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Es ist sonderbar, der Österreicher hatte im Durchschnitt früher eine tiefe Abneigung, geradezu eine Scheu, in Deutschland zu reisen, es wirklich kennen zu lernen, vor allem seinen Norden, diese Kraftquelle. Über den Süden Deutschlands, der noch ihm verwandte Töne hatte, wagte sich der Österreicher kaum hinaus. Das hat sich heute noch nicht ganz geändert; heute, wo es dem Deutschen in Österreich endlich klar geworden sein muß, daß er nurmehr eine Zukunft haben kann; in dem festen Anschluß an die Brüder der Rasse und Art, an deutsches Wollen. Ein gewisser Verneinungswille ist noch nicht tot. Damals aber, um 1900, nicht lange nach Bismarcks Sturz und schweren Krisen, hatte das Reich keine Lockung für Österreich. Man sah seinen Kaiser in Wien wiederholt. Eingeweihte Kreise sagten, der alte Monarch mache sich aus diesen Besuchen mit ihrem Gepränge, der Etikette, dem Lärm nicht viel. Er hat überhaupt in geheimster Seele den Haß von 1866, den nicht sein Volk, den er empfunden, nicht überwinden können. Auch behagte ihm die Art Wilhelms des Zweiten kaum. Dieser befreundete sich enge mit Franz Ferdinand Este, dessen Heiratsaffaire er auch weitgehend unterstützte. Am Berliner Hof wurde später die Fürstin Hohenberg ganz freundlich, wenn auch nicht gleichberechtigt, empfangen; es wehte immerhin das kühle Lüftchen nordischen Wohlwollens um sie. Wilhelm der Zweite hieß damals, obschon er die dreißig überschritten hatte, noch der junge Kaiser, ein Ausdruck, den die Österreicher nicht begriffen. Für sie, dessen Thron im Jahre 1848 ein achtzehnjähriger Monarch bestiegen mit dem ernsten Knabenwort: »Jugend fahre wohl«, war der Hohenzoller ein Mann in voller Reife. Wien huldigte ihm oberflächlich. Die Armee hatte für ihn ein nervöses Interesse; der Adel keine Sympathien. Im Volk und Bürgerstand hatte er sich durch die Behandlung des Reichsbegründers schwer geschadet. Es kam ihm das Warme, das Sonnige in der österreichischen Seele nicht entgegen. Die Habsburger freilich, selbst undankbar von Generation zu Generation, Bismarck nichts verzeihend, begriffen Wilhelm II. in dieser Sache: Es können keine Götter geduldet werden neben mir!
Der Österreicher also hielt sich ferne vom natürlichen Vaterlande; lieber fuhr er nach England, Amerika, wo sich mancherlei seiner vornehm gewesenen Ableger nicht immer würdevoll herumtrieb, ein neues Glück suchend; er tändelte in Paris, wo man ihn ganz gern hatte, aber nicht für voll ansah; er sonnte sich an den italienischen Küsten, den Verlust Venedigs beseufzend, das seine Viertelstunde österreichischer Atmosphäre unter Radetzky und Benedek gehabt und darunter nicht gelitten hatte. Dann war da noch München, das gute München, die Stadt des Bieres, der Malereien, eines kunstfreundlichen nicht eben eleganten, aber verwandten und verschwägerten Hofes, an den man die weniger reizvollen Komtessen ablud, die in Wien nicht anzubringen waren. Mit München gab es reichliche Beziehungen, aber zu ihm an diesem hochmütigen Wiener Hof keinerlei Aufblick. Die hübsche Note volkstümlichen Wittelsbachertums, dieser Familie, die ihrem Volke so nahe gekommen ist, wie kaum jemals eine andere, das fröhlich natürliche mit einem reizvollen Unterton von künstlerischem Interesse durchsetzte Leben in allen Kreisen, entlockte dem Österreicher nur ein herablassendes Lächeln. Das gute Bayern! Es war eigentlich eine Art Tirol und hätte Österreich einverleibt werden müssen.
Aber immerhin, nach Bayern ging man. Es war ein schönes Land, dem eigenen gleich. Vornehm und tapfer seine Geschichte, deutscharisch sein Volk, dem Bauerntum der Heimat verwandt in Sitte und Art. Schwerer dröhnte die Sprache dort, doch man verstand sie. Ging es am Hof auch etwas spießig und sparsam zu, waren die Prinzessinnen nicht eben voll der Grazie, so hatte es doch einige große, eigenartige Schönheiten gegeben. Da war die Kaiserin, ein bayrisch Kind, ohne die Freudigkeit des dortigen Menschenschlages. Nicht immer übrigens hatte dies Bayern zu der Monarchie gehalten, durchaus nicht. Schwere Kriegserinnerungen gab es, die nicht gar so weit zurücklagen. Heute bekannte sich Bayern naturgemäß ganz zum Reich. Das war Bismarcks Werk, ob sie es wollten oder nicht; die eiserne Faust hatte sich um Nord und Süd geschlossen. Aber Sympathien? Denen kann man nicht befehlen. Dem Katholizismus nicht befehlen, der Bayern und Österreich gemeinsam ist. Darin lag ein Bündnis unbesprochen. Das war den Vertretern beider Länder bewußt, heimlich wurde vielfach danach gehandelt, ob man auch in Berlin die Stirne runzelte. Und das wird immer so bleiben, dem steht ein Preußen machtlos gegenüber.
