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»Le moindre défaut des femmes qui
se sont abandonnées à faire l'amour
c'est de faire l'amour.«
La Rochefoucauld, Maximes, CXXXI
Darin hat die moderne Frauenbewegung recht, daß schändlich ist, wenn sich ein Weib unfreiwillig preisgeben muß, es ist ebenso schändlich im Hinblick auf die anständigen Frauen, wie im Hinblick auf die Halbwelt, die unter dem unlauteren Wettbewerb nicht berufener Pfuscherinnen leidet, wie die Kunst und die Literatur.
Wer ist eine berufene, eine wahre Curtisane? Natürlich nicht die, welche, um für notleidende Kinder oder einen arbeitsunfähigen Mann oder Vater zu sorgen, auf die Gasse geht. Auch nicht die, welche »für jeden zu haben« ist. Das ist die Dirne, die in allen Gesellschaftsschichten vorkommt, vom Hof bis hinab zur Gasse, vom Theater bis zu den Pfarrerstöchtern, von den Militärkreisen bis zur Bohême. Also: sich für Geld geben und sich jedem geben, das sind noch nicht die wesentlichen Merkmale der Curtisane. Das sind für sie nur mögliche Wege. Curtisane ist die, welche die Umwelt zwingt, ihrem begnadeten Leib und ihrer schillernden Seele den würdigen, goldenen Rahmen zu schaffen. Sie ist von Haus aus arm oder für ihre märchenhaften Ansprüche zu wenig bemittelt, oder sie ist vielleicht erst in enge Verhältnisse geraten. Ist sie im Reichtum oder auf dem Thron geboren, so wird sie eine aller Konventionen spottende große Dame sein. Solchen Frauen ist die Curtisane, was ihr körperliches und seelisches Wesen betrifft, überhaupt am ähnlichsten. Es ist bekannt, daß ehemalige Halbweltdamen oft wie alte Herzoginnen aussehen. Also die Curtisane ist von Haus aus arm, hat aber immer so viel Geld zur Verfügung, wie sie braucht oder sie scheint es wenigstens zu haben. Das ist wesentlich. Insofern gehört es zu ihr, daß sie sich bezahlen läßt, doch das allein ist's nicht. Sie hat oder vielmehr sie kriegt den Luxus, das ist's. Im übrigen gibt sie sich vielleicht oft ganz umsonst, und eine andere, die immer rechnet, erreicht den Luxus nicht und ist höchstens eine kleine, böse Hure.
Anderen Frauen ist der Luxus nicht wesentlich, sie haben ihn zufällig oder sie entbehren ihn nicht, sie sind keine Curtisanen, und wenn sie zehnmal den Liebhaber wechseln und vielleicht Vorteil davon haben. Sie können reizvolle Frauen sein, ideale Geliebten, hinreißende Künstlerinnen, gute Kameradinnen, rührende Freundinnen: Curtisanen im guten oder im bösen Sinne sind sie nicht. Dazu gehört Luxus und Luxusinstinkt in erster Linie. Dagegen ist der erotische Zug nicht unbedingt nötig. Da die Curtisane mit sich selbst bezahlt, wird sie sich zwar in der Regel oft und mehreren hingeben müssen, aber auch das ist Mittel, nicht Zweck, insofern sie Curtisane ist. Es ist grundsätzlich denkbar, wenn auch nicht wahrscheinlich, daß eine Jungfrau Curtisane ist; es gibt sicher Curtisanen, die ziemlich selten sich einem Manne hingeben, die, wie manche kalte Gattinnen, einen Abscheu vor allem Geschlechtlichen haben. Ihre Kunst ist, reiche Männer zu finden, die aus irgendwelchem Grunde auf die letzten Dinge in der Liebe keinen besonderen Wert legen. Ich hörte eine solche Curtisane behaupten, sie habe das Glück, immer nur an »ideale« Männer zu geraten. Ideal sagte das gute Kind. Ich bemerke dazu: eine Curtisane kann sehr wohl das Hirn eines Huhns haben. Nur selten ist sie sogar eine geistige Kraft, wie wohlmeinende Literaten wollen. Die berühmten Namen des Altertums und der Renaissance sind Ausnahmen. Der Durchschnitt, den Lucian und Aretin beschreiben, gleicht aufs Haar dem, was wir kennen. Die weibliche Natur ist nur selten stark genug, um wirklichen »Geist« zu beherbergen. Meist wird sie von ihm zerfressen, wie die Wände eines Gefäßes von seinem zu scharfen Inhalt: der bedauerliche Blaustrumpf entsteht, womöglich mit erotischer Note, oder fürchterlichsten Falles die intellektualisierte spiritualisierte Curtisane, ein Auswurf der Hölle und Geniestreich Satans, mit der er die fleischliche Curtisane, dies Gottesgeschöpf, so entsetzlich verzerrt.
