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In Igels in Tirol wurde nach zweijähriger Arbeit Benedeks Buch vollendet. Es hat mich im Tiefsten meiner Natur erschüttert. Ich saß die halbe Nacht, nachdem das letzte Wort geschrieben, der Abschied genommen war von etwas, das mich so lange ganz erfüllt hatte, in der Laube des kleinen Gartens, der an das Sommerhaus stieß. Voll schien der Erntemond. Die hohen Berge, auf denen einst der letzte Ritter, Kaiser Max, sich verstieg, wuchteten mir gegenüber weit drüben empor, die Martinswand, über der das Mondlicht schwebte. Die ganze Herrlichkeit Tirols war in dieser Sommernacht lebendig mit ihrer reifen Süße, die bereits einem frühen Gebirgsherbst zuneigte. Der Alpenduft wehte herab von großen Höhen, auf denen Millionen von Alpenrosen, Speik, Almrausch und Edelweiß sanft dahingestorben waren im Sommerweben. In dieser Tiroler Bergluft atmet etwas von den geheimsten geheiligten Kräften der Urnatur.
Ihr Hauch ging jetzt schmeichelnd hin über meine heiße Stirne, spielte wie eine Geisterhand mit den Blättern, die vor mir lagen. Der Hauch der Heimat war es, der die Schicksalsgeschichte eines seiner Besten und Größten leise berührte. Du, der so unentwegt geschwiegen, getreu bis über Tod und Not hinaus, nun hast Du doch Deine Stimme gefunden und redest. Einen Augenblick lang ergriff mich ein Schauer, tat ich Unrecht mit diesem Buche? Nein! Der, dem es galt, war tot, begraben, war ohne Sohn. Um eine Existenz ging es hier nicht mehr. Was erzählt wurde, emportönend aus einer Gruft wie eine eherne Mahnung aus erzenem Mund, das war nicht die Einzelgeschichte eines Einzelnen – seine Tragödie.
Das war die Geschichte jenes österreichischen Leids, an dem wir endlich verblutet sind. Die Geschichte der Rückgratlosigkeit, der Undankbarkeit gegen die Besten; des zerfleischenden Neides der Kleinen und Minderwertigen gegen die Führernaturen, eines Neides, der Sache und Vaterland opfert, um einen Rivalen zu zerschmettern. Das war das endlich einmal furchtlose Auftrotzen gegen die Undankbarkeit des Hauses Habsburg und seiner Prinzen. Dieses Buch zu schreiben war ein Menschenrecht, das weit hinaus wuchs über schablonenhafte Gebote. War eine Menschenpflicht, inmitten all der brodelnden Fäulnis in Wien, um den greisen Kaiser ein aufwirbelnder Sturm.
Meine Hand, – nur eine Frauenhand, zum Tragen eines Schwertes nicht berechtigt, zum Hammer nicht stark genug, – ballt sich über den Blättern des Königsglaubens, dessen Grablied hier niedergelegt ward, menschlich, geschichtlich. Ich bin mir bewußt jener schweren Verantwortung, von der später alle Zeitungen sprachen.
Ich werde sie tragen. Ich fürchte mich nicht.
In dieser Tiroler Augustnacht erhebt sich mein Kampfeswille, der bis jetzt in minderwertigem Rahmen verausgabt ward, zu der Befreiung eines großen Wagens. Lang sitze ich so.
Es ist, als sehe ich aus dem Mondesdämmern dieser Nacht mit ihrem zarten Nebelduft an den Felsen, dem Wälderrauschen, den fernen Stimmen der Bergwasser, dem Raubvogelschrei im nahen Forst die Natur selbst heraustreten, groß, unerbittlich, die Sonne in der einen, das Ungewitter in der anderen Hand. Als sähe sie mich an mit Augen von unbegrenzter Tiefe und spräche einfach: Sturm und Unwetter müssen sein. Wehe den Menschen, die sie nicht ertragen! Wer in feiger Dumpfheit das Unrecht Recht sein läßt, erstickt. Auch ich befreie von wucherndem Ungezücht die lebensberechtigten Triebe und schütze, was leben, auferstehen soll, vor dem schleichenden Verderben. Geht einer zugrunde in solchem Kampfe, ich kann ihn nicht beklagen; wohl ihm, er bleibt mein, er war mein Streiter.
Da greift nach mir, wie dieses Traumbild verschwindet, eine Ruhe und Kraft, wie ich sie noch nie empfunden.
Ein Antlitz sieht mich an, veredelt bis ins Tiefste; zwei Augen strahlen, die kein Soldat Österreichs vergaß, auf dem sie geruht.
Und der mich gesucht in banger Sorge, in dieser Nacht, tritt in die Laube ein. Da leg ich stumm die Blätter in seine Hände. Sie schließen unseren Lebensbund zur Unlöslichkeit.
