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Dynasten und Stände.

Ehe wir damals hinauszogen auf eine Wanderschaft, von der keiner ahnte, wie lange sie währen, was aus ihr werden sollte, war meine Seele wie nie zuvor erfüllt von der innersten Geschichte meines Vaterlandes Österreich-Ungarn und zugleich von allem an deutscher Geschichte, was so untrennbar mit dem Reiche zusammenhängt, über dem der Doppeladler als glück- und segensloser Vogel schwebte. Ich nahm mit mir die Manuskripte jener vier Bücher: » Böhmische Herren«, » Hofadel in Österreich«, » Reaktion« und » Revolution«, die zusammen mit » Königsglaube« den Aufstieg, das Sinken meines Landes bis nach dem Kriege mit Preußen 1866 umfaßten. Mit der Reformation hat die österreichische Tragödie eingesetzt, bei Königgrätz ist sie aufgerauscht und aktuell geworden, um ihren unerbittlichen Weg zu gehen, nach abwärts! Die größte nationale Völkertragödie in Europa. Heute noch hat sie als gewaltige Lehre nicht genug Beachtung und Verständnis gefunden. Ich nannte diese vier Bücher, von denen jedes selbständig für sich dasteht, nach einem umfassenden Quellenstudium: » Dynasten und Stände«. Der Titel kam zu mir, ohne daß ich ihn suchte. Instinktiv ist in ihm ausgesprochen, daß das Volk im Doppelstaat der Habsburger nie selbständig geredet hat, nie mitbestimmend hat auftreten können. Nur Dynasten und Stände lenkten seine Krone. Ein Heer hilflos knirschender Nationalitäten, an ihrer Spitze ein niedergehaltenes, entrechtetes Deutschtum, hatte sich gedankenlos zu beugen. Aber wie schwere Adlerflüge haben doch die Gedanken gekreist über unseren Stirnen. Im gegenseitigen Haß der Nationen, in Völkernot und Götterdämmerung bin ich aufgewachsen, bin ich Frau und Mutter geworden. Ich habe mir in solchem Lande keinen Sohn gewünscht, der entweder ein Geopferter, eine Null oder ein tief Verbitterter werden mußte. Heute läge er wohl draußen, wo die Schlachtfelder schweigen. Man ist bereit, dieses Heiligste, die Söhne, hinzugeben für den großen Gedanken seines Vaterlandes. Solch einen Gedanken aber besaßen wir nicht. Wir haben uns heimatlos und preisgegeben gefühlt, wir Deutschen in Österreich.

Daran hat sich heute nichts geändert. Nur stärker ist im Parteientoben Unberufener, die die Macht an sich gerissen. Irregeleiteter, die mit dem Volke spielen, die ungestüme Sehnsucht geworden nach dem großen, gemeinsamen Vaterland, das alle Deutschen der Welt und zuerst die Österreichs unter seinen Fahnen vereinen soll. Diesem Gedanken wurden schon vor zwei Jahrzehnten und mehr die Bücher » Dynasten und Stände« geschrieben. Auf die Reise im Jahre 1914, die zwischen dem Zerbrechen von Welten und der Vergangenheit mit ihrem scheinbaren Monumentalbau liegt, nahm ich diese große Arbeit mit, die mir erschien wie eine Pflicht. Noch ehe alles zusammenstürzte, war sie vollendet und erschien. Mir ist, als müßte sie in den Tagen des offenen Wortes noch weit mehr Interesse finden als damals. Sie ist der Schlüssel zu vielem Geschehen.

Wenn ich heute wieder und wieder diese, nun vielgelesenen Bücher an irgend einer Stelle aufschlage, sieht auf jeder Seite das Leidensantlitz meines Vaterlandes mich an, das scheinbar so sorglos genießerisch, so glücklich, so übermütig war. Ich sehe Wunden bluten, über die man Samt und Seide geworfen, blühende Blumen geschüttet, statt sie zu heilen. Ich sehe Märtyrer meines österreichischen Volkes, das tapfer und hingebend, das großherzig, kindlich vertrauensvoll ist.

Es hat uns nie an Begabungen gefehlt und auch nicht an Charakteren mit heldischen Impulsen. Wer der österreichischen Natur die Größe abspricht, der kennt sie nicht. Aber sie war weich und ist immer führerlos gewesen. Sie hatte Tyrannen über sich, Dynasten – keine Führer. Ihr Führer kann nur deutsches Wesen sein.

Damals habe ich das nur geahnt, denn noch war mir Deutschland die Fremde. An einer welschen Küste habe ich Jahre meines Lebens hingestreut. Leise sinkt meine Hand mit der Feder, die diese Jahre geschildert hat, schonungslos geschildert hat – ich weiß es. Das muß so sein. In ihrem halb sorgenlosen Dahinträumen bin ich der Vollmensch nicht geworden, den das Leben braucht. Sie rissen mich nicht auf in meinem Tiefsten, sie stellten mich nie vor die letzte Notwendigkeit, die letzte Erkenntnis, aus der heraus der Mensch zugrunde geht oder zum Kämpfer seiner Zeit wird. Das tat erst jener Wirbelsturm, der so viel zerbrochen, der aber, trotz allem, auch aufgebaut und aufgeräumt hat. Im verlorenen Kriege fanden sich manche Menschen.

Das eiserne Muß, die Arbeit trat an Müßige heran, mit ihr die Kraft, der Wille, die hohe Forderung an sich selber. Ein Sehend-Werden, das ohne Beispiel ist. Der Weg zu diesen höchsten Errungenschaften aber war furchtbar. Was dem, von der Wiege an schaffenden, erwerbenden Menschen erspart bleibt, das erlitt nun der, im Wohlstand, in der Tatenlosigkeit des Geborgenseins äußerlich reif Gewordene. Viele sind bei dieser Kraftprobe versagend, dem Zeitalter fluchend, am Wege liegen geblieben. Mögen sie ruhen! Ihr Tag war doch vorbei. Man kann nicht trauern um jeden Toten. Das Dasein ruft wie nie zuvor unter die Fahnen mit drohendem Schrei.

Es ist mein Recht, in einem letzten Erinnerungsbuche einen dieser neuen Schicksalswege vom Wohlstands- zum erwerbenden Arbeitsleben zu schildern – den meinen. Er war so schwer, wie ein solcher Weg es für eine Frau aus den »bevorzugten Klassen« nur sein kann. Ich bin ihn gegangen. Er hat mir erst die innere Freiheit ganz gebracht. Ich segne ihn.



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