Heute meinen manche Frauen, sie seien von Anlage Curtisanen, aber weil die Zeit der Curtisane noch nicht gekommen oder vorbei sei, müßten sie verkümmern oder einstweilen ihre purpurnen Lebensträume auf Leinwand, Papier oder sonst wohin ergießen. »Ja,« so gestehen sie zu, »unsere Kunst ist uns nur unweiblicher Notbehelf, eigentlich wollen wir das Leben. Wir sind auch gar nicht einmal für die Frauenemanzipation, das Weib soll Weib sein. Aber in dieser Zeit der Philistermoral! Was soll man da tun?« Arme Hascherln! Jede Zeit war eine Zeit der Curtisane. Sie gedeiht im Schloß wie bei der Börse, im bischöflichen Palast wie um die Zeitungsredaktionen, im Feldlager wie an Wallfahrtsorten und hat mit dem, was man heute »Kultur« nennt, aber auch ganz und gar nichts zu tun. Die Curtisane ist keine zufällige Zeiterscheinung wie z. B. der »denkende« Schauspieler, der dichtende Professor, der Versicherungsagent und Hauptmann a. D., oder die kunstgeschichtlich gebildete Tänzerin, die Curtisane ist vielmehr eine symbolische Erscheinung der Menschheit, wie der Fürst, der Bauer, der Händler, der Dichter, der Krieger, der Diplomat; sie kann und soll so wenig je ausgerottet, noch ermutigt werden, wie Spiel und Spekulation und alle jene anderen Menschlichkeiten, die nun einmal zum Leben gehören und für die neben der Tugend genug Platz ist. Ihre Zeit ist immer da, sie erscheint im Gewand jeder Zeit, aber das moderne Literatencafé hat aus ihr eine Allegorie gemacht.
Ein Malmädchen rief einmal in modern aufrichtiger Entrüstung aus dem neuneckigen Halsausschnitt seines Reformkleides heraus: »Wenn mir mein Alter (sie meinte den Urheber ihrer Tage) das Geld entzieht, dann suche ich mir ein reiches Verhältnis!« Ach, das ist ja noch schwerer als modernes Kunstgewerbe oder Buchschmuck, wofür es doch seit einiger Zeit unfehlbare Rezepte, mit Umgehung des Talentes, gibt!
Die Curtisane ist ganz Stand, Klasse, wie der Adel. Das Persönliche kann da sein, kommt aber nicht in Frage für ihr Curtisanentum. Sie wird getragen von ihrer Gruppe. Eine Kokotte bei Maxims erzielt nicht darum höhere Preise, weil sie persönlich mehr wert ist als eine andere, sondern weil sie von Maxims ist. Anders die Abenteurerin. Sie ist ganz Individualität (es gibt naturgemäß keine Klasse der Deklassierten) und sie verhält sich zum »Stand« der Curtisanen, in welchem sie unter Umständen lebt, wie die Persönlichkeit zur Adelskaste, in der sie natürlich so gut wie in jeder andern vorkommen mag. Die Abenteurerin ist kein Typus, Abenteurer wird man durch die Umstände. Curtisane ist man durch natürliche Anlage. Die Abenteurerin ist keine »Dame von Maxims«. Sie trägt höchstens einige Zeit ihre Maske, vorgestern war sie vielleicht große Dame, gestern Zuchthäuslerin und morgen wird sie auf der Bühne stehen. Die Abenteurerin ist rührend und oft tragisch, die Curtisane ist ganz unpersönlich dekorativ. Ein Rest von Persönlichem in ihr ist oft peinlich und kleinlich. Er soll ganz aufgesogen sein von der Klasse und der ist ein Narr, welcher in ihr »Seelenschwingungen« belauscht. Dafür sind alle anderen Frauen geeigneter, aber auch alle. Das Menschliche in der Curtisane gehört dem Zuhälter, allein ihm, und selbst der uninteressierte Freund (oft ein Literat oder »Psycholog«) und das junge Kerlchen ohne Bedeutung, der béguin, der gigolo, der sie vielleicht umsonst hat, ist nur eine Maske, mit der sie sich selbst täuscht, mit der sie sich beweisen will, daß sie auch uninteressiert spielen kann. Aber ihr Schicksal hat damit nichts zu tun.
