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Eines Nachts brannte das Haus des Pietro ganz plötzlich; es war für uns sehr beunruhigend. In hellen Flammen stand der unfertige Bau an unserem Gartenrand. Wieso? Wodurch? Das wußte keiner! Der Volksauflauf, das Gebrüll, die Faulheit und das Ungeschick im Löschen waren fürchterlich. Die Feuerwehr erschien sehr langsam, und dann ging die Spritze nicht. Der Pietro löschte aus einer Wasserkanne, die mir sehr bekannt vorkam, laut wehklagend goß er Wasser in die Flammen.
Der scheußliche Stall, in dem ein dürrer Esel lebte, – ich weiß nicht wovon, denn der Pietro legte keinen Wert darauf, seine Untergebenen zu ernähren, – wurde als Notbaracke wohnhaft eingerichtet. Das ging sehr rasch. Man schmiß einen Haufen Kinder hinein, viel mehr noch, als man dem Pietro zugetraut, auf das reichlich vorhandene schmierige Maisstroh. Dann einen Vorrat Fetzen und ein paar zerlemperte Dinge, die einst Möbel waren. Das kolossal wertvolle Gut seiner Ahnen im Hause, wie der Cavalliere es bezeichnete, schien bereits verbrannt. Ein Herd wurde aufgestellt; laut schluchzend und wimmernd kochte die Famiglia der Abgebrannten sich eine fette Minestra. Wir halfen fleißig, wir brachten Lebensmittel, Bettzeug. Er nahm alles mit schmerzvollem Anstand, der Pietro; er war an diesem Abend schwarz wie ein Rauchfangkehrer, etwas betrunken, aber wirklich antik; er verlor nie seine Würde. Das ganze Volk von Chiarano umstand müßig, teilnahmsvoll schwatzend, die Brandstätte. Ein gutes Volk, ein famoses Volk, wenn man nichts von ihm verlangte, es in nichts störte, und es genau so, wie es eben war, für richtig befand.
Der Pietro war natürlich nicht versichert und wie er schallend mitteilte, durch unermeßliche Verluste bei dem Brande gänzlich ruiniert. Er ging energisch daran, sich neu aufzubauen und forderte dazu selbstverständlich unsere Beihilfe. Alle hatten ihm zu helfen, alle. Ich z. B. hatte für ihn auch etwas zu dichten. Ich tat's. Mein Mann hatte zum Podesta zu laufen, zu den Behörden, um eine große Wohltätigkeits-Vorstellung für den Abbrandler mit Familie feierlich zu erwirken. Im vornehmsten Stil im Kursaal, weil Saison war. Viele Deutsche waren da, die gaben immer; dieses in jeder Hinsicht minderwertige Volk gab immer. Also los! Gut! Ich dichtete, mein Mann rannte. Die Behörden, die hielten mit ihren Ansichten über besagten Pietro ganz zurück, gaben schließlich die Erlaubnis zu der grandissima ripresantatione di beneficienza mit einem Sphinxlächeln. Was sie sich eigentlich dachten, weiß ich nicht. Mein Mann sagte gedankenvoll: »Sie waren ironisch mit mir, weiß der Teufel warum.« Der gute Kerl! Das war sehr deutsch.
Und nun ging es los; prachtvoll, im Kursaal, ein gräßlich geschmackloses Lokal, das ich immer gehaßt, in dem ich meine ödesten Stunden verlebt habe. Die Bühne samt Dekoration hatten wir der Stadt geschenkt, wie auch den öffentlichen Croquet- und Tennisplatz. Das ganze edle Volk von Chiarano stand auf, dekorierte, schuf ein Programm für den Pietro in Not, gar nicht ohne Geschick und Grazie. Was wahr ist, muß durchaus wahr bleiben. Der vollgestopfte Saal bekam Abwechslung zu sehen. Es spukte etwas italienisch und irredentistisch, viel Einheimisches war da. Natürlich! Uno dei nostri! Einer von uns. Die Banda von Chiarano und die Kurkapelle, o Grausen, spielten; dann kam eine Gondel, in der sangen schmucke Heringsbändiger: O sole mio! Dann deklamierte einer was Welsches. Es war sehr schön; auch lang, niemand von uns verstand es. Dann kamen Athleten. Es dröhnte. Eine schmelzende Signorina sang durch die Nase, aber mit einem verführerischen Tremolo und ein Tenor, dem man es geglaubt haben würde, er habe einen bayrischen Knödel in der Kehle, sekundierte. Dilettanten-Vorstellungen sind schön! Sie haben auf der ganzen Welt etwas einheitlich Verwegenes, dem nichts heilig ist. Nach einer Dorf-Tarantella, die wirklich mit einem pariserischen Avec und Chic getanzt wurde, kam als der Nagel des Abends das große Bild der Misericordia.