Die Kaisertage in Wiesbaden, dem Rhein so nahe, waren das erste innere Erlebnis der großen Reise; das heißt, es war eigentlich sehr äußerlich.
Doch schlug hier Deutschlands Herz in diesen Tagen. Das fühlte man. Auf der Fahrt, als die Grenzen der Heimat verschwanden, hatte auch ich das typische, manche Leute außerordentlich grantig machende Empfinden: Deutschland fängt an. Zeige jetzt ein kolossal korrektes Benehmen; also man muß sich sehr zusammennehmen! Schon das Wort Schaffner statt dem gewohnten Conducteur hat der Österreicher gar nicht gern, also es ärgert ihn. Schaffner! Mit mir soll keiner was zu schaffen haben wollen. Ich schaff' schon selber an, was ich mag. Und dann doch wieder der verfluchte widerwillige Respekt. Hier ist alles sehr ordentlich, schrecklich ordentlich! Ja, das tut es schon sein. Ekelhaft ordentlich! Conducteure sind hingebend beflissen gegen die Leut', die in der ersten Klass' sitzen; in einer anderen sitzen, das kann man doch gar nicht. Nein, das kann man nicht! Schaffner schnarren preußisch mit der Stimm' und werden gleich anhabig. Es is' gar nicht angenehm.
Ich sah mir den scharf musternden Mann auch, sehr korrekt dasitzend, an, und mein Mann verbiß ein Lächeln voll Tiefsinn. Merkwürdig, der hatte das schon hinter sich, dieses Grausen; der fand den Schaffner erfreulich. Weil er präzise Antworten gab. Ich aber hatte mich nur auf zwei bestimmten Routen in Österreichs Herzen herumgetrieben: nichts weiter. Mir war das Ausland gänzlich neu, das Reisen fremd.
Mich damals wenig belehren lassend, zog ich los in der kindlich unpraktischsten Weise. Jungfer und Diener zwar, wie es bei uns Brauch war, nahmen wir doch nicht mit. Diese entsetzliche Belastung ließen wir weg, was man uns verdachte. Aber dafür packte ich gründlich ein und nahm ein enormes Riesengepäck mit, in der dunklen Vorstellung, mir jedes Hotelzimmer individuell zu gestalten. Dann hatte ich die Blusenkrankheit, die neue Flitterwochenfreude an einem kleinen Toilettenluxus, was ja menschlich war. Und ich zog mein Allerneuestes, Bestes und Empfindlichstes an auf die große Fahrt, verständnislos für praktisch unscheinbare Reisekleidung. Davon war ich nicht abzubringen. Von funkelnder Neuheit war ich, mein Mann wunderte sich milde. »Da wirst Du schon draufkommen, daß man das besser anders macht,« sagte er. Er besaß eine großartige Philosophie und dazu einen dauerhaften, schlicht wirkenden Reiseanzug von einem guten Schneider. Neben mir kam er nicht auf.
