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Schon ehe ich » Königsglaube« beginnen durfte, hatte ich große Vorstudien für mein Werk » Dynasten und Stände« gemacht, und dessen ersten Band » Böhmische Herren« in Prag vollendet. Es wurde das erste Werk, mit dem mein Mann vollkommen zufrieden war.
Die böhmische Geschichte ist immer eine unserer bedeutendsten gewesen, das tschechische und das deutsche Volk Böhmens bieten eine Fülle noch unerforschten Materials. Beiden gerecht zu werden war mein Bestreben, aus dem Gefühl heraus, daß es kein Volkstum gibt, das unterdrückt werden darf.
Ich hatte nun jede Gelegenheit zu Reisen und Studien. Ich war in Wien in den Bibliotheken, in Budapest, Preßburg, Siebenbürgen, an den Quellen der Geschichte bald zuhause. Und es kam der Tag, an dem ich es wagen durfte, mit » Königsglaube« anzufangen. Wie hat meine Hand gezittert, als ich den Titel niederschrieb.
Ich begann das Buch in Graz, an Benedeks Schreibtisch, dort, wo er gesessen, als der Erzherzog Albrecht bei ihm eindrang. – Ich schreibe. Tage, Wochen, Monate vergehen. Wir reisen wieder ab. Ich schreibe in Arco, in Riva, im Garten des Hotel du Lac, der einstigen Heimat des österreichischen Dichters und Patrioten Torresani.
Es wird eine wunderliche Epoche meines Lebens. Ich bin kaum eine Frau mehr. Ich bin nur Mensch, ein österreichisches Herz, das, bebend in allen Fibern, seinem Volke nachspürt. Kann mir im Forschen nach den vollkommenen Wahrheiten jener Ereignisse nicht genug tun, denn ich bin mir der Verantwortung bewußt, die ich mit dem Wagnis dieser Arbeit auf mich nehme. Wir Beide sind uns ihrer bewußt, und wenn davon die Rede ist, tritt in meines Mannes Gesicht, das so voll Wehmut und leichter Ironie ist, etwas Unbewegliches, eine soldatische Starrheit. Dann gleicht er fast diesem Manne in der Uniform, mit Österreichs größten Orden, der von der Wand auf uns herabblickt. Dann hat es seine Unbeugsamkeit der festen Ziele. Durch! Und bis ans Ende mit dem, was sein muß! Durch! Es kann so kommen, daß wir das Land verlassen müssen, wenn diese Indolenz in Wien, die mit zynischem Lächeln schläfrig am Rande des Abgrunds sich räkelt, die schweren Lider hebt, aufmerksam wird auf das Buch über die wirklichen Verhältnisse im Doppelstaate; wenn sie liest, wenigstens blättert und erschrickt. Der Kaiser liest nie etwas; von den Erzherzögen liest Franz Ferdinand Este. Der liegt mit dem bestehenden Regime in Hader bis aufs Messer; er lauert im Belvedere auf die große Stunde. Man weiß nie zuvor, wie er etwas auffassen, was er sagen wird. Er war im deutschen Österreich, als der Kronprinz so schmählich zugrunde ging, eine Hoffnung, unsere Regimenter liebten ihn. Von ihm wird das offizielle Wort erzählt: »Wenn ich die Krone trage, wird es der Deutschen Tag in Österreich werden.« Dieses Wort aber ist damals schon überlebt gewesen, es hätte sich nie erfüllt.
Wenn das Buch »Königsglaube« an dieser Stelle gelesen wurde, dann konnte keiner wissen, was geschah. Es konnte in der Hand des Thronfolgers eine Geißel werden, die ihm gerade recht kam; einerlei, wer es geschrieben. Mit ihm zugleich sollten Benedeks nachgelassene Papiere erscheinen, die Briefwechsel vom Jahre 1848 bis 67, mit einem Rückblick auf seine ersten Lorbeeren bei Gdow, in der polnischen Revolution.