Und mein dazu vorgetragenes Gedicht, das durch den starken Katarrh des Redners beeinträchtigt wurde. Das Bild überwältigte uns. Ein Wiener wäre in den Ruf ausgebrochen: Dös haut! Ein Riesenkreuz war auf der in Wolkenschleiern drapierten Bühne aufgerichtet, umgeben von malerischen Volksgruppen, wie sie eben sind. Ganz ohne Waschung oder Aufmachung, die Vorstädte (Sofforghi) von Arco und Umgebung, schön gruppiert. Ans Kreuz hingelehnt, zerrissen, geschwärzt (er hatte sich seit der Brandnacht nicht gewaschen), unfrisiert, ein naturalistisches Bildnis menschlicher Zerstörung, der Pietro, mit aufgerissenem Hemde, die Beerenaugen in flammender Anklage zum Himmel gerichtet. Kinder haufenweise um sich aufgebaut, die heute alle die Seinen vorstellten und eines auf seinem Arme, ein niedliches Dreckfinklein mit wenig Gewandung. Dazu spielte die Musik sonderbarerweise plötzlich schmetternd und ganz unmotiviert »Deutschland über alles!« So was wirkt! Wir kamen natürlich alle hoch und klatschten fanatisch. Die Einheimischen weinten vor Erschütterung. Herrlich!
Ein Abend! –
Niemals gleicht der Morgen dem vorhergehenden Abend. Es war auch hier der Fall. Der Pietro hatte die Kasse vorsichtsvoll sofort an sich genommen und sich hierauf besoffen. Er hatte nicht einmal den sogenannten seinigen Kindern etwas gegeben. Murren erhob sich in seinem guten Volke. Alle, die mitgetan, verlangten natürlich Teilung der Beute. Aber so war er nicht. Keinen Heller ließ er aus! Da gingen die Entrüsteten hin, ganz Chiarano und seine eigene Sippe. Sie zeigten an, daß er ja doch sein Haus selber angezündet habe! Jawohl! Ob dies nun wahr war, ganz wahr, kann ich natürlich nicht sagen. Die Volksstimme soll ja Gottesstimme sein, und tiefe Wahrheiten aussprechen. Jedenfalls verschwand dieser Märtyrer wieder für längere Zeit, nachdem vor Gericht das Volkesbrausen von absichtlich überheizten, miserablen Rauchfängen gesprochen, wozu der Pietro, der vollkommen unbeeindruckt dastand, erklärte, solche Rauchfänge, die nur darauf warteten, überkocht zu werden, wie er es ausdrückte, gäbe es hier ja überall. Sie seien landesüblich, ein Schicksal, – una fatalita! –
Als er nach seiner Abwesenheit wieder kam, war er erfüllt von heiterem Selbstbewußtsein und er baute auf Schulden ein neues, diesmal rosenrotes Haus mit giftgrünen Läden. Recht freundlich, damit auch Fremde kämen, die eine sonnige Gemütart, ausgedrückt in solchen Läden, anziehen müßte. So was erwartet man von Italien. Auch dieses Haus blieb halb fertig, wegen der Steuer; ein sehr feiner Gedanke, dem das Finanzamt mit machtlosem Knirschen gegenüberstand.
Der caro Pietrino soll im Weltkrieg dann, gegen seinen Willen, gefallen sein. Er war ein Anhänger des Friedensgedankens, mit der erprobten Überzeugung, daß man sich an den Menschen andersrum ganz gut und sehr unangenehm rächen könne, wenn sie einen nicht mehr paßten. Er war auch feig, wie alle lauten Naturen. Ich glaube es durchaus nicht, daß er gefallen ist. Ich meine, er schiebt irgendwo im Balkan, befreit von Familie, Schulden und so weiter. Er hatte alles dazu, da unten ein großes Tier zu werden, der carissimo Pietro.
