Oscar A. H. Schmitz
Brevier für Weltleute
Oscar A. H. Schmitz

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Die Magie des Anzuges

»Eine männliche Erscheinung, fehlerlose Schuhe und Kleider, eine glückliche Ungebundenheit der Manieren werden einem Manne ebensoviel helfen, wie ein großes Bankkonto.«
Thackeray, Vanity fair.

Man gestatte mir bei der Frage der Kleidung ein wenig an ein tiefes Menschheitsproblem zu streifen und wundere sich nicht zu sehr über diese Mischung von amerikanisch anmutendem Opportunismus mit mittelalterlich berührendem Wunderglauben.

Gute Kleidung ist Sinnbild der Macht, des glücklichen Gelingens, der Zugehörigkeit zu den oberen Klassen. Schlechte Kleidung bedeutet nun einmal in der sinnenfälligen Welt etwas Verneinendes, sozusagen Unglück.

Ich muß ein wenig ausholen: Unglück ist nichts anderes als ein Bewußtseinszustand, mit dem wir auf bestimmte Ereignisse antworten. Je nach unserem augenblicklichen Vorrat an Lebenskraft betont unser Bewußtsein die Ereignisse anders. Ja, wenn wir uns am stärksten vom Leben erfüllt fühlen, übersetzen wir sogar den Tod, das feindlichste Ereignis, das uns treffen kann, in Pathos und Schicksal. Armut, Häßlichkeit, Mißerfolge sind also negative Betrachtungsweisen, welche die Ereignisse in Augenblicken der Lebensschwäche in uns auslösen. Es sei Gesetz des Handelns, sie nicht als Ohnmacht zu empfinden. Wir sind nicht arm, weil wir kein Geld haben, sondern weil wir unser Bedürfnis statt Geldverlegenheit Armut nennen. Wir sind nicht erfolglos, weil wir »Pech« haben, sondern weil wir uns auf Grund einiger mißlungenen Pläne für »Pechvögel« halten, meidet uns der Erfolg. Eine Frau wird häßlich, weil sie gewisse Eigenarten ihrer Erscheinung mißversteht, statt sie unbedingt positiv zu deuten und für die Mitwelt durch die Kunst der Toilette überzeugend zu kommentieren. Häßlichkeit ist oft nur eine mißverstandene Eigentümlichkeit. Beispiele: Eine Frau hat nicht viel Fleisch; sie hat es ganz und gar in der Hand, dies als klägliche Dürrheit oder als prickelnde Schlankheit zu deuten. Oder eine Frau hat nicht viel Geist: es liegt an ihr, dies als Dummheit oder als »Seele« wirken zu lassen. Geben wir dem Unglück Macht über uns, so läßt es uns nicht mehr los. Autosuggerieren wir uns Armut, Häßlichkeit oder Erfolglosigkeit, so werden wir arm, häßlich und erfolglos. Unsere Klagen suggerieren die Mitmenschen und deren Meinung suggeriert wieder uns: der circulus vitiosus des Unglücks, in den Personen, Familien, Stände, ganze Völker geraten können, wenn sie sich erst einmal angewöhnt haben, unvermeidliche Verluste gefühlsschwach Unglück zu nennen, anstatt sie, wie der Buchhalter eines großen Handelshauses, kühl auf die Debetseite zu buchen. Er ist überzeugt, daß ein verwickeltes Unternehmen ohne ein großes Verlustkonto undenkbar, daß es aber kapitalkräftig genug ist, um sie stets wett zu machen. Die meisten Menschen stehen ihrem Schicksal gegenüber wie feige Geizhälse, die sich über jede Rechnung aufregen, obwohl sie aus Erfahrung wissen könnten, daß ihre Mittel bequem zur Bezahlung ausreichen.

Um nun stets in uns das Bewußtsein wach zu erhalten, daß augenblickliche Mißhelligkeiten gewissermaßen ein Exil bedeuten, währenddessen wir Kräfte für unsere bevorstehende Thronbesteigung sammeln, vor der wohl noch einige Schwierigkeiten wegzuräumen sind, um ferner in der Mitwelt den Glauben an unsere Thronrechte zu bestärken, müssen wir uns mit Zeichen umgeben, mit Talismanen sozusagen, in denen unsere Macht gewissermaßen verborgen und angehäuft liegt. Ein solcher, besonders wirksamer Talisman, der uns stets eine bestimmte Haltung auferlegt und eine unentrinnbare Wirkung auf die Menschen hat, ist die Kleidung.