Mein Verleger damals war, nach üblen Erfahrungen mit Grübel, Sommerlatte und Pierson, sowie mit ein paar gänzlich unergiebigen österreichischen Firmen, Carl Reißner in Dresden. Solange der alte Herr lebte, haben wir zusammen gut gearbeitet. » Königsglaube« wurde für diesen Verleger eine große Sache, es schlug den Rekord damaliger Neuerscheinungen. Durch die Blätter Österreichs ging der Sturm naturgemäß; in der Armee riß man sich um das Buch. Auch der »Temps« in Paris und ein Londoner Blatt besprachen es als die Geschichte eines österreichischen Offizierschicksals. Der alte Reißner starb über der Herausgabe des Werkes, das er, schon halb gelähmt, noch glücklich in der Hand hielt und zugleich mit den » Nachgelassenen Papieren« herausbrachte. Es war pekuniär auch für Friedjung ein großer Erfolg. Wir warteten der Konsequenzen von offizieller Seite, denn die Zeitungen nannten alle wirklichen Namen an Stelle der Decknamen. – Offiziell kam nichts. Jahrelang nichts. In Ungarn war der Erfolg ein fast unheimlicher. Dort lag ja nach wie vor der historische Zündstoff der Monarchie, aus dem ich bald darauf zwei Bände der » Dynasten und Stände« in » Reaktion« und » Revolution« schreiben konnte. Nach und nach sickerte Manches durch von dem, was in Wien vor sich ging. Das Buch war in allen Händen. Die nachgelassenen Briefe erregten das größte Interesse. Nach einiger Zeit wurde erzählt, der Kaiser, von seiner Camarilla und den Bureaus verständigt, habe den einzigen Benedek zitieren lassen, der noch lebte und als Oberst im Heere stand, und ihn zur Rechenschaft gezogen. Über die Episode 1866 habe jeder Österreicher vollkommen zu schweigen. Der Oberst, dem vollsten Commißdienst entsprossen, schreckensbleich, in jeder Hinsicht unschuldig und unwissend, konnte die hohen Herren durchaus von seiner Unbeteiligtheit an dem Verbrechen überzeugen. Gegen mich direkt erfolgte damals nichts. Das Buch wurde nicht einmal verboten. Hunderte von Exemplaren wurden mir von Offizieren mit der Bitte um Unterschrift zugeschickt. Der Adel schwieg sich über die schweren Anklagen, die so unwiderleglich berechtigt waren, teils ganz aus, teils sagte jeder: »Ich war's nicht.« In Sachsen, dessen Kronprinz damals im Jahre 1866 als Bundesgenosse mitgelitten, war das Interesse besonders stark; überhaupt war dieses Werk das erste, das in Deutschland aufmerksam gelesen ward. Denn die Konflikte der österreichischen Gesellschaft hatten bis jetzt in Berlin wenig interessiert, nur » Judas im Herrn« und das » Priesterstrafhaus« fanden Beachtung. Dem » Königsglauben« folgte rasch » Wilhelm Friedhoff«, die Tragödie des österreichischen Admirals Tegetthoff, des Siegers von Lissa, der mit dieser gewonnenen Seeschlacht gegen Italien beispiellos populär wurde. Daher mußte auch er fallen – und er fiel. Sehr kurz nach seinem Siege, noch als sein Name in jedem Mund klang, wurde er erledigt unter dem mehr als künstlichen Vorwand einer Formverfehlung. Seine Karriere war zu Ende und damit das Vaterland neuerdings eines großen Soldaten beraubt, in schwersten Zeiten. Es schrie zum Himmel; und selbst im Land des Sich-Duckens, der stumpfen Kompromisse, der feigen Servilität erhoben sich entrüstete Stimmen, den Führer zurückverlangend in den Dienst. Aber der Erzherzog Albrecht konnte keine Sieger neben sich dulden. Das Schicksal Tegetthoffs ist ein beispielloses, es löste in deutschen offiziellen Kreisen Entsetzen aus. Seine ganze Familie bestand aus Offizieren, die durch Generationen dienten. Armut, wie sie bitterer nicht sein kann, Not und Mühsal zeichnete ihren Leidensweg. Da war eine Mutter, die im Alter am Schicksal ihrer Heldensöhne, an ihren Gräbern fast den Verstand verlor; in der schließlich das Menschentum, die Kreatur durchbrach und die Faust ballte gegen die Krone. Ich habe sie oft auf Tegetthoffs Grab in Graz gesehen, diese ärmste Frau. Mit dem verstörten Ausdruck der vollkommen Irregewordenen, die verzweifelt hassen.
Dieses Leidensbuch wurde nach authentischen Quellen und Privatbriefen ausgearbeitet.
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Der Kreis in Arco, mit dem man notgedrungen täglich zusammen war, sprach über meine Arbeiten nie. Nur Blicke streiften mich. Menschen kamen aus Wien, scheinbar harmlos, ließen sich einführen, suchten mich auszuforschen.
Die Weltlichkeit, die mir geistiges und nationales Heimatleben, Kunst und vieles andere, hier Unerreichbare ersetzen sollte, wurde mir täglich mehr, was sie wirklich war: Etwas Widriges. Die Geselligkeit begann aber einen ernsteren Hintergrund, eine gesunde Basis zu erhalten, auf der sich, durch unsere praktische, auch pekuniäre Mithilfe etwas Neues in Arco mit seinem ganz unzulänglichen Offizierskurhaus für Österreicher aufbauen sollte.
Ein wohlfeiles, freies, behaglicheres Winterheim für leidende und bedürftige Offiziere. Das strebten wir an. Im Geiste Benedeks wollte mein Mann, soweit es nur anging, dem verkürzten, oft Mangel leidenden Offizier der österreichischen Armee dienen, ihren Kranken Genesungsmöglichkeiten auf selbstloser Basis schaffen, sich ihrer Interessen annehmen. Denn es war hoffnungslos, etwas für das »Weiße Kreuz« tun zu wollen, aus vielen Gründen; das hatte sich schließlich herausgestellt, und die Klagen lungenkranker Patienten, wenn sie zu sprechen wagten, wirkten erschütternd in ihrer Berechtigung.