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Welschtiroler Typen.

Mein Mann und ich sind in Italien immer besondere Wege gegangen, nie die ausgetretene Touristenstraße der Luxusmenschen. So konnte ich Pisa begreifen lernen, die ganze intime Gegend zwischen Venedig und Padua, in der mir das Land, in dem Este liegt, den wundersamsten Eindruck machte. Zwischen Bädern mit heißen Wunderquellen liegt das Val San Cibio mit großen, jetzt geschleiften österreichischen Kasematten; in Padua tobte immer heiß der Kampf gegen die Monarchie. Von sonniger Höhe grüßt ein klassisches Haus: Petrarcas Heim!

Es ist ein kleiner, man möchte sagen, Tempel von zeitlosen Formen, in den man sich wahrhaft einen Dichter denken kann. Die Jahrhunderte zerfließen in Nebel, aus ihnen steigt das alte Bild einer einzigartig poetischen und gefahrvollen Epoche empor, in der ganz Italien, von Innenkämpfen zerrissen, in kleine und kleinste despotisch regierte Klein-Staaten zerfiel, nicht selten Augenblicksblüten. Aber inmitten von Blut und Tod, von Gewalttätigkeit und den schlimmsten Intriguen, die die skrupellose Seele des Romanen zu ersinnen liebte, wie leuchtete da trotzdem die edelste Kunst empor, klassische Dichtung, feinstes Herzens- und Seelenleben, die unendliche Poesie der kurzen Stunde eines Liebesglücks am Rand des Abgrunds, zwischen Tod und Leben; oder die in sich genügsame Liebesvertiefung einer Romantik, einer Frauenanbetung, die ins Madonnenhafte emporstieg, nicht genoß, sondern betete.

Eines Petrarcas, eines Dantes reine Liebe! Man glaubt an sie, so unglaublich sie erscheint. Ich bin in diesem Hause in den folgenden Jahren oft gewesen; der Weg führte uns zu Kur-Zwecken nach Battaglia mit seinen siedenden Fangobädern, der berühmten Grotte, von der es heißt: Gelähmt wirst Du hineingetragen, im Tanzschritt der Tarantella hüpfest Du heraus. Abbano, moderner, als Bad besucht vom vermögenden Italien, war viel reizloser als dieses Battaglia, eines verarmten Grande verpachteter Besitz mit seinen überschwänglich blühenden Gärten; seinen Zanzariis, die Einen zerfleischten, wenn man sich nicht vorsah; seinen kochenden Sprudelfontänen zwischen prangenden Wiesen. Und dem elyseischen Gefilde seiner Umgebung. Da zogen zu Tausenden die reizbaren Truthühner um die schmutzigen, aber behaglichen Pachthöfe; da war eine Fruchtbarkeit ohne Gleichen; wohlbestelltes Land, von Kanälen durchzogen wie von Silberfäden, auf denen man bis Venedig und Pisa zwischen Blumenufern fuhr und dabei in den klassischen Dichtern las, die hier gewandelt; edle Gestalten, unberührt von der Niedrigkeit des Markttreibens; Schützlinge und geistige Führer der Fürsten, deren Wildester vor ihnen verstummte.

In den gewaltigsten Zeiten hat es immer die zartest beseelte Dichtung gegeben. Eine Elfenstimme des Märchens Menschenleben tönt da auf in den Labyrinthen. Petrarcas Todestag wurde als Volksfest gefeiert; da strömten Menschenmassen zusammen mit Reden, Sang und Klang. Da kamen Gelehrte und Forscher, gierige Engländer, Amerikaner, die Alles kaufen wollten, am liebsten den Leichnam des Petrarca selber, der unter dem Prunkstein nahe seinem Hause liegen sollte. Der hätte sich wohl als festliche Renomiermumie im Salon der Mistreß Rosevelt fein gemacht. Es wurde auch sehr Acht gegeben, daß er nicht wegkam, und tatsächlich nach jeder Feier nachgesehen, ob der Klassiker noch richtig drinnen liege unter dem blühenden, gelben Jasmin, den purpurnen Rosenzweigen, mit denen sie ihn singend überschütteten. Im Schloßpark von San Cibio sprangen die Wasserkünste, war der alte, verfallene Palast selten bewohnt. Da konnte man sitzen, träumen, in der Vergangenheit leben. Da war Italien ein noch echtes, großes Italien – ohne falsche Geste.