Um irgend ein irdisches Gut zu erreichen und dessen Wesen in einen Talisman zu bannen, muß man die Art dieses Gutes kennen und erforschen. Jeder Mensch möchte ganz im allgemeinen wirken. Das alles aber führt an sich zu gar nichts. Man muß vielmehr das Wesen des Wirkens erkennen. Nichts ist falscher, als einfach nachzumachen, was man bei anderen sieht, denn man kennt ja nicht die elementare Zusammensetzung ihrer Talismane. Ebenso falsch ist es, Eigenschaften, die man in sich findet, ohne weiteres individualistisch verwerten zu wollen, ohne sich über ihre Brauchbarkeit klar zu werden. Man muß vielmehr erkennen, was überhaupt wirken oder gefallen kann und welche entwicklungsfähigen Elemente in einem sind. So hat es eine Frau in der Hand, aus allerlei Unvollkommenheiten durch ein gutes System von Unterkleidern, beherrscht durch ausgezeichnete Gebärden, Schönheit zu schaffen. Die Mittel der Eleganz, richtig verstanden – dies ist natürlich Bedingung –, müssen die Eleganz hervorbringen. Die Eleganz aber gebiert leicht das, was sozial und materiell zu ihr gehört. Sie ist ein Talisman erster Ordnung und verhindert, daß man als »Außenseiter« eines Kreises gilt, für den man sich geeignet glaubt, ohne schon eine feste Beziehung zu ihm gefunden zu haben. Der wie ein Außenseiter Aussehende findet sie niemals; vielmehr müssen die Zugehörigen sich eines Tages fragen, warum ein Mann, der doch ganz ist wie sie, nicht enger mit ihnen verbunden ist. Man muß ein geborener »Zugehöriger« sein, um niemals ein Emporkömmling zu werden.

Wir bewegen uns hier an der Grenze zwischen der Magie und der flüchtigsten, gewichtlosesten der Lebenserscheinungen, der Mode. Die richtige Halsbinde – es muß aber wirklich die richtige sein, nicht die vom Verkäufer als »dernier cri« gepriesene – entscheidet mit, dem Entscheidenden unbewußt, die Verleihung einer Stellung oder den Erfolg einer Rede. So wie manche geheime Weisheit heute auf die Stufe der Kartenschlägerinnen und Kaffeeschwestern hinabgesunken ist, so finden wir auch das Wissen von der Magie des Anzugs, zur Unmöglichkeit entwürdigt, nur noch von einer Klasse bewußt angewendet, dem Handlungsreisenden, der je nach den Kunden bald achtbar-bürgerlich, bald »schneidig«-flott auftritt.

Nutzanwendung»

Solange du einen gutgeschnittenen Rock, ein Paar Lackstiefel, einen kleidsamen Hut und zwei bis drei einwandfreie Hemden hast, hoffe! Jede Viertelstunde kann deinen Fuß auf eine höhere Stufe der Leiter des Glücks stellen. Erst wenn die Mittel des Gentleman verloren sind, wird deine Lage verzweifelt, die besten Zufälle helfen dir nichts, wenn dein Äußeres unmöglich macht, sie auszunutzen. Also: zögere nicht zu hungern, wenn es nötig ist, aber trage feste Manschetten.

Eine gutgekleidete Frau mit erzogenen Manieren findet immer Leute, denen es eine Ehre ist, sie zu versorgen. Jeder erachtet es hingegen als unwirtschaftlich, einer schlechtgekleideten Frau ein Paar Handschuhe zu schenken (denn es ist ein Tropfen auf einen heißen Stein), geschweige denn, daß er sich irgendwo mit ihr in der Öffentlichkeit zeigt. Eine Frau muß immer, wie die sieben weisen Jungfrauen, genug Öl auf der Lampe haben, denn jeden Abend kann sie in die Lage kommen, den Bräutigam empfangen zu müssen. Also: versetze dein Bett (wenn du eines brauchst, findet es sich immer), aber niemals dein Pelzjackett.


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