*
Dieser elegante, etwas windig wirkende und schöne Mann brachte uns dazu, den neuangelegten Garten von ihm bepflanzen zu lassen. Er machte uns bewußtlos mit Worten – er versprach unerhörte Wunder in kürzester Zeit, und wir glaubten mindestens ein Viertel von dem, was er in einem herrlichen Reichsitalienisch, gemischt mit schmeichelhaftem Deutsch ohne »H«, von sich gab. Die Preise dieser erwünschten Zypressen, Pinien, Bambus, Rosen, der kleinen Daphnen und Lorbeersträucher, des Calieanthus, der Veilchen, die hier überall wuchsen, spielten keine Rolle. Lächerlich! Er bediente als jung aufstrebender artiste von drüben – als ein Reformator der Gartenkultur des Südens die deutschen Exzellenzen – uns bitte – mit einem idealen Hintergedanken. Er warb um unsere deutsche Seele durch die Blumensprache, mà si. Als mein Mann einen Voranschlag durchaus aufzeichnete, wurde er traurig, dann zerstreuter, dachte an was anderes. Die vorgeschlagenen Preise besserte er flüchtig aus – nach oben, mit einer eleganten Federhandhabung. Dabei blickte er romantisch träumerisch hinaus auf die Bodenflächen, die da draußen seiner harrten. »Sie haben schon Bambus gesetzt, Exzellenza,« sprach er. – »Auch Pinien. – Woher sind diese? Von Malferti, diesem Erzschuft, diesem Gauner? Nun, ich muß Ihnen sagen, diese Bäume sind ganz falsch.« – Das wunderte uns. »Sie gedeihen aber prächtig. Auch die Rosen am Haus.« »Bah! Rosen? – Unkraut ist das, was ich hier sehe, unherrschaftlich ist es – trivial! Nun, Sie werden ja sehen. An diesen Bäumen da werden Sie noch etwas erleben.« »Was?« fragte ich besorgt. Er sah mich wehmütig an, herab von einer großen Höhe, auf der seine Überlegenheit saß und residierte. »Man müssen die Pflanzen nicht bloß lieben, signora contessa,« sprach er. »Man müssen sie auch verstehen.« Das gefiel mir. »Die Pflanz', sie 'aben eine 'erz, eine anima, si – si. Es kommen auf der 'and an, wo sie pflanzet, auf der Meister'and.«
Also gut, wir übergaben ihm den Garten. Um das Luft- und Sonnenbad mit seiner sonnenerwärmten Dusche, den Tennisplatz, sollte es duften und blühen. Violette Glycinien sollten sich von Baum zu Baum schwingen, Rosen, die im Norden eine Blüte sind, sollten ausbrechen in blütenbedeckte Zweige, die morgens ihre Knospen öffnen und abends welke Blüten abschütteln. Das rasche Leben des Südens. Hier kam ja alles fast von selbst. Der signor Firoi warf noch einen bissigen Blick auf unsere reizenden Blaufichten. »Die gehen alle ein,« sagte er. »Die Palmen sind auch nicht, was sie sein sollen.« Aber diese Gartenpalmen waren schön; sie flirrten entrüstet. Um die Garage in der üppig-grünen Campagna stand eine Fülle von Obstbäumen, leuchtend grün. »Die müßte man fällen,« sprach der Firoi. »Obstbäume sind gemein in eine 'errschaftliche Park.« »Das ist das hier ja gar nicht. Wir wollen echte Campagna.« Er seufzte: » ah questi Tedeschi, Madonna!«
Und nun kam's. Wir sollten uns betreffs dieses Gartens um gar nichts mehr kümmern. Das war Bedingung. Manchmal sahen wir den Firoi aus Riva und Fasano über der Grenze, stirnrunzelnd, gedankenvoll das Land abschreiten, mit irgend einem räuberartig wirkenden Briganten. Plötzlich fehlte die schönste der geliebten Blaufichten. Er hatte sie ausgraben lassen. In ihr saß il verme, der Wurm – gefährlich für alle anderen. Wie hat dieser geniale Mensch das bloß bemerkt? Ich war sehr traurig, weil die Blaufichten mir ein Stück Heimat verkörperten. Herr Firoi räumte die Blaufichte mit dem Wurme sehr ordentlich weg. Ich sah sie später hoch oben in den Olwen einen Ziergarten prächtig schmücken; darein hatte er, der Treffliche, bei dem nichts umkam, sie gut verkauft. »Denn sie war eine Perle und ist hier sehr rar,« sagte der neue Besitzer, der sie mir mit Stolz zeigte. Das war später – ja, als wir bereits vom Baume der Erkenntnis gegessen hatten in Welschtirol.