Dann Este. Der langgestreckte Ort, eine einzige, nicht endende Straße mit Laubengängen, Osterien, Bottegen, ganz welsches Leben. Waschende Weiber, deren zerrissene Wäsche immer schmutziger wurde; Geschrei, Gesang, wieder träumerische Stille. Ein Winkel, auf den die Zeit vergessen, vom krummen Feigenbaum breit überschattet; ein plaudernder Brunnen. Was erzählt er? Ewigkeits- nicht Menschengeschichten. Ein ganz leise und zart gepfiffenes Lied voll Melodie, meistens ein Liebeslied oder ein Scherz, zierlich geformt, dem Erwiderung wird hinter einem scheibenlosen Fenster. Da weht ein roter Vorhang, hinter dem schimmern schwarze Zöpfe, ein großer Nelkenbaum schüttet über das Gesims eine brennende Blütenglut. Und es fliegt, huscht eine Nelke herab auf den jungen, braunen Gesellen, der das breitstirnige Ochsengespann langsam vorübertreibt. Er fängt sie auf mit einer Grazie, die wir nicht im Volke kennen, er steckt sie hinters Ohr, lacht mit weißen Zähnen:

Ti voglio ben assai
Sei mio amore – –

*

Große Oper in Este.

Es wird immer Theater gespielt in solchen Ortschaften, es ist immer Stagione, die sich ankündigt auf grellen Riesenzetteln in allen Farben. Sogar Opern gibt es, Grandissima Opera mit ersten Künstlern. Hm! – Der Tenor ist gewöhnlich lächerlich jung, gelockt, mit blitzenden Augen; nach weiblichen Ideen hier bellissimo. Es ist ja hier alles auf issimo. Er wird vergöttert, auch wenn er ein Krawattltenor ist, wie man in Wien das Singen von einer unrichtigen Stelle aus treffend bezeichnet. Er schreit wie ein verrückter Nachtigallerich, aber das funkelnde Temperament macht alles. Auch stirbt er so unvergleichlich. Er singt immer noch etwas, wenn man ihn schon lange dahingegangen glaubt. Das ganze Salami lutschende Parterre schluchzt laut, trocknet sich den Schweiß ab, schreit, brüllt Da Capo; er muß, muß noch ein paar mal lebendig werden. Siehe, er tut es, er ist ein Galantuomo; er hat noch im Tode ein strahlendes Kinderlächeln für das Parterre, wo er denkt, daß da vermögende Witwen sitzen, Patronas. Das bemerkt die Primadonna mit Donnergrollen; ihr gehört meistens die fahrende Truppe, die mit Lucia von Lammermoor, dem Trovatore, Traviata und so weiter, herumzieht. Ihr gehört alles, was an Kulissen, Fetzen, Personal, vorhanden ist. Dahin ist wohl ihre Jugend, sie kann den drängenden Schwall ihrer Formen nicht mehr bändigen. Aber ihre Augen flammen noch, und Zähne hat sie! Kräfte! Zum fürchten! Und ein leidenschaftlich liebendes Herz.

Unsere Primadonna, die Signora Cantalani Manterini Sesto war von ihrer Wiege an schon als mimendes Brustkind durch Italien gezogen; das erzählte sie mit Stolz. Sie wußte selber nicht mehr, wie oft sie vermählt gewesen, sehr oft.

Die Sprossen ihrer zartesten Empfindungen, wie Opern sie anregen und zum Schwellen bringen, sind überall verstreut. Ihr Frauenempfinden ist jetzt mehr entwickelt als die Muttergefühle. Es ist zweifellos, daß sie den bestrickenden Krawattltenor entweder heiraten wird oder ermorden. Letzteres hat sie im Griff von den Opern. Ersteres hat sie eigentlich ja auch – im Griff! –

Die Primadonna liebt stets den Tenor und gedenkt, ihn zu freien. Er weiß noch nicht ganz, ob er will, aber das erste Moment für den gemeinsamen Lebensgang ist gegeben. Er hat vor ihr eine Himmelsangst, die sich in Kalbsaugen und schmelzendem Lächeln auswirkt. Neben diesen beiden Sternen ist die übrige Operngesellschaft, man kann es ruhig aussprechen, Mist. Ihre Rollen sind auch fast ganz gestrichen. Der Chor singt nur hinter der Bühne, man sieht ihn nicht.

Und doch! Manchmal klang da eine Stimme von lockendem Reize auf. Nicht selten webte da eine Stimmung, ein Kontakt zwischen Publikum und Bühne, gegen die ein Verdi nichts gesagt hätte, sich begriffen fühlend. Im echten Italiener ist Musik, Kunstglaube, Kunstverlangen, sei er der Geringste und Einfachste. In den Tiefen seiner Seele singt es von Harmonien, die seinem Charakter gänzlich mangeln.