Diese Briefe erwartete das lebhafteste Interesse, vor allem in dem Umkreis der Armee und in Ungarn. Dort war einst die größte Versuchung seines Lebens an Benedek herangetreten, dem Gouverneur einer wilden Übergangsepoche hatte es entgegengeleuchtet wie Kronenglanz. Er aber weigerte sich, Gouverneur zu werden, nach dem Bibelwort, das mahnt, jeder Versuchung zur rechten Zeit, von Anfang an auszuweichen. Der Kaiser, der ihn hinschicken wollte, begriff ihn damals nicht. Er vertraute ihm ganz. Benedek schwieg sich aus und ging nicht nach Ungarn. Die Dokumente darüber liegen vor. Sie bezeichnen den größten moralischen Sieg eines Manneslebens.
In der Geschichte der Treue und Untreue der Menschen ist dieses Blatt aus dem Leben des österreichischen Soldaten Ludwig Benedek eines der tiefsten, ein Wendepunkt und eine Grenze! Die Gewalt einer heißen Natur über sich selbst, zur höchsten Potenz gesteigert. Der Kaiser hat das später, wenn er rekapitulierte und nachsann, erfaßt. Offiziere haben es verstanden. Ungarn weiß es. Ungarn ist geschaffen, jede Menschengröße in nationalem, in vaterländischem Sinne zu würdigen.
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Habe ich meine Tagespflicht getan? Kann ich zurückkommen in meinen Winkel, zu den Büchern, den Dokumenten und Briefbündeln, die die Tische bedecken? Zu diesem Raunen der Vergangenheit, in dem etwas Wunderbares und zugleich etwas Schreckliches ist, die ganze Dämonie des irdischen Daseins. Der Raum, der mich umgibt, dieser helle, lichtblaue Salon mit den Orangenbäumchen, die zugleich blühen und goldene Bälle tragen, ist erfüllt von Gestalten, die auf mich einzustürmen scheinen. Der lachende Süden draußen verdunkelt sich wie in Gewittern. Mich stört die Sonne, das Wolkenziehen, der Ton jeder Menschenstimme außer der meines Gatten. Mich stört vor Allem das gesellschaftliche Leben, das hier nicht mehr abzulehnen ist, das draußen vor der Türe immer wartet; die hundert naiven, vordringlichen Ansprüche der Kleinen, die sich gewöhnt haben, vorgezogen zu werden, im Hause einen Ruhepunkt zu finden. Mit den Kreisen des österreichischen Militärs, den Pensionisten voll Bedürftigkeit und Enge ist das hilfsbereite Herz meines Mannes, im Namen Benedeks, enge verbunden, nie versagt es diesen Verkürzten gegenüber. Sie haben bei uns eine Zufluchtsstätte. Auf solches wächst sich dieses gesellige Leben an der Grenze langsam aus.
Tiefstille Arbeitstage, ihr reichen Tage, wie seid ihr schön! Ihr seid der Sinn des Lebens. Unter meinen Fenstern schweigt der grünende Garten, in dem niemand ist als des alten Boroi, des Gärtners, gebeugte Erscheinung, der Erde nah. Oder auf dem Tennisplatz die fröhliche Kindergestalt der Kleinen mit der Gespielin und Erzieherin, die nach den Stunden sich am Spiel freut. Wie streckt sich schon die Kindergestalt und wächst. Wir haben mit ihr mehr Krankheitssorgen und Bangen mitgemacht als andere Eltern mit vielen Kindern. Schwere Schatten fielen, durch eine rätselhaft chronische Erkrankung, die in Nordtirol über sie kam, über viele Jahre dieses Kinderlebens. Aber die kleine Valentine selber empfand sie nicht. Sie war immer fröhlich, auch in dunklen Tagen, und dies schon in dem Kinde ein hervorstechender Zug: das vornehme, gefaßte Tragen eines Leidens; woher kam es ihr wohl? Es ist ein Benedekischer Zug. –
Gott ließ sie uns nach harten Kämpfen, sie blühte in diesem Süden strahlend auf, zu einem Liebreiz, der dort im Volk noch unvergessen lebt. Wir ließen das Mädchen mit den Kindern des Volkes spielen. Es liegt in diesen welschen Naturkindern etwas Reizvolles an natürlichem Takt, Anmut und Wärme. Ihre naive Frömmigkeit mit dem Aufblick zur Madonna – ihr helles Singen, das rasche Begreifen, die große Sauberkeit dieser winzigen Seelen in den nicht immer sauberen Körpern machen sie gesellschaftsfähig; sie brauchen Manches gar nicht zu lernen.