallischen Charakters, worin doch noch viel von der Stürmischkeit des Südens enthalten ist, alles dies hat viele Frauen, die nicht selbst in Überfluß leben, erkennen gelehrt, daß die Annahme einer Geldentschädigung von einem Liebhaber das einfachste Zeichen dafür ist, daß der Mann dem Augenblicke einen gewissen Wert beilegt. Die unbemittelte Französin kann durchaus nicht begreifen, daß in der blinden Hingabe eines Gretchens ein höherer moralischer Wert liegen soll, als in der klarsehenden Hingabe einer Frau, die genau weiß, daß der Mann nichts so verächtlich behandelt, als eine Frau, die rein ihrer Sinnlichkeit folgt und sich ihm und vielleicht vielen anderen an den Hals wirft. Sie meint, so lange sie von ihm eine Geldentschädigung angenommen hat, darf er nicht behaupten, er habe ihre Liebe genossen. Ihr Stolz gebietet ihr, einen solchen Sieg nur dem zu gönnen, der ihr dessen wert erscheint. Diese doppelte Buchführung stößt außerhalb Frankreichs auf wenig Verständnis. Sie beweist immerhin, daß es sehr häufig nicht niedrige Gewinnsucht, sondern weiblicher Stolz ist, der einer Frau verbietet, als Geliebte eines wohlhabenden Mannes selbst dürftig zu leben. Wenn von seinen Beteuerungen nur ein Funke wahr ist, scheint doch das Geringste, womit er es beweisen kann, daß er die äußeren Annehmlichkeiten des Lebens, die er genießt, auch ihr zukommen läßt. Die Goldstücke, welche die Curtisane am Morgen auf dem Kamin findet, sind ihr das Zeichen dafür, daß sie sich nicht ganz weggeworfen hat. Der Mensch, und ganz besonders der Mann, ist geneigt, das Billige gering zu schätzen und sich dort angezogen zu fühlen, wo er ein gewisses Kapital »investiert« hat. Bei wohlhabenden und dadurch unabhängigen Frauen liegt die Frage anders; für sie besteht die Gefahr nicht so sehr, am Straßenrand liegen zu bleiben. Auch die wenigen gut bezahlten Frauenberufe, wie die Bühne, geben eine solche Sicherheit.

In Deutschland hat vor dem Krieg 1870 in breiten Schichten wohl derjenige weibliche Typus vorgeherrscht, den Goethe in Gretchen und Klärchen verkörpert hat. Diese harmlosen Dinger meinten, es sei genug, »jemand einfach lieb zu haben«. Es mag für die damaligen Verhältnisse von Klein-Deutschland auch wirklich genug gewesen sein, aber das deutsche Mädchen von heute, soweit es nicht unter dem Schutze wohlhabender Eltern steht, dürfte doch inzwischen erkannt haben, daß dies nicht genug ist, daß man mit diesen rein auf dem Gefühl beruhenden Ansichten zu leicht in Gefahr kommt, auf die Seite geworfen zu werden. Die Entwicklung des deutschen Mädchens in dieser Richtung wird nun leider dadurch auf Jahrzehnte gehemmt, daß die verbrecherischen Schriften gewisser Gefühlspolitikerinnen, die für idealistisch gelten, bei uns eine so überraschende Verbreitung gefunden haben. Ihre Hauptopfer sind diejenigen Mädchen, denen es noch nicht gelungen ist, ihr Gefühlsleben durch einen Panzer weiblichen Stolzes gegen die rauhen Luftzüge des modernen Lebens zu schützen. Ihnen klingt es besonders verheißungsvoll, daß nur das freie Gefühl der Liebe die Geschlechter verbinden solle. Die sogenannte »Schmutzliteratur« ist weniger gefährlich als solche Lehren. Jene Literatur hat wenigstens den Vorzug, daß man auf den ersten Blick sieht, womit man es zu tun hat. Die meisten Menschen werden ohnedies davon angewidert werden, und wem sie wirklich hie und da die Phantasie erhitzt, der weiß doch genau, was das bedeutet. Ganz anders, wenn alte Fräulein Kulturgeschichte, Sozialwissenschaft, Hygiene und neue Moral predigen. Indem sie sich an das Bildungsbedürfnis, das Denken und die besten Gefühle ihrer Opfer wenden, empfehlen sie sich als wohlwollende Führer, aber das Ziel ihrer Führung ist Verderben. Ein sechzehnjähriges Mädchen kam weinend aus einer Vorlesung der Ellen Key. Auf die Frage nach dem Grund ihrer Trauer antwortete sie: »Ich schäme mich so, daß ich noch kein Kind habe.« Anstatt den Frauen zu zeigen, wie die Welt ist, wie die Männer sind, was sie wollen und ihrer ungebundenen Natur nach wollen dürfen, was man ihnen aber zunächst verwehren muß, anstatt dessen wird unerfahrenen Mädchen eine ideale Welt vorgeschwindelt, in der sie als Märtyrerinnen eines neuen Glaubens ihren Gefühlen folgen sollen, anstatt, mit dem Stolze des Weibes umgürtet, sich der männlichen Begierden so lange zu erwehren, bis die nötige Gewähr da ist, daß für die sozialen, seelischen und körperlichen Folgen der Hingabe vorgesorgt ist. Worin diese Gewähr besteht, mag von Fall zu Fall verschieden sein, ein armes Mädchen wird andere Sicherheiten verlangen müssen als eine reiche Witwe, eine Künstlerin andere als eine Familientochter. Es gibt nur einen Wegweiser für die Frau, der ihr zeigt, was sie geben und was sie verlangen darf, und das ist ihr Stolz.


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