Wie gern sind wir in dieser großen Scheune gesessen, der Scala von Este; durch die süße Dämmerstille des jungen Sommerabends von Battaglia aus hingefahren im kleinen Klapperwägelchen, zwischen den frisch abgemähten Wiesen, deren Duft ein Buch von echter Lyrik ist. Juniabend in Italien, auf dem Lande! Gesang und Gebet dahinwandelnder, müdgearbeiteter Menschen; Bauern, Bäuerinnen, unter denen die Alten, immer feierlichen, würdevollen, die schönsten sind. Angeborene Manieren, edle Züge einer uralten Rasse. Schöne, fröhliche, o wie fröhliche Jugend! Liebe in der Luft, Sehnsucht. Quando le cieriecce sono nere!

*

Abendfahrt.

Die Stornellis klingen und locken zwischen den Kirchenglocken über die Weiten, die sehnsüchtig atmend daliegen in der blauen Glocke der seligen Juninacht. Es duftet, duftet.

Dies Land wurde auf Erden vom Paradies vergessen, als es entschwand. Sacht flammen die Lichter von Este auf. Am Straßenrand flackert das kleine Feuer bescheidener Garküchen, aus denen fast das ganze Volk zu Abend speist. Kuriose Fischchen werden primitiv gebraten und schmecken großartig zur Polenta, zu saurem Wein. Latuga wird angemacht, der Salat; man verkauft das harte Gebäck der Giambelli und die klebrigsten Süssigkeiten der Welt. Am Lockendsten aber sind die heißen, gekochten Scheiben der Wassermelonen, rötlich durchstreift, fleischig, fiebergefährlich. Überhaupt, in der Luft ist vor Allem im Mai und September, Oktober das Fieber. Chinin wird überall abgegeben, in jeder Tabagie, groß angekündigt: Il Chinino dello stato. Dieses verstaatlichte Chinin, mit dem ein empörender Unfug am armen Volke getrieben wird, ist meistens zerriebenes, grobes, gefärbtes Mehl.

Keines der rotlippigen Mädchen ist ohne Blumenzweig in der kleinen braunen Hand, ohne Ohrringe und Korallen. Keiner der schönen Burschen ohne kecke Locke mit lachenden Lippen und lockendem Blick. In die Oper, in die Oper! Das drängt nur so, das kribbelt unter einem lachenden Junimond. Der Heuduft schwebt. An ihrer Kasse vor dem Schupfen, um das Atlaskleid mit den vielen unausgeputzten Flecken und der langen Schleppe einen faltigen Brigantenmantello grandios geschlungen, sitzt Lucia oder Traviata und schaut peinlich genau nach, ob kein Hosenknopf oder Stein, keine falsche Münze unter dem billigen Eintrittsgeld ist. Wie, wo kann man eine große Oper um, sage 30 Centesimi hören? Wo? Die ersten Plätze, auf denen die nobilissimi, die stranieri und die Leute mit den Ansprüchen sitzen, kosten 50 Centesimi. Es wird auch mehr angenommen, das schon; aber mehr gibt keiner. Es könnte vorkommen! doch es kommt nicht vor. Wir besuchten diese Volksvorstellungen so dauernd, wenn wir uns, was wiederholt geschah, für meines Mannes Kur in Battaglia aufhielten, daß uns die Bevölkerung sehr bald kannte, und auch die Sterne der Oper nahmen uns wahr. Eines Abends war in Ernani wirklich sehr viel ausgeblieben, übers Maaß hinaus. Als wir das Theaterchen verließen, sprach mein Mann in seinem eigensten Italienisch die Primadonna an. Donna Sol trat eben schweißtriefend aus den Hintergründen. Er sagte klagend: Signora mia, erhabene Künstlerin, wo ist denn nur meine Leib- und Liebesarie geblieben? Zum Beispiel so! Didada, didada, und so weiter. Donna Sol ließ den Mantel fallen, faltete die Hände, verfiel in eine vollblütig adelige Pose aus dem echtesten Spanien, wo man sogar mit Hidalgoanstand ein heißes Fußbad nimmt, und sprach, indem sie großäugig anklagend zu dem Anspruchsvollen aufblickte: Ma Signor! Misericordia Signor! le grandissime arie per trenta centesimi. Pensa per t-r-e-n-t-a centesimi! Aber mein Herr, Erbarmen! die größten Arien um dreißig, sage dreißig Pfennig! So tragisch echt habe ich diese bedeutende Frau nie gesehen wie in diesem Augenblick!

Wir verstummten tiefbeschämt. Mein Mann legte sogar noch verstohlen etwas hin auf den Kastentisch, von dem sie sich mit einem, man könnte sagen vornehmen Ekel abwandte. Aber im Auge behielt sie's. Sie sah nämlich auch von rückwärts, sie war eben ungewöhnlich begabt.