Ihr Schicksal ist der Zuhälter und ihr reines Curtisanentum, die beiden Pole, zwischen denen ihr Leben flutet. Man wird nicht Curtisane durch böses Beispiel oder Not. Man ist es von Haus aus. Man beobachte auf der Straße gewisse kleine Mädchen von herrischen, feinen Gebärden, aber von auffallender Phantasielosigkeit bei den Spielen, man folge den Bewegungen junger Damen auf Wohltätigkeitsbazaren, wie sie ein Glas Champagner, aus dem sie selbst getrunken haben, um den doppelten Preis an den Mann bringen, man sehe auf bäuerlichen Tanzböden die schnippischen Schönen reiche Bauernsöhne im Auge behalten und den nur scheinbar mehr versprechenden Städter als zu unsicher ablehnen. (Nur die romantische Sentimentale fällt auf ihn hinein.) Nein, hier ist nicht der Verführer schuld, wenn sie auf »Abwege« geraten. Sie sind von allen Frauen am schwersten zu verführen, weil sie nie ganz bei der Sache sind, sondern nur bei ihrem, freilich oft sehr köstlichen Ich. Sie sind Curtisanen von Geburt.
Psychologen und Arzte neigen in letzter Zeit zu der Meinung, in jeder Frau lägen Curtisaneninstinkte. Das mag so wahr sein, wie der Satz: in jedem Deutschen stecke ein Dichter. (Glücklicherweise wird diese unheilversprechende Anlage zum Nutzen der Befallenen und unserer Dichtung, wenn auch noch lange nicht genug, in den meisten Deutschen unterdrückt, so daß sie gewöhnlich ganz tüchtige Menschen werden.) Es gibt heute einen Frauentypus in dem großstädtischen, der Literatur und Kunst benachbarten Bürgertum, der sich folgendermaßen beklagt: »Ach, mein Mann ist ein sehr achtbarer Gatte, aber er hat nicht das mindeste Verständnis für die in mir, wie in jedem Weibe lebenden Curtisaneninstinkte!« Bitte: wie macht man das, Verständnis für die Curtisaneninstinkte seiner Frau haben, falls man nicht das Zeug zum Zuhälter hat? Curtisaneninstinkte in die Ehe tragen, heißt so viel, wie zur Haager Friedenskonferenz Maximkanonen und Schrapnells mitbringen. Man muß sich entscheiden können für das eine oder das andere, aber eine geniale Curtisane wird vielleicht aus ihrem Gatten ihre Haupt»wurzen« machen. »Es gibt nur wenig anständige Frauen,« sagt La Rochefoucauld, »die dieses Handwerk nicht müde sind.« Ob sie aber deshalb gleich Talent zur Curtisane haben? Viel eher kann sich eine Curtisane mit der Ehe auseinandersetzen, als eine der »Anständigkeit« müde, leidenschaftliche Frau mit dem Curtisanentum. Leidenschaft und Temperament sind hier geradezu Hindernisse, während sie in der Ehe doch wenigstens manchmal Befriedigung finden. Bloße Sinnlichkeit mag der Curtisane ungefährlich sein, denn, sie nimmt augenblicklich zurück, was sie eben gegeben, ja sie paßt sogar gerade zu ihr, denn die von keiner Leidenschaft getragene Sinnlichkeit muß immer frisch und neu sein wie ein sprudelndes Getränk, darum ist temperamentlose Sinnlichkeit, wie sie manche Eheleute zeigen, so schal und ekelhaft wie saures Bier.
Wie die Abenteurerin muß man auch die Geliebte – la maîtresse – von der Curtisane trennen, der sie oft äußerlich ähnlich sieht, ja, mit der sie hie und da befreundet ist.
Es gibt gemeine Naturen, die sagen: »Ich will mir von einem Manne nichts schenken lassen« und ihn deshalb in die Lage bringen möchten, daß seine Geschenke Pflichtgabe werden, auf Grund des Ehescheins oder eines Scheidungsurteils. So brauchen sie sich nichts schenken zu lassen, kriegen aber doch. Wie sind da die großen Ausbeuterinnen in ihrer Echtheit vorzuziehen, die lachend einen Mann nach dem andern ausbeuten und dafür mit der Lust ihres Leibes zahlen!
Die echte Geliebte hat niemals Angst, sich etwas schenken zu lassen. Was sie gibt, ist so unwägbar viel, daß äußere Güter gleichgültig werden. Wenn sie da sind, genießt sie sie lächelnd. Das ist keine Romantik, sondern klar wie eine Rechenaufgabe. Und wenn es ein Weib gibt, welches die Curtisane zu beklagen, ja vielleicht sie zu verachten ein Recht hat, dann ist es die große unerschrockene Geliebte in ihrer rührenden Vollkommenheit.
Außer der Curtisane und der leidenschaftlichen Geliebten gibt es noch einen dritten großen Frauentypus: die Tugendhafte. Sie ist heute leider in Mißkredit gekommen. Der seelische Kommunismus unsrer Zeit begünstigt jene haltlos sinnlichen Geschöpfe, die meinen, weil sie nicht das Zeug dazu haben, tugendhaft zu sein, sie seien zur Geliebten oder zur Curtisane berufen. Ihr Leben ist meist ein ewig scheiterndes Abenteuer. Sie haben nicht das mindeste Recht, die Tugend zu verachten.