Das erste Bild, das ich von Deutschland empfing, waren seine Offiziere und sein Kaiser. Deutsche Offiziere in Uniform waren mir etwas Neues, Verblüffendes. Gegen die gewollt nachlässige Eleganz, die raffinierte, scheinbar saloppe Haltung unserer vornehmen Offiziere, insbesondere der Reiterregimenter, wirkten diese, in einen eisernen Drill eingespannten, großen Gestalten hell, stark, peinlich, korrekt wie etwas Bilderhaftes. Die Wiesbadener Wilhelmstraße war von ihnen übersät. Ein hochgestimmtes Siegervolk, den Träger der Krone erwartend, den es kritiklos anbetete seit dem ungeheuren Aufstieg seines Reiches. Wohl gab es schon viele denkende Menschen, seit dem Sturze Bismarcks in Deutschland, die diesen dauernden Hochbetrieb einer fieberhaften Entwicklung zu Glanz und Wohlleben nicht ohne Besorgnis beobachteten und auch dem Hofe Wilhelms des Zweiten, der nicht der seiner Vorfahren war, kühl gegenüberstanden. Aber diese traten hier nicht in Erscheinung, überhaupt sind ihre Stimmen kaum jemals vor den Katastrophen so recht laut geworden. Hier in der reizenden Stadt des Rheinlands jedenfalls, die der Kaiser mit seiner besonderen Gunst alljährlich auszeichnete, war über ihn eitel Entzücken, das aus blauen Augen leuchtete, hier versammelte sich neben internationalem Geld und Abenteurertum eine vornehme Gesellschaft, die wie ein Wall den Monarchen umstand. Der Kaiser fuhr in Uniform vorbei und grüßte unaufhörlich, aber anders wie Franz Joseph es zu tun pflegte, ohne Wärme. Er sah streng und immer etwas unruhig aus. Seine Erscheinung war nicht wirksam. Vater und Großvater, dessen Prachtgestalt ich als Kind in Salzburg neben Bismarck im Hotel Nelböck gesehen, wirkten ganz anders. Der junge Monarch war ein rastloser Mensch, mit einer Hochflut von Interessen der verschiedensten Art. Die hielt die Umgebung immer in Atem. Alles um ihn pflegte den Charakter privater, unbedingter Selbstherrlichkeit anzunehmen. Im Theater war sein Geist, er griff ein in alle Veranstaltungen; er formte das Bild der Kurstadt; seinem Geschmack entsprangen die wunderlichen Unschönheiten des Kurhauses. Man sah ihn täglich einige Male. Von des Habsburgers formvoller Abgeschlossenheit war nichts um ihn. Er machte Besuche, nahm Einladungen an, auch bei Geldleuten; er liebte den Glanz der großen Aufmachungen. Neben ihm verschwand die weit älter wirkende, beinahe mütterliche Gestalt der Kaiserin. Für österreichischen Geschmack war sie nicht schön, nicht elegant, nicht reich an Interessen und gesellschaftlichen Gaben. Aber sie wirkte durchaus als eine vornehme, ernste, deutsche Frau, die in Geduld und starker Frömmigkeit wohl Vieles hingenommen hat. Ihr Los neben einer immer vibrierenden Natur, die sie liebte und bewunderte, kann kein Leichtes gewesen sein.
Später im Alter wurde sie dekorativer, die nicht immer geschmackvolle Schwere und Überladenheit ihrer so typisch norddeutschen Toiletten standen ihr dann besser, die geringe Grazie ihrer Bewegungen ging in großer Würde auf. Viele, besonders stark evangelische Kreise waren ihr sehr ergeben. Sie baute überaus gern Kirchen. Personen, die zu solchen beträchtlich beitrugen, fanden Einkehr in die Hofzirkel und wurden geadelt, sogar wenn sie ausgesprochene Semiten waren. Gegen eine Priesterherrschaft, die oft weit ging und eine gewisse Enge des Denkens besaß, hatte Kaiserin Augusta nichts. Aber von der flackernden Frömmigkeit ihres hohen Gatten, die mystisch oft dem Katholizismus zuneigte, der etwas vorschwebt von Priester und Imperator in einer Person, war sie unberührt, eine demütige Christin. –
Uns Österreichern war der Kaiserbegriff immer etwas Besonderes, schieden sich scharf die Begriffe: regierender Herr und Persönlichkeit. So sehr längst über Franz Joseph als unzulänglichen Monarchen losgezogen wurde, so ganz über allem Tadel und Spott stand seine Erscheinung, die sich nie etwas vergab, nie einen Taktfehler beging, bis ins höchste Alter auf alle Nationalitäten wirkte. Ich hatte als Braut ihn kurz vorher in Wien gesehen beim Begräbnis des Admirals Sterneck, umflutet von seinem Volk und seinem äußerlich so glänzenden Militär. Er ritt und wirkte prächtig. Neben ihm erschien mir der Hohenzoller unscheinbar, unfürstlich, und dieser Eindruck blieb mir. Er war ein zu stark emporgewachsenes Ich, um das Reich gebührend zu verkörpern; die aufrechte Haltung der starken Männer einer Bismarckepoche machte allmählich der glatten Höflingslinie devoter Anbeter und Jasager um ihn her Platz.
So empfanden ihn Außenstehende, ganz Unparteiische, ja selbst Leute mit Erwartungen, die eine Enttäuschung nicht verbergen konnten. Die blendende Liebenswürdigkeit, die er entfalten konnte, änderte daran nichts. Wir standen stumm und folgten ihm mit den Blicken. Es lag uns fern, zu urteilen. Wir empfanden nur; empfanden irgend eine Lockerung der monarchistischen Grundform, an der einmal, wenn sie bestehen soll, nicht gerüttelt werden kann.
Das Wiesbaden des Kaisers war sehr teuer, sehr laut und üppig. Deutsche Schlichtheit gab es da nicht. Es wurde heimlich gejeut, oft unliebsam hoch; Biebrich sah manch wüstes Treiben.
Es fiel die immer stärker werdende Note eines unangenehmen Ausländertums aus Rußland, Amerika und England auf, das aus respektlosen Augen spöttisch auf das monarchische Treiben starrte. Diese Note war überall. –