Der Tenorissimo erschien bald darauf bei uns in Battaglia, wo wir eben im Fango saßen, und wartete geduldig auf uns zwei volle Stunden lang, bis wir die Geister des Fango wieder völlig gebannt hatten. Er vertrieb sich die Zeit mit Trinken schwarzen Kaffees.

Diese Kaffees fanden sich dann auf unserer Rechnung; ein Künstlerzug, der etwas Geniales hatte. Der wundervoll in alle Farben gekleidete junge Mann begrüßte uns strahlend, es war wirklich hinreißend; man begriff, daß eine ältliche Primadonna da nicht stand halten konnte. Seine vielen Zähne allein schon, und das ölige Gelock, eines Löwen würdig! Dazu ein Riesenbrillant am linken Zeigefinger, das sagenhafte Geschenk einer hingerissenen Principessa. Er seufzte, wenn er ihn betrachtete, weil das wirkliche Leben so wenig opernhaft ist. Nur die Stiefel, die er anhatte, da fehlte es. Da war Geplatztheit, Gesprungenheit; da half keine Wagenschmiere mehr, nichts. Er blickte immer wieder bei dem gebildeten Gespräch, in dem er uns mit vollendetem Anstand für unser hochgeborenes Kunstinteresse dankte, (solche Illustrissimi, sagte er, finde man selten), er blickte fortgesetzt prüfend und nachdenklich herab auf meines Mannes Beschuhung; diese war immer einwandfrei, darin war er kokett. Ein mildes Lächeln ging allmählich über Ernanis und Alfredos Züge; er verglich seine Fortbewegungsflossen mit den Füßen der Eccellenza Tedesca, des egregio signor, Baron Krieg.

Und nun kam es heraus, er bat um ein Paar Schuhe des Illustrissimo, nicht mehr neu! o Dio, gar nicht, durchaus nicht. Nach unseren Begriffen auch nicht mehr schön, einer davon konnte verhatscht sein, das machte nichts; über diesen Einen legte sich ja stets malerisch der weiße Sterbe-Mantel. Also, Ernani erhielt zwei Paar Schuhe; seine Seligkeit hatte etwas Mitreißendes. Ich habe so etwas von leuchtenden Augen nicht mehr gesehen. Er starrte sie fasziniert an. Ohne das große Loch, dessen er sich in seinem Strumpf bewußt war, hätte er diese Schuhe sofort probiert. Ob sie paßten, war übrigens ganz gleich; sie durften auch weh tun, das war er gewohnt, das gehörte ohne Extrahonorar zur Branche. Er bot uns aus dankbarem Gemüt an, sofort die ausgebliebene Arie zu singen, extra für uns, gleich hier! Didada – dadida; man brauchte, ihn davon abzuhalten, eine Riesenenergie. Ich glaube, um nichts wäre er zum Desinare bei uns geblieben und hätte mitgegessen, Oper in Este Oper sein lassen. Aber wir wagten es nicht, ihn von dem Wege der Pflicht zu locken. Schwer und langsam schied er von uns, unter jedem Arme mit königlichem Anstand ein Paar alte Schuhe. In diesen hörten wir ihn dann den Trovatore und noch etwas mit so ergreifenden Schmerzenstönen singen, daß ich sicher bin, die Schuhe drückten ihn einfach gräßlich. Sie lösten die höchste Kunst bei ihm aus.

Ich sitze unter all diesen heißen, lebendigen Menschen und fühle, daß sie jetzt vom schweren Alltag ihres Arbeitslebens gar nichts wissen in seliger Ausgeschaltetheit. Ihre ganze Seele, die Kreatur in ihnen singt, spielt, liebt, stirbt mit.

Das ist Italien, das Echte – Alte. Niemals die Stadt; manchmal noch das Land; unvergeßliches Este!

Dann oben auf der Höhe, wo die Herzogsburg gestanden haben soll, der Leonoren Tassos Burg. Heute weiden Schafherden da in großen Zügen. Tief ist die Stille. Schafgarben, große Margarethenblumen blühen. In der flirrenden Luft zittert ein Sonett, das, flüchtig in die Herrlichkeit der Welt hineingesprochen, von klassischen Lippen tönte und aufgenommen wurde von der Weltenseele. Ist das nicht Petrarca, der dort schemenhaft steht? Lächelnd wie ihr Priester hineinblickt in die Sommerabendpracht seines Landes? Sein erkorener Sohn, der es anbetet. Diese Abendsonne, die Stimmung dieser Höhen! Das Raunen der Vergangenheit von einer Majestät, die an Göttliches streift. Wie groß in seinen Auserlesenen war einst dieses Italien! Was ist es heute?



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