Eines Morgens denn, nach längerer Zeit- und geisterhaft nächtlichem Treiben, bei dem wieder einmal die sich auf der Zeithöhe befindliche Werkzeugskiste meines Mannes und unser Gartenmagazin sich bedenklich leerten – eines strahlenden Morgens also, öffneten wir die Fenster, und vor uns lag ein blühendes Paradies il nostro giardino. Wunderbar! Nicht in Worte zu fassen. Tropisch. Es blühte da alles durcheinander und alles auf einmal, was sonst nur in Abständen erscheint und zu blühen noch gar nicht verpflichtet war. Von funkelndem Tau übersprüht lag da eine duftende Welt, exotisch – eigenartig. Auf einer Bank saß in elegantem Morgenanzug der Giardiniere Maestro und las friedlich in einem welschen Hetzblatt – wie man es im österreichischen Italien überall, auch bei als deutsch geltenden Buchhändlern nebst einer bedeutenden belletristischen Hetzliteratur bekam; er rauchte seine Zigarette. Manchmal blinzelte er zu unseren Fenstern empor. Beflügelte Trabanten, die an eine Mangia dachten, begossen und putzten noch. In frisch gesetzten, jungen Pinien hätten Vögel gesungen, wenn sie nicht früher zufällig schon zum Abendbrot auf Polenta verzehrt worden wären; also sangen sie nicht. In Bambuswäldern raschelten die dicken Ratten aus der Spina; Lazerten huschten über funkelndes Grün und zarte Blüten.
Wir eilten hinab. Der Firoi trat uns mit vollendetem Selbstgefühl entgegen. Was sagen die Exzellenzen? » Ecco! So sind wir.« Er machte eine umfassende Handbewegung, ergriff hierauf aus der Brusttasche seines heiteren Röckchens das Convolut eines Manuskriptes: die Rechnung. Er und mein Mann zogen sich zurück.
Ich aber blieb allein in meinem Garten und feierte mit ihm die Flitterwochen; das heißt den Flittertag. Mehr gab es nicht. Das will ich gleich schildern. Zuerst möchte ich nur feststellen, daß der Meistergärtner uns nicht verließ, bis die gesamte Riesenrechnung bezahlt war. Es half alles nichts. Mein Mann und er benagten sich über ihr stundenlang, denn sie war wirklich überwältigend. Und wurde schließlich beglichen, nur damit dieser Zwitscherling und Katzelmacher endlich verstumme. Er zog ab. Wir sahen uns erschöpft an. Aber schön – schön ist er, der Garten!
Das war er auch noch. Am nächsten Tage fing er an zu verwelken, am dritten aber war dieser ganze Garten, der den Dörfern Potemkins für seine Catharina glich, mausetot.
Alles verwelkt! Die lose eingesetzten Bäume mindester Gattung hatten halbe oder keine Wurzeln. Ein wahres Totenreich entstand vor unseren entgeisterten Blicken. Der alte Gärtner Boroi lächelte schweigsam und riß die Abgestorbenen wieder aus, um sie auf einen Haufen zu werfen.
Das war schrecklich, aber es kam noch ganz anders! Die Polizei erschien nämlich, um uns am Kragen zu nehmen. Sie waren alle gestohlen, diese Pflanzen und Bäume. Aus Gärten und Anlagen im Umkreis abgeschnitten, ausgerissen, geräubert, und die Besitzer rührten sich; gegen di Ladri Tedeschi, die deutschen Diebe, ging es. Der signore Firoi war nicht aufzufinden. Es kam heraus, daß er in Riva ja überhaupt gar keine Bleibe, keine Siedlung hatte. Und die drüben würden ihn nicht herausgeben, er leugnete auch Alles dann natürlich, und er war einheimisch. Wir aber waren nur Österreicher in Österreich, wir gingen zu Gericht, woselbst wir dann manche Vormittage mit ausschließlich welschredenden Richtern verbrachten, österreichischen Beamten, die mit uns nur italienisch verhandelten; sie taten es nicht anders. Es war sehr eigenartig. Der Firoi war hier einwandfrei bekannt als ein etwas Verrückter. Moral insanity, scheint es, schrieb man ihm milde zu, wobei er sein Gewerbe weiter betreiben durfte. Besonders mit nichts ahnenden Neulingen. Welsche gingen ihm ja nicht mehr auf den Leim. Er war eben nicht verantwortlich zu machen, mein Gott. Poverino, sonst ein guter Kerl, eine Begabung. Wie er das Alles im Handumdrehen ausgegraben, eingesetzt, peccato! o so schade, daß er diese Talente eben falsch verwendete. Aber vielleicht würde er noch anders. Man müsse es christlich hoffen. Wir hatten inzwischen unchristlich zu berappen ins Unglaubliche. Die Arbeiter kamen zu uns um ihren Lohn. Die Bestohlenen verlangten vollen Ersatz. Wir waren ja unschuldig, aber wir mußten doch bezahlen. Auch die Gerichtskosten, denn einer muß sie begleichen. Außerdem war der Garten eine Wüste; es konnte von Neuem losgehen. Aber vom Signore Firoi jenseits des Gardasees kam im Laufe der Zeiten ein wunderschöner Camelienbaum, vielleicht eine mildlächelnde Anspielung: O Ihr Kamele! Er zürnte uns durchaus nicht, der Gute.
Im Übrigen lebten wir vornehm. Unser Tapezierer, der Unzuverlässigste, den ich je gesehen, war ein Graf. Mit klingendem Namen, leichtlebig, windig. Mit schlechter Ware und eleganten Manieren. Er arbeitete in der Villa, diesem Schmerzenskinde, jahrelang herum; es wurde nie etwas fertig. Arbeitskräfte, wie da unten, finden sich nicht leicht anderswo.
Die Unzuverlässigkeit dort kennt keine Grenzen. Sie kommen, sie laufen wieder fort, sie nehmen etwas mit – leihweise! Sie verschleppen etwas. Sie lassen kostbare Sachen im Regen liegen. Sie singen und springen, konversieren unermüdlich. Ich beneide sie. Um ihr Vogelgeschrei, in dem sich ihre munteren und sorglosen Kräfte austoben, um ihre heitere Gewissenlosigkeit, die ohne Grenzen ist. Um ihre Wandelbarkeit und ihren gänzlichen Mangel an Verantwortung, an Pflichtbewußtsein. Aus solchen Naturen Soldaten zu machen, muß eine besondere Kunst sein. Die Podestas der Gegend, die Bürgermeister, waren mit Vorliebe zugleich Rechtsanwälte; dadurch kannten sie das Volk genau und dieses zitterte vor ihnen. Die Abmachungen, Geschäfte, Vertuschungen, Umtriebe hintenherum, standen in wahrhaft welscher Blüte. –
Auch in den Vereinen, Komitees der Fremdenorte, waren die Zustände mehr als lustig. Immer abwechselnd ließ einer den anderen an die Futterkrippe, damit er sich auch etwas machen könne; so wußte einer immer was vom Anderen; alle hingen sie voneinander ab. – Woran man wirklich war aber wußte man nicht; Recht bekam der Deutsche nie. Allmählich begann man über die Verhältnisse zu lachen, die man doch nicht ändern konnte. Der Deutsche war hier so macht- und rechtlos als es ein Mensch nur sein konnte. Die Volks- und Bürgerpsyche ging ganz fremde Wege.
Wohin sich wenden? Die Regierungsbehörden mit der unbedingten Indolenz, wenn nicht passiven Resistenz gegen Schutz und Entwicklung des eigenen Volkstums. Wie mochte Reichsitalien hämisch lächeln über alles das, was wir an unbedingt Notwendigem nicht taten. Über unsere übertriebene Angst, dieses Italien zu verstimmen, das uns verachtete. Das nie – nicht einen Tag ein Bundesgenosse war!
Wo sollten wir Deutschen, die da lebten, unsere berechtigten Stimmen um Abhilfe in den brennenden Fragen aufklingen lassen? Politisches Leben für uns gab es nicht, das war strenge verboten – wieder aus Takt gegen die Grenze. –
Daß die weitverbreitete Irredenta, die deutschfeindliche Partei, ihre Zusammenkünfte in einem bestimmten Wirtshause abhielt, wußte man, ohne sie je zu stören. Daß Flugblätter kursierten, voller Hetzereien und Lügen, daß ununterbrochen Beziehungen, Benachrichtigungen zwischen Reichsitalien und Welschtirol hin- und herliefen, war jedem klar. Italienische aktive Offiziere und Beamte hatten hier bei uns ihre Familien sitzen, die die Söhne hinüberschickten und das Geld. Sogar Trienter Blätter führten über die stark von Deutschen besetzten Orte im Lande boshafte und skandalsüchtige Reden, denen besonders die deutsche Gesellschaft von Arco, die Fremdenkolonie ausgesetzt war, und niemand rügte dieses Treiben. Wir hatten ihm nichts entgegenzusetzen. Jahrelang haben wir uns gequält und viel Unangenehmes im eigenen Lager zu ertragen gehabt, um eine deutsch-österreichische, richtige Zeitung. – Vergebens!